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Der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Klaus K i n k e l, gab anläßlich der deutsch-baltischen Außenminister- Konsultationen am 9. März 1994 in Bonn-Bad Godesberg folgende einleitende Erklärung ab: Sehr geehrte, liebe Kollegen, ich freue mich sehr, Sie heute hier in Bonn zu gemeinsamen Konsultationen begrüßen zu können. Ich bin Ihnen dankbar dafür, daß Sie meine Einladung so umgehend angenommen haben. Als ich mich dazu entschied, Ihnen gemeinsame deutsch-balti- sche Konsultationen vorzuschlagen, war ich mir sehr wohl der Tatsache bewußt, daß Estland, Lettland und Litauen sich in mancher Hinsicht nicht unerheblich voneinander unterschei- den. Gleichwohl bin ich der Auffassung, daß es eine Reihe wichtiger Fragen gibt, die die baltischen Staaten gemeinsam betreffen und die zugleich auch Deutschland in besonderer Weise berühren. Ich sehe hierbei insbesondere folgende vier Fragenkreise, die wir heute eingehend diskutieren sollten: - die Beziehungen der baltischen Staaten zu Rußland - die Heranführung an die EU und WEU - die Heranführung an die europäisch-atlantischen Sicherheits- strukturen - schließlich die Ostseekooperation. Erlauben Sie, daß ich einige einleitende Bemerkungen zu diesen Themen mache, bevor wir dann in die Diskussion einsteigen. E r s t e n s : Deutschland hat zu den baltischen Staaten und Rußland in vielerlei Hinsicht ein besonders enges Verhältnis. Deshalb und weil das Baltikum seit jeher ein Prüfstein für europäische Stabilität war, sind wir an einer Konsolidierung der baltisch-russischen Beziehungen interessiert. Deutschland hat sich mit seinen westlichen Partnern immer für den bedin- gungslosen Abzug der ehemals sowjetischen Truppen aus dem Baltikum eingesetzt. Wir haben dieses Engagement zuletzt durch unsere Mitwirkung an den amerikanisch-lettischen Ver- handlungen über einen Kompromiß zur russischen ABM- Anlage in Skrunda dokumentiert. Es darf jetzt keinen Zweifel mehr an dem endgültigen Abzug der russischen Truppen bis zum 31. August 1994 geben, mit Ausnahme der für den Betrieb der Anlage in Skrunda erforderlichen Militärangehö- rigen. Es gibt auch keinen Grund, den Abzug noch an irgend- welche Vorbedingungen zu knüpfen. Eine weitere offene Frage stellt der Status der russischsprachi- gen Bevölkerung vor allem in Estland und Lettland dar. Diesem Aspekt kommt überragende Bedeutung für die Zukunft der Beziehungen zu Rußland insgesamt zu. Sie, die baltischen Staaten, verdienen Respekt für ihre von der KSZE und vom Europarat anerkannte Menschenrechtspolitik. Ande- rerseits bestehen auch von der KSZE und vom Europarat festgestellte offene Fragen im Hinblick auf den künftigen Status der russischsprachigen Bevölkerung, die es im Rahmen eines flexiblen und pragmatischen Ansatzes zu lösen gilt. Uns sind die historischen Ursachen für die derzeitigen Probleme wohl bewußt. Dennoch: die politischen Realitäten sprechen dafür, daß es zur Integration der bleibewilligen Russen in Estland und Lettland keine Alternative gibt. Das bedingt jedoch auch, daß die russischsprachige Bevölkerung ihren Willen zur Integration durch entsprechendes Verhalten deutlich macht. Deutschland unterstützt mit seinen westlichen Partnern alle Maßnahmen, die zu einer langfristigen Stabilisierung des bal- tisch-russischen Verhältnisses beitragen. In diesem Sinne hof- fe ich, daß beide Seiten die nach dem Truppenabzug bestehen- de Chance für eine grundlegende Konsolidierung nutzen. Dies gilt nicht zuletzt auch für die Restrukturierung der Wirt- schaftsbeziehungen. Hier bieten sich für die baltischen Staaten als Scharnier zwischen Mittel- und Nordosteuropa einerseits, Rußland, Weißrußland und der Ukraine andererseits große Möglichkeiten. Z w e i t e n s: Seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit der baltischen Staaten war es ein besonderes Anliegen deutscher Außenpolitik, ihre Heranführung an die EU und die WEU zu fördern. Diese Politik entspricht der Einsicht, daß das Balti- kum politisch, geographisch und kulturell zu Mittel- oder Nordosteuropa gehört; zum ändern geht es darum, durch die Heranführung an EU und WEU sowohl die unumkehrbare Verankerung der baltischen Staaten in Europa deutlich zu machen als auch neue Märkte im Westen zu öffnen. Wesent- lich auf deutsches Drängen hin hat der Rat der EU am 7. Februar der Kommission ein Mandat für Verhandlungen über Freihandelsabkommen mit den baltischen Staaten erteilt, die bereits eine Beitrittsperspektive enthalten sollen. Deutschland wird während seiner EU-Präsidentschaft im kom- menden Halbjahr alles daransetzen, die Voraussetzungen für den Abschluß von Assoziierungsabkommen zu schaffen. Zugleich ist es unser Bestreben, die Annäherung der baltischen Staaten an die WEU als verteidigungspolitische Komponente der EU zu fördern. Es ist unser Ziel, die baltischen Staaten in einen verbesserten sicherheitspolitischen Status miteinzu- beziehen. D r i t t e n s : Wir streben eine gesamteuropäische Sicherheits- architektur an, die auf Vertrauen und auf der Kooperation Gleichberechtigter gründet. Sie soll die Sicherheit auch der baltischen Staaten gewährleisten. Ein wichtiger Beitrag hierzu ist das Angebot der NATO für eine "Partnerschaft für den Frieden", für die Sie sich umgehend entschieden haben. Große Bedeutung kommt auch der KSZE zu. Welche Möglichkeiten die präventive Diplomatie im Rahmen der KSZE bietet, hat die Tätigkeit des KSZE-Hochkommissars für nationale Minder- heiten und der KSZE-Langzeitmission in Estland gezeigt. Wir begrüßen deshalb, daß jetzt auch in Lettland eine solche Mission ihre Tätigkeit aufnehmen konnte. Entscheidende Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit der KSZE und der gesamteuropäischen Architektur insgesamt ist die Einbindung und Beteiligung Rußlands. Die Berücksich- tigung russischer Sicherheitsinteressen und die aktive Beteili- gung Rußlands an der KSZE bedeutet dabei keinesfalls eine Anerkennung der These vom "nahen Ausland" oder besonde- ren Einflußsphären. Derartige Konzepte sind für uns keines- falls akzeptabel und werden von uns und unseren Partnern im Bündnis nachdrücklich zurückgewiesen. V i e r t e n s : Die Ostsee verbindet Deutschland, die baltischen Staaten und Rußland in besonderer Weise. Nach dem Ende des Kalten Krieges sind im Ostseeraum die Chancen für friedens- und wohlstandsschaffende Kooperation so günstig wie lange nicht mehr. Die Zusammenarbeit im Rahmen des Rates der Außenminister der Ostseeanrainerstaaten hat sich unter dem Vorsitz Estlands sehr positiv entwickelt. Gerade im Vorfeld der 3. Tagung der Außenminister des Ostseerates sollten wir überlegen, wie wir die Ostseekooperation weiter mit Leben und Perspektive füllen können. Verehrte Kollegen, ich schlage vor, daß wir jetzt mit der Diskussion über die Beziehungen Ihrer Länder zu RUS begin- nen und darf den Kollegen Adrejevs bitten, die Aussprache zu eröffnen.
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