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Ulrich Klotz
Management by Potemkin
"Lean Production" - Modebegriff, Mythos oder Mißverständnis?
Tom Peters, einer der weltweit erfolgreichsten Unternehmensberater,
prognostiziert kurz und bündig: "Die Schlacht
des 21. Jahrhunderts ist die Schlacht um die Freisetzung
von Phantasie... Der Mitarbeiter von Zukunftsunternehmen
braucht vor allem zwei Eigenschaften - Phantasie und
Neugier." In seinem jüngsten Buch "Jenseits der Hierarchien"
stellt Peters allerdings auch unmißverständlich klar, daß
dies allein nicht ausreicht, sondern daß "zugleich eine
grundlegende Neuorganisation der Unternehmen
erforderlich ist". Damit ist neben der Ressource Mensch -
als Quelle von Innovation - der zweite entscheidende Faktor
benannt. Qualifizierte und kreative Mitarbeiter sind zwar
ein Schlüssel für wirtschaftliches Überleben. Aber das
allein genügt nicht. Wie ein Schlüssel ohne Schloß, so
bleiben Phantasie und Wissen wirkungslos, solange die
hieraus erwachsenden Ideen nicht zu Innovationen umgesetzt
werden (können). Damit aus einer neuen Idee veränderte
Realität - also eine Innovation - werden kann, muß sich
das neue Wissen allerdings zunächst in der Unternehmensorganisation
durchsetzen. Es genügt also nicht, daß
der einzelne lernfähig und kreativ ist - die Organisation
als ganzes muß ebenfalls lernfähig sein.
In dieser Frage der Lernfähigkeit von Organisationen liegen
die Wurzeln für fast alle ökonomischen und politischen
Probleme, die uns in wachsendem Maße Kopfzerbrechen
bereiten.
Hierarchisch strukturierte Orgainisationen wenig lernfähig
Um herauszufinden, wie es um die Lernfähigkeit der meisten
Organisationen bestellt ist, bedarf es keiner
wissenschaftlichen Methoden. Denn wohl jeder hat es selbst
schon einmal auf die eine oder andere Weise erfahren: Neue
Erkenntnisse, Vorschläge und Innovationen werden innerhalb
von Organisationen häufig als unangenehme Störung und nur
selten als Chance begriffen. Denn jede Innovation, jedes
neue Wissen, hat immer auch Veränderungen zur Folge, durch
die zumindest Teile des alten Wissens entwertet werden.
Weil aber hierarchische Organisationen auf dem traditionellen
Herrschaftsprinzip "Wissen ist Macht" basieren, greifen
Innovationen immer in bestehende Strukturen und somit in
die Machtverhältnisse im Unternehmen ein. Innovationen
werden deshalb oft nicht nur als unbequem, sondern vielfach
sogar als Bedrohung empfunden - zum Beispiel, weil sie
auch als Hinweis verstanden werden können, daß man zuvor
etwas übersehen oder gar falsch gemacht hat.
Verfälschung durch "Management by Potemkin"
Daß in vielen Organisationen innovative Ansätze behindert
statt befördert werden, liegt vor allem daran, daß
ausgeprägte Hierarchien typische Angstkulturen sind. In
denen Fehler einzelnen Personen zugeschrieben und auch
personenbezogen geahndet werden. Diese Praxis führt dazu,
daß Fehler oft nicht eingestanden, sondern - häuflg durch
erneute Fehler - lediglich kaschiert werden. Statt aus
ihnen zu lernen werden so die eigentlich wertvollen
Informationen über Mißerfolge vor allem aus den mittleren
Managementebenen herausgefiltert - von "unten" nach "oben"
werden vorzugsweise nur Erfolgsmeldungen weitergeleitet.
Man wagt es nicht, dem jeweiligen Vorgesetzten die Wahrheit
ins Gesicht zu sagen, weil es der eigen Karriere schaden
könnte. Viel eher scheint opportun, das zu sagen, was
Vorgesetzte gerne hören. Da sich dieses angepaßte Verhalten
als ganz offenkundig erfolgreich erweist - weil es durch
Karriere belohnt wird - fühlt man sich darin bestätigt,
setzt es fort und regt sogar andere zur Nachahmung an. Auf
Dauer führt dieser chronische Realitätsleugnung dazu, daß
an der Spitze von hierarchischen Organisationen ein Bild
entsteht, das immer weniger mit der Wirklichkeit gemein
hat. Die Führung verliert den Kontakt zur Realität, weil
die Organisation ihrer eigenen Selbstdarstellung auf den
Leim geht. Wo Fehler nicht produktiv verarbeittet werden
und stattdessen Opportunismus zur Karrierevoraussetzung
wird, sind also Irrtümer und Fehlentscheidungen der
Vorstandsebene vorprogrammiert.
Professor Friedrich Weltz, der sich als profunder Kenner der
Innenarchitektur vieler Organisationen mit der
Lernschwäche von Institutionen beschäftigt, stellt hierzu
fest:" Die Kunst, "Türken zu bauen". Ist ein in
Jahrhunderten perfektioniertes Handwerk, dem wir in allen
Großorganisationen begegnen und das sich im Gleichschritt
mit den Methoden der Kontrolle sind Steuerung von "oben"
verfeinert und perfektioniert. Das Ergebnis: Zahlen und
Berichte, die in solchen Organisationen erzeugt werden,
spiegeln die Arbeitswirklichkeit nur bedingt richtig wider
und sind häufig Ergebnis systematischer Verfälschung."
Weltz spricht ganz treffend von "Management by Potemkin" und
hebt hervor, daß es kein Zufall ist, daß ausgerechnet im
zentratistisch und absolutistisch geführten zaristischen
Rußland die Verfälschung zum Prinzip erhoben wurde, wie es
der Großfürst Potemkin mit seinen berühmten Dorf-Attrappen
tat.
Das Paradebeispiel für die Wirksamkeit und die Grenzen des
Potemkin-Syndroms - für diese Herstellung von
Scheinwelten, durch die die Täuschung als Methode letztlich
zur Selbsttäuschung wird - liefert die Entwicklung
und das Schicksal der DDR. Unter Organisationsaspekten
ist der Fall DDR (nicht nur) für Manager kaum weniger lehrreich
als das Beispiel Japan. Dazu muß man sich allerdings
zuerst einmal darüber klar werden, daß der Untergang der
östlichen Wirtschaftsysteme wenig mit Sozialismus oder
Kommunismus, dafür aber umso mehr mit Taylorismus zu tun
hat. Denn in den staatlichen Kommandowirtschaften wurde die
Lehre Taylors so ungebrochen verinnerlicht und so exzessiv
praktiziert wie sonst nirgends auf der Welt. Nicht nur in
den Fabriken wurden Planung und Ausführung strikt getrennt,
sondern darüber hinaus wurde der gesamte Staat ähnlich einer
zentral plan- und steuerbaren Maschine behandelt. Ein
Teil war für das Denken (Planen) und der andere Teil
lediglich für die Ausführung zuständig. Um eine derart
hochgradig arbeitstellige Struktur zu verwalten, ist ein
immenser Koordinations- und Kontrollaufwand vonnöten. Da
der Aufwand für die bloße Verwaltung der Arbeitsteilung
gemäß einer mathematischen Gesetzmäßigkeit schneller wächst
als die Zahl der zu steuernden Einheiten, war der Kollaps
unvermeidlich. Aufgrund der internen Reibungsverluste,
die an den immer zahlreicheren Schnittstellen entstehen,
sind derart wuchernde Verwaltungen irgendwann überwiegend
mit sich selbst beschäftigt und werden so unbeweglich, daß
sie auf Umfeldveränderungen nicht mehr angemessen reagieren
können und zugrunde gehen.
Daß in aufgeblähten Bürokratien eine Mißtrauenskultur
vorherrscht, ein Klima, in dem nicht sein kann, was nicht
sein darf. In dem Uniformität und Ja-Sagertum immer groteskere
Blüten treiben, gehört zum Wesen hochgradig
tayloristischer Strukturen. Die Kontrollinstrumente, mit
deren Hilfe die Planer die Wirklichkeit durchleuchten
wollen, tragen dann in Wahrheit dazu bei, ein verfälschtes
Bild von ihr zu liefern. Durch Schönfärberei der Erfolgsmeldungen
über angebliche Planerfüllungen verschenkt
man jede Chance, sich der Wirklichkeit anzunähern,
geschweige denn, von ihr zu lernen.
Wo Fehler nicht gestattet sind, gibt es keine
institutionelle Lernfähigkeit
Die Parallelen zu so manchem Unternehmen sind nicht zu
übersehen: "Wie der Staatssicherheitsdienst in der DDR
bewahrt das perfekteste Controlling nicht vor der Krise,
wenn es nur eingesetzt wird um systemgerechtes Verhalten
herbeizuprüfen", konstatiert Professor Weltz. Erfahrene
Unternehmensberater weisen deshalb immer wieder auf den
grundlegenden Zusammenhang hin, von dem die Lernfähigkeit
bzw. Innovationsfähigkeit von Organisationen entscheidend
abhängt - den Umgang mit Fehlern, Mißverständnissen und
abweichenden Meinungen. Noch einmal Weltz: "Wo es keine
Fehler geben darf, gibt es auch keine institutionelle
Lernfähigkeit. Oder anders ausgedrückt: Die Lernfähigkeit
ist umso geringer, je größer der Legitimationsdruck,
und damit der Anreiz zur Produktion geglätteter und
scheinhafter Darstellungen. In einem solchen Klima werden
problematische Erfahrungen nicht verarbeitet, sondern
kaschiert und verdrängt." Tom Peters kann es sich
erlauben, noch drastischer zu formulieren: "Wo keine Fehler
gemacht werden, wird auch nichts gelernt. Jeder Idiot weiß
das. Bedauerlich ist nur die Tatsache, daß sich eine
Menge Industriemanager in den letzten 15O Jahren schlimmer
als Idioten benommen haben."
Ein tolerantes Klima im Umgang mit Fehlern und Kritik ist in
vielerlei Hinsicht bedeutsam für das Entstehen von
Innovationen. Denn wer Verbesserungsvorschläge macht oder
innovative Ideen vorbringt, setzt sich leicht der Kritik
oder dem Spott von Vorgesetzten und Kollegen aus und trägt
das Risiko des Scheiterns. Die Furcht vor sozialem
Gesichtsverlust ist deshalb häufig ein Grund, Vorschläge und
Ideen für sich zu behalten. Wo Fehler nicht erlaubt sind,
entstehen keine Innovationen.
Hingegen zeichnet sich ein innovationsfreundlichies
Kommunikationskilma vor allem dadurch aus, daß
Informationen rasch und bereitwillig weitergegeben werden
- und zwar unabhängig von Abteilungsgrenzen,
Zuständigkeiten oder sonstigen Organisationsebenen. Es
ist aufschlußreich, daß in japanischen Unternehmen der
Stempel "Vertraulich" so gut wie unbekannt ist - man weiß,
daß ungehinderter Zugang zu Informationen wesentlich für
die Weiterentwicklung einer Organisation ist. Bei uns
hingegen ist häufig das genaue Gegenteil zu beobachten,
denn in Hierarchien werden Informationen vor allem als
Machtmittel mißbraucht - oder wie es Tom Peters formuliert:
"Die einzig wichtige Information in einer Hierarchie ist:
Wer darf was wissen?" Insbesondere auf mittleren
Hierarchiebenen werden Informattionen als Herschaftswissen
gehortet. Mittlere Manager, Abteilungsleiter und
Vorstandsreferenten wirken als Filter und "Schleusenwärter"
im Informationsfluß und blockieren dadurch oftmals
Innovationen. Dies ist eine wichtige Erkenntnis aus der
Erforschung wettbewerbsfähiger Unternehmensstrukturen.
Damit zusammenhängend lautet die zentrale Erkenntnis der
Innovationsforschung: Innovationen kann man nicht
erzeugen, man kann sie nur fördern, indem man Behinderungen
abbaut. Zahllose Beispiele aus der Industriepraxis
belegen, daß die überwiegende Anzahl nicht realisierter
Innovationen auf solche hierarchiebedingten Blockaden und
Managemententscheidungen zurückzuführen ist. Der" Ketzer"
Tom Peters bringt es in seiner Art auf den Punkt: "Die
mittleren Führungsebenen sind schlimmer nutzlos: Sie
zerstören die Werte... Das Mittelmanagement großer
Unternehmen wie BASF, Siemens und IBM schadet nur dem
deutschen Bruttosozialprodukt. Viel Firmen können daher
froh sein über jeden Tag, an dem ein Mittelmanager nicht zur
Arbeit kommt."
Natürlich hilft es allein wenig, wenn man - wie es derzeit
in manchen Firmen versucht wird - als eher technokratisch
durchgeführte Maßnahme einzelne Hierarchieebenen entfernt.
Dadurch entstehen noch keine Innovationen. Weit wichtiger
sind Fragen, die mit dem Begriff der "Unternehmenskultur" zu
erfassen sind. Erfolgreiche Unternehmensführung sollte
man weniger mit der Arbeit eines Ingenieurs vergleichen als
eher mit der eines Gärtners, denn wie zarte Pflanzen wachsen
Innovationen nur in einem ganz bestimmten Klima. Dort wo
Mißtrauen, Restriktionen und autoritäres Statusdenken
vorherrschen entstehen keine Innovationen. Sie wachsen
bevorzugt in einem Klima des Vertrauens, in dem Fehler nicht
gezählt, sondern Versuche belohnt und unterstützt werden.
Der Umgang mit Fehlern ist sicherlich eines der
wichtigsten Elemente der " Lean Production". In japanischen
Unternehmen werden Fehler nicht als individuelles
Versagen, sondern eher als Chance begriffen - als Chance, es
beim nächsten Mal besser zu machen. Fehler sind der
willkommene Anlaß, daraus zu lernen, über Alternativen
nachzudenken und Neues auszuprobieren. Das Fehlermachen
ist nicht so schlimm, viel schlimmer wäre es, Fehler zu
verbergen und zu verdrängen - denn nur wer sich mit Fehlern
auseinandersetzt, kann sie in Zukunft vermeiden. Für eine
derart produktive Verarbeitung von Fehlern haben wir
zwar noch immer ein Sprichwort - "aus Schaden wird man
klug" - aber in Warheit gilt in unseren etablierten
Bürokratien eine ungeschriebene Regel, die genau umgekehrt
lautet: Fehler machen ist gefährlich, Fehler zugeben ist
tödlich!"
Besonders ineffiziente und wenig lernrfähige Strukturen
trifft man in saturierten Gesellschaftssystemen und überall
dort, wo evolutionäre Auslese bzw. Wettbewerb kaum
stattfindet, weil der Fortbestand einer Organisation
bereits durch von außen abgegebene Erklärungen weitgehend
abgesichert ist und es somit (scheinbar) gar keiner Innovation
bedarf, um zu überleben. Vor allem Behörden stellen
häufig das genaue Gegenteil moderner Organisationen dar.
Aber auch in Unternehmen, deren Markt bzw. Monopolstellung
per Gesetz garantiert ist - zum Beispiel
Energieversorger, Bahn oder Post - treibt die Bürokratie
und die selbsterzeugte Blindheit oft seltsame Blüten. John
Diebold, Chef der weltweit agierenden Beratungsfirma,
moniert: "Besonders im öffentlichen Dienst werden Mitarbeiter
mit Ideen oft entmutigt. Im öffentlichen wie im
politischen Sektor wird Erfolg weniger stark belohnt als
im privaten Sektor, während Fehler streng sankioniert und
schnell zu Karriereblockaden werden. So werden gute Leute
vergrault und Innovationen verhindert... Überhaupt wird die
Bedeuumg von Fehlern für den Erfolg von Gesellschaften und
Unternehmen falsch eingesetzt. Eine Organisation, in der
keine Fehler gemacht werden dürfen, wird unbeweglich."
Starre Prinzipien behindern evolutionare Auslese
Vor allem politische Institutionen, Parteien und Verbände
liefern tagtäglich anschauliche Belege für diese Thesen,
denn in ihnen werden nicht nur Fehler bestraft, sondern weit
schlimmer noch, hier wird bereits das bloße Überbringen
unangenehmer Botschaften mißbilligt. Die sprichwörtliche
Trägheit der politischen "Tanker"-Strukturen - und damit
einhergebend die wachsende Politikverdrossenheit wurzeln
letztlich in der Tatsache, daß "Management by Potemkin"
überall dort Urstände feiert, wo die Auslesprinzipien
eines Marktes nicht existieren bzw. nicht unmittelbar
erkennbar wirken. Das Fehlen äußerer Korrektureinflüsse
spiegelt sich in der Innenarchitektur solcher Organisationen
wider. Evolutinäre Auslese wird dann durch
Prinzipienen ersetzt, wie sie für Fünktionärsapparate
charakteristisch sind: Die Funktion gilt als
Quilfikationsersatz - man wird qua Amt zum Experten für
irgendein Ressort gekürt. Derartige Rekrutierungsmuster und
die daraus resultierende Verunsicherung der Individuen
tragen zum Entstehen einer Angstkultur bei. In der
Zuständigkeitsfragen und Informationszurückhaltung
überragende Bedeutung gewinnen.
Bei alljenen Organisationen und politischen Systemen, wo
das organisatorische Lernen durch Wissenstransfer
behindert wird, weil sie im Inneren den freien und
produktiven Umgang mit Informationen nicht zulassen
(können), wird dann nach außen hin immer unverkennbare, daß
sie steigender Komplexität und Dynamik ihres Umfeldes immer
weniger gewachsen sind. Immer häufiger können sie erst
dann reagieren, wenn der Problemdruck bestenfalls noch ein
Kurieren an Symptmen, aber keine Ursachenbeseitigung mehr
zuläßt. Mitunter werden auch gravierende Umfeldveränderngen
gar nicht wahrgenommen, weil derartige Organisationen
vorwiegend damit beschäftigt sind, sich selbst in die
Taschen zu lügen und beträchtlichen Aufwand treiben
müssen, um eben dieses Verhalten zu kaschieren. Zwischen
dem Untergang der DDR und etwa dem Ruin der Gemeinwirtschaft
bestehen insofern durchaus Gemeinsamkeiten.
Beide Desaster waren beileibe nicht etwa das Werk einzelner
"schwarzer Schafe", sondern die zwangläufige Folge
mangelnder organisatorischer Lernfähigkeit aufgrund des
Potemkin-Syndroms.
Mitarbeiter als schöpferische Individuen sehen
Umgekehrt sind vor allem hart umkämpfte Märkte ein
ergiebiges Terrain für Lernbeispiele, wie man es besser
machen kann - denn vor dem Kriterium des Markterfolgs
versagt die Wirksamkeit des Potemkin-Syndroms. John
Diebold: "Die wenigen Führungskräfte, die begriffen haben,
daß sich in den letzten Jahren grundlegende Veränderungen
vollzogen haben, sind vornehmlich in den
Wachstumsindustrien zu finden. Die anderen jammern darüber,
daß das Geschäft immer schwieriger wird - bis sie
eines Tages pleite geben oder übernommen werden." Die wohl
höchsten Anforderungen an Managementfähigkeiten werden
derzeit in der Computerbranche gestellt, einem Bereich,
der an Dynamik, Komplexität und Brulalität des Wettbewerbs
inzwischen kaum mehr zu überbieten sein dürfte. Vor allem
hier - wo der Lebenszyklus von Produkten nicht mehr Jahre,
sondern nur noch Monate beträgt - zeigt sich die überragende
Bedeutung von Flexibilität: Nicht die Großen fressen
die Kleinen, sondere die Schnellen überholen die
Langsamen.
David Vice, Präsident der Northern Telecom, formutilierte
es so: "In Zukunft wird es nur noch zwei Typen
von Managern geben: Die Schnellen und die Toten" Vor allem
in hochdynamischen Branchen bestätigt sich: Unbewegliche
monolithische Systeme werden oft unerwaret rasch durch das
Leben bestraft. Etablierte Firmen wie IBM, DEC oder Wang
produzieren inzwischen Veluste in Milliardenhöhe,
entlassen Personal in Massen oder stehen sogar schon vor dem
Konkursrichter. Auf der anderen Seite jagen profitable
Computerfirmen wie Hewlett-Packard, Apple oder Sun von
Rekordumsatz zu Rekordumsatz und sind auf dem besten
Weg, in den jeweiligen Segmienten ihre Marktführerschaft
noch weiter auszubauen.
An der Gegensätzlichkeit dieser Fälle ist der Zusammenhang
von Unternehmenskultur und Innovationsfähigkeit geradezu
bilderbuchartig abzulesen. Die erfolgreichen Firmen stehen
allesamt für eine verändere Kultur. In der das Management
der zwischenmenschlichen Beziehungen großen Stellenwert
hat und ein offenes Diskussionsklima Spielräume für
Entfaltung und Selbstverwirklichung bietet - weil
Mitarbeiter als schöpferische Individuen und nicht bloß
als ausführende Werkzeuge gesehen werden. Hingegen sind
die verlustreichen Firmen allesamt Vertreter des alten
Stils. In denen patriarchalische Führungsstrukturen eine
evolutionäre Weiterentwicklung behinderten, weil interne
Konflikte nicht gelöst, sondern per Anordnung von oben
entschieden wurden. Charakteristische Fälle sind allen
voran die Firmen Nixdorf und DEC, beides Unternehmen, in
denen autoritäre Firmengründer gezwungen wurden, das Heft
aus der Hand zu geben, als die jahrelange Selbsttäuschung
eine immer verheerendere Misere nicht länger kaschieren
konnte.
Die hektischen Umorganisationen, die derzeit in etlichen
Branchen stattfinden, zeugen allerdings vor allem davon, wie
sehr man "Lean Production' mißverstehen kann. Überall redet
man von "schlank" und meint "mager" und übersetzt "lean"
sogar mit "straff", wodurch noch deutlicher wird, daß hinter
den neuen Vokabeln nur die alten tayloristischen
Denkmuster und Methoden verbergen, die vormals schlicht
Rationalisierung, Kosteneinsparung und Kapazitätsabbau
hießen. Im übrigen ist es ohnehin bezeichnend, daß man
meist von "Lean Production" statt von "Lean Management"
spricht und einseitig nur das sichtbare Ende des Produktionsprozesses,
nämlich die Fertigung, im Blickfeld hat.
Lean Prodoction - nur ein Mißverständnis ?
Wer aber derart die vielgepriesene "Lean Production"
lediglich als neue Methode begreift, um Produktionskosten
und Durchlaufzeiten zu senken, läuft Gefahr, seine Wettbewerbsvorteile
restlos zu verspielen. Denn es geht weniger
um Kosteneinsparung im herkömmlichen Sinn als vielmehr
darum, die Kosten der Bürokratie zu vermeiden. Wenn aber
Bürokratien beginnen, Kosten zu sparen, kommt dabei häufig
nur noch mehr Bürokratie heraus, weil sie es auf
bürokratischem Weg tun. Wer also - wie derzeit zahlreiche
Firmen - versucht, japanische Methoden wie Kanban,
Just-in-Time, Total-Quality-Management oder Quality Circles
bloß zu kopiern, ohne sie kapiert zu haben, geht einen
gefährlichen Weg.
Lean Production ist dort, wo sie erfolgreich praktiziert
wird stehts das Ergebnis eines sehr langwierigen und
komplizierten Organisationsentwicklungsprozesses, der nur
unter spezifischen kulturelluen und mentalen
Rahmenbedingungen stattfinden konnte und kann. Eine
schlichte Imitationsstrategie ist zum Scheitern verurteilt,
weil der völlig andersartige sozio-kulturelle Hintergrund
Japans, der für das Wirksamwerden dieser Methoden unabdingbare
Voraussetzung ist, nicht mit übernommen werden
kann.
Angesichts der verbreiteten Mißverständnisse kann man dem
Vorsitzenden der Deutschen Aernspace AG, Jüreen Schrempp,
nur beipflichten, der kürzlich vorschlug, schleunigst "vom
Begriff des Lean Management wegzukommen, denn er hat
Schlagwort-Charakter, der nur ablenkt. Ich verwende lieber
die Idee von der lernenden Organisation." In der Tat trift
dieser von dem amerikanischen Managementguru Peter M.
Senge geprägte Begriff weit eher das, worauf es im
Endeffekt ankommt: Nämlich darauf, daß Organisationen
Wissen nicht nur zur Steigerung der eigenen Effektivität
nutzen, sondern auch zu ihrer eigenen Umstrukturierung.
Die Entwicklung einer solchen Kultur des Wandels käme aber
in der Tat einer Kulturrevolution gleich, denn getreu dem
Motto "Wissen ist Macht" versuchen bislang viele Manager,
die Ressourcen ihrer Autorität aufrechtzuerhalten und -
etwa mit Hilfe neuer Technologien - die Unternehmen so zu
strukturieren, daß die Wissensbasis des Unternehmens nur
ihnen zugänglich bleibt. Die zahlreichen Modewellen verschiedener
"Managemeny by ..." Ansätze stießen deshalb in
der Vergangenheit regelmäßig überall dort, wo bestehende
Strukturen und Verfahren wirklich grundsätzlich in Frage
gestellt wurden, rasch an ihre Grenzen. Die mangelnde
Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung gewachsener
Strukturen, die Schwäche der Offenheit für neue Wege ist ein
durchgängiges Phänomen, das in allen gesellschaftlichen
Gruppen festzustellen ist - weil persönliche Interessen
häufig vor sachdienlichen Argumenten rangieren.
Wer Leistung fordert, muß Autonomie bieten
Bei der Diskussion um "Lean Management" scheint sich dies
erneut zu bestätigen, denn eine im Handelsblatt
veröffentlichte Umfrage unter westdeutschen Führungskräften
ergab, daß 45 Prozent der Befragten mit diesem Begriff
Kostensenkungen assoziieren. Ebenso erhellend ist, daß
nur 0,8 Prozent der Manager eine Verringerung ihrer Entscheidungsbefugnis
durch "Lean Management" erwarten. Genau
darauf aber kommt es an, wenn man es ernst meint mit einer
"Schlankheitskur" im Sinne der Steigerung institutioneller
Lernfähigkeit. Denn wer Kreativität erhofft und
Leistungsbereitschaft fordert, der muß Vertrauen
entwickeln, Autonomie gewähren und Verantwortung
delegieren. Wenn man von Selbstorganisation nicht bloß am
Sonntag reden will muß man Macht abgeben, weil Organisationsstrukturen
nun einmal immer auch Machtstrukturen sind.
Vor allem aber muß man begriffen haben, daß das
vertrauensvolle Zulassen von Vielfalt die entscheidende
Voraussetzung für jede evolutionäre Entwicklung ist. Der
Managementberater Professor Richard T. Pascale: "Je mehr
eine Organisation in sich die Vielfalt ausblendet, desto
mehr Probleme bekommen sie, wenn von außen Vielfalt auf sie
einstürmt, etwa durch Kunden oder Konkurrenten ...
Konstruktive Konflikte sind der Motor der Veränderung. Der
Konflikt und unorthodoxes Verhalten - ein
Horrorvorstellung für viele Manager - muß nicht nur toleriert,
sondern im Unternehmen sogar kultiviert werden.
Dafür gibt es in westlichen Unternehmen keine Tradition."
Mit anderen Worten: es kommt vor allem daruf an, soziale und
kommunikative Kompetenz zu entwickeln und zu fördern, um
die Synergien aus der menschlichen Kommunikation
freizusetzenen. Hier liegt eine wesentliche Quelle
japanischer Erfolge, die letztlich fast alle aus einem
stark gruppenorientierten Wertesystem erwachsen sind.
Statt Konflikte - wie hierzulande oft üblich - unter den
Tisch zu kehren, versucht man in Japan stets, diese zu lösen
und produktiv zu verarbeiten. Diese Fähigkeit zur
permanenten Konsensbildung auf allen Ebenen, von der
kleinen Arbeitsgruppe in der Werkhalle bis hin zu
mächtigen Konzerngruppen, den sogenannten Kereitsus, ist
eine weitere Komponente des japanischen Modells.
Wohin es hingegen führen kann, wenn man Konflikte und
Vielfalt unterdrückt, läßt sich wiederum besondere
augenfällig am Schicksal der östlichen Planwirtschaft ablesen.
Deren Methoden führten zwangsläufig zu einer stark
vergröberten Produktwelt, weil Vielfalt und Kreativität in
den Plänen keinen Platz haben konnten. Mit der lapidaren
Feststellung: "Zentrale Planwirtschhaft ist ihrem Wesen nach
nicht evolutionär, denn nahezu alle ihre Instrumente
verhindern Evolution" liefert der Untermehmensberater
Manfred Sliwka eine ebemo kurze wie treffende Erklärung
für den unvermeidlichen Untergang der Kommandosysteme.
Tom Poters konstatiert noch prägnanter: "Hierarchien sind
eine Sackgasse der Evolution."
Anknüpfen an typisch abendländische kulturelle Werte
Was also nottut ist eine Kulturrevolution, mit der die
desruktiven Tendenzen hierarchischer Überorganisation
aufgedeckt und in deren Gefolge Unternehmen künftig
nicht mehr als planbare Maschinen, sondern ab lebendige
Organismen betrachtet werden. Ein solcher Umbruch böte
im Prinzip insbesondere für Europa ausgezeichnete Chancen.
Denn in lernenden Organisationen kann man an typisch
abendländischen kulturellen Werten, Traditionen und
Tugenden - wie Individualität, Kreativität, Flexibilität
und Persönlichkeit - anknüpfen und damit Stärken
entfalten, denen die außerordentlich rigide Konsenskultur
Japans nichts vergielchbares entgegenzusetzen hat. Daß
hier im Grund ein unschätzbarer Vorteil der Europäer
liegt, scheinen allerdings inzwischen japanische Manager
eher zu begreifen als ihre hiesigen Kollegen. Während
hierzulande manche Führungskräfte noch glauben, etwa
Gruppenarbeit von "oben" verordnen zu können, betont Frank
Ohgai, Planungsdirektor bei Matsushita, dem weltgrößten
Hersteller von Unterhaltungselektronik, inzwischen: "Wir
müssen das Unternehmen globalisieren, die Bürokratie
abbauen und statt der Teamarbeit mehr Individualität
fördern." Der Sony-Präsident Akito Morita meint sogar, daß
so ziemlich alles falsch sei, was ausländische
Wettbewerber bei ihrer aufgeschreckten Suche nach den
Mysterien japanischer Erfolgsgeschichte abkupfern und er
diagnostiziert - angesichts der Tatsache, daß sich
mittlerweile auch in Japan ökonomische Warnsignale mehren -
bereits eine "Krise des japanischen Managementkonzepts".
Paradigmenwechsel: ein langsamer Prozeß
Bleibt allerdings die Frage, ob uns Europäern für den
notwendigen Wandel noch genügend Zeit bleibt. Denn bei
alledem handelt es sich im Kern um einen Paradigmenwechsel.
In dem alte Werte und neue Denk- muster durch neue ersetzt
werden. Thomas Kuhn, Schöpfer dieses Begriffs, meint,
daß ein solcher Prozeß mindmens 25 Jahre benötigt - die
Verfechter des alten Paradigmas müssen erst aussterben. Daß
es tatsächlich um einen Paradigmenkonflikt geht, kann
man am deutilchsten daraus erkennen, daß in der Diskussion
über "Lean Production" zwei Lager zwar das gleiche Vokabular
benutzen, aber völlig unterschiedliche Dinge meinen.
Denn, so Richard T. Pascale:" Es sind Paradigmen, die
verhindern, diese andere Ebene zu entdecken. Ein Paradigma
ist eine allumfassende - Betrachtungsweise oder Weltsicht,
die von einer Gemeinschaft von Menschen geteilt wird. Sie
setzen uns die Brille auf, durch die wir sehen und urteilen
lernen; sie sind stark, weil sie ein Filter sind, durch das
die Gemeinschau blickt. Und dieses Filter ist derart klar
und sauber, daß der Mensch nicht einmal weiß, daß das, was
er sieht, gefiltert ist - weil alle dieselbe Brille tragen.
Nicht nur Kulturen, auch Organisationen arbeiten in
Paradigmen. Soll eine Organisation durchgreifend
verändert werden, muß zuvor das Paradigima in Frage gestellt
werden ... Wenn im Management ein Paradigma verändert
werden soll, verfläuft selbst nach der Erkenntnis der Wandel
sehr langsam, weil das Management selbst ein Teil des
Problems ist ..."
Quelle: Elektronik (4), 1993.


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