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Ein neuer Anfang ist fällig -
Gedanken zur Strategiediskussion, II. Teil
Es war abzusehen, daß das Versäumnis, den Zusammenbruch des
"Realsozialismus" zu analysieren, seinen Tribut fordern wird.
Mit dem Eintritt Deutschlands in den Balkan-Krieg war es
soweit. Die Linke ist orientierungslos geworden. Sie nimmt hin,
was geboten wird;sie biedert sich an - um auf verbogene Weise
auch ein bißchen Stärke zu ergattern. Möglicherweise hat Jürgen
Elsässer recht, wenn er in seinem Artikel "Kommunismus - was
sonst?" meint, die Linke gebe es nicht mehr. Tatsächlich ist das
Niveau grauenhaft.
Da begründen führende Leute der Grünen allen Ernstes ihre
Zustimmung für das Eingreifen der Nato auf dem Balkan damit, daß
den von den Serben begangenen Greueln ein Ende bereitet werden
müsse und berufen sich dabei auf das Fernsehen als Quelle ihres
Wissens. Nicht einen Strich geistreicher gebärden sich andere
Linke, die Sozialismus als Perspektive mit der Begründung
aufgeben, er habe existiert und schließlich seine Untauglichkeit
bewiesen. Den Modernisten, Drittweglern und
Linksmoralisten mag das recht sein. Die Anhängerinnen und
Anhänger der "Strategie des verlorenen Paradieses" dürften noch
mehr in Bedrängnis geraten: Sie müssen ihren "Sozialismus" post
festum verteidigen - seine "demokratischen Errungenschaften" und
seine "planwirtschaftlichen Erfolge". Sie werden dabei das
Wasser auf die Mühlen derer sein, die Marx endgültig unter dem
Staub der Geschichte wähnen und sich vor Lachen den Bauch
halten, kommt ihnen da jemand mit Verratsgeschichten und
tückischen Strategien des Westen.
Nicht von außen, mitten aus der Linken heraus ist zu hören, der
Kapitalismus sei eine immense Entwicklungspotentiale in sich
bergende moderne Gesellschaft. Klassenkampf gebe es nicht mehr.
Der Marxsche Klassenkampfbegriff sei überlebt und das
Proletariat als revolutionäres Subjekt verschwunden. An seine
Stelle seien allenfalls andere Subjekte getreten und der
Klassenwiderspruch durch Drei- und Mehrfachunterdrückung
verdrängt worden. Garniert wird dieses Geistesleben mit immer
neuen Benimmregeln, die wie Bleiplatten auf die Gehirne drücken
und die abstruse Vorstellung nähren, schwere Kasteiungen
öffneten den Weg zum besseren Menschen.
In diesem Klima reinsten Subjektivismus hat die "Politische
Ökonomie" ihre Bedeutung verloren. Mitleid zeichnet sich auf den
Gesichtern ab, versucht mal ein "Orthodoxer" von der "Analyse
ökonomischer Prozesse" zu reden und verständnisvolles Nicken
kommt auf, wenn dann ein Schlauberger dem "ollen Marx" schon die
richtige Sicht für seine Zeit bescheinigt. Heute aber sei er
nicht mehr zu gebrauchen, was die "Orthodoxen" mit ihren
Betonschädeln nicht begriffen.
Sofern also die Linke von solchen Phrasen beherrscht wird und
sich lieber die Hacken nach ökologisch einwandfreier Ziegenmilch
abrennt, hat sie zumindest im geistigen Sinne aufgehört zu
existieren. Doch unabhängig davon, ob es sie noch gibt oder
nicht, muß der noch einigermaßen intakte Rest aus diesem Sumpf
heraus, will er nicht unter der Last dieses Gerümpels vollends
versacken. Es ist doch ein Unding, gibt sich der linke Rand des
bürgerlichen Lagers als die Linke im weitesten Sinne aus,
reduziert alle Bestrebungen auf sein Niveau und der ohnehin
schrumpfende sozialistische Teil läßt sich das auch noch
gefallen.
Es ist an der Zeit Bilanz zu ziehen. Die Reihenfolge "Gedanken
zur Strategiediskussion" soll ein Beitrag zu dem Versuch sein,
eine originäre Politik der sozialistischen Bewegung zu
begründen. Ausgangspunkt ist die These, daß bisher eine
sozialistische Gesellschaft noch nicht existiert hat (Rote Luzi
Nr. 22, "Industriefeudalismus"). Darauf begründet ist die
weiterführende These, daß der Kapitalismus im Begriff ist, aus
seiner historisch positiven Funktion der Entwicklung der
Produktivkräfte herauszutreten und zunehmend in
Destruktivität fällt, die in diesem Beitrag vertreten wird.
Beide Thesen bilden eine Linie, die der reformistischen
gegenübergestellt werden soll.
Bestandsaufnahme
Es geht nicht darum, wieder einmal das Ende des Kapitalismus zu
prophezeien. Er ist möglicherweise fähig, sich noch sehr lange
zu behaupten. Die Frage ist nur: Mit welchen Mittel und zu
welchem Preis? Diese Frage ist umso entschiedener zu stellen,
als sich ein neuer Typ "linken Vordenkens" herausgebildet hat
und die Linke von der Behauptung beherrscht wird, das
kapitalistische System stehe vor einer weiteren Modernisierung
und lasse sich in einen sozial- und ökologieverträglichen
Zustand bringen. Die Konsequenz daraus ist eine Politik, deren
innere Logik eine kritische Analyse des Kapitalismus ausschließt
und damit Sozialismus als Ziel aufgibt.
Es kann auch nicht darum gehen, Kapitalismus und Sozialismus als
Glaubenssätze gegenüber zu stellen und jeweils ein Bekenntnis
für das eine oder das andere abzugeben. Die Streitlinie verläuft
zwischen zwei Positionen, wobei die eine darin besteht, daß der
Sozialismus existiert und vor der Geschichte versagt hat und
folglich eine konstruktive gesellschaftliche Gestaltung nur noch
auf der Basis kapitalistischer Produktionsweise möglich ist.
Dies wird hier bestritten.
Diese Sicht bildet den psychologischen Hintergrund der "modernen
Sozialisten"- wie sie sich neuerdings nennen -, andere, die immer
noch für eine sozialistische Alternative eintreten, als
Nostalgiker, Orthodoxe, Stalinisten, Sektierer und Altdenker
einzustufen.
Ihr erster und zugleich entscheidender Irrtum besteht darin, daß
sie glauben, einen als "Realsozialismus" etikettierten
Industriefeudalismus rückwirkend zum Sozialismus erklären zu
können. Sie machen das, weil von dieser Behauptung ihre ganze
Theorie abhängt. Sie ist ihre tragende, unabdingbare Prämisse.
Ohne sie wären sie nicht "moderner" als andere, hätten nicht die
Argumente, Sozialismus auf indirektem Weg abzulehnen. Mit dieser
mehr dreisten denn intelligenten Rabulistik versuchen sie zu
suggerieren, wer heute noch Sozialismus anstrebt wolle nichts
anderes als ein neues stalinistisches Regime.
Nun ist es wenig sinnvoll, die Vielzahl linker Strömungen hier
in diesem Rahmen zu behandeln. In den vergangenen 5 Jahren hat
sich die oben erwähnte Linie voll herausgebildet, wobei nach
quantitativen Gesichtspunkten das reformistische Lager im
Verhältnis zum marxistischen riesenartig angewachsen ist. Ein
Grund mehr, sich intensiver mit den Theorien seiner Vordenker zu
beschäftigen.
Daher soll gleich erwähnt werden, daß diese modernen Sozialisten
und ihre Vordenker die Last ihrer Prämisse selber schleppen
müßten, gäbe es da nicht diese Zeugen, die sprichwörtlich unter
schwerer Prügel diesen Unsinn beschwören. Es sind die Märtyrer
der "realsozialistischen Auferstehungsbewegung", die auch noch
unter Anwendung öffentlicher Seelenfolter vom verlorenen
Paradies künden. Ohne deren Zeugnis ständen sie nicht als
"moderne Sozialisten", sondern eher als Deppen da, die
offenkundig nicht imstande sind, ein nicht einmal auf die Höhe
des Kapitalismus gelangtes Gebilde von einer über ihn
hinausweisende Formation unterscheiden zu können. Und wendeten
sie ein, das eine sei real gewesen, das andere Utopie: es wäre
nur umso schlimmer für sie.
Der zweite, nicht minder schwere Irrtum der Modernisten liegt
in dem Glauben, ihre Politik ließe sich dauerhaft ohne
ökonomisch Analyse begründen. Diesem Mangel begegnen sie
nicht etwa mit dem Versuch ihn zu beseitigen,
sondern halten es für klüger, ihn zu kaschieren. Kritiker, die
darauf hinweisen, werden präventiv als Ökonomisten denunziert.
Auf diese Weise ergibt sich zwar ein ausgeglichenes Verhältnis
zwischen eigenen Fehlern und der Beschimpfung anderer, aber noch
lange keine tragfähige Politik.
Daher ist zu fragen, was aus dieser Politik entsteht, worauf
sie hinausläuft, welche Antworten sie gibt. Grob umrissen tritt
als ihr signifikantes Merkmal eine systemintegrierende Funktion
hervor. Modelle ihrer Problemlösungsvorschläge sind durchweg
Ausdruck systemimmanenten Denkens. Ihres moralisierenden,
linksverbrämten und permanent bemühten Betroffenheitskults
entkleidet zeigt sie sich als staatskonform. Originäre Züge sind
grundsätzlich nicht vorhanden. Diese Merkmale kennzeichnen immer
mehr die PDS, während der Anspruch eines "linken Profils" bei
SPD und Grünen im Verschwinden begriffen ist.
Es geht hier aber weniger um einzelne Parteien, sondern um die
Vordenkerei und ihre Ergebnisse im sogenannten linken Spektrum,
zu dem auch die PDS gehört und die gegenwärtig zwar nicht alle,
aber im Verhältnis die meisten Vordenker stellt. Einer von
ihnen, und zwar der in der PDS als oberster Vordenker gehandelte
André Brie, trat am 11. September 95 in einer Veranstaltung des
"Marxistischen Forums" in der PDS auf und erklärte die
herrschenden Verhältnisse nicht nur als modern und
entwicklungsträchtig.
Interessanter war, daß er den Widerspruch zwischen steigender
Produktivität und abnehmender Konsumptionsfähigkeit bestritt
und das Gegenteil behauptete: Der Markt expandiere weltweit,
die Produktion wachse an. Und weiter:
Der Stellenwert der Ökonomie dürfe nicht mehr so hoch
eingeschätzt werden. Dies führe nur zu einem Ökonomismus, der
kulturelle und andere zivilisatorische Faktoren mißachte.
Das hätte er mal Vertretern der westdeutschen Wirtschaft sagen
sollen, aber es paßt ins Bild. Zu den schon erwähnten
Behauptungen fügte Brie nun die wohl brisanteste hinzu, an der
sich die Auseinandersetzung aller Wahrscheinlichkeit nach bis
auf das äußerste zuspitzen wird. Von ihrem Ausgang wird ein
wesentlicher Teil der Orientierungsfrage abhängen; denn nicht
mehr SPD und Grüne sind die Exponenten des Reformismus. Diese
Parteien befinden sich längst in einem Fusionsprozeß mit
Liberalen und Konservativen. Es ist damit zu rechnen, daß die
PDS die letzte Bastion des untergehenden Reformismus einnehmen
wird und Vordenker wie Brie nicht nur auf die angestammte
Gemeinde einwirken werden. Es könnte aber sein, daß sich diese
These als folgenschwerer Irrtum erweist. Sie könnte die PDS den
Einfluß auf eine künftig sozialistisch orientierte Linke
kosten.
Schauen wir uns die Bemühungen im Dienste der PDS stehender
Wissenschaftler auf der "Suche nach postfordistischen Optionen"
(Prof. Dr. Dieter Klein) an, so liefern sie oft richtige
Beschreibungen des kapitalistischen Systems. Doch immer wieder
verblüffen sie mit Schlußfolgerungen, die ihren Beschreibungen
zuwiderlaufen. Regelmäßig bleiben sie die Antwort schuldig, wie
ihre Forderungen realisiert werden sollen. Um diese
Hilflosigkeit zu verdecken, werden Programme formuliert, die
sich wie bereits gefundene Antworten lesen. Geht es aber um die
entscheidende Frage ihrer Umsetzung, tritt leer und fahl der
tote Punkt hervor, den Prof. Dr. Dieter Klein in die geradezu
klassische Form der Nullaussage gebracht hat: "Der Postfordismus
wird solche oder andere Wege aus der Krise des Fordismus nicht
hervorbringen können, wenn der Druck der globalen Fragen und der
ungelösten spezifischen inneren Plobleme der OECD-Welt nicht zu
neuen Antworten auf die Sinnfragen unserer Zeit führte." 1) Das
hätte der Vordenker A. Brie nicht besser sagen können!
Wendepunkt der ökonomischen Entwicklung
Wer sonst als die sozialistische Linke sollte damit aufhören,
sich etwas vorzumachen? Wer gegen das herrschende System
ist,sollte das begründen. Bleibt die Begründung oberflächlich,
bewegt sie höchstens marginale Gruppen, erlangt aber keine
gesellschaftliche Relevanz. Allein mit der moralischen
Verurteilung kapitalistischer Auswüchse ist sozialistische
Politik nicht zu gestalten; schon deswegen nicht, weil es keine
überzeugenden Gegenbeispiele gibt. Es bedarf also nicht nur der
Beschreibung der Erscheinung, sondern der Erkenntnis ihres
Wesens und ihrer Ursachen. Von dieser Grundlage ist zu
bestimmen, in welchem Zustand sich der Kapitalismus aktuell
befindet und welchen Weg der Entwicklung er nehmen wird. Nur aus
der Gesamtanalyse wird es möglich sein, der sozialistischen Idee
eine faßbare Gestalt zu geben, sie als kühnen Entwurf so
überzeugend zu umreißen, daß sie in das geistige Leben der
Gesellschaft dringt.
Nach ständig anwachsender Massenarmut sowohl weltweit als auch
in den Metropolen selbst, nach ständig zunehmenden Pleiten,
Mafiotisierung der Wirtschaft, Rückgang der realen
Investitionen, Zunahme spekulativer Geldgeschäfte,
Verdrängungswettbewerb, Umweltzerstörung und vieles
mehr, stellt sich drängender denn je die Frage nach den
Ursachen, die diese Entwicklung hervorgebracht haben. Wirken
diese Ursachen weiter, verdichten sich und treiben
destruktive Prozesse unaufhörlich voran, gilt zu fragen, ob sie
systembedingt sind oder nur eine vorübergehende Erscheinung sind.
Sozialistische Politk kann dieser Frage nicht ausweichen,
sonst läuft sie Gefahr,leerzulaufen. Entweder ist das
kapitalistische System zu reparieren oder aber es hat seinen
Kulminationspunkt in der ökonomischen Entwicklung erreicht, so
daß es im herkömmlichen Sinne nicht mehr zu reparieren ist. So
oft aber moderne Sozialisten wie A.Brie von den "enormen
Entwicklungspotentialen" des Kapitalismus reden, so oft
unterlassen sie zu erklären, in welche Richtung sich diese
Potentiale bewegen. Man fragt sich, wie sie dazu kommen, diese
von ihnen nicht näher definierten Potentiale ohne
nachvollziehbare Begründungen einfach ihrer Politik
einzuverleiben.
Sprechen wir Marx weder heilig noch legen wir ihn ungeprüft
beiseite, sondern knüpfen an die Ergebnisse seiner
Kapitalanalyse an und erweitern sie um die Erkenntnisse von
heute zeigt sich, daß er eine immer noch gültige Grundlage
geliefert hat, auch den gegenwärtigen Erscheinungsformen der
Kapitalakkumulation begegnen zu können.
Wenn gegenwärtig von der Krise des Postfordismus die Rede ist,
entsteht häufig das Bild, es sei bisher nur versäumt worden, ein
adäquates Akkumulationsregime zu installieren, das
verhältnismäßig so erfolgreich wirke wie der vorhergegangene
Fordismus. Zugleich entsteht der weitere Eindruck, der
fordistisch-tayloristische Akkumulationstyp sei das Produkt
keynesianischer Steuerungsmethoden gewesen und nicht umgekehrt:
daß diese Methoden vorübergehend und nicht durchgängig geeignete
Mittel waren, ihn zu regulieren. In dieser umgekehrten Sicht mag
der Grund liegen, sie nun in einer Art Neuauflage auf den
sogenannten Postfordismus anwenden zu wollen.
Diese Annahme ist ungeeignet, der Problematik näher zu kommen,
die sich aus dem hier zunächst behaupteten Widerspruch zwischen
steigender Arbeitsproduktivität und schrumpfendem Markt ergibt.
Die Kapitalseite hat ihr neues "Akkumulationsregime" nämlich
schon längst etabliert, und das heißt Rationalisierung und damit
verbunden Deregulierung. Die Folgen sind zunehmende
Massenarmut und Beseitigung demokratischer
Errungenschaften. Und weil es infolge dieser Entwicklung immer
weniger zu verteilen gibt, zerfällt auch die Partei der großen
Verteilung, in der die Keynesianer längst verstummt sind.
Kommen wir auf Marx zurück, so liefert seine Kapitalanalyse
dafür eine schlüssige Erklärung: Nach dieser Analyse ergibt sich
aus dem "Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate" und dem
"Schema der erweiterten Reproduktion" ein objektiv wirkender Zwang zur
permanenten Steigerung der Arbeitsproduktivität. Dieser Zwang
bewirkte die gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte im
Kapitalismus. Akkumulation des Kapitals und permanente
Steigerung der Arbeitsproduktivität bedeuten aber zugleich
ständige Expansion des Marktes. Stagniert die Marktexpansion,
wird die Reproduktion des Kapitals gehemmt.
Diese Situation ist eingetreten. Darum ist die Marxsche
Kapitalanalyse auch von aktueller Bedeutung für die Beurteilung
der eingetretenen Krise. Der Ära des Fordismus nun eine Ära des
Postfordismus folgen zu lassen erklärt nichts. Während Fordismus
noch einen begrifflichen Inhalt bietet, gerät Postfordismus zur
Leerformel.
Als Leerformel jedoch erscheint sie den modernen Sozialisten
geeignet, ihre im Grunde uralten paternalistischen Versorgungsmodelle
auf der Grundlage extensiver Wirtschaftsweise unterzubringen. Diese
Wirtschaftsweise aber wurde genau in der gewaltigen
Produktivkraftentwicklung des Fordismus dialektisch aufgehoben.
Das vorherrschende Element ist nicht mehr die extensive, sondern
die intensive Investition. Damit ist die Ära der
Rationalisierung gekommen. Der Trend geht in Richtung "absolute
Überproduktion"(s. Rote Luzi Nr. 20, 21).
Stellen wir nun diese Entwicklung der oben erwähnten These von
A. Brie gegenüber, zeigt sich ein diametraler Unterschied der
Auffassungen. Wenn also der objektive Zwang zur permanenten
Steigerung der Arbeitsproduktivität besteht, stellt sich die
Frage, wie das Problem der Aufnahmefähigkeit der Märkte und der
schwindenden Massenkaufkraft bei gleichzeitiger Verschärfung der
internationalen Konkurrenz gelöst werden soll.
Nun war es seit jeher für Linke besonders schwierig, zwei
Probleme zugleich lösen zu wollen: das Problem der Kapitalisten
und das des Proletariats. Bei diesem schon immer untauglich
gebliebenen Versuch hat sich der sattsam bekannte
Sozialdemokratismus herausgebildet, der am Ende dann doch dazu
übergegangen ist, sich mit den Problemen des Kapitals zu
beschäftigen. Die sozialistische Linke sollte diesen Versuch
nicht wiederholen. Er ist schon aus dem Grunde sinnlos, weil es
in der Ära der Rationalisierung keine neuen Verteilungen mehr
geben wird. Ihre Aufgabe bestände zunächst darin, die kritische
Analyse voranzutreiben, um auf der Grundlage ihrer Ergebnisse
eine originäre Politik zu entwicklen.
Die Entwicklungstendenz zeigt, daß das kapitalistische System in
Richtung Widerspruchsverschärfung marschiert und im Begriff ist,
seine objektiven Grenzen zu erreichen. Dafür mehren sich die
Anzeichen. Rationalisierung ist nicht nur schlechthin eine Verbesserung
der Produktionsmethoden. Sie bedeutet heute, daß ein kaum noch
vorstellbarer Produktionsausstoß auf immer enger werdende Märkte
trifft, so daß sich dieser Ausstoß nicht mehr in der notwendigen
Menge als Ware realisieren läßt. Das ist die Ursache der
Verwerfungen. Verdrängungswettbewerb, Rückgang der realen
Investition zugunsten spekulativer Bankgeschäfte,
Kriminalisierung der Wirtschaft usw. sind Ausdruck dafür. Das
heute herrschende und dieser Entwicklung Rechnung tragende
"Akkumulationsregime" basiert auf der Systemlogik, daß
Kapitalismus ohne Wachstum nicht existieren kann.
Hier sind wir bei der Frage, ob er im Sinne von A. Brie wächst, oder
jenseits seines Kulminationspunktes nur noch als Krebsgeschwür.
Am Beispiel des galloppierenden Sozialabbaus ist seine
destruktive Tendenz sehr deutlich zu erkennen. Trennt man diesen
Abbau von seiner ideologischen Ummäntelung in Form der
Standort-Deutschland-Debatte, tritt deutlich hervor, daß diese
Einsparungen für Subventionen gebraucht werden, die in weitere
Rationalisierung fließen, um die Konkurrenz vom Markt zu fegen.
Diese Strategie löst aber das Problem nicht, sondern verschärft
es. Und illusionär ist dabei die Hoffnung, für die
Geschröpften falle wieder etwas ab, nachdem sich
die deutsche Wirtschaft auf dem Weltmarkt
durchgesetzt habe. Die Wüsten,die das Kapital im Trikont
hinterlassen hat, wird es künftig in den eigenen Metropolen
schaffen.
"Ökologischer Umbau" und neue "arbeitspolitische Maßnahmen" sind
die Begriffe, die den modernen Sozialisten besonders flüssig von
den Lippen gehen. Beides soll unter anderem einer großen Zahl
jetzt arbeitsloser Menschen die Möglichkeit neuer Beschäftigung
bringen. Dabei wird unterschlagen, daß diese Arbeitslosen immer
weniger Bestandteil der alten industriellen Reservearmee als
Resultat periodischer Disproportionen zwischen den beiden
Abteilungen der Produktion, sondern immer mehr Opfer der
Rationalisierung sind.
Das Unsinnige an diesen Modellen erhellt die Frage, was
geschieht, werden diese Umbauten vorgenommen:
Erfolgen sie auf der Basis intensiver oder extensiver
Investition? Es ist kaum denkbar, daß ein ökologischer Umbau,
sollte er jemals Wirklichkeit werden, mit vorsintflutlichen
Mitteln vorgenommen wird. Denkbar ist hingegen, daß er dann
unter den Bedingungen der Rationalisierung,also des Einsatzes
von Hochtechnologie und damit produktiv erfolgte. Eine größere
Anzahl Arbeitsloser ließe sich aber nur auf der Basis extensiver
Investition, also unproduktiv unterbringen.
Sei es nun Ausdruck etatistischen Wahns oder schlichte
Einfallslosigkeit, bei allen Modellen, die von dieser Seite als
Lösung angeboten werden, stellt sich derselbe Widersinn ein: der
Staat erhebt Steuern - notgedrungen von den Schwächeren - und
investiert unproduktiv, um möglichst viele Leute zu
beschäftigen. Die Kaufkraft wird dabei nicht erhöht, sondern nur
innerhalb eines schrumpfenden Gesamtrahmens mit dem Bügeleisen
behandelt. Der Abbau von Massenarbeitslosigkeit unter
Zuhilfenahme extensiver Ausgaben wäre ökonomisch ein absoluter
Rückschritt und daher eher geeignet, ordnungspolitische
Obzessionen auszutoben.
Obwohl die Modernisten und Vordenker A. Brie
ständig mit dem Begriff "Kapitallogik" arbeiten, scheinen sie
zu übersehen, daß es die tatsächlich gibt: daß der Zwang zu
permanenter Steigerung der Produktivität und Expansion des
Marktes dazugehören. Und wenn die Märkte enger werden - das
gehört auch zu dieser Logik! -, wird zu immer brutaleren
Methoden nach innen und nach außen gegriffen.
Der Theoretiker A. Brie hat sich ja im Laufe seines Wirkens
schon so einiges geleistet. Daß er nun den Widerspruch zwischen
steigender Produktivität und abfallender Konsumptionsfähigkeit
bestreitet und der Ökonomie ein minderes Gewicht beimißt,
zeigt nur, daß er sein ML-Studium gründlich absolviert hat und
in seinem voluntaristischen Denken ein treuer Sohn von
Väterchen J. W. geblieben ist.
Politische Schlußfolgerungen
Nocht scheint alles zu blühen. Noch haben die objektiven
Veränderungen in der ökonomischen Entwicklung nicht voll
durchgeschlagen. Zeiträume sind nicht genau vorauszusagen. Viele
Prozesse überlagern sich, laufen mit verschiedenen
Geschwindigkeiten und haben sich noch nicht in einem klar
bestimmbaren Gesamtstrom getroffen, der allgemein als schlechte
Aussicht zu vermitteln wäre. Die komplizierten und komplexen
Strukturen des Überbaus reagieren träge. Anzunehmen ist, daß
auch linke Politik vorerst weiter an den aufgeworfenen Fragen
vorbeisteuert.
Es wäre aber notwendig, diese Fragen aufzugreifen, obwohl sie
zugegebenermaßen nocht nicht scharf genug herausgearbeitet sind.
Noch ist das herrschende System in der Lage, Hoffnung zu
verbreiten und Kritiker an sich selber irre werden zu lassen.
Und das nicht nur durch subtile Züge seiner Politik. Die
kapitalistische Wirtschaft zeigt immer noch Dynamik. Aber die
Haarrisse dringen tiefer in die Strukturen des Systems. Es
gleitet, es stürzt nicht in die Destruktivität. Möglich
ist jedoch, daß dieser Prozeß an Geschwindigkeit zunimmt
und es zwar nicht durch abrupten Fall in die Schieflage
gerät, sondern sich ihr mit immer schnelleren Schritten nähert.
Vor dem Hintergrund des sich zuspitzenden Systemwiderspruchs
wird die Sozial- und Demokratiefrage sich nicht ohne größeren
Schaden von der ökonomischen abkoppeln lassen. Daß diese Gefahr
besteht und daß es Bestrebungen des finalen Reformismus gibt,
die Diskussion ohne ökonomische Analyse zu führen, stellt
gegenwärtig die PDS unter Beweis. Sollte sich diese Intentention
im Ergebnis durchsetzen,fände sich die Linke endgültig in
jenem Subjektivismus wieder, in dem die SED geistig verendet
ist. Die Diskussion muß auf eine qualitativ höhere Ebene
gebracht werden.
Wie zu einem späteren Zeitpunkt die Auseinandersetzung mit SPD
und Grünen aussehen wird, ist jetzt noch nicht zu sagen. Zu
rechnen ist damit, daß sich sämtliche Parlamentsparteien
langfristig zu einer staatlichen Einheitspartei verschmelzen.
Dieser Prozeß wird Teile der Basis von SPD und Grünen
wegsprengen, denen gegenwärtig jedoch nichts geboten werden
kann. Der Dialog mit ihnen wird erst dann möglich und
fruchtbar sein, wenn die sozialistische Linke
geistige Anziehungskraft gewonnen hat. Um diese
Ebene zu erreichen, muß sie eigene Wege gehen. Sie muß sich
nicht gegen die PDS stellen. Auch deren Basis muß differenziert
beurteilt und ihr mit einem qualifizierten Diskussionsangebot
gegenübergetreten werden. Mit der Führung und dem
Funktionärsapparat dieser Partei wird ein neuer Anfang
allerdings immer schwerer vorstellbar. Eine neue sozialistische
Bewegung kann sich nicht mehr unter die Fuchtel überkommener
Parteistrukturen begeben, deren geisttötender Innendruck von der
wichtigsten Aufgabe der Gegenwart abhält: der Theorieerneuerung
und der Organisierung der inhaltlichen Diskussion.
Parlamentarismus und Parteiensystem müssen neu bewertet
werden, um zu einer wirkungsvollen politischen Praxis zu kommen.
Bisher sind alle linken Parteien in den Sog der
"institutionellen Strategie" (Johannes Agnoli) des bürgerlichen
Systems geraten und zu staatstragenden Hierarchien verkommen.
Ein wesentlicher Grund dafür besteht darin, daß ihr eigener
hierarchischer Aufbau das parlamentarische System widerspiegelt
und permanent reproduziert.
Genauso wie es darauf ankommt, die Lücke theoretischer Fragen
zu schließen ist es vordringlich, die politische Praxis zu
überdenken. Wo das Diskussionsniveau ständig fällt, wird auch
die Atmosphäre immer dröger. Das ist aber typisch für
Wahlvereine. Kostbare Zeit muß zurückgewonnen werden.
Zurückgewonnen werden muß auch ein marxistischer Praxisbegriff.
Die Linke als institutionalisierte Sittenkommission, die sich
selbst ständig moralisch unter Druck setzt, alle Untaten dieser
Welt registriert und in ritualisiertem Protest verarbeitet,
bewirkt weniger, als ihr lieb sein dürfte. Viel eher bildet sie
so eine systemlegitimierende außerparlamentarische
Scheinopposition, die objektiv in die institutionelle Strategie
eingebunden ist.
Überboten wird der ritualisierte Protest nur noch vom Leerlauf
der Wahlkampfbeschäftigung. Parlamentarische und
außerparlamentarische Scheinopposition erzeugen in sich
ergänzender Weise den Effekt einer Mäusetrommel. Immer
noch verbreitet unter Linken und besonders in der
PDS ist die Annahme, das Parlament lasse sich als "Tribüne
des Klassenkampfes" benutzen. Obwohl die Vordenker offiziell mit
solchen Begriffen nichts zu tun haben wollen, freuen sie sich
insgeheim darüber.
Diese Annahme verleitet nämlich viele Mitglieder,
sich für ihre Stellvertreter selbstlos einzusetzen.
Daß sie keinen Einfluß auf deren Auswahl haben, ist nur ein Teil
des Problems. Unreflektiert bleibt auch, daß eine Vorsortierung
erfolgt, die ganz anderen Kriterien folgt. Nicht die Interessen
der Basis, der Wähler, die Funktionalität des parlamentarischen
Systems steht im Vordergrund. Die Struktur der Partei sorgt
dafür, daß marxistische Kräfte nicht auf diese Bühne gelangen
-oder wieder von ihr verschwinden, sollten sie durch Zufall
hinaufgelangt sein. Wer diesen kostbaren Platz erreicht hat,
steht bald vor der Entscheidung, Opposition zu mimen oder sie
tatsächlich auszuüben. Von dieser Entscheidung hängt die Dauer
seines parlamentarischen Auftritts ab. Interessant wäre auch,
einmal grundsätzlich zu klären, was diese Stellvertreter so
auszeichnet.
Genauer betrachtet setzt ihr Stellvertretungsanspruch die
Unmündigkeit der Vertretenen voraus. Und genau dafür wird in der
Regel gesorgt. Wenn aber solche Leute auf der "Tribüne des
Klassenkampfes" stehen, drängt sich doch die Frage auf, worin
ihre Nützlichkeit tatsächlich besteht. Vor diesem Hintergrund
sollte doch einmal ernsthaft geprüft werden, ob das Thema
Wahlkampf überhaupt noch in der althergebrachten Weise
behandelt werden kann, wobei noch einmal deutlich auf den
Medienfilter hinzuweisen wäre, der jedem "Tribüneneffekt" erst
einmal vorgelagert ist.
Nachbemerkung
Die Sprache der Bilder war schon immer mächtiger als das Wort.
Seit Mitte des Sommers hat sich der Berliner Wahlkampf wie ein
nasser Lappen über die Stadt gelegt. Unzählige Papptafeln
bedrängen die Einwohner. Nirgendwo ist auch nur der geringste
Versuch einer politischen Aussage zu finden. Auf den Tafeln
prangen Spinnen, Kröten, Bären, Lebensmittelgesichter und die
ewigen Kindl-Pils-Erscheinungen der CDU.
Nie zuvor war ein Wahlkampf von derartiger Leere und
unverfrorener Geistlosigkeit gekennzeichnet wie dieser. Die
repräsentative Demokratie hat die Ära der Versprechungen
hinter sich gelassen. Die Parteien zeigen nur noch an, daß sie
sich nicht mehr voneinander unterscheiden wollen.
Ob Spinne, Kröte oder Bär, Milchflasche oder Spinatpackung: die
Symbole sind austauschbar. Wer wählt, wählt ab jetzt eine
Gliederung der alldeutschen Gesamtpartei... Bliebe noch die
Sehnsucht nach der "Tribüne".
Ebenfalls Mitte des Sommers prangte ein Plakat in Potsdams
Straßen, wie es seit den Tagen von Bischofferode verheißungsvoller
nicht sein konnte. "Gysi kommt!" war in fetten Lettern unter dem
Konterfei des Angekündigten zu lesen, das ihn mit vor der Brust
verschränkten Armen in kämpferischer Pose zeigte. Trotzig
dreinschauend schien er entschlossen, den Angriff auf
ostdeutsche Biographien an der Havel zum Stehen zu bringen. Doch
in einer Welt der Werbung ist eben alles dicht beieinander. So
hing Gysi auf kleiner Papptafel an einer Stelle unter einer viel
mächtigeren, auf der Potsdams Großer für "Rex Pils" ritt.
Nicht etwa, daß nun Gysi unter Friedrich nicht mehr zu sehen war.
Die königliche Bierreklame inspirierte viel eher zu näherem
Blick. Genauer betrachtet hielt ja Gysi seine Arme nicht
vor der Brust verschränkt, sondern preßte sie eng an den
Körper. Dadurch erschien die Opposition eingezwängt.
Ritt nun die Majestät für Bier, litt Gysi für das
andere Grundelement aller "Einheizmärkte" - denn unter den Hufen
des Rosses wirkte er prallerweise wie in ein Bockwurstglas
gestopft, dessen röhrenförmige Enge einfach gebietet, die Arme
dicht an die Brust zu pressen.
Den PR-Leuten der PDS muß die Potsdamer Kreation im nachhinein
dennoch zu fleischfresserisch und sexistisch vorgekommen
sein; denn inzwischen ist Gysi aus seinem Wurstglas wieder raus.
Für den Berliner Wahlkampf mit seinen feministischen Gefahren
galt es wohl den weiteren Eindruck zu vermeiden, dem Spitzenmann
sei eigens ein strammsitzendes Kondom übergezogen worden,um ihn
in phallischer Aufmachung als König der Männer erscheinen zu
lassen. "Gysi und sein Trupp", heißt es nun listig auf der
Pappe. Die Hände sind zwar wieder frei und konziliant
geöffnet.Die Geste aber erinnert nicht an Timur, sondern an
einen flinken katzenfreundlichen Frühstücksdirektor.
Umwerfend auch die Verpappung der Petra Pau, die
sinnigerweise als "Berliner Pflanze" offensichtlich einem
Gemüseglas entschlüpft. So fröhlich ragt ihr Rotkopf in
die Welt, daß nur noch ein Maggywürfel politisch überzeugender wäre.
Old Bisky ist überhaupt nicht zu sehen.
Im Juni hielt J. Agnoli einen Vortrag an der HU, in dem
er diese Art "oppositionellen" Treibens als "Opposition Seiner
Majestät" bezeichnete. Das ist zwar sachlich richtig, doch
immer noch zu schmeichelhaft. Angesichts der jüngsten
Entwicklung wäre es angemessener, von einer "Rummelbude Seiner
Majestät" zu reden. Die "Tribüne des Klassenkampfes" erscheint
so gesehen nur noch für besondere Possen geeignet.
© Willi Gettél, Berlin 1995
1) Dieter Klein, Wechselwirkungen. Östliche Transformation und
westliche Suche nach postfordistischen Optionen.
Fortsetzung Teil III


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