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  Politik   

 


1999-04-06

Alfred Dregger

Fremde Federn

Untertitel:

Clausewitz soll gesagt haben, man kenne von jedem Krieg den Anfang, aber nicht das Ende. Seine zentrale Erkenntnis war indessen, daß der Krieg politischen Zwecken zu dienen habe, daß er daher ein Prozeß sei, der jederzeit unter politischer Kontrolle gehalten werden müsse. Die Nato greift nunmehr seit fast zwei Wochen aus der Luft Jugoslawien an. Das war der Anfang eines Krieges, von dem niemand zu wissen scheint, wie er beendet werden soll. Erinnern wir uns, was die politischen Ziele dieser Luftangriffe sein sollten. Es waren deren zwei, die nicht unbedingt identisch sind. Erstens: Milosevic sollte zur Unterschrift unter ein von der Balkan-Kontaktgruppe in Rambouillet "ausgehandeltes" Abkommen gezwungen werden, das den Kosovo-Albanem in den Grenzen der Serbischen Republik wieder eine gewisse Autonomie verschaffen sollte, die ihnen Milosevic 1990 unter Bruch der jugoslawischen Verfassung entzogen hatte - womit das ganze Unglück auf dem Balkan seinen Anfang nahm. Zweitens: Eine Katastrophe, genauer gesagt, die Vertreibung der Kosovo-Albaner vom Amselfeld, sollte verhindert werden.

Wie ist die Lage jetzt? Im Kosovo brennen die Dörfer, die Häuser werden zerstört; große Teile der Bevölkerung sind auf der Flucht; in den Städten des Kosovo soll die Bevölkerung in "Konzentrationslagern" zusammengepfercht sein; die Hauptstadt Prishtina ist wohl nicht nur von der Nato aus der Luft bombardiert, sondern auch von jugoslawischem Militär beziehungsweise Milizen Vom Boden aus beschossen worden und gleicht einer Geisterstadt; die Nachbarstaaten Jugoslawiens werden der Flüchtlingsströme nicht mehr Herr. Hungersnot droht. Die Nato hat indessen einen Vermittlungsversuch des russischen Ministerpräsident Primakow als unzureichend zurückgewiesen und verstärkt die Luftangriffe; das Bündnis hat auch die Forderung der jugoslawischen Führung nach einer Waffenruhe über Ostern abgelehnt.

Wie soll es weitergehen? Es wurde darüber berichtet, daß der italienische Ministerpräsident d'Alema Präsident Clinton gefragt habe, was geschehen solle, wenn Milösevic auch nach drei Wochen des Bombardements immer noch nicht einlenken werde. Präsident Clinton habe diese Frage an seinen Sicherheitsberater weitergegeben. Dieser habe geantwortet: "Dann bomben wir weiter." In der F.A.Z. war zu lesen: "Es scheint so, als ob Milosevic diesen Krieg will, weil er ihn - zumindest bisher - in mehrfacher Hinsicht ausnutzen kann. Er betreibt die »Lösung' des Kosovo-Problems im serbischen Sinn, mit der Verheerung des Landes, mit der Ermordung und Vertreibung der albanischen Bevölkerung. Er schaltet die Reste der ohnehin geringen Opposition in Belgrad aus, und er versucht, Zwietracht im Bündnis zu säen und die Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen nachhaltig zu stören. Soll die Nato wirklich weiterbomben angesichts dieser verhängnisvollen Entwicklung -bis etwa der letzte Kosovo-Albaner aus dem Amselfeld geflohen ist?

Der Ausweg aus dieser Lage kann nur politisch sein. Ihn in immer weiterer militärischer Eskalation zu suchen, möglicherweise, wie einige meinen, gar in einem Landkrieg, führte vollends ins Verhängnis. Ein Krieg, der das Gegenteil dessen bewirkt, was er politisch bezwecken sollte, muß beendet werden. Es war eine Schwäche der Politik, vor und in Rambouillet, daß dem dort "ausgehandelten" Abkommen eigentlich beide Seiten, also auch die Kosovo-Albaner, nicht zustimmen wollten; nur ganz zum Schluß haben sie sich dem zu diesem Zweck ausgeübten Druck gebeugt. Es war weiter die Schwäche dieser Politik, daß die UN und damit Rußland draußen gehalten wurden. Rußland könnte aber Milosevic eher beeindrucken als andere, weil es politischen Einfluß auf das serbische Volk gewinnen kann. Primakows Vermittlungsversuch - nicht das von ihm überbrachte inhaltliche erste Angebot - sollte daher von der Nato unterstützt und mit konstruktiven eigenen Vorschlägen unterfüttert werden.

Als erster Schritt sollte eine Feuerpause aller Beteiligten vereinbart werden, die von der OSZE überwacht werden könnte. Deren Beobachter waren schon vor dem Beginn des Luftkrieges im Kosovo. Diese Feuerpause sollte genutzt werden für eine Kosovo-Konferenz der sogenannten Kontaktgruppe mit der jugoslawischen Führung und der politischen Führung der Kosovo-Albaner unter dem Dach der OSZE und unter Beteiligung der UN. Deren Ziel sollte Frieden und Stabilität auf dem Balkan sein, damit die Völker dort auf Dauer friedlich zusammenleben können. Die Initiative dazu sollte von der Nato ausgehen. Aber auch eine Initiative der Europäischen Union ist denkbar.

Es sei daran erinnert: Die Nato ist das "erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Geschichte". Sie hat den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion ohne einen einzigen scharfen Schuß gewonnen, einzig und allein durch eine erfolgreiche Politik auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit und Abschreckung.





Der Autor war Bundestagsabgeordneter der CDU und ist Ehrenvorsitzender der Unionsfraktion.

Quelle: FAZ, 6.4.1999


 




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