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Wirtschaftsgipfel Neapel

Treffen der Staats- und Regierungschefs am 8. und 9. Juli 1994 in Neapel

Gipfel-Kommuniqué

Neapel, 9. Juli 1994

1.

Wir, die Staats- und Regierungschefs von sieben großen Industriestaaten und der Präsident der Europäischen Kommission, sind am 8. und 9. Juli 1994 in Neapel zu unserer 20. Tagung zusammengetroffen.

2.

Wir treffen uns in einer Zeit tiefgreifender Veränderungen der Weltwirtschaft. Neue Formen des intemationalen Zusammenwirkens haben weitreichende Folgen für das Leben unserer Völker und führen zur Globalisierung unserer Volkswirtschaften.

3.

Vor 50 Jahren begannen in Bretton Woods weitblickende Politiker, die Institutionen aufzubauen, die unseren Völkern für die Dauer von zwei Generationen Freiheit und Wohlstand bescherten. Sie gründeten ihre Bemühungen auf zwei große und verpflichtende Prinzipien - Demokratie und offene Märkte.

An der Schwelle zum 21. Jahrhundert sind wir uns unserer Verantwortung bewußt, diese Institutionen zu erneuern und zu beleben und die Herausforderung anzunehmen, die im Entstehen begriffenen marktwirtschaftlichen Demokratien weltweit zu integrieren.

Um dieser Verantwortung gerecht zu werden, haben wir vereinbart, uns im nächsten Jahr in Halifax auf zwei Fragen zu konzentrieren:

(1) Wie können wir sicherstellen, daß die Weltwirtschaft des 21. Jahrhunderts für nachhaltige Entwicklung mit guten Arbeitsplätzen, wirtschaftlichem Wachstum und expandierendem Handel sorgt, um die Prosperität und das Wohlergehen unserer Völker und der WeIt zu fördern?

(2) Welche institutionellen Veränderungen könnten vonnöten sein, um diese Herausforderungen zu bestehen und so das Wohlergehen und die Sicherheit unserer Völker auch in Zukunft zu gewährleisten?

Arbeitsplätze und Wachstum

1.

Vor einem Jahr zeigte sich in unseren Volkswirtschaften keine oder nur eine zögerliche Erholung. Heute zeichnen sich ermutigende Ergebnisse ab. Der wirtschaftliche Aufschwung hat begonnen. Neue Arbeitsplätze werden geschaffen, und in immer mehr Ländern der G 7 finden die Menschen wieder Arbeit. Die Inflation hat heute den tiefsten Stand seit über drei Jahrzehnten erreicht, und es bestehen die Bedingungen für ein starkes inflationsfreies Wachstum. Wir bekräftigen daher die Wachstumsstrategie, die wir in Tokio vereinbart hatten. Wir rufen unsere Finanzminister auf, eng zusammenzuarbeiten, damit sich die wirtschaftliche Erholung fortsetzt, und wir haben sie aufgefordert, den Prozeß der multilateralen Überwachung und politischen Zusammenarbeit zu verbessern. Wir befürworten außerdem eine engere Zusammenarbeit zwischen unseren zuständigen Behörden mit dem Ziel, auf die zunehmende Integration der globalen Kapitalmärkte zu reagieren.

2.

Allerdings ist die Arbeitslosigkeit mit über 24 Millionen Betroffenen allein in unseren Ländern nach wie vor viel zu hoch. Dies bedeutet eine nicht hinnehmbare Verschwendung. Sie ist besonders bedrohlich, wenn hauptsächlich junge Menschen und Langzeitarbeitslose betroffen sind, wie dies in vielen unserer Länder der Fall ist.

3.

Ausgehend von der Beschäftigungskonferenz in Detroit und der OECD-Analyse haben wir die Wege aufgezeigt, die wir gehen müssen:

- Wir werden auf Wachstum und Stabilität hinarbeiten, damit die Wirtschaft wie auch jeder einzelne ihre Zukunft vertrauensvoll planen können.

- Wir werden auf der gegenwärtigen wirtschaftlichen Erholung aufbauen und Reformen vorantreiben mit dem Ziel, die Fähigkeit unserer Volkswirtschaften zur Schaffung von Arbeitsplätzen zu verbessern.

Jedes dieser beiden Elemente ist von ausschlaggebender Bedeutung, wenn das Niveau der Arbeitslosigkeit dauerhaft gesenkt werden soll.

4.

Wir werden uns auf folgende strukturelle Maßnahmen konzentrieren. Wir werden:

- verstärkt in den Menschen investieren durch bessere Grundbildung, durch Verbesserung fachlicher Fertigkeiten, durch Erleichterung des Übergangs von der Schule ins Arbeitsleben, durch umfassende Einbeziehung der Arbeitgeber in die Ausbildung und - wie in Detroit vereinbart - durch die Entwicklung einer Kultur lebenslangen Lernens;

- starre beschäftigungspolitische Strukturen abbauen, die die Arbeitskosten erhöhen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen behindern, übermäßige Regulierungsmaßnahmen beseitigen und dafür sorgen, daß die indirekten Beschäftigungskosten, wo immer möglich, verringert werden;

- aktive Arbeitsmarktpolitiken verfolgen, die Arbeitslosen helfen, sich auf effektivere Weise um Arbeitsplätze zu bemühen, und gewährleisten, daß unsere sozialen Sicherungssysteme Beschäftigungsanreize schaffen;

- zu Innovationen und zur Verbreitung neuer Technologien ermutigen und diese fördern, darunter insbesondere die Entwicklung einer offenen, wettbewerbsfähigen und integrierten weltweiten Informationsinfrastruktur; wir vereinbarten die Einberufung eines Treffens unserer zuständigen Minister in Brüssel, um diese Fragen weiter zu behandeln;

- Möglichkeiten zur Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen in Bereichen verfolgen, in denen gegenwärtig neuer Bedarf besteht, zum Beispiel bei Lebensqualität und Umweltschutz;

- den Wettbewerb fördern, indem wir unnötige Regulierungen beseitigen und Hemmnisse für kleine und mittelständische Unternehmen abbauen.

5.

Zur Umsetzung dieses Programms rufen wir Wirtschaft und Arbeitnehmer zu aktiver Beteiligung und unsere Bürger zur Unterstützung auf.

6.

Wir sind entschlossen, dieses Aktionsprogramm voranzutreiben, und werden die Fortschritte bei der Verwirklichung unserer Ziele - nachhaltiges Wachstum und Schaffung neuer und höherwertiger Arbeitsplätze - überprüfen.


Handel

1.

Die Öffnung von Märkten fördert das Wachstum, schafft Arbeitsplätze und erhöht den Wohlstand. Die Unterzeichnung der Übereinkünfte der Uruguay-Runde und die Schaffung der Welthandelsorganisation (WTO) sind wichtige Meilensteine zur Liberalisierung des Handels seit dem Zweiten Weltkrieg.

2.

Wir sind entschlossen, die Übereinkünfte der Uruguay-Runde zu ratifizieren, und fordern andere Staaten ebenfalls dazu auf, damit die WTO bis zum 1. Januar 1995 die Arbeit aufnehmen kann. Wir sind entschlossen, die Dynamik der Handelsliberalisierung zu erhalten. Wir fordern die WTO, den IWF, die Weltbank und die OECD auf, innerhalb ihrer jeweiligen Zuständigkeitsbereiche zusammenzuarbeiten.

3.

Mit Blick auf die internationalen Handelsfragen ermutigen wir die OECD, die begonnene Arbeit fortzusetzen, die darauf abzielt, die Wechselwirkung zwischen intemationalen Handelsregeln und Wettbewerbspolitiken zu untersuchen. Wir unterstützen die weitere Ausarbeitung internationaler Investitionsregeln mit dem Ziel, Hindemisse für ausländische Direktinvestitionen abzubauen.

4.

Wir begrüßen die Arbeiten zu den Beziehungen zwischen Handel und Umwelt im Rahmen der neuen WTO. Wir fordern verstärkte Bemühungen um eine Verbesserung unseres Verständnisses neuer Fragen, zu denen auch Beschäftigung und Arbeitsnormen gehören, sowie deren Auswirkungen auf die Handelspolitik.

5.

Auf unserem Treffen im nächsten Jahr werden wir die in diesen Fragen erzielten Fortschritte prüfen.


Umwelt

1.

Die Umwelt genießt höchste Priorität in der internationalen Zusammenarbeit. Die Umweltpolitik kann dazu beitragen, Wachstum, Beschäftigung und den Lebensstandard zu verbessern, zum Beispiel durch Investitionen in geeignete Technologien, durch die effizientere Nutzung von Energie und durch die Säuberung verschmutzter Gebiete.

2.

Wir fordern die multilateralen Entwicklungsbanken nachdrücklich auf, auch weiterhin bei der Beteiligung der unmittelbar Betroffenen vor Ort und der Einbeziehung umweltpolitischer Erwägungen in ihre Programme Fortschritte zu erzielen.

3.

Wir unterstützen die Arbeit der Kommission für nachhaltige Entwicklung bei der Überprüfung der bei der Umsetzung des Rio-Prozesses erzielten Fortschritte. Wir sehen der Umsetzung der bereits geschlossenen Übereinkünfte entgegen, insbesondere dejenigen über die biologische Vielfalt und über Klimaänderungen, und werden auf Erfolge bei den bevorstehenden Konferenzen zu diesen Themen in Nassau und Berlin hinarbeiten.

4.

Wir begrüßen die Umstrukturierung und die Auffüllung der Globalen Umweltfazilität (GEF) und unterstützen, daß sie als ständiger Finanzierungsmechanismus dieser beiden Übereinkünfte ausgewählt wurde.

Ukraine

Wir wünschen eine stabile und unabhängige Ukraine.

Wir begrüßen die trilaterale Erklärung, die Ratifizierung des START I-Vertrags durch die Ukraine sowie Schritte zur Beseitigung von Kernwaffen. Wir hoffen auf den Beitritt der Ukraine zum Nichtverbreitungsvertrag als Nichtkernwaffenstaat.

Wir sindjedoch zutiefst besorgt über die wirtschaftliche Lage. Echte Reformen sind der einzige Weg zur Verbesserung der Wirtschaftslage. Wir fordern die ukrainische Regierung nachdrücklich auf, rasch stabilitätsorientierte und strukturelle Reformen einschließlich Preisliberalisierung und Privatisierung auszuarbeiten und umzusetzen. Dies würde die Grundlage für Kredite durch den IWF und für umfangreiche Darlehen der Weltbank und der EBWE schaffen. Wir sind bereit, umfassende Reformanstrengungen durch verstärkte technische und finanzielle Hilfe und durch Erleichterung des Zugangs ukrainischer Produkte zu unseren Märkten zu unterstützen.

Durch ein erneutes Bekenntnis zu umfassenden marktwirtschaftlichen Reformen könnte die Ukraine Zugang zu internationalen Finanzmitteln von mehr als 4 Milliarden US-Dollar über einen Zeitraum von zwei Jahren erhalten, sobald echte Reformen begonnen haben.

Wir befürworten den Vorschlag, vor unserem nächsten Treffen eine Konferenz in Kanada über Partnerschaft für die wirtschaftliche Transformation der Ukraine durchzuführen.

Rußland

1.

Wir erkennen die historische Dimension des Reformprozesses, in Rußland an. Das Bekenntnis der russischen Führung zu politischen wie auch wirtschaftlichen Reformen und die bisher erreichten Fortschritte empfinden wir als ermutigend.

2.

Der von uns im letzten Jahr in Tokio bekräftigte Ansatz zeitigt Ergebnisse. Wir begrüßen das Abkommen mit dem IWF über ein Wirtschaftsprogramm und die Kreditvereinbarungen, die vor kurzem mit der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) getroffen wurden. Wir ermutigen Rußland, mit den internationalen Finanzinstitutionen zusammenzuarbeiten, um die Wirtschaft zu stabilisieren, den Reformprozeß zu stärken und soziale Härten zu mildern.

Die gegenwärtig in der Prüfung befindliche Erhöhung der IWF-Ziehungsgrenzen, Zuteilung von Sonderziehungsrechten (SZR) an neue IWF-Mitglieder und Beschleunigung der Kreditvergabe durch die Weltbank, werden die Möglichkeit zur Unterstützung der russischen Reformanstrengungen wesentlich verbessern. Die kürzlich getroffene umfassende Umschuldungsvereinbarung über die russischen Zahlungsverpflichtungen für das Jahr 1994 wird ebenfalls hilfreich sein.

Wir hoffen weiterhin, daß die Gruppe zur Umsetzung von Hilfsmaßnahmen (Support Implementation Group) an der Beseitigung praktischer Hindemisse in Rußland, die unseren Hilfsbemühungen entgegenstehen, mitwirken wird.

3.

Für den Erfolg der Reformen in Rußland wird es von entscheidender Bedeutung sein; inländische Ersparnisse für eine produktive Nutzung zu mobilisieren und Anreize für ausländische Direktinvestitionen zu schaffen. Wir fordern Rußland daher dringend auf, die rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für Privatinvestitionen und für den Außenhandel zu verbessern. Wir selbst werden weiterhin mit Rußland im Hinblick auf eine GATT-Mitgliedschaft zusammenarbeiten, um Rußlands Einbeziehung in die Weltwirtschaft voranzubringen und den Zugang russischer Produkte zu unseren Märkten weiter zu verbessern.

Wir werden die Reform in Rußland weiterhin unterstützen.

Andere Länder im Übergang

Wir begrüßen die erreichten Fortschritte und bekräftigen unsere Unterstützung für die Reformanstrengungen der Länder im Übergang.

Insbesondere begrüßen wir die politische und wirtschaftliche Transformation der mittel- und osteuropäischen Staaten und unterstützen ihre Integration in die freie Marktwirtschaft.



Zusammenarbeit bei der Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität und Geldwäsche

1.

Wir sind beunruhigt über die Zunahme der organisierten grenzüberschreitenden Kriminalität, darunter der Geldwäsche, sowie über die Verwendung rechtswidriger Erlöse für die Kontrolle legitimer Geschäfte. Dies ist ein weltweites Problem, wobei die Länder im Übergang zunehmend ins Visier krimineller Organisationen geraten. Wir sind entschlossen, die internationale Zusammenarbeit zu stärken, um dieser Lage Herr zu werden.

Wir begrüßen die Konferenz der Vereinten Nationen über die organisierte grenzüberschreitende Kriminalität, die im Oktober nächsten Jahres in Neapel stattfinden wird.

2.

In bezug auf die Geldwäsche würdigen wir die Leistungen der Arbeitsgruppe "Finanzielle Maßnahmen" (FATF), die wir 1989 eingesetzt haben, und bekräftigen, daß wir für die Fortsetzung ihrer Arbeit für weitere fünf Jahre eintreten. Wir stimmen darin überein, daß Gegenmaßnahmen von FATF- Mitgliedern und anderen Regierungen von Staaten mit wichtigen Finanzzentren getroffen werden müssen, wenn wir unser Ziel erreichen wollen. Der Erfolg hängt letztlich davon ab, daß alle Regierungen für wirksame Maßnahmen zur Verhinderung der Geldwäsche von Erlösen aus dem Drogenhandel und anderen schweren Verbrechen oder Straftaten, die erhebliche Gewinne abwerfen, sorgen.

3.

Wir fordern die Staaten dringend auf, soweit erforderlich die notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen.

Nächstes Gipfeltreffen

Unsere diesjährigen Gespräche haben uns von den Vorteilen eines weniger formellen Ablaufs des Gipfels, wie wir es in Tokio vereinbart haben, überzeugt. In Neapel konnten wir einen freieren Meinungsaustausch führen und ein besseres Verständnis untereinander erzielen. Für das nächste Jahr hoffen wir auf einen noch flexibleren und weniger formellen Gipfel.

Wir haben die Einladung des Premierministers von Kanada angenommen, 1995 in Halifax zusammenzutreffen.



Quelle: Presse- und Inforamtionsamt der Bundesregierung, Bulletin Nr. 67 vom 15.07.1994, S. 633-636



 




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