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Beiträge zur Ökonomie  









Ulrich Klotz

Management by Potemkin "Lean Production" -
Modebegriff, Mythos oder Mißverständnis?

Tom Peters, einer der weltweit erfolgreichsten Unternehmensberater, prognostiziert kurz und bündig: "Die Schlacht des 21. Jahrhunderts ist die Schlacht um die Freisetzung von Phantasie... Der Mitarbeiter von Zukunftsunternehmen braucht vor allem zwei Eigenschaften - Phantasie und Neugier." In seinem jüngsten Buch "Jenseits der Hierarchien" stellt Peters allerdings auch unmißverständlich klar, daß dies allein nicht ausreicht, sondern daß "zugleich eine grundlegende Neuorganisation der Unternehmen erforderlich ist". Damit ist neben der Ressource Mensch - als Quelle von Innovation - der zweite entscheidende Faktor benannt. Qualifizierte und kreative Mitarbeiter sind zwar ein Schlüssel für wirtschaftliches Überleben. Aber das allein genügt nicht. Wie ein Schlüssel ohne Schloß, so bleiben Phantasie und Wissen wirkungslos, solange die hieraus erwachsenden Ideen nicht zu Innovationen umgesetzt werden (können). Damit aus einer neuen Idee veränderte Realität - also eine Innovation - werden kann, muß sich das neue Wissen allerdings zunächst in der Unternehmensorganisation durchsetzen. Es genügt also nicht, daß der einzelne lernfähig und kreativ ist - die Organisation als ganzes muß ebenfalls lernfähig sein.

In dieser Frage der Lernfähigkeit von Organisationen liegen die Wurzeln für fast alle ökonomischen und politischen Probleme, die uns in wachsendem Maße Kopfzerbrechen bereiten.

Hierarchisch strukturierte Orgainisationen wenig lernfähig

Um herauszufinden, wie es um die Lernfähigkeit der meisten Organisationen bestellt ist, bedarf es keiner wissenschaftlichen Methoden. Denn wohl jeder hat es selbst schon einmal auf die eine oder andere Weise erfahren: Neue Erkenntnisse, Vorschläge und Innovationen werden innerhalb von Organisationen häufig als unangenehme Störung und nur selten als Chance begriffen. Denn jede Innovation, jedes neue Wissen, hat immer auch Veränderungen zur Folge, durch die zumindest Teile des alten Wissens entwertet werden. Weil aber hierarchische Organisationen auf dem traditionellen Herrschaftsprinzip "Wissen ist Macht" basieren, greifen Innovationen immer in bestehende Strukturen und somit in die Machtverhältnisse im Unternehmen ein. Innovationen werden deshalb oft nicht nur als unbequem, sondern vielfach sogar als Bedrohung empfunden - zum Beispiel, weil sie auch als Hinweis verstanden werden können, daß man zuvor etwas übersehen oder gar falsch gemacht hat.

Verfälschung durch "Management by Potemkin"

Daß in vielen Organisationen innovative Ansätze behindert statt befördert werden, liegt vor allem daran, daß ausgeprägte Hierarchien typische Angstkulturen sind. In denen Fehler einzelnen Personen zugeschrieben und auch personenbezogen geahndet werden. Diese Praxis führt dazu, daß Fehler oft nicht eingestanden, sondern - häuflg durch erneute Fehler - lediglich kaschiert werden. Statt aus ihnen zu lernen werden so die eigentlich wertvollen Informationen über Mißerfolge vor allem aus den mittleren Managementebenen herausgefiltert - von "unten" nach "oben" werden vorzugsweise nur Erfolgsmeldungen weitergeleitet. Man wagt es nicht, dem jeweiligen Vorgesetzten die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, weil es der eigen Karriere schaden könnte. Viel eher scheint opportun, das zu sagen, was Vorgesetzte gerne hören. Da sich dieses angepaßte Verhalten als ganz offenkundig erfolgreich erweist - weil es durch Karriere belohnt wird - fühlt man sich darin bestätigt, setzt es fort und regt sogar andere zur Nachahmung an. Auf Dauer führt dieser chronische Realitätsleugnung dazu, daß an der Spitze von hierarchischen Organisationen ein Bild entsteht, das immer weniger mit der Wirklichkeit gemein hat. Die Führung verliert den Kontakt zur Realität, weil die Organisation ihrer eigenen Selbstdarstellung auf den Leim geht. Wo Fehler nicht produktiv verarbeittet werden und stattdessen Opportunismus zur Karrierevoraussetzung wird, sind also Irrtümer und Fehlentscheidungen der Vorstandsebene vorprogrammiert.

Professor Friedrich Weltz, der sich als profunder Kenner der Innenarchitektur vieler Organisationen mit der Lernschwäche von Institutionen beschäftigt, stellt hierzu fest:" Die Kunst, "Türken zu bauen". Ist ein in Jahrhunderten perfektioniertes Handwerk, dem wir in allen Großorganisationen begegnen und das sich im Gleichschritt mit den Methoden der Kontrolle sind Steuerung von "oben" verfeinert und perfektioniert. Das Ergebnis: Zahlen und Berichte, die in solchen Organisationen erzeugt werden, spiegeln die Arbeitswirklichkeit nur bedingt richtig wider und sind häufig Ergebnis systematischer Verfälschung."

Weltz spricht ganz treffend von "Management by Potemkin" und hebt hervor, daß es kein Zufall ist, daß ausgerechnet im zentratistisch und absolutistisch geführten zaristischen Rußland die Verfälschung zum Prinzip erhoben wurde, wie es der Großfürst Potemkin mit seinen berühmten Dorf-Attrappen tat.

Das Paradebeispiel für die Wirksamkeit und die Grenzen des Potemkin-Syndroms - für diese Herstellung von Scheinwelten, durch die die Täuschung als Methode letztlich zur Selbsttäuschung wird - liefert die Entwicklung und das Schicksal der DDR. Unter Organisationsaspekten ist der Fall DDR (nicht nur) für Manager kaum weniger lehrreich als das Beispiel Japan. Dazu muß man sich allerdings zuerst einmal darüber klar werden, daß der Untergang der östlichen Wirtschaftsysteme wenig mit Sozialismus oder Kommunismus, dafür aber umso mehr mit Taylorismus zu tun hat. Denn in den staatlichen Kommandowirtschaften wurde die Lehre Taylors so ungebrochen verinnerlicht und so exzessiv praktiziert wie sonst nirgends auf der Welt. Nicht nur in den Fabriken wurden Planung und Ausführung strikt getrennt, sondern darüber hinaus wurde der gesamte Staat ähnlich einer zentral plan- und steuerbaren Maschine behandelt. Ein Teil war für das Denken (Planen) und der andere Teil lediglich für die Ausführung zuständig. Um eine derart hochgradig arbeitstellige Struktur zu verwalten, ist ein immenser Koordinations- und Kontrollaufwand vonnöten. Da der Aufwand für die bloße Verwaltung der Arbeitsteilung gemäß einer mathematischen Gesetzmäßigkeit schneller wächst als die Zahl der zu steuernden Einheiten, war der Kollaps unvermeidlich. Aufgrund der internen Reibungsverluste, die an den immer zahlreicheren Schnittstellen entstehen, sind derart wuchernde Verwaltungen irgendwann überwiegend mit sich selbst beschäftigt und werden so unbeweglich, daß sie auf Umfeldveränderungen nicht mehr angemessen reagieren können und zugrunde gehen.

Daß in aufgeblähten Bürokratien eine Mißtrauenskultur vorherrscht, ein Klima, in dem nicht sein kann, was nicht sein darf. In dem Uniformität und Ja-Sagertum immer groteskere Blüten treiben, gehört zum Wesen hochgradig tayloristischer Strukturen. Die Kontrollinstrumente, mit deren Hilfe die Planer die Wirklichkeit durchleuchten wollen, tragen dann in Wahrheit dazu bei, ein verfälschtes Bild von ihr zu liefern. Durch Schönfärberei der Erfolgsmeldungen über angebliche Planerfüllungen verschenkt man jede Chance, sich der Wirklichkeit anzunähern, geschweige denn, von ihr zu lernen.

Wo Fehler nicht gestattet sind, gibt es keine institutionelle Lernfähigkeit

Die Parallelen zu so manchem Unternehmen sind nicht zu übersehen: "Wie der Staatssicherheitsdienst in der DDR bewahrt das perfekteste Controlling nicht vor der Krise, wenn es nur eingesetzt wird um systemgerechtes Verhalten herbeizuprüfen", konstatiert Professor Weltz. Erfahrene Unternehmensberater weisen deshalb immer wieder auf den grundlegenden Zusammenhang hin, von dem die Lernfähigkeit bzw. Innovationsfähigkeit von Organisationen entscheidend abhängt - den Umgang mit Fehlern, Mißverständnissen und abweichenden Meinungen. Noch einmal Weltz: "Wo es keine Fehler geben darf, gibt es auch keine institutionelle Lernfähigkeit. Oder anders ausgedrückt: Die Lernfähigkeit ist umso geringer, je größer der Legitimationsdruck, und damit der Anreiz zur Produktion geglätteter und scheinhafter Darstellungen. In einem solchen Klima werden problematische Erfahrungen nicht verarbeitet, sondern kaschiert und verdrängt." Tom Peters kann es sich erlauben, noch drastischer zu formulieren: "Wo keine Fehler gemacht werden, wird auch nichts gelernt. Jeder Idiot weiß das. Bedauerlich ist nur die Tatsache, daß sich eine Menge Industriemanager in den letzten 15O Jahren schlimmer als Idioten benommen haben."

Ein tolerantes Klima im Umgang mit Fehlern und Kritik ist in vielerlei Hinsicht bedeutsam für das Entstehen von Innovationen. Denn wer Verbesserungsvorschläge macht oder innovative Ideen vorbringt, setzt sich leicht der Kritik oder dem Spott von Vorgesetzten und Kollegen aus und trägt das Risiko des Scheiterns. Die Furcht vor sozialem Gesichtsverlust ist deshalb häufig ein Grund, Vorschläge und Ideen für sich zu behalten. Wo Fehler nicht erlaubt sind, entstehen keine Innovationen.

Hingegen zeichnet sich ein innovationsfreundlichies Kommunikationskilma vor allem dadurch aus, daß Informationen rasch und bereitwillig weitergegeben werden - und zwar unabhängig von Abteilungsgrenzen, Zuständigkeiten oder sonstigen Organisationsebenen. Es ist aufschlußreich, daß in japanischen Unternehmen der Stempel "Vertraulich" so gut wie unbekannt ist - man weiß, daß ungehinderter Zugang zu Informationen wesentlich für die Weiterentwicklung einer Organisation ist. Bei uns hingegen ist häufig das genaue Gegenteil zu beobachten, denn in Hierarchien werden Informationen vor allem als Machtmittel mißbraucht - oder wie es Tom Peters formuliert: "Die einzig wichtige Information in einer Hierarchie ist: Wer darf was wissen?" Insbesondere auf mittleren Hierarchiebenen werden Informattionen als Herschaftswissen gehortet. Mittlere Manager, Abteilungsleiter und Vorstandsreferenten wirken als Filter und "Schleusenwärter" im Informationsfluß und blockieren dadurch oftmals Innovationen. Dies ist eine wichtige Erkenntnis aus der Erforschung wettbewerbsfähiger Unternehmensstrukturen.

Damit zusammenhängend lautet die zentrale Erkenntnis der Innovationsforschung: Innovationen kann man nicht erzeugen, man kann sie nur fördern, indem man Behinderungen abbaut. Zahllose Beispiele aus der Industriepraxis belegen, daß die überwiegende Anzahl nicht realisierter Innovationen auf solche hierarchiebedingten Blockaden und Managemententscheidungen zurückzuführen ist. Der" Ketzer" Tom Peters bringt es in seiner Art auf den Punkt: "Die mittleren Führungsebenen sind schlimmer nutzlos: Sie zerstören die Werte... Das Mittelmanagement großer Unternehmen wie BASF, Siemens und IBM schadet nur dem deutschen Bruttosozialprodukt. Viel Firmen können daher froh sein über jeden Tag, an dem ein Mittelmanager nicht zur Arbeit kommt."

Natürlich hilft es allein wenig, wenn man - wie es derzeit in manchen Firmen versucht wird - als eher technokratisch durchgeführte Maßnahme einzelne Hierarchieebenen entfernt. Dadurch entstehen noch keine Innovationen. Weit wichtiger sind Fragen, die mit dem Begriff der "Unternehmenskultur" zu erfassen sind. Erfolgreiche Unternehmensführung sollte man weniger mit der Arbeit eines Ingenieurs vergleichen als eher mit der eines Gärtners, denn wie zarte Pflanzen wachsen Innovationen nur in einem ganz bestimmten Klima. Dort wo Mißtrauen, Restriktionen und autoritäres Statusdenken vorherrschen entstehen keine Innovationen. Sie wachsen bevorzugt in einem Klima des Vertrauens, in dem Fehler nicht gezählt, sondern Versuche belohnt und unterstützt werden. Der Umgang mit Fehlern ist sicherlich eines der wichtigsten Elemente der " Lean Production". In japanischen Unternehmen werden Fehler nicht als individuelles Versagen, sondern eher als Chance begriffen - als Chance, es beim nächsten Mal besser zu machen. Fehler sind der willkommene Anlaß, daraus zu lernen, über Alternativen nachzudenken und Neues auszuprobieren. Das Fehlermachen ist nicht so schlimm, viel schlimmer wäre es, Fehler zu verbergen und zu verdrängen - denn nur wer sich mit Fehlern auseinandersetzt, kann sie in Zukunft vermeiden. Für eine derart produktive Verarbeitung von Fehlern haben wir zwar noch immer ein Sprichwort - "aus Schaden wird man klug" - aber in Warheit gilt in unseren etablierten Bürokratien eine ungeschriebene Regel, die genau umgekehrt lautet: Fehler machen ist gefährlich, Fehler zugeben ist tödlich!"

Besonders ineffiziente und wenig lernrfähige Strukturen trifft man in saturierten Gesellschaftssystemen und überall dort, wo evolutionäre Auslese bzw. Wettbewerb kaum stattfindet, weil der Fortbestand einer Organisation bereits durch von außen abgegebene Erklärungen weitgehend abgesichert ist und es somit (scheinbar) gar keiner Innovation bedarf, um zu überleben. Vor allem Behörden stellen häufig das genaue Gegenteil moderner Organisationen dar. Aber auch in Unternehmen, deren Markt bzw. Monopolstellung per Gesetz garantiert ist - zum Beispiel Energieversorger, Bahn oder Post - treibt die Bürokratie und die selbsterzeugte Blindheit oft seltsame Blüten. John Diebold, Chef der weltweit agierenden Beratungsfirma, moniert: "Besonders im öffentlichen Dienst werden Mitarbeiter mit Ideen oft entmutigt. Im öffentlichen wie im politischen Sektor wird Erfolg weniger stark belohnt als im privaten Sektor, während Fehler streng sankioniert und schnell zu Karriereblockaden werden. So werden gute Leute vergrault und Innovationen verhindert... Überhaupt wird die Bedeuumg von Fehlern für den Erfolg von Gesellschaften und Unternehmen falsch eingesetzt. Eine Organisation, in der keine Fehler gemacht werden dürfen, wird unbeweglich."

Starre Prinzipien behindern evolutionare Auslese

Vor allem politische Institutionen, Parteien und Verbände liefern tagtäglich anschauliche Belege für diese Thesen, denn in ihnen werden nicht nur Fehler bestraft, sondern weit schlimmer noch, hier wird bereits das bloße Überbringen unangenehmer Botschaften mißbilligt. Die sprichwörtliche Trägheit der politischen "Tanker"-Strukturen - und damit einhergebend die wachsende Politikverdrossenheit wurzeln letztlich in der Tatsache, daß "Management by Potemkin" überall dort Urstände feiert, wo die Auslesprinzipien eines Marktes nicht existieren bzw. nicht unmittelbar erkennbar wirken. Das Fehlen äußerer Korrektureinflüsse spiegelt sich in der Innenarchitektur solcher Organisationen wider. Evolutinäre Auslese wird dann durch Prinzipienen ersetzt, wie sie für Fünktionärsapparate charakteristisch sind: Die Funktion gilt als Quilfikationsersatz - man wird qua Amt zum Experten für irgendein Ressort gekürt. Derartige Rekrutierungsmuster und die daraus resultierende Verunsicherung der Individuen tragen zum Entstehen einer Angstkultur bei. In der Zuständigkeitsfragen und Informationszurückhaltung überragende Bedeutung gewinnen.

Bei alljenen Organisationen und politischen Systemen, wo das organisatorische Lernen durch Wissenstransfer behindert wird, weil sie im Inneren den freien und produktiven Umgang mit Informationen nicht zulassen (können), wird dann nach außen hin immer unverkennbare, daß sie steigender Komplexität und Dynamik ihres Umfeldes immer weniger gewachsen sind. Immer häufiger können sie erst dann reagieren, wenn der Problemdruck bestenfalls noch ein Kurieren an Symptmen, aber keine Ursachenbeseitigung mehr zuläßt. Mitunter werden auch gravierende Umfeldveränderngen gar nicht wahrgenommen, weil derartige Organisationen vorwiegend damit beschäftigt sind, sich selbst in die Taschen zu lügen und beträchtlichen Aufwand treiben müssen, um eben dieses Verhalten zu kaschieren. Zwischen dem Untergang der DDR und etwa dem Ruin der Gemeinwirtschaft bestehen insofern durchaus Gemeinsamkeiten. Beide Desaster waren beileibe nicht etwa das Werk einzelner "schwarzer Schafe", sondern die zwangläufige Folge mangelnder organisatorischer Lernfähigkeit aufgrund des Potemkin-Syndroms.

Mitarbeiter als schöpferische Individuen sehen

Umgekehrt sind vor allem hart umkämpfte Märkte ein ergiebiges Terrain für Lernbeispiele, wie man es besser machen kann - denn vor dem Kriterium des Markterfolgs versagt die Wirksamkeit des Potemkin-Syndroms. John Diebold: "Die wenigen Führungskräfte, die begriffen haben, daß sich in den letzten Jahren grundlegende Veränderungen vollzogen haben, sind vornehmlich in den Wachstumsindustrien zu finden. Die anderen jammern darüber, daß das Geschäft immer schwieriger wird - bis sie eines Tages pleite geben oder übernommen werden." Die wohl höchsten Anforderungen an Managementfähigkeiten werden derzeit in der Computerbranche gestellt, einem Bereich, der an Dynamik, Komplexität und Brulalität des Wettbewerbs inzwischen kaum mehr zu überbieten sein dürfte. Vor allem hier - wo der Lebenszyklus von Produkten nicht mehr Jahre, sondern nur noch Monate beträgt - zeigt sich die überragende Bedeutung von Flexibilität: Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondere die Schnellen überholen die Langsamen.

David Vice, Präsident der Northern Telecom, formutilierte es so: "In Zukunft wird es nur noch zwei Typen von Managern geben: Die Schnellen und die Toten" Vor allem in hochdynamischen Branchen bestätigt sich: Unbewegliche monolithische Systeme werden oft unerwaret rasch durch das Leben bestraft. Etablierte Firmen wie IBM, DEC oder Wang produzieren inzwischen Veluste in Milliardenhöhe, entlassen Personal in Massen oder stehen sogar schon vor dem Konkursrichter. Auf der anderen Seite jagen profitable Computerfirmen wie Hewlett-Packard, Apple oder Sun von Rekordumsatz zu Rekordumsatz und sind auf dem besten Weg, in den jeweiligen Segmienten ihre Marktführerschaft noch weiter auszubauen.

An der Gegensätzlichkeit dieser Fälle ist der Zusammenhang von Unternehmenskultur und Innovationsfähigkeit geradezu bilderbuchartig abzulesen. Die erfolgreichen Firmen stehen allesamt für eine verändere Kultur. In der das Management der zwischenmenschlichen Beziehungen großen Stellenwert hat und ein offenes Diskussionsklima Spielräume für Entfaltung und Selbstverwirklichung bietet - weil Mitarbeiter als schöpferische Individuen und nicht bloß als ausführende Werkzeuge gesehen werden. Hingegen sind die verlustreichen Firmen allesamt Vertreter des alten Stils. In denen patriarchalische Führungsstrukturen eine evolutionäre Weiterentwicklung behinderten, weil interne Konflikte nicht gelöst, sondern per Anordnung von oben entschieden wurden. Charakteristische Fälle sind allen voran die Firmen Nixdorf und DEC, beides Unternehmen, in denen autoritäre Firmengründer gezwungen wurden, das Heft aus der Hand zu geben, als die jahrelange Selbsttäuschung eine immer verheerendere Misere nicht länger kaschieren konnte.

Die hektischen Umorganisationen, die derzeit in etlichen Branchen stattfinden, zeugen allerdings vor allem davon, wie sehr man "Lean Production' mißverstehen kann. Überall redet man von "schlank" und meint "mager" und übersetzt "lean" sogar mit "straff", wodurch noch deutlicher wird, daß hinter den neuen Vokabeln nur die alten tayloristischen Denkmuster und Methoden verbergen, die vormals schlicht Rationalisierung, Kosteneinsparung und Kapazitätsabbau hießen. Im übrigen ist es ohnehin bezeichnend, daß man meist von "Lean Production" statt von "Lean Management" spricht und einseitig nur das sichtbare Ende des Produktionsprozesses, nämlich die Fertigung, im Blickfeld hat.

Lean Prodoction - nur ein Mißverständnis ?

Wer aber derart die vielgepriesene "Lean Production" lediglich als neue Methode begreift, um Produktionskosten und Durchlaufzeiten zu senken, läuft Gefahr, seine Wettbewerbsvorteile restlos zu verspielen. Denn es geht weniger um Kosteneinsparung im herkömmlichen Sinn als vielmehr darum, die Kosten der Bürokratie zu vermeiden. Wenn aber Bürokratien beginnen, Kosten zu sparen, kommt dabei häufig nur noch mehr Bürokratie heraus, weil sie es auf bürokratischem Weg tun. Wer also - wie derzeit zahlreiche Firmen - versucht, japanische Methoden wie Kanban, Just-in-Time, Total-Quality-Management oder Quality Circles bloß zu kopiern, ohne sie kapiert zu haben, geht einen gefährlichen Weg.

Lean Production ist dort, wo sie erfolgreich praktiziert wird stehts das Ergebnis eines sehr langwierigen und komplizierten Organisationsentwicklungsprozesses, der nur unter spezifischen kulturelluen und mentalen Rahmenbedingungen stattfinden konnte und kann. Eine schlichte Imitationsstrategie ist zum Scheitern verurteilt, weil der völlig andersartige sozio-kulturelle Hintergrund Japans, der für das Wirksamwerden dieser Methoden unabdingbare Voraussetzung ist, nicht mit übernommen werden kann.

Angesichts der verbreiteten Mißverständnisse kann man dem Vorsitzenden der Deutschen Aernspace AG, Jüreen Schrempp, nur beipflichten, der kürzlich vorschlug, schleunigst "vom Begriff des Lean Management wegzukommen, denn er hat Schlagwort-Charakter, der nur ablenkt. Ich verwende lieber die Idee von der lernenden Organisation." In der Tat trift dieser von dem amerikanischen Managementguru Peter M. Senge geprägte Begriff weit eher das, worauf es im Endeffekt ankommt: Nämlich darauf, daß Organisationen Wissen nicht nur zur Steigerung der eigenen Effektivität nutzen, sondern auch zu ihrer eigenen Umstrukturierung.

Die Entwicklung einer solchen Kultur des Wandels käme aber in der Tat einer Kulturrevolution gleich, denn getreu dem Motto "Wissen ist Macht" versuchen bislang viele Manager, die Ressourcen ihrer Autorität aufrechtzuerhalten und - etwa mit Hilfe neuer Technologien - die Unternehmen so zu strukturieren, daß die Wissensbasis des Unternehmens nur ihnen zugänglich bleibt. Die zahlreichen Modewellen verschiedener "Managemeny by ..." Ansätze stießen deshalb in der Vergangenheit regelmäßig überall dort, wo bestehende Strukturen und Verfahren wirklich grundsätzlich in Frage gestellt wurden, rasch an ihre Grenzen. Die mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit zur Veränderung gewachsener Strukturen, die Schwäche der Offenheit für neue Wege ist ein durchgängiges Phänomen, das in allen gesellschaftlichen Gruppen festzustellen ist - weil persönliche Interessen häufig vor sachdienlichen Argumenten rangieren.

Wer Leistung fordert, muß Autonomie bieten

Bei der Diskussion um "Lean Management" scheint sich dies erneut zu bestätigen, denn eine im Handelsblatt veröffentlichte Umfrage unter westdeutschen Führungskräften ergab, daß 45 Prozent der Befragten mit diesem Begriff Kostensenkungen assoziieren. Ebenso erhellend ist, daß nur 0,8 Prozent der Manager eine Verringerung ihrer Entscheidungsbefugnis durch "Lean Management" erwarten. Genau darauf aber kommt es an, wenn man es ernst meint mit einer "Schlankheitskur" im Sinne der Steigerung institutioneller Lernfähigkeit. Denn wer Kreativität erhofft und Leistungsbereitschaft fordert, der muß Vertrauen entwickeln, Autonomie gewähren und Verantwortung delegieren. Wenn man von Selbstorganisation nicht bloß am Sonntag reden will muß man Macht abgeben, weil Organisationsstrukturen nun einmal immer auch Machtstrukturen sind.

Vor allem aber muß man begriffen haben, daß das vertrauensvolle Zulassen von Vielfalt die entscheidende Voraussetzung für jede evolutionäre Entwicklung ist. Der Managementberater Professor Richard T. Pascale: "Je mehr eine Organisation in sich die Vielfalt ausblendet, desto mehr Probleme bekommen sie, wenn von außen Vielfalt auf sie einstürmt, etwa durch Kunden oder Konkurrenten ... Konstruktive Konflikte sind der Motor der Veränderung. Der Konflikt und unorthodoxes Verhalten - ein Horrorvorstellung für viele Manager - muß nicht nur toleriert, sondern im Unternehmen sogar kultiviert werden. Dafür gibt es in westlichen Unternehmen keine Tradition."

Mit anderen Worten: es kommt vor allem daruf an, soziale und kommunikative Kompetenz zu entwickeln und zu fördern, um die Synergien aus der menschlichen Kommunikation freizusetzenen. Hier liegt eine wesentliche Quelle japanischer Erfolge, die letztlich fast alle aus einem stark gruppenorientierten Wertesystem erwachsen sind. Statt Konflikte - wie hierzulande oft üblich - unter den Tisch zu kehren, versucht man in Japan stets, diese zu lösen und produktiv zu verarbeiten. Diese Fähigkeit zur permanenten Konsensbildung auf allen Ebenen, von der kleinen Arbeitsgruppe in der Werkhalle bis hin zu mächtigen Konzerngruppen, den sogenannten Kereitsus, ist eine weitere Komponente des japanischen Modells.

Wohin es hingegen führen kann, wenn man Konflikte und Vielfalt unterdrückt, läßt sich wiederum besondere augenfällig am Schicksal der östlichen Planwirtschaft ablesen. Deren Methoden führten zwangsläufig zu einer stark vergröberten Produktwelt, weil Vielfalt und Kreativität in den Plänen keinen Platz haben konnten. Mit der lapidaren Feststellung: "Zentrale Planwirtschhaft ist ihrem Wesen nach nicht evolutionär, denn nahezu alle ihre Instrumente verhindern Evolution" liefert der Untermehmensberater Manfred Sliwka eine ebemo kurze wie treffende Erklärung für den unvermeidlichen Untergang der Kommandosysteme. Tom Poters konstatiert noch prägnanter: "Hierarchien sind eine Sackgasse der Evolution."

Anknüpfen an typisch abendländische kulturelle Werte

Was also nottut ist eine Kulturrevolution, mit der die desruktiven Tendenzen hierarchischer Überorganisation aufgedeckt und in deren Gefolge Unternehmen künftig nicht mehr als planbare Maschinen, sondern ab lebendige Organismen betrachtet werden. Ein solcher Umbruch böte im Prinzip insbesondere für Europa ausgezeichnete Chancen. Denn in lernenden Organisationen kann man an typisch abendländischen kulturellen Werten, Traditionen und Tugenden - wie Individualität, Kreativität, Flexibilität und Persönlichkeit - anknüpfen und damit Stärken entfalten, denen die außerordentlich rigide Konsenskultur Japans nichts vergielchbares entgegenzusetzen hat. Daß hier im Grund ein unschätzbarer Vorteil der Europäer liegt, scheinen allerdings inzwischen japanische Manager eher zu begreifen als ihre hiesigen Kollegen. Während hierzulande manche Führungskräfte noch glauben, etwa Gruppenarbeit von "oben" verordnen zu können, betont Frank Ohgai, Planungsdirektor bei Matsushita, dem weltgrößten Hersteller von Unterhaltungselektronik, inzwischen: "Wir müssen das Unternehmen globalisieren, die Bürokratie abbauen und statt der Teamarbeit mehr Individualität fördern." Der Sony-Präsident Akito Morita meint sogar, daß so ziemlich alles falsch sei, was ausländische Wettbewerber bei ihrer aufgeschreckten Suche nach den Mysterien japanischer Erfolgsgeschichte abkupfern und er diagnostiziert - angesichts der Tatsache, daß sich mittlerweile auch in Japan ökonomische Warnsignale mehren - bereits eine "Krise des japanischen Managementkonzepts".

Paradigmenwechsel: ein langsamer Prozeß

Bleibt allerdings die Frage, ob uns Europäern für den notwendigen Wandel noch genügend Zeit bleibt. Denn bei alledem handelt es sich im Kern um einen Paradigmenwechsel. In dem alte Werte und neue Denk- muster durch neue ersetzt werden. Thomas Kuhn, Schöpfer dieses Begriffs, meint, daß ein solcher Prozeß mindmens 25 Jahre benötigt - die Verfechter des alten Paradigmas müssen erst aussterben. Daß es tatsächlich um einen Paradigmenkonflikt geht, kann man am deutilchsten daraus erkennen, daß in der Diskussion über "Lean Production" zwei Lager zwar das gleiche Vokabular benutzen, aber völlig unterschiedliche Dinge meinen. Denn, so Richard T. Pascale:" Es sind Paradigmen, die verhindern, diese andere Ebene zu entdecken. Ein Paradigma ist eine allumfassende - Betrachtungsweise oder Weltsicht, die von einer Gemeinschaft von Menschen geteilt wird. Sie setzen uns die Brille auf, durch die wir sehen und urteilen lernen; sie sind stark, weil sie ein Filter sind, durch das die Gemeinschau blickt. Und dieses Filter ist derart klar und sauber, daß der Mensch nicht einmal weiß, daß das, was er sieht, gefiltert ist - weil alle dieselbe Brille tragen. Nicht nur Kulturen, auch Organisationen arbeiten in Paradigmen. Soll eine Organisation durchgreifend verändert werden, muß zuvor das Paradigima in Frage gestellt werden ... Wenn im Management ein Paradigma verändert werden soll, verfläuft selbst nach der Erkenntnis der Wandel sehr langsam, weil das Management selbst ein Teil des Problems ist ..."

Quelle: Elektronik (4), 1993.








 

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