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Norman Paeh

Menschenrechtsfalle in Kosovo

Während die NATO in Jugoslawien bis zum äußersten geht, unternimmt sie nichts zugunsten der Kurden.

Geht es im Jugoslawien­Krieg wirklich um Rechte der Menschen oder doch vielmehr um Interessen der Staaten? Machen wir einen kleinen Vergleich.

Der Konflikt in Kosovo ist erst seit Herbst 1997 in gewalttätige Auseinandersetzungen ausgeartet: Etwa 200000 Flüchtlinge und 3000 Tote waren bis zum Einsatz der NATO zu beklagen. In der Türkei allerdings leistet sich die NATO seit 1984 einen ungleich bestialischeren Krieg mit über drei Millionen Vertriebenen und 30 000 bis 40 000 Toten. Auf welchem Feld haben die europäischen Regierungen um die Unteilbarkeit der Menschenrechte gefochten, und welche Friedensinitiativen haben sie unternommen?

Bereits Ende November 1997 unterbreiteten der französische und der deutsche Außenminister dem jugoslawischen Präsidenten einen Vermittlungsvorschlag, Kosovo einen Sonderstatus in der Bundesrepublik Jugoslawien einzuräumen. Als Milosevic ablehnt, wird er massiv unter Druck gesetzt. Im März 1998 erklärt der USA­Sondergesandte Robert Gelhard, daß die USA gegebenenfalls militärisch eingreifen würden. Und die Außenminister der Bosnien­Kontaktgruppe drohen Sanktionen an, die sie einen Monat später durchführen und noch im Juni verschärfen. Wer hätte je, von einem vergleichbaren Engagement der europäischen Regierungen gegenüber NATO­Partner, Türkei gehört?

Im Mai einigen sich dann Milosevic und Rugova unter dem Druck des USA­Sondergesandten Richard Holbrooke auf Verhandlungen ohne Vorbedingungen, Um ihrem Druck auch Nachdruck zu verleihen, fliegen NATO­Verbände im Juni Luftmanöver über Kosovo. Von Flugeinsätzen der USA­Luftwaffe kann auch die Türkei berichten. Nur geben diese vom Luftwaffenstützpunkt Incirlik in Nordkurdistan aus und gelten Irak.

Im Juli nimmt eine internationale Beobachterkommission aus den In Belgrad akkreditierten Diplomaten von ' neun Staaten ihre Arbeit auf. Später beschließt die OSZE, bis zu 2000 Beobachter nach Kosovo zu senden. Knapp 1400 von ihnen sollen angekommen sein. Was machen die in Ankara akkreditierten Diplomaten, und wo sind die Beobachter der OSZE für Kurdistan?

Der USA­Sondergesandte Christopher Hill sichert der UCK zu, auf jeden Fall an einer internationalen Kosovo­Konferenz auch gegen den Willen der jugoslawischen Führung beteiligt zu werden. Die UCK hatte am 20. Juli 1998 alle Albaner, ob in Jugoslawien, in Albanien ~ oder Mazedonien, zum bewaffneten Kampf für die Errichtung eines eigenen unabhängigen Staates aufgerufen ­ nach europäischen Maßstäben eine separatistische Terrororganisation, nicht anders als ETA in Spanien und IRA in Nordirland. Und es wird ganz offen davon gesprochen, daß die knapp zwei Millionen Mark, die bisher der UCK aus dem Ausland zugeflossen sind, überwiegend aus Rauschgifthandel und Zwangsabgaben von den in Europa lebenden Albanern stammen. Das Bonner Büro, über das diese Gelder laufen, wird nicht etwa verboten, sondern immer wieder im Fernsehen präsentiert. Das ungestörte Treiben der UCK­Connection in Deutschland hängt offensichtlich auch mit den engen Kontakten des BND zu den Anführern der Organisation seit Anfang der 90er Jahre zusammen. Diese indirekte Unterstützung einer militärisch operierenden Sezessionsbewegung ist nichts anderes als eine völkerrechtlich verbotene Aggression. Für ähnliche Aktivitäten gegenüber Nikaragua wurden die USA 1986 vom Internationalen, Gerichtshof in Den Haag wegen Verstoßes gegen das Völkerrecht verurteilt.

In Europa aber konzentrieren sich die Regierungen allein auf das Verbot der kurdischen Vereine und ihres Fernsehsenders. Den Führer der PKK, Öcalan, der seit 1995 alle sezessionistischen Pläne aufgegeben hat, läßt man ausgerechnet dorthin verschleppen, wo die geringsten Chancen eines fairen Verfahrens gegen, ihn bestehen. Aber den Ankündigungen verschiedener europäischer Spitzenpolitiker, man müsse eine politische Lösung für das Kurdenproblem finden, folgen keine Taten.

Im August 1998 erklärte sich Milosevic bereit, Kosovo größere Autonomierechte als vor 1989 einzuräumen. In Rambouillet und Paris stehen die Serben zu ihrer Autonomiezusage und akzeptieren auch jenen Passus, der durchaus eine Trennung Kosovos von Jugoslawien zur Folge haben könnte. Im achten Kapitel des Interimabkommens heißt es: »Drei Jahre nach Inkrafttreten dieses Abkommens, soll ein internationales Treffen einberufen werden, um einen Mechanismus für eine endgültige Regelung für Kosovo auf Grundlage des Willens des Volkes, der Meinungen relevanter Stellen und Anstrengungen jeder Vertragspartei bezüglich der Umsetzung dieses Abkommens und der Helsinki­Schlußakte zu bestimmen.« Aus der Türkei ist nie ein vergleichbarer Vorschlag zur politischen Lösung des Krieges in Kurdistan bekannt geworden. Sie ist auch nie dazu von den USA oder der EU aufgefordert worden.

Allerdings, den militärischen Teil des Abkommens, die Stationierung von NATO­Truppen zur Durchsetzung des Abkommens, lehnen die Serben ab. Wer könnte es ihnen verdenken: Die weitreichenden Kompetenzen der NATO würden Kosovo zu einem internationalen Protektorat machen und seine Trennung von Jugoslawien vorbereiten. Nicht einmal UNO­Friedenstruppen, die bekannten Blauhelme, können ohne Einwilligung eines Staates auf dessen Territorium stationiert werden. Aber die NATO möchte das jetzt erzwingen, ohne jegliche völkerrechtliche Legitimation. Die Zustimmung zur Autonomie Kosovos hat man am Verhandlungstisch erhalten, aber nicht zu seiner Besetzung. Sie ist der einzig verbliebene Sinn und Zweck der täglichen Bombardements.

Geht es noch um die Menschenrechte, um die Erlösung der Bevölkerung vom wechselseitigen Terror und den Leiden des Bürgerkrieges?, Präsident Clinton,' vom USA­Kongreß gefragt, warum er denn gerade in Kosovo interveniere und nicht in Kaschmir oder Tibet, antwortete: Weil wir in Kosovo andere Interessen haben! Das ist es wohl. Es geht vor allem um die Neuordnung des Staatengefüges auf dem Balkan. In den Augen der NATO ist die Republik Jugoslawien immer noch zu groß. Was für die territoriale Integrität des NATO­Partners Türkei gilt, gilt nicht für die Restrepublik Jugoslawien des, bestimmt nicht angenehmen und, widerspenstigen Milosevic. Kann man ihn aber schon nicht beseitigen, so scheint die Beschränkung seines Einflusses auf Serbien die beste und notfalls militärisch durchsetzbare Lösung. Doch hat dies nichts mehr mit den Menschenrechten oder der UNO­Charta zu tun.

Norman Paeh ist Professor und lehrt an der Hochschule für Politik und Wirtschaft Hamburg



Quelle: Neues Deutchland, 1.4.1999


 




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