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  Geschichte   

 


16.07.1990

Acht-Punkte-Erklärung von Helmut Kohl

Auf der gemeinsamen Pressekonferenz am 16. Juli 1990 im kaukasischen Schesesnowodsk fasste Kohl die Ergebnisse seiner Gespräche in einer Acht-Punkte-Erklärung zusammen:

1. Die Einigung Deutschlands umfaßt die Bundesrepublik, die DDR und Berlin.

2. Wenn die Einigung vollzogen wird, werden die Vier-Mächte-Rechte und -Verantwortlichkeiten vollständig abgelöst. Damit erhält das vereinigte Deutschland zum Zeitpunkt seiner Vereinigung seine volle und uneingeschränkte Souveränität.

3. Das vereinte Deutschland kann in Ausübung seiner uneingeschränkten Souveränität frei und selbst entscheiden, ob und welchem Bündnis es angehören will. Das entspricht der KSZE-Schlußakte. Ich habe als die Auffassung der Regierung der Bundesrepublik Deutschland erklärt, daß das geeinte Deutschland Mitglied des Atlantischen Bündnisses sein möchte und ich bin sicher, dies entspricht auch der Ansicht der Regierung der DDR.

4. Das geeinte Deutschland schließt mit der Sowjetunion einen zweiseitigen Vertrag zur Abwicklung der Truppenabzuges aus der DDR, der innerhalb von drei bis vier Jahren beendet sein soll. Gleichzeitig soll mit der Sowjetunion ein Überleitungsvertrag über die Auswirkung der Einführung der D-Mark in der DDR für diesen Zeitraum von drei bis vier Jahren abgeschlossen werden.

5. Solange sowjetische Truppen noch auf dem ehemaligen DDR-Territorium stationiert bleiben, werden die NATO-Strukturen nicht auf diesen Teil Deutschlands ausgedehnt. Die sofortige Anwendung von Artikel fünf und sechs des NATO-Vertrages (wonach jedes NATO-Mitglied einen Angriff auf einen anderen NATO-Partner als Angriff auf das gesamte Bündnis wertet und gemeinsam Gegenmaßnahmen ergriffen werden) bleibt davon von Anfang an unberührt. Nicht integrierte Verbände der Bundeswehr, das heißt Verbände der territorialen Verteidigung, können sofort nach der Einigung Deutschlands auf dem Gebiet der heutigen DDR und in Berlin stationiert werden.

6. Für die Dauer der Präsenz sowjetischer Truppen auf dem ehemaligen DDR-Territorium sollen nach der Vereinigung nach unserer Vorstellung die Truppen der drei Westmächte in West-Berlin verbleiben. Die Bundesregierung wird die drei Westmächte darum ersuchen und die Stationierung mit den jeweiligen Regierung vertraglich regeln.

7. Die Bundesregierung erklärt sich bereit, noch in den laufenden Wiener Verhandlungen eine Verpflichtungserklärung abzugeben, die Streitkräfte eines geeinten Deutschlands innerhalb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370 000 Mann zu reduzieren. Die Reduzierung soll mit den Inkrafttreten des ersten Wiener Abkommens begonnen werden.

8. Ein geeintes Deutschland wird auf Herstellung, Besitz und Verfügung über ABC-Waffen verzichten und Mitglied des Nichtverbreitungsvertrages bleiben.


Quelle: Der Tagesspiegel, 17.07.1990, S. 1





Gorbatschow auf der Pressekonferenz mit Bundeskanzler Kohl in Schelesnowodsk am 16. Juli 1990 äußert sich (Auszug):

"Wir haben erwartet, daß es entsprechende Veränderungen geben wird, zum Beispiel im Bereich der NATO. Der Warschauer Pakt hat ja bereits, wie Sie wissen seine Doktrin bei seiner letzten Tagung geändert. Dies war eine Aufforderung, die Strukturen der Blöcke zu ändern, aus militärischen mehr politische Blocke zu machen. Wir haben einen sehr wichtigen Impuls von der Konferenz aus London erhalten, die wichtige positive Schritte brachte, die auch von den sozialistischen Ländern und anderen europäischen so verstanden wurden. Das, was in London vor sich ging, war in der Tat so etwas wie der Anfang einer neuen historischen Entwicklung. Die Beschlüsse von London ermöglichen uns, nun Verträge zwischen unseren beiden Systemen zu schließen.

Wenn also nicht dieser Schritt in London gemacht worden wäre, dann wäre es schwer gewesen, bei unserem Treffen weiterzugehen. Ich möchte die beiden letzten Tage charakterisieren mit einem deutschen Ausdruck: Wir haben Realpolitik gemacht. Wir sind ausgegangen von unserer heutigen Wirklichkeit, von der Bedeutung für Europa und für die Welt.

Die Ergebnisse unserer Begegnung integrieren sowohl die Positionen der Bundesrepublik als auch die der Sowjetunion. Einen Teil hat die Bundesrepublik nicht bekommen, einen Teil haben wir nicht erreicht. Aber wir haben die Richtung der Veränderungen beschlossen, und wir haben versucht, gemeinsam diese Prozesse voranzubringen.

Ich halte diese Begegnung für eine der größten und wichtigsten unserer Zeit. Wir gehen davon aus, daß wir durch die Verabschiedung des Schlussdokuments den Prozeß der Beendigung der Viermächte-Rechte einleiten. Das vereinte Deutschland wird volle Souveränität erhalten, es wird seine Wahl treffen sowohl über seine innere Entwicklung. Die Frage, welchem Bündnis es angehören möchte, mit wem es zusammengehen möchte, ist eine Frage der vollen Souveränität, die dieser Staat erhält.

Wir haben Übereinstimmung darüber erzielt, daß die NATO-Struktur nicht auf das Gebiet der ehemaligen DDR ausgeweitet wird. Und wenn auf der Basis unserer Verabredungen die Sowjettruppen in einem Zeitraum von drei bis vier Jahren aus der DDR abgezogen werden, so gehen wir davon aus, daß dort keine anderen ausländischen Truppen erscheinen, da haben wir Vertrauen und sind uns der Verantwortung dieses Schrittes bewusst."


Quelle: Der Tagesspiegel, 17.07.1990, S. 6


Anmerkung der GLASNOST-Redaktion:

Zur gleichen Zeit tagen in Paris die Außenminister der Siegermächte des Zweiten Weltkrieges und der beiden deutschen Staaten (dritte Gesprächsrunde der Zwei-Plus-Vier-Konferenz). Nach Bekanntwerden des Verhandlungsergebnisses, vor allem der Zustimmung Gorbatschows zur NATO-Mitgliedschaft von ganz Deutschland, kommt der deutsche Einigungsprozeß maßgeblich voran. Deutschland wird die volle Souveränität zugestanden. Als östliche Grenze wird die Oder-Neiße-Grenze (ein strittiger Punkt in den Verhandlungen) anerkannt, deren Unantastbarkeit in einem gesonderten Grenzvertrag bestätigt werden soll Innenpolitisch folgen: Einigungsvertrag zwischen beiden deutschen Staaten; Beitritt DDR zur Bundesrepublik als Bundesland (!) und die ersten gesamtdeutsche Wahlen am 2. Dezember 1990
(vgl. Wahlergebnisse)


 




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