Start 

quellen 

 

  Geschichte   





     	Informationsmaterial der PDS/LL im Bundestag

             	Verletzungen und Aushoehlungen
                	des Einigungsvertrages

      (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland
         und der Deutschen Demokratischen Republik
       ueber die Herstellung der Einheit Deutschlands)

Bonn, Oktober 1992



Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Aushoehlung und Verletzung der Regelungen ueber Wirtschaftsfoerderung 1. Keine Uebergangszeit fuer Strukturanpassung 2. Fehlende Massnahmen zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums 3. Nichtgewaehrung eines Praeferenzvorsprunges 4. Mangelnde Foerderung des Mittelstandes 5. Fehlender Vertrauensschutz fuer und ungenuegende Foerderung von Ostexporten II. Verletzungen der treuhaenderischen Verwaltung des volkseigenen Vermoegens 1. Aktive Sanierung fehlt 2. Treuhandauftrag zur Vermoegensverwendung verletzt 3. Mangelnde Fach- und Rechtsaufsicht 4. "Vergessene" Anteilsrechte III. Verstoesse gegen Eigentumsregelungen und vertagliche Vereinbarungen im Agrarbereich 1. Aushoehlung der Bodenreform 2. Verschleppung der Entschuldung in der Landwirtschaft 3. Verletzung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes IV. Frauen als Verliererinnen der Einheit 1. Statt weiterentwickelter Gleichberechtigung - Vertiefung der Ungleichheit 2. Entzug von Grundlagen fuer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf V. Bruch und Aushoehlung rentenrechtlicher Regelungen 1. Rentenkuerzungen 2. Rentenstrafrecht 3. Verstoss gegen Vertrauens- und Besitzbestandsschutz 4. Kuerzung oder Aberkennung von Ehrenpensionen VI. Verstoesse gegen weitere Sozialbestimmungen 1. Mietenexplosion ohne Einkommenszuwachs 2. Aushoehlung gesundheitlicher Grundsatzbestimmungen VII. Zerstoerung der geistig-kulturellen Struktur 1. Untergrabung statt Erhaltung kultureller Substanz 2. Finanzieller Kollaps fuer Kultur 3. Ruinierung der Wissenschaftslandschaft VIII. Verstoss gegen grundsaetzliche rechtliche Bestimmungen 1. Fortsetzung der Entrechtung fuer Zehntausende 2. Parteienkungelei statt oeffentlicher Verfassungsdiskussion --- Einleitung Vor gut zwei Jahren hat die PDS in der Volkskammer den Einigungsvertrag abgelehnt, weil er keinen Vertrag des Zusammenwachsens der beiden Vertragspartner darstellte, sondern ein Instrument des Anschlusses, des Aufsaugens der untergehenden DDR durch die Bundesrepublik, der jede Gleichberechtigung oder Gleichbehandlung vermissen liess. Zugleich hat sie angekuendigt, dass sie wahrscheinlich die erste sein wird, die Bestimmungen aus diesem Vertrag verteidigen wird, wenn diese fuer ihre Autoren voraussichtlich nur noch ein aergerliches Stueck Papier sein werden. Diese Zeit ist laengst gekommen. Und die PDS macht ihre Ankuendigung wahr, gegen Missinterpretationen, willkuerliche Auslegungen, Verstoesse und Aushoehlungen des Einigungsvertrages im Interesse der Buerger Politik zu machen. Rund zwei Jahre nach dem Anschluss der DDR an die alte Bundesrepublik stellt sich das vereinte Deutschland staatlich geeinigt aber im Inneren zugleich tief oekonomisch, sozial und geistig gespalten dar, mit einer sichtbaren Tendenz der Zunahme dieser Spaltung. Die Politik der Regierungskoalition unter Helmut Kohl hat zu einer Einigungskrise gefuehrt, die im Osten wie im Westen Deutschlands alle Lebensbereiche erfasst und zu Lasten der Mehrheit der Bevoelkerung geht. Wir sind nicht der Meinung, dass diese Krise auf die Tatsache der Einigung selbst zurueckzufuehren ist. Die Einheit entspricht dem Wuenschen und Wollen der uebergrossen Mehrheit der deutschen Bevoelkerung. Sie hat den Menschen in den neuen Bundeslaendern zweifellos viele Vorteile gebracht und Einschraenkungen und Entmuendigungen aufgehoben, denen sie in der DDR- Gesellschaft unterworfen waren. Sie hat ihnen aber auch neue Beschaedigungen in sozialer, kultureller, geistiger und persoenlicher Hinsicht zugefuegt. Wenn wir von Einigungskrise sprechen, dann meinen wir vor allem die tiefen Wunden, die oekonomisch, sozial und psychologisch geschlagen wurden, und die riesigen ungeloesten Probleme, vor denen wir in Ost und West, vor allem aber im Osten Deutschlands, stehen. Die Einigungskrise beruht auf Art und Weise des Einigungsprozesses, der vor der herrschenden Regierungskoalition in Bonn und ihren ostdeutschen Parteigaengern eben nicht als Vereinigung, sondern als Anschluss mit dem schlagartigen Ueberstuelpen des wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Systems der alten Bundesrepublik ueber das Anschlussgebiet, als Prozess der Unterwerfung des Anschlussgebietes, betriebn wird. Wir kommen nicht umhin, festzustellen: Der Einigungsvertrag ist das Grunddokument und die prinzipielle Handlungsanleitung fuer diese Unterwerfung. Er ist nach Inhalt und Form das Diktat des Siegers ueber die Besiegten, das die Bedingungen ihres Anschlusses regelt. Er hat die Ursachen fuer die Missstaende gesetzt, die heute von vielen Menschen beklagt werden. Die dringend notwendige Korrektur des Einigungsprozesses erfordert auch Korrekturen oder eine Neugestaltung des Einigungsvertrages - zumindest in der praktischen Po- litik. Aber auch eine eventuelle Neuverhandlung, wozu wir den Gedanken einer "Dritten Kammer" als Vertretung der ostdeutschen Bundeslaender beigesteuert haben. Denkbar ist auch ein Staatsvertrag zwischen dem Bund und den fuenf neuen Bundeslaendern sowie Berlin, der den Einigungsvertrag revidiert und ergaenzt. Er muesste mit verfassungsaendernder Mehrheit im Bundestag, Bundesrat und den betreffenden Landesparlamenten gebilligt werden. Zur Korrektur des Einigungsprozesses gehoeren viele Massnahmen, darunter: * Die Erhaltung und der Ausbau des Wirtschafts- und Industriestandortes Ostdeutschlands als Voraussetzung einer eigenstaendigen Entwicklung der ostdeutschen Laender und einer auf eigener Leistung beruhenden Lebensentwicklung ihrer Menschen; entsprechende Aenderung des Auftrages der Treuhand und Gestaltung einer adaequaten Industrie- und Strukturpolitik zur Schaffung einer oekologisch orientierten zukunftsfoerdernden Industriesubstanz. * Eine schnelle Regelung der Eigentumsverhaeltnisse durch Aufhebung des Vermoegensgesetzes in seiner jetzigen Form und des Grundsatzes Rueckgabe vor Entschaedigung; Ueberfuehrung ehemaligen Staatsei- gentums in die Haende der Laender und Kommunen. * Die Sicherung von Maerkten fuer die ostdeutsche Wirtschaft in den oestlichen Bundeslaendern, in Osteuropa sowie in Westdeutschland und Westeuropa durch Praeferenzen, Exportunterstuetzung u.a. Massnahmen. * Die Bildung von Investitionsfonds zur Struk- turanpassung in den produzierenden Bereichen, fuer Umweltsanierung, Wohnungsbau und -modernisierung und Mittelstandsfoerderung. * Eine wirksame beschaeftigungs- und struk- turpolitische Konzeption zur Erhaltung und Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplaetzen, einschliesslich der Reduzierung von Arbeitszeit und der Umverteilung von Arbeit, oekologieorientierte Arbeitsplatzpolitik und aktive Arbeitsmarktgestaltung. * Eine Sozialreform zur Verhinderung von Armut, Abbau von Diskriminierung und Gewaehrleistung von sozialer Sicherheit, was fuer Buerger Ost- und Westdeutschlands gleichermassen gilt (soziale Grundsicherung, soziales Pflegegesetz, solidarische und bezahlbare Gesundheitsvorsorge, sozial gerechteres Rentensystem und Beseitigung der Wohnungsnot). * Ein mutiges und sozial vertretbares Finanzkonzept, das beim Kuerzen des Verteidigungshaushaltes beginnt und Investitionshilfe- und Ergaenzungsaufgaben ein- schliesst. * Die Herstellung der Gleichheit vor dem Gesetz fuer Ost- und Westdeutsche und die Aufhebung aller Ungleichbehandlungen. Den Einigungsvertrag klar charakterisieren, kritisieren und fuer seine Korrektur eintreten heisst nicht, im Sinne der Eingangsworte, ihn nicht zu verteidigen. Denn die Analyse von Wortlaut und Praxis zeigt, dass er in vielen Faellen ausgehoehlt, sein Wortlaut ins Gegenteil verkehrt, verzerrt oder umgangen wird. Mehrere Faelle von direkten Verstoessen liegen vor. Eine Korrektur verfehlter Einigungspolitik koennte mit der Beseitigung dieser Vertragsverletzungen und - verstoesse beginnen. Dazu die oeffentliche und parlamentarische Diskussion und entsprechendes Handeln zu foerdern, ist der Sinn dieser Dokumentation. I. Aushoehlung und Verletzung der Regelungen ueber Wirt- schaftsfoerderung 1. Keine Uebergangszeit fuer Strukturanpassung Art. 28, Abs. 1 des Einigungsvertrages legt fest: "Mit Wirksamwerden des Beitritts wird das in Artikel 3 genannte Gebiet in die im Bundesgebiet bestehenden Regelungen des Bundes zur Wirtschaftsfoerderung ... einbezogen. Waehrend einer Uebergangszeit werden dabei die besonderen Beduerfnisse der Strukturanpassung beruecksichtigt. Damit wird ein wichtiger Beitrag zu einer moeglichst raschen Entwicklung einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur unter besonderer Beruecksichtigung des Mittelstandes geleistet." Statt dessen zeigt die Entwicklung, dass die Wirt- schaftspolitik mit schlagartiger Schocktherapie vorgegangen ist, die auf jegliche Anpassungsperiode und eine gezielte staatliche Struktur- und Industriepolitik verzichtet. Sie verkehrt die Festlegung ueber die rasche Entwicklung einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur ins Gegenteil. - Wirtschaftliche und finanzielle Kreislaeufe wurden zerstoert, die Reproduktions- und Akkumulationskraft Ostdeutschlands ausgehoehlt. - Es findet eine Deindustrialisierung statt, wie sie im modernen Industriezeitalter nicht anzutreffen ist. Die industriellen Leistungen gingen 1991 in Ostdeutschland im Vergleich zu 1989 auf weniger als ein Drittel zurueck; dementsprechend sank der Anteil der neuen Bundeslaender an der industriellen Fertigung der Bundesrepublik auf sechs Prozent (1989 hatte die DDR einen Anteil an der Fertigung beider deutscher Staaten von etwa 20%); 1992 wird der Anteil der Industrieproduktion bei nur vier % (!) liegen. - Die ostdeutsche Produktivitaet erreichte Mitte 1992 erst 36% jener in Westdeutschland; sie hatte vor der Vereinigung bei rund 37% gelegen; ausgeblieben ist die erhoffte grosse Investitionswelle. - Die Zahl der in Forschung und Entwicklung Beschaeftigten ist von 87 000 (1989) auf ca. 30 000 (1991) zurueckgegangen. Der Prozess der Zerstoerung statt Anpassung - geschuldet der Wirtschaftspolitik der Kohl-Regierung - ist eine grobe Verletzung des Einigungsvertrages. 2. Fehlende Massnahmen zur Beschleunigung des wirt- schaftlichen Wachstums Artikel 28, Abs. 2 des Einigungsvertrages legt fest: "Die zustaendigen Ressorts bereiten konkrete Massnahmeprogramme zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums und des Strukturwandels in dem in Artikel 3 genannten Gebiet vor." Tatsaechlich sind solche Massnahmepogramme nur zoegerlich, zu spaet, halbherzig und unvollkommen und ohne durchgreifende Ergebnisse in Gang gesetzt worden. Gemessen an den Ergebnissen, wurde der genannte Auftrag des Einigungsvertrages nicht erfuellt. - Nicht das im Artikel 28.2 genannte Wachstum, schon gar kein beschleunigtes, bestimmt das Bild der Wirtschaft, sondern weiterer Niedergang. Waehrend 1989 der Anteil der DDR am Brut- tosozialprodukt der beiden deutschen Staaten noch bei 11-12% lag, ist er 1991 auf 7% zurueckgegangen, bei 20% der Bevoelkerung und 30% der Flaeche der jetzigen Bundesrepublik. Das Sozialprodukt 1990 und 1991 hat sich in Ostdeutschland gegenueber dem Aus- gangsniveau 1989 halbiert (1990 minus 17%, 1991 minus 35%), der Rueckgang setzt sich 1992 fort. - In den neuen Bundeslaendern existiert real eine Beschaeftigungskatastrophe. Die Zahl der Erwerbstaetigen ging von 9,7 Mio. 1989 auf 5,4 Mio. 1992 zurueck. Die reale Arbeitslosenrate (unter Einbeziehung von ABM-Stellen, Kurzarbeit, Umschulungen und Vorruhestand) betraegt mehr als 30, in manchen Regio- nen ueber 50% und wird fuer laengere Zeit in dieser Groessenordnung verharren. 3. Nichtgewaehrung eines Praeferenzvorsprungs Artikel 28, Abs. 2 des Einigungsvertrages sieht vor, dass bei den genannten Massnahmeprogrammen, "ein Praeferenzvorsprung zugunsten dieses Gebietes (gemeint ist das Beitrittsgebiet - d.Vf.) sichergestellt" wird. Ein wirksamer Praeferenzvorsprung ist jedoch trotz einer Reihe von Investitionsanreizen weder hinsichtlich der Produktion, der Investition, von Marktschutz und - foerderung, der Auftragserteilung o.a. Bereiche in wirksamen Groessenordnungen sichergestellt. So werden ostdeutsche Firmen bei der Auftragsvergabe der oeffentlichen Hand nicht nur bevorzugt, sondern klar benachteiligt. Die Folge ist, dass der ueberwiegende Teil der im Rahmen des sogenannten Programms "Aufschwung Ost" bereitgestellten Mittel wieder an westdeutsche Produzenten und Leistungstraeger zurueckfliesst und so einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Basis der neuen Laender verloren geht. Statt eingetragene Waren- zeichen von DDR-Betrieben zu schuetzen, mussten solche Warenzeichen, sobald eine Konkurrenzsituation eintrat, mit Verweis auf groesseren Absatz der Westprodukte einge- stellt werden. (Beispiel: Gothaplast). Potentielle Kunden von Erzeugnissen aus Treuhandbetrieben wurden damit verunsichert, dass die Treuhand gleichzeitig die Betriebe und ihre Erzeugnisse zum Verkaufanboten und damit den Kunden jedes Vertrauen nahm, dass er auf Kundendienst und weitere Lieferungen bauen kann (Beispiel: Schraubenwerk Finsterwalde). 4. Mangelnde Foerderung des Mittelstandes Art. 28, Abs. 2 sieht weiter "Massnahmen zur raschen Entwicklung des Mittelstandes" vor. - In den zwei Jahren seit der staatlichen Vereinigung sind zehntausende Handwerks-, Gewerbe- und Kleinhandelsbetriebe gegruendet worden. Industriell produzierende mittelstaendische Unternehmen machen jedoch nur 5-6% der insgesamt ueber 400 000 Firmen in Ostdeutschland aus, weil die Treuhandanstalt nichteffektive kleine Betriebe geschlossen hat, statt sie marktfaehig zu sanieren, um den Aufbau mittelstaendischer Strukturen zu unterstuetzen. Diesen Strukturmangel kritisiert auch die Deutsche Bank in einer Mittelstandsstudie ueber Ostdeutschland vom August 1992. Mehr als 50% von Gewerbeanmeldungen erfolgen im Handels- und Gaststaettenbereich, doch treten hier auch mit steigender Tendenz die meisten Abmeldungen auf (im 1. Halbjahr 1992 49.344 An- und 29.616 Abmeldungen). Weit mehr als die Haelfte geben angesichts der Konkurrenz der Handelsketten wieder auf. Insgesamt gesehen wird jede dritte Gewerbeanmeldung wieder aufgegeben. - Kreditmittel (z.B. aus dem ERP-Programm) stehen in nicht geringem Masse zur Verfuegung, doch werden sie infolge buerokratischer Hemmnisse und oft mangel- hafter kommunaler Hilfe wenig wirksam, wie ost- deutsche CDU-Abgeordnete kritisch an die Bonner Regierungsadresse vermerken. Ebenso erfahren ostdeutsche Handwerker und Kleinunternehmer starke Benachteiligungen bei der Auftragsvergabe durch die oeffentliche Hand. - Existenzgefaehrdet wirken sich die ueberdimensionalen Gewerberaummieten aus - vor allem in den Staedten. Oft uebersteigen geforderte Mieten die Einnahmen der Handwerker und Gewerbetreibenden und zwingen sie zur Aufgabe. Begrenzungen oder Einfrieren wurden bisher von Kommunen oder als zentrale Regelungen abgelehnt. 5. Fehlender Vertrauensschutz fuer und Foerderung von Ostexporten Art. 29 des Einigungsvertrages regelt, dass "die ge- wachsenen aussenwirtschaftlichen Beziehungen" der ostdeutschen Wirtschaft gegenueber den frueheren RGW- Laendern "Vertrauensschutz" geniessen und "unter Be- achtung der Interessen aller Beteiligten und unter Beachtung marktwirtschaftlicher Grundsaetze ... fortentwickelt und ausgebaut" werden. Ebenso sieht Art. 28, Abs. 2 Wirtschaftsfoerderung fuer "RGW- Exportproduktion" vor. Die Bedeutung dieser Vertragsbestimmung wird daraus ersichtlich, dass gerade fuer den industriellen Kern Ostdeutschlands - Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektroindustrie, Chemie, Textil/Bekleidung - die Abhaengigkeit vom Export in die GUS und andere osteu- ropaeische Laender ausserordentlich hoch ist und bis heute bei vielen Betrieben etwa 50% betraegt, was ein Gefaehrdungspotential bedrohter Arbeitsplaetze von 700 000 bei etwa 1,6 Mio. verbliebenen Industriearbeitsplaetzen bedeutet. Trotz der Festlegungen des Einigungsvertrages sind Ostexporte der Wirtschaft der ostdeutschen Laender nahezu zusammengebrochen. Der Rueckgang betrug: 1991 zu 1990 von Jan.-April 92 --------------------------------------------------- Insgesamt - 59,9% weitere -26,4% GUS - 46,2% -16,2% Polen - 66,1% -72,2% CSFR - 81,0% -12,7% Ungarn - 86,1% -55,1% Rumaenien - 85,4% -85,3% Bulgarien - 90,8% -72,3% Die Bundesregierung und Bundeskanzler Kohl geben selbst zu, dass sie die Bedeutung der Ostmaerkte fuer die Entwicklung der ostdeutschen Industrie und auch die Kompliziertheit der Erhaltung dieser Maerkte unterschaetzt haben. So unterblieben ausreichende und gezielte Massnahmen einer entsprechenden Ex- portfoerderung, wie sie gerade Art. 29 und 28.2 des Einigungsvertrages entsprochen haetten. Auch gegenwaertig sind die Bemuehungen eher halbherzig und inkonsequent, bzw. sollen sogar ganz eingestellt werden. Unkonventionelle Massnahmen zur Foerderung und Finanzierung der Ostexporte sind dringlich und nach wirtschaftswissenschaftlichem Rat im Ergebnis billiger als die Finanzierung von - erneut ansteigender - Arbeitslosigkeit. II. Verletzungen der treuhaenderischen Verwaltung des volkseigenen Vermoegens 1. Aktive Sanierung fehlt Artikel 25, Abs. 1 des Einigungsvertrages sieht vor: "Die Treuhandanstalt ist auch kuenftig damit beauftragt, gemaess den Bestimmungen des Treuhandgesetzes die frueheren volkseigenen Betriebe wettbewerblich zu strukturieren und zu privatisieren." - Wettbewerbliche Strukturierung haette - wie auch der ermordete Treuhand- Chef Rohwedder propagierte - "entschlossene Sanierung" bedeutet. Die Treuhand vernachlaessigte jedoch die Sanierung und konzentrierte sich auf den Verkauf, die Privatisierung volkseigenen Vermoegens. "Die bisherige Strategie der Treuhand laeuft praktisch darauf hinaus, dass kaum ein Unternehmen richtig saniert wird" (Kilian Krieger, Berliner Geschaeftsfuehrer der britischen Unternehmensberatung Price Waterhouse, die im Auftrag der Treuhand Firmen verkauft). Unternehmen wurden vor allem "passiv saniert", das heisst durch Arbeitsplatzabbau und massive Personalreduzierung, Streichung der Kosten fuer Forschung und Entwicklung, Produktionsstillegung u.ae. Massnahmen. Die von der Sache her notwendige Strukturanpassung vollzieht sich bisher fast nur als Zerstoerung vorhandener Strukturen und Produktionsverflechtungen, ohne das neue wettbewerbsfaehige Strukturen in ausreichendem Masse entstehen. Massenhaft wurden Ar- beitsplaetze liquidiert, waehrend neue und wett- bewerbsfaehige Arbeitsplaetze nur in geringem Masse geschaffen wurden. Das Verhaeltnis von verlorenen zu neugeschaffenen Arbeitsplaetzen betraegt etwa 10:1. Hinzu kommt, nach eigenen Angaben der Treuhandchefin Breuel, dass Kaeufer von Unternehmen etwa 20 - 30 Prozent der Arbeitsplatzzusagen ueberhaupt nicht einhalten. Fuer "aktive Sanierung" durch Investitionen in neue Produkte, Produktionsverfahren, Vertriebssysteme u.ae. stellte die Treuhand kaum Kredite zur Verfuegung. So wurde die Lage der Wirtschaft noch verschaerft, wie die bereits genannten Fakten zur gesamtwirtschaftlichen Krise in Ostdeutschland verdeutlichen. Wenn die Treuhand-Spitze nunmehr davon spricht, mit Mitteln in Milliardenhoehe fuer Investitionen der Sanierung und Umstrukturierung einen "entscheidenden Push" zu geben und "einen Kraftakt zu versuchen", so bedeutet dies zweierlei: Einmal ist es das Eingestaendnis einer bisher versaeumten konsequenten Sanierungspolitik und damit einer Verletzung oder zumindest ungenuegenden Ausfuellung des Einigungsvertrages und des Treuhandgesetzes. Zum anderen zeigt sich darin, dass der Auftrag der Treuhand zur Sanierung zu vage, nicht verpflichtend genug formuliert ist und ungenuegend kontrolliert wird. Eine Aenderung kaeme zwar sehr spaet, aber doch fuer Teile der Wirtschaft noch im letzten Moment. Vorschlaege liegen auf dem Tisch. 2. Treuhandauftrag zur Vermoegensverwendung verletzt Artikel 25, Abs. 3 des Einigungsvertrages lautet: "Die Vertragsparteien bekraeftigen, dass das volkseigene Vermoegen ausschliesslich und allein zugunsten von Massnahmen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet unabhaengig von der haushaltsmaessigen Traegerschaft verwendet wird." Es ist jedoch ganz eindeutig, dass die Privatisie- rungspolitik der Treuhand im Auftrage der Bundes- regierung in zwei Richtungen eindeutige Nachteile fuer das Beitrittsgebiet nach Artikel 3, die neuen Laender, und Vorteile fuer das Unternehmer-Kapital in den alten Bundeslaendern gebracht hat: - Zum einen wurden unliebsame Konkurrenten, so im Werkzeugmaschinenbau, in der Feinmechanik/Optik, in der Nahrungsgueterindustrie u.a. Zweigen, beseitigt. Dies geschah durch guenstigen Kauf solcher Kon- kurrenten, ihre Einverleibung in das westdeutsche Unternehmen oder Stillegung, aber auch durch andere Massnahmen, bei der Treuhandentscheidungen Hilfsdienste leisten. Selbst technische Neuerungen in ostdeutschen Betrieben wurden unter vorge- taeuschter Hilfe - oder Kaufabsichten (Beispiel Motorradwerke Zschopau) entwendet. - Zum anderen wurden Vermoegenswerte zu Schleuderpreisen von der Treuhand erworben und zusaetzliche Kapitalleistungen fuer Investitionen und andere Massnahmen erpresst. Obwohl die Treuhand noch keine Vermoegensbilanz vorgelegt hat, muss nach bisher bekannt gewordenen Verkaufserloesen davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Preis der Unternehmen bei nur etwa zehn Prozent des realen An- lagewertes liegt. Zudem ermoeglicht die Aneignung riesiger Immobilien und von Grund und Boden durch westliche Kapitaleigentuemer kuenftige Spekulationsgewinne nicht abzuschaetzenden Ausmasses. Im Ergebnis bisheriger Privatisierung durch die Treuhand ist eine enorme Vermoegensuebertragung von Ost nach West vor sich gegangen, die den Artikel 25, Abs. 3 praktisch ins Gegenteil verkehrt. 3. Mangelnde Fach- und Rechtsaufsicht Artikel 25, Abs. 1, Satz 3 des Einigungsvertrages besagt, dass die Treuhandanstalt der "Fach- und Rechtsaufsicht" des Bundesministers der Finanzen unterliegt. Die Aushoehlung einigungsvertraglicher Bestimmungen ueber Pflichten der Treuhandanstalt korrespondiert so mit mangelnder zentraler Fach- und Rechtsaufsicht ueber die Treuhand, die der Bundesminister der Finanzen zu ver- antworten hat. Dies gilt auch hinsichtlich der bekannt gewordenen (aber auch vertuschten) Treuhandkriminalitaet - der Vorteilsgewaehrung durch Treuhandvertreter gegenueber westdeutschen Banken und Grossunternehmen - der Vorteilsnahme aus der Doppelfunktion von Treuhandfunktion und eigener Unternehmertaetigkeit - der Auspluenderung und Ruinierung von Treuhandbetrieben - der Taeuschung, des Betruges u.a. krimineller Handlungen. 4. "Vergessene" Anteilsrechte Artikel 125, Abs. 6 des Einigungsvertrages bestimmt: "Nach Massgabe des Artikels 10, Abs. 6 des Vertrages vom 18. Mai 1990 (ueber die Wirtschafts-, Waehrungs- und Sozialunion - d.Vf.) sind Moeglichkeiten vorzusehen, dass den Sparern zu einem spaeteren Zeitpunkt fuer den bei der Umstellung 2 : 1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermoegen eingeraeumt werden kann." Die Bundesregierung hat sich selbst nach nunmehr mehr als zwei Jahren mit keinem Wort, keiner Initiative oder Vorschlag zu dieser Frage in der Oeffentlichkeit geaeussert. Antraege im Bundestag, die Bundesregierung aufzufordern, eine Entscheidung zu erarbeiten, wurden abgelehnt. Das ist - selbst wenn Artikel 25, Abs. 6 keinen exakten Zeitpunkt nennt - ein deutlicher Verstoss gegen einen die Buerger der neuen Laender unmittelbar betreffenden Auftrag des Einigungsvertrages. Diese Haltung verstoesst insbesondere gegen die Interessen der aelteren Buergerinnen und Buerger sowie von Menschen mit Behinderungen. Sie koennten eine - zudem bewusst hinausgeschobene - Ermittlung der Ertragsfaehigkeit des volkseigenen Vermoegens nicht mehr erleben. Zugleich sind sie durch ihren anteilig hohen Grundverbrauch am Einkommen mit der Mietentwicklung, dem Vervielfachen der Kosten in Alten- und Pflegeheimen, den gestiegenen Energiekosten und Verkehrstarifen anteilig staerker belastet als andere Bevoelkerungsschichten. Ausserdem wurden auch die von den Buergerinnen und Buergern angesparten Moeglichkeiten der Altersvorsorge ab- gewertet. Zugleich hat die aeltere Generation nach dem Zweiten Weltkrieg entbehrungsreiche Aufbauarbeit geleistet. Doch auch fuer diese Gruppe von Buergerinnen und Buergern wurde die Gewaehrung von Anteilsrechten von Bundestag und Bundesregierung abgelehnt. III Verstoesse gegen Eigentumsregelungen und vertragliche Vereinbarungen im Agrarbereich 1. Aushoehlung der Bodenreform Im Artikel 4 des Einigungsvertrages wurde festgelegt, in das Grundgesetz einen neuen Artikel 143 einzufuegen (mit Beschluss des Deutschen Bundestages am 20.9.1990 geschehen), der in seinem Absatz 3 festlegt, dass "Artikel 41 des Einigungsvertrages und Regelungen zu seiner Durchfuehrung auch insoweit Bestand (haben), als sie vorsehen, dass Eingriffe in das Eigentum auf dem in Artikel 3 dieses Vertrages genannten Gebiet nicht mehr rueckgaengig gemacht werden." Dieser Artikel 41 des Einigungsvertrages lautet: Regelung von Vermoegensfragen (1)Die von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik abgegebene Gemeinsamen Erklaerung vom 15. Juni 1990 zur Regelung offener Vermoegensfragen (Anlage III) ist Bestandteil des Vertrages. ... (3)Im uebrigen wird die Bundesrepublik Deutschland keine Rechtsvorschriften erlassen, die der in Absatz 1 genannten Gemeinsamen Erklaerung widersprechen. Und in dieser Gemeinsamen Erklaerung wird definitiv entschieden: "Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rueckgaengig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Moeglichkeit, die damals getroffenen Massnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, dass einem kuenftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschliessende Entscheidung ueber etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss." Damit wurde eine soziale und wirtschaftliche Grundforderung der demokratischen Oeffentlichkeit der DDR, mit der auch die CDU in den Wahlkampf zog, im Einigungsvertrag festgeschrieben. Das betrifft im besonderen die Enteignungen im Rahmen der Bodenreform. Restitutionsansprueche sogenannter Alteigentuemer wurden ausgeschlossen; allerdings die Moeglichkeit einer Entscheidung zur Gewaehrung staatlicher Ausgleichslei- stungen fixiert. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht hat am 23.4.1991 in einem Verfahren ueber Verfas- sungsbeschwerden von Bodenreform-Enteigneten gegen die am 20.9.1990 beschlossene Grundgesetzaenderung deren Verfassungsmaessigkeit bestaetigt, die entsprechenden Enteignungen als wirksam erklaert, Rueckgaben ausgeschlossen, aber auf eine Ausgleichsregelung hingewiesen. Einigungsvertrag, Grundgesetzergaenzung und Verfassungsgerichtsurteil werden jedoch durch die seitherige Praxis ausgehoehlt: - Obwohl bereits mit dem Einigungsvertrag - also noch vor der Herstellung der staatlichen Einheit - eindeutig geregelt war, dass keine Rueckgabe land- und forstwirtschaftlicher Grundstuecke an zwischen 1945 und 1949 Enteignete erfolgt, wurde bis zum heutigen Tag nicht ueber die langfristige Verfuegung der in Verwaltung der Treuhandanstalt (seit 1.7.1992 in Verwaltung der Bodenverwertungs- und -verwal- tungsgesellschaften GmbH) befindlichen Grundstuecke entschieden. Die Bewirtschaftung dieses Bodens wurde bisher ueber einjaehrige Pachtvertraege gesichert. Da das im Durchschnitt ein Viertel des Bodenfonds der LPG-Nachfolgeunternehmen betrifft, besteht fuer diese Betriebe, die immerhin drei Viertel der landwirtschaftlichen Flaeche der neuen Bundeslaender bewirtschaften, Rechtsunsicherheit mit erheblichen betriebswirtschaftlichen und sogar existenzbedro- henden Konsequenzen. - Einen fruehzeitigen Beleg dieser Aushoehlungspolitik lieferte der bayerische Ministerpraesident Streibl mit einem Brief an Bundesfinanzminister Waigel vom 16.10.1990, in dem er bittet, "... sicherzustellen, dass die in den Jahren 1945 bis 1949 Enteigneten durch Zwischenverfuegungen und Verpachtungen keinen Schaden erleiden und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden." Bis heute erhielten die Agrarbetriebe keine Zwoelfjahrespachtvertraege. - Gemaess dem am 1.7.1992 veroeffentlichten Eckwertepapiere der Gerster-Kommission der Bundestags-Fraktion der CDU/CSU fuer ein Entschaedigungsgesetz, in dem auch die Ausgleichsleistungen fuer mit der Bodenreform Enteignete geregelt werden sollen, ist ein Wiedereinrichterprogramm vorgesehen. Es soll den nichtrestitutionsberechtigten Alteigentuemern den grosszuegig subventionierten Erwerb von Grundstuecken auf Basis Kauf-Pacht ermoeglicht. Dagegen sollen Neu- einrichter sowie Bauern aus eingetragenen Genossenschaften und Gesellschafter anderer LPG- Nachfolgeunternehmen nicht in dieses Programm einbezogen werden. Die Folge waere eine weitgehende Restauration der Eigentumsverhaeltnisse von vor 1945 und ein Entzug der Produktionsbasis der LPG- Nachfolgeunternehmen. 2. Verschleppung der Entschuldung in der Landwirtschaft Im Artikel 25, Abs. 3 des Einigungsvertrages ist festgelegt: "Im Rahmen der Strukturanpassung der Landwirtschaft koennen Erloese der Treuhandanstalt im Einzelfall auch fuer Entschuldungsmassnahmen zugunsten von land- wirtschaftlichen Unternehmen verwendet werden. Zuvor sind deren eigene Vermoegenswerte einzusetzen. Schulden, die auszugliedernden Betriebsteilen zuzuordnen sind, bleiben unberuecksichtigt. Hilfe zur Entschuldung kann auch mit der Massgabe gewaehrt werden, dass die Unterneh- men die gewaehrten Leistungen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Moeglichkeiten ganz oder teilweise zurueckerstatten." Diese Regelung erfolgte aufgrund der starken und zugleich sehr differenzierten Altschuldenbelastung in Hoehe von insgesamt 7,6 Mrd. DM, die fuer einen Teil der Unternehmen existenbedrohend ist. Mit einem Volumen von 1,4 Mrd. DM machte die Bundesregierung von dieser im Einigungsvertrag gegebenen Moeglichkeit Gebrauch. Antraege auf Entschuldung konnten bis 31. Maerz 1991 gestellt werden. Seitens der Treuhandanstalt wurden zwischenzeitliche Entschuldungsbescheide verschickt. Bis Mitte August 1992 beliefen sich die tatsaechlich realisierten Entschuldungsvereinbarungen auf nicht einmal 20 Mill. DM. Ursache dieses unzureichenden Standes ist die praktizierte Verknuepfung von Teilentschuldung und Regelung der Behandlung der ver- bliebenen Altschulden. Hierfuer setzte der Bundesfinanzminister betrieblich kaum akzeptierbare Bedingungen; zugleich verschleppen die Banken den Abschluss von Rangruecktrittsvereinbarungen. Eine Folge ist, dass bereits fuer eine Reihe von Betrieben jede Ent- schuldung aufgrund Gesamtvollstreckung (Konkurs) zu spaet kommt und der groesste Teil der Betriebe infolge der Verschleppung der Entschuldung keine Investiti- onskredite und damit auch keine investiven Foerde- rungsmittel erhaelt. Damit widerspricht die Entschul- dungspraxis dem Geist der Regelung im Artikel 25 Einigungsvertrag. 3. Verletzung des Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LAG). Im Einigungsvertrag, Anlage II, Kapitel VI. ist ge- regelt, dass das Landwirtschaftsanpassungsgesetz vom 24. Juni 1990 (LAG) zum fortgeltenden DDR-Recht gehoert. In diesem Gesetz ist u.a. folgendes festgelegt: 2 Gleichheit der Eigentumsformen Alle Eigentums- und Wirtschaftsformen, die baeuerlichen Familienwirtschaften und freiwillig von den Bauern gebildete Genossenschaften sowie andere landwirtschaftliche Unternehmen erhalten im Wettbewerb Chancengleichheit. 3 Zielbestimmung des Gesetzes Dieses Gesetz dient der Entwicklung einer vielfaeltig strukturierten Landwirtschaft und der Schaffung von Voraussetzungen fuer die Wiederherstellung leistungs- und wettbewerbsfaehiger Landwirtschaftsbetriebe, um die in ihnen taetigen Menschen an der Einkommens- und Wohl- standsentwicklung zu beteiligen. Mit Geltung vom 7. Juli 1991 an wurde dieses Landwirtschaftsanpassungsgesetz neu gefasst. - Die von der Bundesregierung gesetzten Rahmenbedingungen gewaehrleisten jedoch keineswegs die im 2 LAG verankerte Chancengleichkeit aller Eigentums- und Wirtschaftsformen. LPG- Nachfolgeeinrichtungen, insbesondere Genossen- schaften, werden diskriminiert. Zum Beispiel gingen 1991 in PG-Nachfolgeeinrichtungen lediglich 7,5 Prozent der eingesetzten bzw. 4,7 Prozent der im Haushalt vorgesehenen Mittel fuer die einzelbetriebliche Investitionsfoerderung (Zuschuesse und Zinsverbilligung). Der grosse Rest ging in Familienbetriebe bzw. wurde umgeschichtet. Eine Wende zeichnet sich auch 1992 nicht ab. Die Beispiele waeren fortsetzbar. - Mit der Novellierung des LAG wurde als Kernfrage die Vermoegensauseinandersetzung in der LPG neu geregelt. Die danach verbindliche Aufteilung des Eigenkapitals wird der historischen und oekonomischen Entwicklung der LPG in keiner Weise gerecht. Die Folgen sind eine im Ausmass nicht gerechtfertigte Kapitalumverteilung an landbesitzende Mitglieder, ein Kapitalabfluss, der in seiner Hoehe weder wirt- schaftlich begruendet noch vertretbar ist und eine vielfache Zerstoerung der Genossenschaften aufgrund des vom Gesetzgeber verschaerften statt entspannten Interessenkonflikts. Damit wendet sich die Novellierung gegen die zitierte und laut Einigungsvertrag geltende Zielstellung des Gesetzes. IV. Frauen als Verliererinnen der Einheit 1. Statt weiterentwickelter Gleichberechtigung - Vertiefung der Ungleichheit Artikel 31, Abs. 1 des Einigungsvertrages besagt: "Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Maennern und Frauen weiterzuentwickeln." Mit dieser Festlegung haette man die Hoffnung auf gesetzgeberische Schritte und praktische Verbesserungen der Lage der Frauen in Ost wie West verbinden koennen. Tatsache ist jedoch, dass sich im direkten Gegensatz zur Verpflichtung des Artikels 31 die Lage der Frauen in Ostdeutschland sozial und rechtlich besonders tiefgehend verschlechtert hat. Frauenrechte und sozialpolitische Massnahmen, in der DDR selbstverstaendlich, wurden rigoros abgebaut. - Der Anteil der Frauen an der Erwerbslosigkeit betraegt inzwischen 67,2 Prozent und steigt weiter. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt mit etwa 25 % weit ueber jener der Maenner. Sie werden weniger in neue Arbeitsplaetze vermittelt als Maenner, ihr Anteil an VorruhestaendlerInnen liegt weit ueber dem der Maen- ner. Es fehlt in der Arbeitsmarktpolitik an gezielten Massnahmen gegen Frauenarbeitslosigkeit wie etwa die Vergabe von mindestens der Haelfte der Arbeits- und Ausbildungsplaetze an Frauen, besonders alleinerziehende und junge Frauen. - Stattdessen werden Frauen aus dem Erwerbsleben massiv und systematisch an Heim und Herd gedraengt, von qualifizierten Berufen und Aufstiegschancen ausgeschlossen. Sie sind ihrer Rechte auf eigenstaendige Lebens- und Berufsplanung verlustig gegangen. Mit Vorruhestand, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit erfolgt eine Erosion ihrer sozialen Identitaet. - Genommen wird den Frauen mit dieser Entwicklung ihre soziale und oekonomische Eigenstaendigkeit. Sie werden wieder verstaerkt ueber den Mann definiert und sind von diesem abhaengig. Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld statt eigenem Einkommen, Minirenten im Alter, soziale Degradierung und Armut nehmen zu. Im Vergleich zu den Maennern niedrigere Loehne druecken Vorruhestands- oder Altersuebergangsgeld nach unten, das wiederum senkt die Altersrente. Armut droht auch alleinerziehenden, auslaendischen und behinderten Frauen. Von den Ende 1989 in der DDR ausgewiesenen 340 000 alleinerziehenden Muettern ist heute bereits jede sechste ohne Erwerbsarbeit. - Statt im Einigungsvertrag angekuendigter weiterentwickelter Gleichberechtigung ist der Aufschwung patriarchalischer Tendenzen und reaktionaerer Frauenpolitik kennzeichnend. Frauenfeindlichkeit, Gewalt gegen Frauen und Maedchen sind an der Tagesordnung. Den Frauen wird das Selbstbestimmungsrecht ueber den eigenen Koerper abgesprochen und den neuen Laendern der frauenfeindliche 218 mit Zwangsberatung uebergestuelpt. 2. Entzug von Grundlagen fuer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Artikel 31, Abs. 2 bestimmt als "Aufgabe des ge- samtdeutschen Gesetzgebers, angesichts unter- schiedlicher rechtlicher und institutioneller Aus- gangssituationen bei der Erwerbstaetigkeit von Muettern und Vaetern die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten." In der Realitaet ist ein Entzug bisheriger Grundlagen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf fuer die Mehrheit der ostdeutschen Frauen eingetreten. Zahlreiche sozialpolitische Massnahmen in der DDR hatten gerade die Frauen als Zielgruppe. Abschaffung oder Ein- schraenkung dieser Rechte - im Widerspruch zum zitierten Art. 31 Abs. 2 und Abs. 3 (Weiterfuehrung der Einrichtungen zur Tagesbetreuung der Kinder) - trifft die Frauen hart. - Die Schliessung von Kindertagesstaetten, die Verkuerzung der Oeffnungszeiten von Kitas und Horten sowie die Verteuerung der Plaetze verschlechtern die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung fuer nicht wenige Frauen drastisch und zwingen sie zurueck in den Haushalt. - Der im Vergleich zu den alten Laendern weitaus grosszuegigere Schwangerschafts- und Wochenurlaub wurde radikal gekuerzt. Die Freistellung zur Pflege kranker Kinder und der besondere Kuendigungsschutz fuer Alleinerziehende fielen entweder Ende 1991 weg oder wurden durch unguenstigere bundesdeutsche Regelungen ersetzt. Die in der DDR stark ausgepraegten Elemente einer eigenstaendigen sozialen Sicherung der Frauen werden durch die weitgehende Uebernahme der BRD-Sozialverfassung auf bun- desdeutsches Marginal-Niveau reduziert. Besonders dramatisch wirkt sich dies fuer alleinerziehende Frauen aus. - Auch andere neue Regelungen verschlechtern die Situation. So verschlechtert sich mit dem Unterhaltsvorschussgesetz das Prinzip der Besitzstandswahrung. (Gewaehrung von Un- terhaltsvorschuss anstatt bis zum 18. Lebensjahr fuer die Dauer von 216 Monaten nur noch bis zum 12. Lebensjahr fuer 72 Monate). Das in der Regel der Mutter gezahlte Erziehungsgeld von 600,-- DM liegt weit unter ihrem bisherigen monatlichen Durchschnittsverdienst. Die im Bundeserziehungsgeldgesetz eingeraeumte Wahlfreiheit der Eltern, wer von ihnen Leistungen in Anspruch nimmt, wird durch den ca. 30 % geringeren Verdienst von Frauen aus materiellen Erwaegungen heraus in der Familie vorbestimmt. Bei der Regelung ueber 600,-- DM Erziehungsgeld ist ausserdem das Existenzminimum weder eines Elternteils noch des Kindes gesichert, geschweige denn das von Alleinerziehenden mit mehreren Kindern. V. Bruch und Aushoehlung rentenrechtlicher Regelungen 1. Rentenkuerzungen Es muss zunaechst festgestellt werden, dass das Rentenueberleitungsgesetz, erlassen aufgrund Artikel 30, Abs. 5 des Einigungsvertrages, in mehrfacher Hinsicht das Grundgesetz verletzt und auch gegen die generelle Zielvorgabe fuer die Rentenueberleitung laut Eini- gungsvertrag verstoesst, dass "die Ueberleitung von der Zielsetzung bestimmt sein (soll), mit der Angleichung der Loehne und Gehaelter in im in Artikel 3 genannten Gebiet an diejenigen in den uebrigen Laendern auch eine Angleichung der Renten zu verwirklichen". Ueber eine Million Rentner erhalten mit der Ueberleitung durch den Wegfall unterschiedlicher Zuschlaege jedoch eine gekuerzte Altersversorgung. Ohnehin schon schlechter gestellt als die noch arbeitende Bevoelkerung Ostdeutschlands, deren Tarifvertraege gegenwaertig 60 - 65 % der Einkommen von Vergleichsgruppen der alten Bundeslaender vorsehen, liegen fuer sie die Renten nach der Beschlussfassung im Durchschnitt bei 50,8 % vergleichbarer Altersbezuege in den westlichen Laendern, obwohl die Lebenshaltungskosten inzwischen nahezu gleich sind. 2. Rentenstrafrecht Das Rentenueberleitungsgesetz betaetigt sich gegenueber Empfaengern und Empfaengerinnen von Zusatz- und Sonderversorgungen als politisches Strafrecht. Dabei bricht es bewusst und gewollt die Regelungen des Einigungsvertrages, wie die Begruendung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vom 23.4.1991, Drucksache 12/405 des Deutschen Bundestages expressiv verbis ausweist: "Nach dem Einigungsvertrag sind Ansprueche und Anwartschaften aus Zusatz- und Son- derversorgungssystemen in die Rentenversicherung zu ueberfuehren. Der Einigungsvertrag sieht hierfuer bestimmte Massgaben vor, deren Einhaltung weder zu sachgerechten noch zu sozialpolitisch vertretbaren Ergebnissen fuehren wuerde. Die Vorgaben des Einigungsvertrages hinsichtlich einer Ueberfuehrung durch Rechtsverordnung sind deshalb nicht einzuhalten." Im Konkreten bedeutet dieser Vertragsbruch: - Kappung der Altersversorgung fuer rund 360 000 Bezieherinnen und Bezieher und rund 1 Million Anwartschaften (also Wirkung noch rund 30 Jahre) von Zusatz- und Sonderversorgungen - Das sind die Angehoerigen der wissenschaftlich- technischen, kuenstlerischen, aerztlichen und paedago- gischen Intelligenz, des Staatsapparates, der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen sowie der bewaffneten Organe der DDR. - Anerkannt wird nicht das tatsaechliche Einkommen bei der Rentenberechnung, sondern nur ein bestimmter Prozentsatz des jaehrlichen Durchschnittseinkommens aller Beschaeftigten von 180 % fuer die Intelligenz, 100 % fuer die "staatsnah" Beschaeftigten und 70 % fuer MfS-Angehoerige mit sofortiger Kuerzung auf max. 802 DM. 3. Verstoss gegen Vertrauens- und Besitzbestandsschutz In der Anlage II des Einigungsvertrages, Kapitel III, Sachgebiet H (gesetzliche Rentenversicherung) Abschnitt III, Ziffer 9b (Regelungen fuer Sonder- und Zusatzversorgungssysteme) heisst es: "Bei Personen, die am 3. Oktober 1990 leistungs- berechtigt sind, darf bei der Anpassung nach Satz 3 Nr. 1 der Zahlbetrag nicht unterschritten werden, der fuer Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen waren. Bei Personen, die in der Zeit vom 4. Oktober 1990 bis 30. Juni 1995 leistungsberechtigt werden, darf bei der Anpassung nach Satz 3 Nr. 1 der Zahlbetrag nicht unterschritten werden, der fuer Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen gewesen waere, wenn der Versorgungsfall am 1. Juli 1990 eingetreten waere." Dieser Bestandsschutz wird durch das Renten- ueberleitungsgesetz, bzw. das Anspruchs- und An- wartschaftsueberleitungsgesetz in doppelter Weise aufgeloest. - er gilt nur bis zu einem Hoechstbetrag von 2.010,-- DM, - er gilt nur fuer bestehende Versorgungen und Neuzugaenge bis Ende 1993. Beide Regelungen - und darauf beruhende Entscheidungen - verstossen gegen den Einigungsvertrag und stellen Vertrags- und Vertrauensbruch dar. Dies bestaetigten auch zwei Entscheidungen des Sozialgerichtes Berlin zu der Frage, ob Altersver- sorgungen aus Zusatzversorgungssystemen der Intelligenz auf den Hoechstbetrag gekuerzt werden durften. "Das Gericht verurteilte die BfA dazu, die Kuerzungen rueckgaengig zu machen und den Klaegern mindestens den Gesamtzahlbetrag weiterhin monatlich zu gewaehren, der ihnen fuer den Monat Juli 1990 zugestanden hatte. Das Gericht stuetzte sich dabei auf die Bestandsgarantie des Einigungsvertrages: Der Einigungsvertrag schreibt vor, dass auch bei der zukuenftigen Anpassung von Altersrenten aus der Zusatzversorgung der Zahlbetrag nicht unterschritten werden darf, der fuer Juli 1990 zu gewaehren war." (Zitiert aus Pressemitteilung des Praesidenten des Sozialgerichts Berlin vom 13. Maerz 1992) 4. Kuerzung oder Aberkennung von Ehrenpensionen (Entschaedigungsrenten) Der Einigungsvertrag sah in Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III, Punkt 5 die Moeglichkeit einer Kuerzung von Ehrenpensionen fuer Verfolgte des Faschismus vor. Mit einem Entschaedigungsrentengesetz wird jedoch angestrebt - einer pauschalen Kuerzung der Ehrenpensionen Tuer oder Tor zu oeffnen - Aberkennungen vorzunehmen - eine Verfahrensregelung einzufuehren, die ueber den Einigungsvertrag und seine Durchfuehrungs- und Auslegungsvereinbarungen hinausgeht und schaerfer als im Rentenueberleitungsgesetz fixiert ist. Die Ehrenpension erhielten noch rund 9.000 Personen, davon ein Drittel als Kaempfer gegen Faschismus 1.700 DM, ein Drittel als Verfolgte das Faschismus 1.400 DM (jetzt als Entschaedigungsrenten einheitlich 1.400 DM), das letzte Drittel sind Hinterbliebene. Etwa drei Viertel der Bezieherinnen und Bezieher der Ehrenpension sind ueber 75 Jahre alt, die Haelfte gar ueber 80 und knapp ein Viertel ueber 85 Jahre. Es sind also nicht vorrangig die finanziellen Belastungen, die die Bundesregierung zum Handeln treiben, sondern politische Absichten. VI. Verstoesse gegen weiter Sozialbestimmungen 1. Mietenexplosion ohne Einkommenszuwaechse Anlage I des Einigungsvertrages, Kapitel XIV, Abschnitt II, Punkt 7 (Aenderung des Gesetzes zur Regelung der Miethoehe) ermaechtigt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung, "den hoechstzulaessigen Mietzins unter Beruecksichtigung der Einkommensentwicklung schrittweise" zu erhoehen. Sowohl mit der ersten (zum 1. 10. 1991) als auch mit der zweiten (zum 1. 1. 1993) Verordnung ueber die Erhoehung der Grundmieten wird gegen diese Festlegung verstossen. - Die im Einigungsvertrag enthaltene Formulierung, die die Bundesregierung ermaechtigt, "... den hoechstzulaessigen Mietzins unter Beruecksichtigung der Einkommensentwicklung" festzusetzen, wurde offenbar mit Absicht so unverbindlich gewaehlt. Sie sollte den Eindruck erwecken, dass die Miete etwa im Gleich- schritt mit der Einkommenssteigerung angehoben werden sollte. Darueber hinaus verdeckte der Begriff "Mietzins" - in der DDR im landlaeufigen Sinne als Bruttomiete verstanden - die Tatsache, dass die Betriebskosten um ein Mehrfaches schneller als die Grundmieten steigen wuerden. Das Ergebnis ist, dass mit der am 1. 10. 1991 wirksam gewordenen Mieterhoehung (einschliesslich Be- triebskostenumlagen) die Wohnkosten in den ostdeutschen Laendern auf das Vier- bis Siebenfache angestiegen sind. Die ab 1. 1. 1993 wirksam werdende 2. Mieterhoehung steigert diese Erhoehung noch erheblich weiter bis auf das Neun- bis Zehnfache. Fuer die Einkommensentwicklung gibt es keine verlaesslichen Daten. Die Bundesregierung stuetzt sich auf Schaetzungen und Durchschnittsangaben, um einen Mietanstieg im Gleichklang mit den Einkommen zu behaupten. Gerade hier liegt die Verfaelschung des Einigungsvertrages. Angesichts des generell niedrigen Einkommensniveau in den ostdeutschen Laendern bedeutet eine solche enorme Mietsteigerung eine krasse Veraenderung der Verwendungs- struktur des Haushaltseinkommens. Fuer Arbeitslose und Rentner ist dabei - trotz Wohngeld - die Verminderung des nach Mietzahlung verfuegbaren Einkommens noch staer- ker. Analyse des Deutschen Mieterbundes fuer Ostberlin: Rund 10 Prozent aller Haushalte muessen auch mit Wohngeld mehr als 30 Prozent ihres Haushaltseinkommens fuer die Miete einsetzen. 18 Prozent der Haushalte zahlen mehr als ein Viertel ihres Einkommens. Bei Ein- Personen-Rentnerhaushalten muss jeder fuenfte - trotz Wohngeld - ueber 30 Prozent der Rente fuer die Wohnung ausgeben, und rund ein Drittel dieser Haushalte zahlt mehr als ein Viertel der Rente. - Der Einigungsvertrag enthaelt keine direkte Aussage ueber den kuenftigen Status der bisher volkseigenen bzw. genossenschaftlichen Wohnungen. Bei sinngemaesser Anwendung des BRD-Rechtes haetten diese Wohnungen aufgrund der Tatsache, dass ihr Bau zum groessten Teil mit oeffentlichen Mitteln aus dem Staatshaushalt fi- nanziert wurde, den Status von Sozialwohnungen mit entsprechenden Konsequenzen fuer Mietpreis- und Bele- gungsbindung erhalten muessen. Das ist nicht ge- schehen. Mit einem ganz ueblen Trick - fuer ehemalige DDR-Buerger nicht durchschaubar - wurden diese rund vier Millionen Wohnungen dem Gesetz zur Regelung der Miethoehe unterworfen und damit hinsichtlich der Mietpreisbildung dem sogenannten freifinanzierten Wohnungsbau gleichgestellt. Im neu hinzugefuegten Paragraphen 11 des Miethoehegesetzes heisst es dazu in Absatz 3: "... den hoechstzulaessigen Mietzins... schrittweise mit dem Ziel zu erhoehen, die in Para- graph 2 Absatz 1, Satz 1 Nr. 2 bezeichnete Miete zuzulassen." Hinter diesem Juristenkauderwelsch verbirgt sich die sogenannte ortsuebliche Ver- gleichsmiete. Damit hat sich die Lage in den ostdeutschen Laendern gegenueber den Altbundeslaendern und Westberlin, wo es noch einen Teil Sozial- wohnungen gibt, verschlechert. 2. Aushoehlung gesundheitlicher Grundsatzbestimmungen Krankenkassen Die Festlegungen des Einigungsvertrages schufen faktisch eine zeitweilige "Regionalisierung" in Alt- und Neubundeslaender. So heisst es im Einigungsvertrag, Anlage 1, Kap. VIII, Sachbiet G, Abschnitt II: Paragr. 313 Finanzierung (1) Bis zur Angleichung der wirtschaftlichen Ver- haeltnisse in dem in Artikel 3 des Eini- gungsvertrages genannten Gebiet an das Niveau im uebrigen Bundesgebiet haben Krankenkassen, die ihre Zustaendigkeit auf das in Artikel 3 des Ei- nigungsvertrages genannte Gebiet erstrecken, in Ergaenzung der in 220 vorgesehenen Regelungen in ihrem Haushalt die Einnahmen und Ausgaben fuer die Durchfuehrung der Versicherung in diesem Ge- biet getrennt auszuweisen. Dies gilt auch fuer den Rechnungsabschluss sowie fuer Ge- schaeftsuebersichten und Statistiken. Die Kran- kenkassen duerfen fuer die Finanzierung der Aus- gaben, die auf das in Artikel 3 des Einigungs- vertrages genannte Gebiet entfallen, nur die Einnahmen aus der Durchfuehrung der Versicherung in diesem Gebiet verwenden; entsprechend ist ein besonderer Beitragssatz festzulegen. Die Krankenkassen in den neuen Bundeslaendern haben 1991 ein Finanzvolumen von fast 2,6 Mrd. angespart. Bisherige Schaetzungen sagen fuer 1992 in den Kran- kenkassen Ost ein Defizit von ca. 250 Mio DM voraus, was nur ein Bruchteil (9,6 %) der Einsparsumme 1991 ausmacht. Durch das sich gegenwaertig in der parlamentarischen Debatte befindliche Gesundheitsstrukturgesetzt (soll noch im Oktober 1992 verabschiedet werden), wird der erwaehnten zweiteiligen Regionalisierung, ein- schliesslich der vorerst getrennten Kassenfuehrung, sowie der konkreten Situation der Leistungsempfaenger und Leistungsanbieter in den neuen Bundeslaendern nicht entsprochen. Der Gesetzenwurf basiert allein auf der Analyse der Situation in den alten Bundeslaendern, die erweiterten Zuzahlungen in Hoehe von 3,2 Mrd. DM, die Einsparungen bei Aerzten, der Pharmaindustrie usw. betreffen jedoch die Alt- wie Neubundeslaender. Die ausschliesslich im Westen entstandenen Defizite sollen also durch den Osten mit getragen werden. Von dieser geplanten Nicht- einhaltung des Einigungsvertrages sind alle fuer in der DDR gesetzlich Versicherten und auch die dort angesiedelten Leistungsanbieter (z.B. die zwangsniedergelassenen aelteren Aerzte und Aerztinnen) betroffen. Gesundheitswesen - stationaere Versorgung Artikel 33 des Einigungsvertrages besagt: "(1) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die Vor- aussetzungen dafuer zu schaffen, dass das Niveau der stationaeren Versorgung der Bevoelkerung in dem in Artikel 3 genannten Gebiet zuegig und nachhaltig verbessert und der Situation im uebrigen Bundesgebiet angepasst wird." Die Finanzierung des auf ueber 30 Mrd. DM geschaetzten investiven Nachholebedarfs muesste durch ein auf ca. zehn Jahre angelegtes gemeinsames Investitions- programm von Bund und den neuen Laendern gesichert werden. In ihrer Antwort auf eine Anfrage nach der Art der Realisierung des Auftrages des Art. 33 Einigungs- vertrag nimmt sich die Bundesregierung jedoch ab Anfang 1993 aus der Verantwortung fuer eine zuegige und nachhaltige Verbesserung der Situation in den neuen Bundeslaendern heraus, indem sie den investiven Nachholebedarf fuer Krankenhaeuser den Laendern und Kommunen ueberlaesst. Es heisst in Drucksage 12/3115 des Deutschen Bundestages vom 29.7.92: "Die neuen Laender haben jetzt die Aufgabe, mit ihrer gestaerkten Fi- nanzausstattung ihre originaeren Aufgaben zu erfuel- len. Zusaetzliche Mittelzuweisungen fuer Einzelbe- reiche sind nicht moeglich. Auch eine Ausnahme zugunsten der Krankenhaeuser ist derzeit nicht machbar." Der Verweis auf die "gestaerkte Finanzausstattung" der neuen Laender ist angesichts ihrer prekaeren Haushaltslage eine Verhoehnung des Ei- nigungsvertrages. Die Defizite der ostdeutschen Laender und Gemeinden steigen von 9,3 Mrd. DM 1991 auf 33,8 Mrd. DM 1994 und 1995 gar auf 62 Mrd. DM (Berechnungen des DIW). Gesundheitswesen - ambulante Behandlung Anlage I des Einigungsvertrages, Kapitel VIII, Sachgebiet t, Abschnitt II hatte festgelegt, dass in den neuen Laendern aerztlich geleitete kommunale, staatliche und freigemeinnuetzige Gesundheitsein- richtungen, einschliesslich Polikliniken, Ambulato- rien u.a. kraft Gesetzes bis 31.12.1995 zur am- bulanten Versorgung zuzulassen sind und eine Verlaengerung der Zulassung moeglich ist. Die am- bulante Versorgung wird im bundesdeutschen Gesund- heitssystem durch den Sicherstellungsauftrag ueber die kassenaerztliche Vereinigung niedergelassener Aerzte organisiert. Obwohl seit mehr als zehn Jahren allen Gesund- heitspolitikern klar ist, dass dieses System kosten- treibend und dringend reformbeduerftig ist, wurde die Versorgung in den neuen Bundeslaendern gleichartig gestaltet. Polikliniken, staatliche Arztpraxen, Dispensaireein- richtungen wurden abgewickelt und liquidiert. In der Existenzberechtigung von Polikliniken und Ambulatorien in den neuen Bundeslaendern bis 31. 12. 1995 sah die kassenaerztliche Vereinigung der nieder- gelassenen Aerzte ihre Monopolstellung in der ambu- lanten Versorgung gefaehrdet und trieb - entgegen den Festlegungen des Einigungsvertrages - zusammen mit kommunalen und Landesbehoerden einen Grossteil der Aerztinnen und Aerzte in die Niederlassung (derzeit ca. 90 %). Mehr als ein Drittel davon sind aelter als 50 Jahre. Muessen diese mit 65 Jahren in den Ruhe- stand (wie es das Gesundheitsstrukturgesetz vorsieht), ist ihre Existenz und Alterssicherung gefaehrdet. Hier haben Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker versagt, denn Alterna- tivvorstellungen fuer die ambulante Versorgung sind heute mehr denn je gefragt. VII. Zerstoerung der geistig-kulturellen Struktur 1. Untergrabung statt Erhaltung kultureller Substanz "Die kulturelle Substanz in dem in Artikel 3 genannten Gebiet darf keinen Schaden nehmen." (Art. 35.2 des Einigungsvertrages). Diese Grundaussage des Kapitels VIII. des Einigungsvertrages ueber Kultur, Bildung und Wissenschaft, Sport ist zu einer leeren Huelse geworden. Die kulturelle Substanz hat nicht nur Schaden genommen, sondern ist in ihrer Existenz bedroht. - Seit der Vereinigung mussten in den neuen Bundeslaendern jedes zweite Kino und jede vierte Bibliothek schliessen, die Zahl der Kulturhaeuser ging um 15 %, die der Jugendzentren um 40 % zurueck. - Theater, Orchester, Museen, Gedenkstaetten leiden dramatische Finanznot, sind unterbesetzt, muessen Spielplangestaltung oder Oeffnung einschraenken oder sind teilweise schon geschlossen worden. - Fuer Kuenstler sind die Ateliermieten in Grossstaedten zwischen 500 und 2000 Prozent gestiegen bei gleichzeitiger Abnahme der Auftraege. Staatliche Unterstuetzung ist gekuerzt oder weggefallen. Viele Kuenstler sind in direkte soziale Notlage geraten. - Bei Verwirklichung der Plaene fuer die Reduzierung der Wissenschafts- und Hochschullandschaft wird es nach einer Schaetzung der "Initiative" fuer die Wis- senschaft in den neuen Bundeslaendern" in Ostdeutsch- land pro 10 000 Einwohner nur noch etwa 12 in Forschungsbereichen Taetige geben, gegenueber 69 in den alten Bundeslaendern (in Ungarn 35, in Polen 25). Eine Gruppe renommierter Wissenschaftler der Freien Universitaet Berlin charakterisiert die Entwicklung folgendermassen: "Der Vereinigungsprozess beider deutscher Staaten bedeutet fuer die ehemalige DDR die Stillegung vieler wissenschaftlicher Einrichtungen und die Freisetzung von WissenschaftlerInnen und wissenschaftlich- technischem Personal in einer Groessenordnung, die einmalig in der bisherigen Geschichte ist und deren Folgen kaum absehbar sind. Damit droht die Zerstoerung eines betraechtlichen Teils der wissen- schaftlichen Kapazitaeten im oestlichen Teil Deutschlands als Beitrag zu dessen geistig- kultureller Veroedung." (Zitiert aus: Weissbuch - Unfrieden in Deutschland, S. 335) 2. Finanzieller Kollaps fuer Kultur In Art. 35, Abs. 6 und 7 wird zur Finanzierung kul- tureller Angelegenheiten festgelegt: "(6) Der Kulturfonds wird zur Foerderung von Kultur, Kunst und Kuenstlern uebergangsweise bis zum 31. Dezember 1994 in dem in Artikel 3 genannten Gebiet weitergefuehrt. Eine Mitfinanzierung durch den Bund... wird nicht ausgeschlossen..." "(7) Zum Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands kann der Bund uebergangsweise zur Foerderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Massnahmen und Einrichtungen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet mitfinanzieren." Im Bundeshaushalt sind fuer Substanzerhaltung und Foerderung der kulturellen Infrastruktur im Sinne des Einigungsvertrages und als Zuschuss des Bundes an die Stiftung Kulturfonds von 1991 mit 1.097.000 TDM bis 1993 mit 316.000 TDM sich drastisch verringernde Mittel vorgesehen. (Zum Vergleich: Die Zuwendung des Bundes allein an die Kunst- und Ausstellungshalle der BRD soll 1993 die Summe von 30 000 TDM erreichen!) Mit Ablauf des Haushaltsjahres 1993, also bereits fuer 1994, sollen entgegen den Festlegungen des Einigungsvertrages diese Mittel wegfallen. Das bedeutet: - Schon jetzt sind diese Mittel voellig unzureichend und ueberdies noch weitaus geringer als die Mittel fuer Einrichtungen in den westlichen Bundeslaendern. Zwei Beispiele aus Berlin: Die Staatlichen Schauspielbuehnen erhalten ueber 40 Mio DM, das vergleichbare Deutsche Theater ein Drittel dessen = 13,8 Mio. DM; die Deutsche Oper in Westberlin verfuegt ueber einen 80-Millionen-Etat, die Staatsoper in Ostberlin nur ueber 37 Millionen. - Mit dem Wegfall der Bundeszuschuesse 1994 muessten die ostdeutschen Laender und Kommunen 90 - 95 Prozent der Kulturausgaben tragen, angesichts ihrer Finanzlage ist der "Zusammenbruch einer jahrhundertealten Kulturszene", wie es die Theater-Intendanten der Stadt Dresden formulierten, programmiert. - Soll die Verpflichtung aus Art. 35 des Eini- gungsvertrages nicht ad absurdum gefuehrt werden, so muss sie laengerfristige Aufgabe fuer den Bund sein. Es ist pure Illusion anzunehmen, die neuen Laender koennten im Verlaufe von zwei - drei Jahren eine finanzielle/wirtschaftliche Leistungskraft erringen, um die kulturelle Landschaft zu erhalten. 3. Ruinierung der Wissenschaftslandschaft - Die eigentliche Verletzung der Aussage des Art. 38, dass "Wissenschaft und Forschung... auch im vereinten Deutschland wichtige Grundlagen fuer Staat und Gesellschaft (bilden)", erfolgt mit Hilfe der Bestimmungen der Anlage I des Vertrages, Kapitel XIX - Recht der im oeffentlichen Dienst stehenden Personen -. Sie gaben die Moeglichkeit, alle oeffentlich Bediensteten - also auch die Wis- senschaftler, Lehrer u.a. Bereiche der Intelligenz - erst einmal ausserhalb der Grundrechte des Grundgesetzes anzusiedeln, zu Unpersonen oder Unrechtspersonen zu erklaeren und von daher die uebergrosse Mehrheit der Intelligenz auszusieben. So wurde jene bereits zitierte Zerstoerung der wissenschaftlichen Kapazitaeten und der geistig- kulturellen Sozialstruktur erreicht, die den Aussagen ueber Wissenschaft und Forschung als Grundlage fuer Staat und Gesellschaft im vereinten Deutschland ins Gesicht schlaegt. - Gleichwohl stellt die Praxis der Evaluierung und Abwicklung wissenschaftlicher Einrichtungen auch einen direkten Verstoss gegen die Bestimmung von Artikel 38, Abs. 1, Satz 2 dar, der die Erhaltung leistungsfaehiger Einrichtungen nach Begutachtung durch den Wissenschaftsrat fordert. In nicht wenigen Faellen, die auch oeffentlich dokumentiert sind (vergleiche Weissbuch - Unfrieden in Deutschland, S. 333 - 383), wurde in gar nicht gutachterlicher, sondern selbstherrlicher, arroganter, von wenig Sachkompetenz getragener Art mit international be- kannten Wissenschaftlern und wissenschaftlich lei- stungsfaehigen Einrichtungen umgegangen. Gegenueber vielen Einrichtungen bestanden politische Vorur- teile, andere wurden nicht einmal im eingeschraenkten Sinne "begutachtet", vielen erneuerungswilligen und -faehigen Kraeften keine Chance fuer die Durchsetzung neuer Wissenschaftskonzepte gegeben. - Einen direkten Verstoss gegen Art. 38, Abs. 2 des Einigungsvertrages stellen auch die administrativ angeordnete Beendigung der Taetigkeit der Gelehr- tensozietaet der Akademie der Wissenschaften und das Erloeschen der Mitgliedschaft ihrer Gelehrten dar. Art. 38, Abs. 2 geht klar von der Auffassung aus, dass die Taetigkeit der Gelehrtensozietaet fortgefuehrt wird und lediglich ueber das Wie landesrechtlich ent- schieden wird. Der Berliner Senat hat diesen Tatbe- stand ins Gegenteil verkehrt. VIII. Verstoss gegen grundsaetzliche rechtliche Bestimmungen 1. Fortsetzung der Entrechtung fuer Zehntausende Kapitel XIX der Anlage I des Einigungsvertrages, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1, Abs. 4 enthaelt folgende Regelung: "(4) Die ordentliche Kuendigung eines Arbeitsver- haeltnisses in der oeffentlichen Verwaltung ist auch zulaessig, wenn 1. der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persoenlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht oder 2. der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder 3. die bisherige Beschaeftigungsstelle ersatzlos aufgeloest wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Aenderung des Aufbaues der Beschaeftigungsstelle oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr moeglich ist... Dieser Absatz tritt nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Wirksamwerden des Beitritts ausser Kraft." Mit Hilfe dieser und anderer Festlegungen des Kapitels XIX ueber Rechtsverhaeltnisse im oeffentlichen Dienst stehender Personen sind in den vergangenen zwei Jahren mehr als 600 000 Angestellte, Arbeiter, Wissenschaftler, Paedagogen, Techniker, Mediziner, Kuenstler und Angehoerige anderer Berufsgruppen abge- wickelt, in Arbeitslosigkeit oder Altersuebergangsgeld unter Umgehung gesetzlicher Schutzrechte entlassen worden. Sie waren die Grundlage des mit dem Anschluss der DDR von den Regierenden in Bonn praktizierten personellen Kahlschlages. Jetzt soll sogar die auf zwei Jahre festgelegte Be- grenzung beseitigt und die grundgesetzwidrige Kuendigungsklausel von Oktober 1992 auf Dezember 1993 - also um 1 1/4 Jahre verlaengert werden. In der Begruendung eines entsprechenden Gesetzentwurfes heisst es: "Eine Verlaengerung der Frist fuer die Bedarfskuendigung nach Anlage I Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1 Abs. 4 des Einigungsvertrages bis zum 31. Dezember 1993 wuerde die Ergebnisse im Personalabbau der neuen Laender erheblich erbessern." (Bundestagsdrucksache 12/2794 vom 12. 6. 92) Dies bedeutet die Ermaechtigung fuer Bedarfskuendigungen und Willkuermassnahmen gegen bisher noch nicht erfasste Missliebige oder neu durch etwa kritische Haltung sich als nicht den Anforderungen entsprechend Erweisende. Es bedeutet Kuendigungen ohne Abstimmung mit dem Personalrat und ohne Beruecksichtigung sozialer Belange in den oeffentlichen Verwaltungen, insbesondere im Kultus- und Wissenschaftsbereich und in den Verwaltun- gen der Kommunen bis 31. 12. 1993. Die OeTV befuerchtet den Abbau von 150 000 Arbeitsplaetzen durch diese Regelung. 2. Parteienkungelei statt oeffentlicher Verfassungsdiskussion In Artikel 5 des Einigungsvertrages heisst es, "Die Regierenden der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Koerperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb vor zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Aenderung oder Ergaenzung des Grundgesetzes zu befassen." - "Im Zusammenhang mit der deutschen Einigung" war in verfassungsmaessiger Hinsicht ein breit getragener Wunsch sowohl fuer eine neue Verfassung wie auch eine verfassungsgebende Versammlung vorgebracht worden. Beides wollen die Regierenden in Bonn nicht. So wurde lediglich eine Gemeinsame Ver- fassungskommission (GVK) aus je 32 Vertretern von Bundestag und Bundesrat geschaffen, die Aenderungen und Ergaenzungen des Grundgesetzes vorbereiten und beiden Organen vorlegen soll. - Waehrend sich nach Meinungsumfragen wichtige Forderungen zur Verfassungsergaenzung, wie Aufnahme sozialer Grundrechte und Staatsziele, oekologischer Umbau der Verfassungsordnung, Konkretisierung des Friedensgebotes, Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Volkes, auf eindeutige Mehrheiten in der Be- voelkerung stuetzen koennen, stossen sie in der GVK und bei der Mehrheit von Bundestag und Bundesrat auf Ablehnung. Statt oeffenlicher Verfassungsdiskussion mauscheln die Fraktionen der grossen Parteien und es drohen politische Kompensationsgeschaefte. - In anderer Weise entfernt sich die Mehrheit der GVK vom urspruenglich relativ eng gehaltenen Auftrag des Artikels 5, Einigungsvertrag. Die gesetzgebenden Koerperschaften sollten sich nur mit dem Bund-Laender- Verhaeltnis, der Moeglichkeit einer Neugliederung fuer den Raum Berlin/Brandenburg, mit der Moeglichkeit der Aufnahme von Staatszielen und einer Volksabstimmung ueber eine Verfassung im Rahmen des Art. 146 befassen. Jetzt wird eine Generalrevision des Grundgesetzes unter konservativ-autoritaeren Vorzeichen angestrebt. Einschraenkung des Asylrechts nach Art. 16 GG, Einsatz der Bundeswehr ausserhalb des NATO-Gebietes, Einschraenkung des Rechtes auf Unverletzlichkeit der Wohnung, Privatisierung von Post und Bahn u.a. zeigen in diese Richtung. Sicher wird dies zugleich auch mit einigen anderen Festlegungen demokratisch drapiert werden. - In jedem Fall ist die Verfassungsfrage bisher keine Angelegenheit des Volkes, was sicher dessen im geltenden Grundgesetz verankerter Souveraenitaet widerspricht, wohl aber auch dem Einigungsvertrag und den mit der Vereinigung aufgeworfenen und ihrer Loesung harrenden Aufgabe. * * * *** ende *** Informationsmaterial der PDS/LL im Bundestag Verletzungen und Aushoehlungen des Einigungsvertrages (Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik ueber die Herstellung der Einheit Deutschlands) Bonn, Oktober 1992 ------------------------------------------------------------- Inhaltsverzeichnis Einleitung I. Aushoehlung und Verletzung der Regelungen ueber Wirtschaftsfoerderung 1. Keine Uebergangszeit fuer Strukturanpassung 2. Fehlende Massnahmen zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums 3. Nichtgewaehrung eines Praeferenzvorsprunges 4. Mangelnde Foerderung des Mittelstandes 5. Fehlender Vertrauensschutz fuer und ungenuegende Foerderung von Ostexporten II. Verletzungen der treuhaenderischen Verwaltung des volkseigenen Vermoegens 1. Aktive Sanierung fehlt 2. Treuhandauftrag zur Vermoegensverwendung verletzt 3. Mangelnde Fach- und Rechtsaufsicht 4. "Vergessene" Anteilsrechte III. Verstoesse gegen Eigentumsregelungen und vertagliche Vereinbarungen im Agrarbereich 1. Aushoehlung der Bodenreform 2. Verschleppung der Entschuldung in der Landwirtschaft 3. Verletzung des Landwirtschaftsanpassungsgesetzes IV. Frauen als Verliererinnen der Einheit 1. Statt weiterentwickelter Gleichberechtigung - Vertiefung der Ungleichheit 2. Entzug von Grundlagen fuer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf V. Bruch und Aushoehlung rentenrechtlicher Regelungen 1. Rentenkuerzungen 2. Rentenstrafrecht 3. Verstoss gegen Vertrauens- und Besitzbestandsschutz 4. Kuerzung oder Aberkennung von Ehrenpensionen VI. Verstoesse gegen weitere Sozialbestimmungen 1. Mietenexplosion ohne Einkommenszuwachs 2. Aushoehlung gesundheitlicher Grundsatzbestimmungen VII. Zerstoerung der geistig-kulturellen Struktur 1. Untergrabung statt Erhaltung kultureller Substanz 2. Finanzieller Kollaps fuer Kultur 3. Ruinierung der Wissenschaftslandschaft VIII. Verstoss gegen grundsaetzliche rechtliche Bestimmungen 1. Fortsetzung der Entrechtung fuer Zehntausende 2. Parteienkungelei statt oeffentlicher Verfassungsdiskussion --- Einleitung Vor gut zwei Jahren hat die PDS in der Volkskammer den Einigungsvertrag abgelehnt, weil er keinen Vertrag des Zusammenwachsens der beiden Vertragspartner darstellte, sondern ein Instrument des Anschlusses, des Aufsaugens der untergehenden DDR durch die Bundesrepublik, der jede Gleichberechtigung oder Gleichbehandlung vermissen liess. Zugleich hat sie angekuendigt, dass sie wahrscheinlich die erste sein wird, die Bestimmungen aus diesem Vertrag verteidigen wird, wenn diese fuer ihre Autoren voraussichtlich nur noch ein aergerliches Stueck Papier sein werden. Diese Zeit ist laengst gekommen. Und die PDS macht ihre Ankuendigung wahr, gegen Missinterpretationen, willkuerliche Auslegungen, Verstoesse und Aushoehlungen des Einigungsvertrages im Interesse der Buerger Politik zu machen. Rund zwei Jahre nach dem Anschluss der DDR an die alte Bundesrepublik stellt sich das vereinte Deutschland staatlich geeinigt aber im Inneren zugleich tief oekonomisch, sozial und geistig gespalten dar, mit einer sichtbaren Tendenz der Zunahme dieser Spaltung. Die Politik der Regierungskoalition unter Helmut Kohl hat zu einer Einigungskrise gefuehrt, die im Osten wie im Westen Deutschlands alle Lebensbereiche erfasst und zu Lasten der Mehrheit der Bevoelkerung geht. Wir sind nicht der Meinung, dass diese Krise auf die Tatsache der Einigung selbst zurueckzufuehren ist. Die Einheit entspricht dem Wuenschen und Wollen der uebergrossen Mehrheit der deutschen Bevoelkerung. Sie hat den Menschen in den neuen Bundeslaendern zweifellos viele Vorteile gebracht und Einschraenkungen und Entmuendigungen aufgehoben, denen sie in der DDR- Gesellschaft unterworfen waren. Sie hat ihnen aber auch neue Beschaedigungen in sozialer, kultureller, geistiger und persoenlicher Hinsicht zugefuegt. Wenn wir von Einigungskrise sprechen, dann meinen wir vor allem die tiefen Wunden, die oekonomisch, sozial und psychologisch geschlagen wurden, und die riesigen ungeloesten Probleme, vor denen wir in Ost und West, vor allem aber im Osten Deutschlands, stehen. Die Einigungskrise beruht auf Art und Weise des Einigungsprozesses, der vor der herrschenden Regierungskoalition in Bonn und ihren ostdeutschen Parteigaengern eben nicht als Vereinigung, sondern als Anschluss mit dem schlagartigen Ueberstuelpen des wirtschaftlichen, politischen, rechtlichen und gesellschaftlichen Systems der alten Bundesrepublik ueber das Anschlussgebiet, als Prozess der Unterwerfung des Anschlussgebietes, betriebn wird. Wir kommen nicht umhin, festzustellen: Der Einigungsvertrag ist das Grunddokument und die prinzipielle Handlungsanleitung fuer diese Unterwerfung. Er ist nach Inhalt und Form das Diktat des Siegers ueber die Besiegten, das die Bedingungen ihres Anschlusses regelt. Er hat die Ursachen fuer die Missstaende gesetzt, die heute von vielen Menschen beklagt werden. Die dringend notwendige Korrektur des Einigungsprozesses erfordert auch Korrekturen oder eine Neugestaltung des Einigungsvertrages - zumindest in der praktischen Po- litik. Aber auch eine eventuelle Neuverhandlung, wozu wir den Gedanken einer "Dritten Kammer" als Vertretung der ostdeutschen Bundeslaender beigesteuert haben. Denkbar ist auch ein Staatsvertrag zwischen dem Bund und den fuenf neuen Bundeslaendern sowie Berlin, der den Einigungsvertrag revidiert und ergaenzt. Er muesste mit verfassungsaendernder Mehrheit im Bundestag, Bundesrat und den betreffenden Landesparlamenten gebilligt werden. Zur Korrektur des Einigungsprozesses gehoeren viele Massnahmen, darunter: * Die Erhaltung und der Ausbau des Wirtschafts- und Industriestandortes Ostdeutschlands als Voraussetzung einer eigenstaendigen Entwicklung der ostdeutschen Laender und einer auf eigener Leistung beruhenden Lebensentwicklung ihrer Menschen; entsprechende Aenderung des Auftrages der Treuhand und Gestaltung einer adaequaten Industrie- und Strukturpolitik zur Schaffung einer oekologisch orientierten zukunftsfoerdernden Industriesubstanz. * Eine schnelle Regelung der Eigentumsverhaeltnisse durch Aufhebung des Vermoegensgesetzes in seiner jetzigen Form und des Grundsatzes Rueckgabe vor Entschaedigung; Ueberfuehrung ehemaligen Staatsei- gentums in die Haende der Laender und Kommunen. * Die Sicherung von Maerkten fuer die ostdeutsche Wirtschaft in den oestlichen Bundeslaendern, in Osteuropa sowie in Westdeutschland und Westeuropa durch Praeferenzen, Exportunterstuetzung u.a. Massnahmen. * Die Bildung von Investitionsfonds zur Struk- turanpassung in den produzierenden Bereichen, fuer Umweltsanierung, Wohnungsbau und -modernisierung und Mittelstandsfoerderung. * Eine wirksame beschaeftigungs- und struk- turpolitische Konzeption zur Erhaltung und Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplaetzen, einschliesslich der Reduzierung von Arbeitszeit und der Umverteilung von Arbeit, oekologieorientierte Arbeitsplatzpolitik und aktive Arbeitsmarktgestaltung. * Eine Sozialreform zur Verhinderung von Armut, Abbau von Diskriminierung und Gewaehrleistung von sozialer Sicherheit, was fuer Buerger Ost- und Westdeutschlands gleichermassen gilt (soziale Grundsicherung, soziales Pflegegesetz, solidarische und bezahlbare Gesundheitsvorsorge, sozial gerechteres Rentensystem und Beseitigung der Wohnungsnot). * Ein mutiges und sozial vertretbares Finanzkonzept, das beim Kuerzen des Verteidigungshaushaltes beginnt und Investitionshilfe- und Ergaenzungsaufgaben ein- schliesst. * Die Herstellung der Gleichheit vor dem Gesetz fuer Ost- und Westdeutsche und die Aufhebung aller Ungleichbehandlungen. Den Einigungsvertrag klar charakterisieren, kritisieren und fuer seine Korrektur eintreten heisst nicht, im Sinne der Eingangsworte, ihn nicht zu verteidigen. Denn die Analyse von Wortlaut und Praxis zeigt, dass er in vielen Faellen ausgehoehlt, sein Wortlaut ins Gegenteil verkehrt, verzerrt oder umgangen wird. Mehrere Faelle von direkten Verstoessen liegen vor. Eine Korrektur verfehlter Einigungspolitik koennte mit der Beseitigung dieser Vertragsverletzungen und - verstoesse beginnen. Dazu die oeffentliche und parlamentarische Diskussion und entsprechendes Handeln zu foerdern, ist der Sinn dieser Dokumentation. I. Aushoehlung und Verletzung der Regelungen ueber Wirt- schaftsfoerderung 1. Keine Uebergangszeit fuer Strukturanpassung Art. 28, Abs. 1 des Einigungsvertrages legt fest: "Mit Wirksamwerden des Beitritts wird das in Artikel 3 genannte Gebiet in die im Bundesgebiet bestehenden Regelungen des Bundes zur Wirtschaftsfoerderung ... einbezogen. Waehrend einer Uebergangszeit werden dabei die besonderen Beduerfnisse der Strukturanpassung beruecksichtigt. Damit wird ein wichtiger Beitrag zu einer moeglichst raschen Entwicklung einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur unter besonderer Beruecksichtigung des Mittelstandes geleistet." Statt dessen zeigt die Entwicklung, dass die Wirt- schaftspolitik mit schlagartiger Schocktherapie vorgegangen ist, die auf jegliche Anpassungsperiode und eine gezielte staatliche Struktur- und Industriepolitik verzichtet. Sie verkehrt die Festlegung ueber die rasche Entwicklung einer ausgewogenen Wirtschaftsstruktur ins Gegenteil. - Wirtschaftliche und finanzielle Kreislaeufe wurden zerstoert, die Reproduktions- und Akkumulationskraft Ostdeutschlands ausgehoehlt. - Es findet eine Deindustrialisierung statt, wie sie im modernen Industriezeitalter nicht anzutreffen ist. Die industriellen Leistungen gingen 1991 in Ostdeutschland im Vergleich zu 1989 auf weniger als ein Drittel zurueck; dementsprechend sank der Anteil der neuen Bundeslaender an der industriellen Fertigung der Bundesrepublik auf sechs Prozent (1989 hatte die DDR einen Anteil an der Fertigung beider deutscher Staaten von etwa 20%); 1992 wird der Anteil der Industrieproduktion bei nur vier % (!) liegen. - Die ostdeutsche Produktivitaet erreichte Mitte 1992 erst 36% jener in Westdeutschland; sie hatte vor der Vereinigung bei rund 37% gelegen; ausgeblieben ist die erhoffte grosse Investitionswelle. - Die Zahl der in Forschung und Entwicklung Beschaeftigten ist von 87 000 (1989) auf ca. 30 000 (1991) zurueckgegangen. Der Prozess der Zerstoerung statt Anpassung - geschuldet der Wirtschaftspolitik der Kohl-Regierung - ist eine grobe Verletzung des Einigungsvertrages. 2. Fehlende Massnahmen zur Beschleunigung des wirt- schaftlichen Wachstums Artikel 28, Abs. 2 des Einigungsvertrages legt fest: "Die zustaendigen Ressorts bereiten konkrete Massnahmeprogramme zur Beschleunigung des wirtschaftlichen Wachstums und des Strukturwandels in dem in Artikel 3 genannten Gebiet vor." Tatsaechlich sind solche Massnahmepogramme nur zoegerlich, zu spaet, halbherzig und unvollkommen und ohne durchgreifende Ergebnisse in Gang gesetzt worden. Gemessen an den Ergebnissen, wurde der genannte Auftrag des Einigungsvertrages nicht erfuellt. - Nicht das im Artikel 28.2 genannte Wachstum, schon gar kein beschleunigtes, bestimmt das Bild der Wirtschaft, sondern weiterer Niedergang. Waehrend 1989 der Anteil der DDR am Brut- tosozialprodukt der beiden deutschen Staaten noch bei 11-12% lag, ist er 1991 auf 7% zurueckgegangen, bei 20% der Bevoelkerung und 30% der Flaeche der jetzigen Bundesrepublik. Das Sozialprodukt 1990 und 1991 hat sich in Ostdeutschland gegenueber dem Aus- gangsniveau 1989 halbiert (1990 minus 17%, 1991 minus 35%), der Rueckgang setzt sich 1992 fort. - In den neuen Bundeslaendern existiert real eine Beschaeftigungskatastrophe. Die Zahl der Erwerbstaetigen ging von 9,7 Mio. 1989 auf 5,4 Mio. 1992 zurueck. Die reale Arbeitslosenrate (unter Einbeziehung von ABM-Stellen, Kurzarbeit, Umschulungen und Vorruhestand) betraegt mehr als 30, in manchen Regio- nen ueber 50% und wird fuer laengere Zeit in dieser Groessenordnung verharren. 3. Nichtgewaehrung eines Praeferenzvorsprungs Artikel 28, Abs. 2 des Einigungsvertrages sieht vor, dass bei den genannten Massnahmeprogrammen, "ein Praeferenzvorsprung zugunsten dieses Gebietes (gemeint ist das Beitrittsgebiet - d.Vf.) sichergestellt" wird. Ein wirksamer Praeferenzvorsprung ist jedoch trotz einer Reihe von Investitionsanreizen weder hinsichtlich der Produktion, der Investition, von Marktschutz und - foerderung, der Auftragserteilung o.a. Bereiche in wirksamen Groessenordnungen sichergestellt. So werden ostdeutsche Firmen bei der Auftragsvergabe der oeffentlichen Hand nicht nur bevorzugt, sondern klar benachteiligt. Die Folge ist, dass der ueberwiegende Teil der im Rahmen des sogenannten Programms "Aufschwung Ost" bereitgestellten Mittel wieder an westdeutsche Produzenten und Leistungstraeger zurueckfliesst und so einer Stabilisierung der wirtschaftlichen Basis der neuen Laender verloren geht. Statt eingetragene Waren- zeichen von DDR-Betrieben zu schuetzen, mussten solche Warenzeichen, sobald eine Konkurrenzsituation eintrat, mit Verweis auf groesseren Absatz der Westprodukte einge- stellt werden. (Beispiel: Gothaplast). Potentielle Kunden von Erzeugnissen aus Treuhandbetrieben wurden damit verunsichert, dass die Treuhand gleichzeitig die Betriebe und ihre Erzeugnisse zum Verkaufanboten und damit den Kunden jedes Vertrauen nahm, dass er auf Kundendienst und weitere Lieferungen bauen kann (Beispiel: Schraubenwerk Finsterwalde). 4. Mangelnde Foerderung des Mittelstandes Art. 28, Abs. 2 sieht weiter "Massnahmen zur raschen Entwicklung des Mittelstandes" vor. - In den zwei Jahren seit der staatlichen Vereinigung sind zehntausende Handwerks-, Gewerbe- und Kleinhandelsbetriebe gegruendet worden. Industriell produzierende mittelstaendische Unternehmen machen jedoch nur 5-6% der insgesamt ueber 400 000 Firmen in Ostdeutschland aus, weil die Treuhandanstalt nichteffektive kleine Betriebe geschlossen hat, statt sie marktfaehig zu sanieren, um den Aufbau mittelstaendischer Strukturen zu unterstuetzen. Diesen Strukturmangel kritisiert auch die Deutsche Bank in einer Mittelstandsstudie ueber Ostdeutschland vom August 1992. Mehr als 50% von Gewerbeanmeldungen erfolgen im Handels- und Gaststaettenbereich, doch treten hier auch mit steigender Tendenz die meisten Abmeldungen auf (im 1. Halbjahr 1992 49.344 An- und 29.616 Abmeldungen). Weit mehr als die Haelfte geben angesichts der Konkurrenz der Handelsketten wieder auf. Insgesamt gesehen wird jede dritte Gewerbeanmeldung wieder aufgegeben. - Kreditmittel (z.B. aus dem ERP-Programm) stehen in nicht geringem Masse zur Verfuegung, doch werden sie infolge buerokratischer Hemmnisse und oft mangel- hafter kommunaler Hilfe wenig wirksam, wie ost- deutsche CDU-Abgeordnete kritisch an die Bonner Regierungsadresse vermerken. Ebenso erfahren ostdeutsche Handwerker und Kleinunternehmer starke Benachteiligungen bei der Auftragsvergabe durch die oeffentliche Hand. - Existenzgefaehrdet wirken sich die ueberdimensionalen Gewerberaummieten aus - vor allem in den Staedten. Oft uebersteigen geforderte Mieten die Einnahmen der Handwerker und Gewerbetreibenden und zwingen sie zur Aufgabe. Begrenzungen oder Einfrieren wurden bisher von Kommunen oder als zentrale Regelungen abgelehnt. 5. Fehlender Vertrauensschutz fuer und Foerderung von Ostexporten Art. 29 des Einigungsvertrages regelt, dass "die ge- wachsenen aussenwirtschaftlichen Beziehungen" der ostdeutschen Wirtschaft gegenueber den frueheren RGW- Laendern "Vertrauensschutz" geniessen und "unter Be- achtung der Interessen aller Beteiligten und unter Beachtung marktwirtschaftlicher Grundsaetze ... fortentwickelt und ausgebaut" werden. Ebenso sieht Art. 28, Abs. 2 Wirtschaftsfoerderung fuer "RGW- Exportproduktion" vor. Die Bedeutung dieser Vertragsbestimmung wird daraus ersichtlich, dass gerade fuer den industriellen Kern Ostdeutschlands - Maschinen- und Fahrzeugbau, Elektroindustrie, Chemie, Textil/Bekleidung - die Abhaengigkeit vom Export in die GUS und andere osteu- ropaeische Laender ausserordentlich hoch ist und bis heute bei vielen Betrieben etwa 50% betraegt, was ein Gefaehrdungspotential bedrohter Arbeitsplaetze von 700 000 bei etwa 1,6 Mio. verbliebenen Industriearbeitsplaetzen bedeutet. Trotz der Festlegungen des Einigungsvertrages sind Ostexporte der Wirtschaft der ostdeutschen Laender nahezu zusammengebrochen. Der Rueckgang betrug: 1991 zu 1990 von Jan.-April 92 --------------------------------------------------- Insgesamt - 59,9% weitere -26,4% GUS - 46,2% -16,2% Polen - 66,1% -72,2% CSFR - 81,0% -12,7% Ungarn - 86,1% -55,1% Rumaenien - 85,4% -85,3% Bulgarien - 90,8% -72,3% Die Bundesregierung und Bundeskanzler Kohl geben selbst zu, dass sie die Bedeutung der Ostmaerkte fuer die Entwicklung der ostdeutschen Industrie und auch die Kompliziertheit der Erhaltung dieser Maerkte unterschaetzt haben. So unterblieben ausreichende und gezielte Massnahmen einer entsprechenden Ex- portfoerderung, wie sie gerade Art. 29 und 28.2 des Einigungsvertrages entsprochen haetten. Auch gegenwaertig sind die Bemuehungen eher halbherzig und inkonsequent, bzw. sollen sogar ganz eingestellt werden. Unkonventionelle Massnahmen zur Foerderung und Finanzierung der Ostexporte sind dringlich und nach wirtschaftswissenschaftlichem Rat im Ergebnis billiger als die Finanzierung von - erneut ansteigender - Arbeitslosigkeit. II. Verletzungen der treuhaenderischen Verwaltung des volkseigenen Vermoegens 1. Aktive Sanierung fehlt Artikel 25, Abs. 1 des Einigungsvertrages sieht vor: "Die Treuhandanstalt ist auch kuenftig damit beauftragt, gemaess den Bestimmungen des Treuhandgesetzes die frueheren volkseigenen Betriebe wettbewerblich zu strukturieren und zu privatisieren." - Wettbewerbliche Strukturierung haette - wie auch der ermordete Treuhand- Chef Rohwedder propagierte - "entschlossene Sanierung" bedeutet. Die Treuhand vernachlaessigte jedoch die Sanierung und konzentrierte sich auf den Verkauf, die Privatisierung volkseigenen Vermoegens. "Die bisherige Strategie der Treuhand laeuft praktisch darauf hinaus, dass kaum ein Unternehmen richtig saniert wird" (Kilian Krieger, Berliner Geschaeftsfuehrer der britischen Unternehmensberatung Price Waterhouse, die im Auftrag der Treuhand Firmen verkauft). Unternehmen wurden vor allem "passiv saniert", das heisst durch Arbeitsplatzabbau und massive Personalreduzierung, Streichung der Kosten fuer Forschung und Entwicklung, Produktionsstillegung u.ae. Massnahmen. Die von der Sache her notwendige Strukturanpassung vollzieht sich bisher fast nur als Zerstoerung vorhandener Strukturen und Produktionsverflechtungen, ohne das neue wettbewerbsfaehige Strukturen in ausreichendem Masse entstehen. Massenhaft wurden Ar- beitsplaetze liquidiert, waehrend neue und wett- bewerbsfaehige Arbeitsplaetze nur in geringem Masse geschaffen wurden. Das Verhaeltnis von verlorenen zu neugeschaffenen Arbeitsplaetzen betraegt etwa 10:1. Hinzu kommt, nach eigenen Angaben der Treuhandchefin Breuel, dass Kaeufer von Unternehmen etwa 20 - 30 Prozent der Arbeitsplatzzusagen ueberhaupt nicht einhalten. Fuer "aktive Sanierung" durch Investitionen in neue Produkte, Produktionsverfahren, Vertriebssysteme u.ae. stellte die Treuhand kaum Kredite zur Verfuegung. So wurde die Lage der Wirtschaft noch verschaerft, wie die bereits genannten Fakten zur gesamtwirtschaftlichen Krise in Ostdeutschland verdeutlichen. Wenn die Treuhand-Spitze nunmehr davon spricht, mit Mitteln in Milliardenhoehe fuer Investitionen der Sanierung und Umstrukturierung einen "entscheidenden Push" zu geben und "einen Kraftakt zu versuchen", so bedeutet dies zweierlei: Einmal ist es das Eingestaendnis einer bisher versaeumten konsequenten Sanierungspolitik und damit einer Verletzung oder zumindest ungenuegenden Ausfuellung des Einigungsvertrages und des Treuhandgesetzes. Zum anderen zeigt sich darin, dass der Auftrag der Treuhand zur Sanierung zu vage, nicht verpflichtend genug formuliert ist und ungenuegend kontrolliert wird. Eine Aenderung kaeme zwar sehr spaet, aber doch fuer Teile der Wirtschaft noch im letzten Moment. Vorschlaege liegen auf dem Tisch. 2. Treuhandauftrag zur Vermoegensverwendung verletzt Artikel 25, Abs. 3 des Einigungsvertrages lautet: "Die Vertragsparteien bekraeftigen, dass das volkseigene Vermoegen ausschliesslich und allein zugunsten von Massnahmen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet unabhaengig von der haushaltsmaessigen Traegerschaft verwendet wird." Es ist jedoch ganz eindeutig, dass die Privatisie- rungspolitik der Treuhand im Auftrage der Bundes- regierung in zwei Richtungen eindeutige Nachteile fuer das Beitrittsgebiet nach Artikel 3, die neuen Laender, und Vorteile fuer das Unternehmer-Kapital in den alten Bundeslaendern gebracht hat: - Zum einen wurden unliebsame Konkurrenten, so im Werkzeugmaschinenbau, in der Feinmechanik/Optik, in der Nahrungsgueterindustrie u.a. Zweigen, beseitigt. Dies geschah durch guenstigen Kauf solcher Kon- kurrenten, ihre Einverleibung in das westdeutsche Unternehmen oder Stillegung, aber auch durch andere Massnahmen, bei der Treuhandentscheidungen Hilfsdienste leisten. Selbst technische Neuerungen in ostdeutschen Betrieben wurden unter vorge- taeuschter Hilfe - oder Kaufabsichten (Beispiel Motorradwerke Zschopau) entwendet. - Zum anderen wurden Vermoegenswerte zu Schleuderpreisen von der Treuhand erworben und zusaetzliche Kapitalleistungen fuer Investitionen und andere Massnahmen erpresst. Obwohl die Treuhand noch keine Vermoegensbilanz vorgelegt hat, muss nach bisher bekannt gewordenen Verkaufserloesen davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche Preis der Unternehmen bei nur etwa zehn Prozent des realen An- lagewertes liegt. Zudem ermoeglicht die Aneignung riesiger Immobilien und von Grund und Boden durch westliche Kapitaleigentuemer kuenftige Spekulationsgewinne nicht abzuschaetzenden Ausmasses. Im Ergebnis bisheriger Privatisierung durch die Treuhand ist eine enorme Vermoegensuebertragung von Ost nach West vor sich gegangen, die den Artikel 25, Abs. 3 praktisch ins Gegenteil verkehrt. 3. Mangelnde Fach- und Rechtsaufsicht Artikel 25, Abs. 1, Satz 3 des Einigungsvertrages besagt, dass die Treuhandanstalt der "Fach- und Rechtsaufsicht" des Bundesministers der Finanzen unterliegt. Die Aushoehlung einigungsvertraglicher Bestimmungen ueber Pflichten der Treuhandanstalt korrespondiert so mit mangelnder zentraler Fach- und Rechtsaufsicht ueber die Treuhand, die der Bundesminister der Finanzen zu ver- antworten hat. Dies gilt auch hinsichtlich der bekannt gewordenen (aber auch vertuschten) Treuhandkriminalitaet - der Vorteilsgewaehrung durch Treuhandvertreter gegenueber westdeutschen Banken und Grossunternehmen - der Vorteilsnahme aus der Doppelfunktion von Treuhandfunktion und eigener Unternehmertaetigkeit - der Auspluenderung und Ruinierung von Treuhandbetrieben - der Taeuschung, des Betruges u.a. krimineller Handlungen. 4. "Vergessene" Anteilsrechte Artikel 125, Abs. 6 des Einigungsvertrages bestimmt: "Nach Massgabe des Artikels 10, Abs. 6 des Vertrages vom 18. Mai 1990 (ueber die Wirtschafts-, Waehrungs- und Sozialunion - d.Vf.) sind Moeglichkeiten vorzusehen, dass den Sparern zu einem spaeteren Zeitpunkt fuer den bei der Umstellung 2 : 1 reduzierten Betrag ein verbrieftes Anteilsrecht am volkseigenen Vermoegen eingeraeumt werden kann." Die Bundesregierung hat sich selbst nach nunmehr mehr als zwei Jahren mit keinem Wort, keiner Initiative oder Vorschlag zu dieser Frage in der Oeffentlichkeit geaeussert. Antraege im Bundestag, die Bundesregierung aufzufordern, eine Entscheidung zu erarbeiten, wurden abgelehnt. Das ist - selbst wenn Artikel 25, Abs. 6 keinen exakten Zeitpunkt nennt - ein deutlicher Verstoss gegen einen die Buerger der neuen Laender unmittelbar betreffenden Auftrag des Einigungsvertrages. Diese Haltung verstoesst insbesondere gegen die Interessen der aelteren Buergerinnen und Buerger sowie von Menschen mit Behinderungen. Sie koennten eine - zudem bewusst hinausgeschobene - Ermittlung der Ertragsfaehigkeit des volkseigenen Vermoegens nicht mehr erleben. Zugleich sind sie durch ihren anteilig hohen Grundverbrauch am Einkommen mit der Mietentwicklung, dem Vervielfachen der Kosten in Alten- und Pflegeheimen, den gestiegenen Energiekosten und Verkehrstarifen anteilig staerker belastet als andere Bevoelkerungsschichten. Ausserdem wurden auch die von den Buergerinnen und Buergern angesparten Moeglichkeiten der Altersvorsorge ab- gewertet. Zugleich hat die aeltere Generation nach dem Zweiten Weltkrieg entbehrungsreiche Aufbauarbeit geleistet. Doch auch fuer diese Gruppe von Buergerinnen und Buergern wurde die Gewaehrung von Anteilsrechten von Bundestag und Bundesregierung abgelehnt. III Verstoesse gegen Eigentumsregelungen und vertragliche Vereinbarungen im Agrarbereich 1. Aushoehlung der Bodenreform Im Artikel 4 des Einigungsvertrages wurde festgelegt, in das Grundgesetz einen neuen Artikel 143 einzufuegen (mit Beschluss des Deutschen Bundestages am 20.9.1990 geschehen), der in seinem Absatz 3 festlegt, dass "Artikel 41 des Einigungsvertrages und Regelungen zu seiner Durchfuehrung auch insoweit Bestand (haben), als sie vorsehen, dass Eingriffe in das Eigentum auf dem in Artikel 3 dieses Vertrages genannten Gebiet nicht mehr rueckgaengig gemacht werden." Dieser Artikel 41 des Einigungsvertrages lautet: Regelung von Vermoegensfragen (1)Die von der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik abgegebene Gemeinsamen Erklaerung vom 15. Juni 1990 zur Regelung offener Vermoegensfragen (Anlage III) ist Bestandteil des Vertrages. ... (3)Im uebrigen wird die Bundesrepublik Deutschland keine Rechtsvorschriften erlassen, die der in Absatz 1 genannten Gemeinsamen Erklaerung widersprechen. Und in dieser Gemeinsamen Erklaerung wird definitiv entschieden: "Die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher bzw. besatzungshoheitlicher Grundlage (1945 bis 1949) sind nicht mehr rueckgaengig zu machen. Die Regierungen der Sowjetunion und der Deutschen Demokratischen Republik sehen keine Moeglichkeit, die damals getroffenen Massnahmen zu revidieren. Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland nimmt dies im Hinblick auf die historische Entwicklung zur Kenntnis. Sie ist der Auffassung, dass einem kuenftigen gesamtdeutschen Parlament eine abschliessende Entscheidung ueber etwaige staatliche Ausgleichsleistungen vorbehalten bleiben muss." Damit wurde eine soziale und wirtschaftliche Grundforderung der demokratischen Oeffentlichkeit der DDR, mit der auch die CDU in den Wahlkampf zog, im Einigungsvertrag festgeschrieben. Das betrifft im besonderen die Enteignungen im Rahmen der Bodenreform. Restitutionsansprueche sogenannter Alteigentuemer wurden ausgeschlossen; allerdings die Moeglichkeit einer Entscheidung zur Gewaehrung staatlicher Ausgleichslei- stungen fixiert. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht hat am 23.4.1991 in einem Verfahren ueber Verfas- sungsbeschwerden von Bodenreform-Enteigneten gegen die am 20.9.1990 beschlossene Grundgesetzaenderung deren Verfassungsmaessigkeit bestaetigt, die entsprechenden Enteignungen als wirksam erklaert, Rueckgaben ausgeschlossen, aber auf eine Ausgleichsregelung hingewiesen. Einigungsvertrag, Grundgesetzergaenzung und Verfassungsgerichtsurteil werden jedoch durch die seitherige Praxis ausgehoehlt: - Obwohl bereits mit dem Einigungsvertrag - also noch vor der Herstellung der staatlichen Einheit - eindeutig geregelt war, dass keine Rueckgabe land- und forstwirtschaftlicher Grundstuecke an zwischen 1945 und 1949 Enteignete erfolgt, wurde bis zum heutigen Tag nicht ueber die langfristige Verfuegung der in Verwaltung der Treuhandanstalt (seit 1.7.1992 in Verwaltung der Bodenverwertungs- und -verwal- tungsgesellschaften GmbH) befindlichen Grundstuecke entschieden. Die Bewirtschaftung dieses Bodens wurde bisher ueber einjaehrige Pachtvertraege gesichert. Da das im Durchschnitt ein Viertel des Bodenfonds der LPG-Nachfolgeunternehmen betrifft, besteht fuer diese Betriebe, die immerhin drei Viertel der landwirtschaftlichen Flaeche der neuen Bundeslaender bewirtschaften, Rechtsunsicherheit mit erheblichen betriebswirtschaftlichen und sogar existenzbedro- henden Konsequenzen. - Einen fruehzeitigen Beleg dieser Aushoehlungspolitik lieferte der bayerische Ministerpraesident Streibl mit einem Brief an Bundesfinanzminister Waigel vom 16.10.1990, in dem er bittet, "... sicherzustellen, dass die in den Jahren 1945 bis 1949 Enteigneten durch Zwischenverfuegungen und Verpachtungen keinen Schaden erleiden und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden." Bis heute erhielten die Agrarbetriebe keine Zwoelfjahrespachtvertraege. - Gemaess dem am 1.7.1992 veroeffentlichten Eckwertepapiere der Gerster-Kommission der Bundestags-Fraktion der CDU/CSU fuer ein Entschaedigungsgesetz, in dem auch die Ausgleichsleistungen fuer mit der Bodenreform Enteignete geregelt werden sollen, ist ein Wiedereinrichterprogramm vorgesehen. Es soll den nichtrestitutionsberechtigten Alteigentuemern den grosszuegig subventionierten Erwerb von Grundstuecken auf Basis Kauf-Pacht ermoeglicht. Dagegen sollen Neu- einrichter sowie Bauern aus eingetragenen Genossenschaften und Gesellschafter anderer LPG- Nachfolgeunternehmen nicht in dieses Programm einbezogen werden. Die Folge waere eine weitgehende Restauration der Eigentumsverhaeltnisse von vor 1945 und ein Entzug der Produktionsbasis der LPG- Nachfolgeunternehmen. 2. Verschleppung der Entschuldung in der Landwirtschaft Im Artikel 25, Abs. 3 des Einigungsvertrages ist festgelegt: "Im Rahmen der Strukturanpassung der Landwirtschaft koennen Erloese der Treuhandanstalt im Einzelfall auch fuer Entschuldungsmassnahmen zugunsten von land- wirtschaftlichen Unternehmen verwendet werden. Zuvor sind deren eigene Vermoegenswerte einzusetzen. Schulden, die auszugliedernden Betriebsteilen zuzuordnen sind, bleiben unberuecksichtigt. Hilfe zur Entschuldung kann auch mit der Massgabe gewaehrt werden, dass die Unterneh- men die gewaehrten Leistungen im Rahmen ihrer wirtschaftlichen Moeglichkeiten ganz oder teilweise zurueckerstatten." Diese Regelung erfolgte aufgrund der starken und zugleich sehr differenzierten Altschuldenbelastung in Hoehe von insgesamt 7,6 Mrd. DM, die fuer einen Teil der Unternehmen existenbedrohend ist. Mit einem Volumen von 1,4 Mrd. DM machte die Bundesregierung von dieser im Einigungsvertrag gegebenen Moeglichkeit Gebrauch. Antraege auf Entschuldung konnten bis 31. Maerz 1991 gestellt werden. Seitens der Treuhandanstalt wurden zwischenzeitliche Entschuldungsbescheide verschickt. Bis Mitte August 1992 beliefen sich die tatsaechlich realisierten Entschuldungsvereinbarungen auf nicht einmal 20 Mill. DM. Ursache dieses unzureichenden Standes ist die praktizierte Verknuepfung von Teilentschuldung und Regelung der Behandlung der ver- bliebenen Altschulden. Hierfuer setzte der Bundesfinanzminister betrieblich kaum akzeptierbare Bedingungen; zugleich verschleppen die Banken den Abschluss von Rangruecktrittsvereinbarungen. Eine Folge ist, dass bereits fuer eine Reihe von Betrieben jede Ent- schuldung aufgrund Gesamtvollstreckung (Konkurs) zu spaet kommt und der groesste Teil der Betriebe infolge der Verschleppung der Entschuldung keine Investiti- onskredite und damit auch keine investiven Foerde- rungsmittel erhaelt. Damit widerspricht die Entschul- dungspraxis dem Geist der Regelung im Artikel 25 Einigungsvertrag. 3. Verletzung des Landwirtschaftsanpassungsgesetz (LAG). Im Einigungsvertrag, Anlage II, Kapitel VI. ist ge- regelt, dass das Landwirtschaftsanpassungsgesetz vom 24. Juni 1990 (LAG) zum fortgeltenden DDR-Recht gehoert. In diesem Gesetz ist u.a. folgendes festgelegt: 2 Gleichheit der Eigentumsformen Alle Eigentums- und Wirtschaftsformen, die baeuerlichen Familienwirtschaften und freiwillig von den Bauern gebildete Genossenschaften sowie andere landwirtschaftliche Unternehmen erhalten im Wettbewerb Chancengleichheit. 3 Zielbestimmung des Gesetzes Dieses Gesetz dient der Entwicklung einer vielfaeltig strukturierten Landwirtschaft und der Schaffung von Voraussetzungen fuer die Wiederherstellung leistungs- und wettbewerbsfaehiger Landwirtschaftsbetriebe, um die in ihnen taetigen Menschen an der Einkommens- und Wohl- standsentwicklung zu beteiligen. Mit Geltung vom 7. Juli 1991 an wurde dieses Landwirtschaftsanpassungsgesetz neu gefasst. - Die von der Bundesregierung gesetzten Rahmenbedingungen gewaehrleisten jedoch keineswegs die im 2 LAG verankerte Chancengleichkeit aller Eigentums- und Wirtschaftsformen. LPG- Nachfolgeeinrichtungen, insbesondere Genossen- schaften, werden diskriminiert. Zum Beispiel gingen 1991 in PG-Nachfolgeeinrichtungen lediglich 7,5 Prozent der eingesetzten bzw. 4,7 Prozent der im Haushalt vorgesehenen Mittel fuer die einzelbetriebliche Investitionsfoerderung (Zuschuesse und Zinsverbilligung). Der grosse Rest ging in Familienbetriebe bzw. wurde umgeschichtet. Eine Wende zeichnet sich auch 1992 nicht ab. Die Beispiele waeren fortsetzbar. - Mit der Novellierung des LAG wurde als Kernfrage die Vermoegensauseinandersetzung in der LPG neu geregelt. Die danach verbindliche Aufteilung des Eigenkapitals wird der historischen und oekonomischen Entwicklung der LPG in keiner Weise gerecht. Die Folgen sind eine im Ausmass nicht gerechtfertigte Kapitalumverteilung an landbesitzende Mitglieder, ein Kapitalabfluss, der in seiner Hoehe weder wirt- schaftlich begruendet noch vertretbar ist und eine vielfache Zerstoerung der Genossenschaften aufgrund des vom Gesetzgeber verschaerften statt entspannten Interessenkonflikts. Damit wendet sich die Novellierung gegen die zitierte und laut Einigungsvertrag geltende Zielstellung des Gesetzes. IV. Frauen als Verliererinnen der Einheit 1. Statt weiterentwickelter Gleichberechtigung - Vertiefung der Ungleichheit Artikel 31, Abs. 1 des Einigungsvertrages besagt: "Es ist Aufgabe des gesamtdeutschen Gesetzgebers, die Gesetzgebung zur Gleichberechtigung zwischen Maennern und Frauen weiterzuentwickeln." Mit dieser Festlegung haette man die Hoffnung auf gesetzgeberische Schritte und praktische Verbesserungen der Lage der Frauen in Ost wie West verbinden koennen. Tatsache ist jedoch, dass sich im direkten Gegensatz zur Verpflichtung des Artikels 31 die Lage der Frauen in Ostdeutschland sozial und rechtlich besonders tiefgehend verschlechtert hat. Frauenrechte und sozialpolitische Massnahmen, in der DDR selbstverstaendlich, wurden rigoros abgebaut. - Der Anteil der Frauen an der Erwerbslosigkeit betraegt inzwischen 67,2 Prozent und steigt weiter. Die offizielle Arbeitslosenquote liegt mit etwa 25 % weit ueber jener der Maenner. Sie werden weniger in neue Arbeitsplaetze vermittelt als Maenner, ihr Anteil an VorruhestaendlerInnen liegt weit ueber dem der Maen- ner. Es fehlt in der Arbeitsmarktpolitik an gezielten Massnahmen gegen Frauenarbeitslosigkeit wie etwa die Vergabe von mindestens der Haelfte der Arbeits- und Ausbildungsplaetze an Frauen, besonders alleinerziehende und junge Frauen. - Stattdessen werden Frauen aus dem Erwerbsleben massiv und systematisch an Heim und Herd gedraengt, von qualifizierten Berufen und Aufstiegschancen ausgeschlossen. Sie sind ihrer Rechte auf eigenstaendige Lebens- und Berufsplanung verlustig gegangen. Mit Vorruhestand, Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit erfolgt eine Erosion ihrer sozialen Identitaet. - Genommen wird den Frauen mit dieser Entwicklung ihre soziale und oekonomische Eigenstaendigkeit. Sie werden wieder verstaerkt ueber den Mann definiert und sind von diesem abhaengig. Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld statt eigenem Einkommen, Minirenten im Alter, soziale Degradierung und Armut nehmen zu. Im Vergleich zu den Maennern niedrigere Loehne druecken Vorruhestands- oder Altersuebergangsgeld nach unten, das wiederum senkt die Altersrente. Armut droht auch alleinerziehenden, auslaendischen und behinderten Frauen. Von den Ende 1989 in der DDR ausgewiesenen 340 000 alleinerziehenden Muettern ist heute bereits jede sechste ohne Erwerbsarbeit. - Statt im Einigungsvertrag angekuendigter weiterentwickelter Gleichberechtigung ist der Aufschwung patriarchalischer Tendenzen und reaktionaerer Frauenpolitik kennzeichnend. Frauenfeindlichkeit, Gewalt gegen Frauen und Maedchen sind an der Tagesordnung. Den Frauen wird das Selbstbestimmungsrecht ueber den eigenen Koerper abgesprochen und den neuen Laendern der frauenfeindliche 218 mit Zwangsberatung uebergestuelpt. 2. Entzug von Grundlagen fuer die Vereinbarkeit von Familie und Beruf Artikel 31, Abs. 2 bestimmt als "Aufgabe des ge- samtdeutschen Gesetzgebers, angesichts unter- schiedlicher rechtlicher und institutioneller Aus- gangssituationen bei der Erwerbstaetigkeit von Muettern und Vaetern die Rechtslage unter dem Gesichtspunkt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gestalten." In der Realitaet ist ein Entzug bisheriger Grundlagen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf fuer die Mehrheit der ostdeutschen Frauen eingetreten. Zahlreiche sozialpolitische Massnahmen in der DDR hatten gerade die Frauen als Zielgruppe. Abschaffung oder Ein- schraenkung dieser Rechte - im Widerspruch zum zitierten Art. 31 Abs. 2 und Abs. 3 (Weiterfuehrung der Einrichtungen zur Tagesbetreuung der Kinder) - trifft die Frauen hart. - Die Schliessung von Kindertagesstaetten, die Verkuerzung der Oeffnungszeiten von Kitas und Horten sowie die Verteuerung der Plaetze verschlechtern die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung fuer nicht wenige Frauen drastisch und zwingen sie zurueck in den Haushalt. - Der im Vergleich zu den alten Laendern weitaus grosszuegigere Schwangerschafts- und Wochenurlaub wurde radikal gekuerzt. Die Freistellung zur Pflege kranker Kinder und der besondere Kuendigungsschutz fuer Alleinerziehende fielen entweder Ende 1991 weg oder wurden durch unguenstigere bundesdeutsche Regelungen ersetzt. Die in der DDR stark ausgepraegten Elemente einer eigenstaendigen sozialen Sicherung der Frauen werden durch die weitgehende Uebernahme der BRD-Sozialverfassung auf bun- desdeutsches Marginal-Niveau reduziert. Besonders dramatisch wirkt sich dies fuer alleinerziehende Frauen aus. - Auch andere neue Regelungen verschlechtern die Situation. So verschlechtert sich mit dem Unterhaltsvorschussgesetz das Prinzip der Besitzstandswahrung. (Gewaehrung von Un- terhaltsvorschuss anstatt bis zum 18. Lebensjahr fuer die Dauer von 216 Monaten nur noch bis zum 12. Lebensjahr fuer 72 Monate). Das in der Regel der Mutter gezahlte Erziehungsgeld von 600,-- DM liegt weit unter ihrem bisherigen monatlichen Durchschnittsverdienst. Die im Bundeserziehungsgeldgesetz eingeraeumte Wahlfreiheit der Eltern, wer von ihnen Leistungen in Anspruch nimmt, wird durch den ca. 30 % geringeren Verdienst von Frauen aus materiellen Erwaegungen heraus in der Familie vorbestimmt. Bei der Regelung ueber 600,-- DM Erziehungsgeld ist ausserdem das Existenzminimum weder eines Elternteils noch des Kindes gesichert, geschweige denn das von Alleinerziehenden mit mehreren Kindern. V. Bruch und Aushoehlung rentenrechtlicher Regelungen 1. Rentenkuerzungen Es muss zunaechst festgestellt werden, dass das Rentenueberleitungsgesetz, erlassen aufgrund Artikel 30, Abs. 5 des Einigungsvertrages, in mehrfacher Hinsicht das Grundgesetz verletzt und auch gegen die generelle Zielvorgabe fuer die Rentenueberleitung laut Eini- gungsvertrag verstoesst, dass "die Ueberleitung von der Zielsetzung bestimmt sein (soll), mit der Angleichung der Loehne und Gehaelter in im in Artikel 3 genannten Gebiet an diejenigen in den uebrigen Laendern auch eine Angleichung der Renten zu verwirklichen". Ueber eine Million Rentner erhalten mit der Ueberleitung durch den Wegfall unterschiedlicher Zuschlaege jedoch eine gekuerzte Altersversorgung. Ohnehin schon schlechter gestellt als die noch arbeitende Bevoelkerung Ostdeutschlands, deren Tarifvertraege gegenwaertig 60 - 65 % der Einkommen von Vergleichsgruppen der alten Bundeslaender vorsehen, liegen fuer sie die Renten nach der Beschlussfassung im Durchschnitt bei 50,8 % vergleichbarer Altersbezuege in den westlichen Laendern, obwohl die Lebenshaltungskosten inzwischen nahezu gleich sind. 2. Rentenstrafrecht Das Rentenueberleitungsgesetz betaetigt sich gegenueber Empfaengern und Empfaengerinnen von Zusatz- und Sonderversorgungen als politisches Strafrecht. Dabei bricht es bewusst und gewollt die Regelungen des Einigungsvertrages, wie die Begruendung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vom 23.4.1991, Drucksache 12/405 des Deutschen Bundestages expressiv verbis ausweist: "Nach dem Einigungsvertrag sind Ansprueche und Anwartschaften aus Zusatz- und Son- derversorgungssystemen in die Rentenversicherung zu ueberfuehren. Der Einigungsvertrag sieht hierfuer bestimmte Massgaben vor, deren Einhaltung weder zu sachgerechten noch zu sozialpolitisch vertretbaren Ergebnissen fuehren wuerde. Die Vorgaben des Einigungsvertrages hinsichtlich einer Ueberfuehrung durch Rechtsverordnung sind deshalb nicht einzuhalten." Im Konkreten bedeutet dieser Vertragsbruch: - Kappung der Altersversorgung fuer rund 360 000 Bezieherinnen und Bezieher und rund 1 Million Anwartschaften (also Wirkung noch rund 30 Jahre) von Zusatz- und Sonderversorgungen - Das sind die Angehoerigen der wissenschaftlich- technischen, kuenstlerischen, aerztlichen und paedago- gischen Intelligenz, des Staatsapparates, der Parteien und gesellschaftlichen Organisationen sowie der bewaffneten Organe der DDR. - Anerkannt wird nicht das tatsaechliche Einkommen bei der Rentenberechnung, sondern nur ein bestimmter Prozentsatz des jaehrlichen Durchschnittseinkommens aller Beschaeftigten von 180 % fuer die Intelligenz, 100 % fuer die "staatsnah" Beschaeftigten und 70 % fuer MfS-Angehoerige mit sofortiger Kuerzung auf max. 802 DM. 3. Verstoss gegen Vertrauens- und Besitzbestandsschutz In der Anlage II des Einigungsvertrages, Kapitel III, Sachgebiet H (gesetzliche Rentenversicherung) Abschnitt III, Ziffer 9b (Regelungen fuer Sonder- und Zusatzversorgungssysteme) heisst es: "Bei Personen, die am 3. Oktober 1990 leistungs- berechtigt sind, darf bei der Anpassung nach Satz 3 Nr. 1 der Zahlbetrag nicht unterschritten werden, der fuer Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen waren. Bei Personen, die in der Zeit vom 4. Oktober 1990 bis 30. Juni 1995 leistungsberechtigt werden, darf bei der Anpassung nach Satz 3 Nr. 1 der Zahlbetrag nicht unterschritten werden, der fuer Juli 1990 aus der Sozialversicherung und dem Versorgungssystem zu erbringen gewesen waere, wenn der Versorgungsfall am 1. Juli 1990 eingetreten waere." Dieser Bestandsschutz wird durch das Renten- ueberleitungsgesetz, bzw. das Anspruchs- und An- wartschaftsueberleitungsgesetz in doppelter Weise aufgeloest. - er gilt nur bis zu einem Hoechstbetrag von 2.010,-- DM, - er gilt nur fuer bestehende Versorgungen und Neuzugaenge bis Ende 1993. Beide Regelungen - und darauf beruhende Entscheidungen - verstossen gegen den Einigungsvertrag und stellen Vertrags- und Vertrauensbruch dar. Dies bestaetigten auch zwei Entscheidungen des Sozialgerichtes Berlin zu der Frage, ob Altersver- sorgungen aus Zusatzversorgungssystemen der Intelligenz auf den Hoechstbetrag gekuerzt werden durften. "Das Gericht verurteilte die BfA dazu, die Kuerzungen rueckgaengig zu machen und den Klaegern mindestens den Gesamtzahlbetrag weiterhin monatlich zu gewaehren, der ihnen fuer den Monat Juli 1990 zugestanden hatte. Das Gericht stuetzte sich dabei auf die Bestandsgarantie des Einigungsvertrages: Der Einigungsvertrag schreibt vor, dass auch bei der zukuenftigen Anpassung von Altersrenten aus der Zusatzversorgung der Zahlbetrag nicht unterschritten werden darf, der fuer Juli 1990 zu gewaehren war." (Zitiert aus Pressemitteilung des Praesidenten des Sozialgerichts Berlin vom 13. Maerz 1992) 4. Kuerzung oder Aberkennung von Ehrenpensionen (Entschaedigungsrenten) Der Einigungsvertrag sah in Anlage II, Kapitel VIII, Sachgebiet H, Abschnitt III, Punkt 5 die Moeglichkeit einer Kuerzung von Ehrenpensionen fuer Verfolgte des Faschismus vor. Mit einem Entschaedigungsrentengesetz wird jedoch angestrebt - einer pauschalen Kuerzung der Ehrenpensionen Tuer oder Tor zu oeffnen - Aberkennungen vorzunehmen - eine Verfahrensregelung einzufuehren, die ueber den Einigungsvertrag und seine Durchfuehrungs- und Auslegungsvereinbarungen hinausgeht und schaerfer als im Rentenueberleitungsgesetz fixiert ist. Die Ehrenpension erhielten noch rund 9.000 Personen, davon ein Drittel als Kaempfer gegen Faschismus 1.700 DM, ein Drittel als Verfolgte das Faschismus 1.400 DM (jetzt als Entschaedigungsrenten einheitlich 1.400 DM), das letzte Drittel sind Hinterbliebene. Etwa drei Viertel der Bezieherinnen und Bezieher der Ehrenpension sind ueber 75 Jahre alt, die Haelfte gar ueber 80 und knapp ein Viertel ueber 85 Jahre. Es sind also nicht vorrangig die finanziellen Belastungen, die die Bundesregierung zum Handeln treiben, sondern politische Absichten. VI. Verstoesse gegen weiter Sozialbestimmungen 1. Mietenexplosion ohne Einkommenszuwaechse Anlage I des Einigungsvertrages, Kapitel XIV, Abschnitt II, Punkt 7 (Aenderung des Gesetzes zur Regelung der Miethoehe) ermaechtigt die Bundesregierung durch Rechtsverordnung, "den hoechstzulaessigen Mietzins unter Beruecksichtigung der Einkommensentwicklung schrittweise" zu erhoehen. Sowohl mit der ersten (zum 1. 10. 1991) als auch mit der zweiten (zum 1. 1. 1993) Verordnung ueber die Erhoehung der Grundmieten wird gegen diese Festlegung verstossen. - Die im Einigungsvertrag enthaltene Formulierung, die die Bundesregierung ermaechtigt, "... den hoechstzulaessigen Mietzins unter Beruecksichtigung der Einkommensentwicklung" festzusetzen, wurde offenbar mit Absicht so unverbindlich gewaehlt. Sie sollte den Eindruck erwecken, dass die Miete etwa im Gleich- schritt mit der Einkommenssteigerung angehoben werden sollte. Darueber hinaus verdeckte der Begriff "Mietzins" - in der DDR im landlaeufigen Sinne als Bruttomiete verstanden - die Tatsache, dass die Betriebskosten um ein Mehrfaches schneller als die Grundmieten steigen wuerden. Das Ergebnis ist, dass mit der am 1. 10. 1991 wirksam gewordenen Mieterhoehung (einschliesslich Be- triebskostenumlagen) die Wohnkosten in den ostdeutschen Laendern auf das Vier- bis Siebenfache angestiegen sind. Die ab 1. 1. 1993 wirksam werdende 2. Mieterhoehung steigert diese Erhoehung noch erheblich weiter bis auf das Neun- bis Zehnfache. Fuer die Einkommensentwicklung gibt es keine verlaesslichen Daten. Die Bundesregierung stuetzt sich auf Schaetzungen und Durchschnittsangaben, um einen Mietanstieg im Gleichklang mit den Einkommen zu behaupten. Gerade hier liegt die Verfaelschung des Einigungsvertrages. Angesichts des generell niedrigen Einkommensniveau in den ostdeutschen Laendern bedeutet eine solche enorme Mietsteigerung eine krasse Veraenderung der Verwendungs- struktur des Haushaltseinkommens. Fuer Arbeitslose und Rentner ist dabei - trotz Wohngeld - die Verminderung des nach Mietzahlung verfuegbaren Einkommens noch staer- ker. Analyse des Deutschen Mieterbundes fuer Ostberlin: Rund 10 Prozent aller Haushalte muessen auch mit Wohngeld mehr als 30 Prozent ihres Haushaltseinkommens fuer die Miete einsetzen. 18 Prozent der Haushalte zahlen mehr als ein Viertel ihres Einkommens. Bei Ein- Personen-Rentnerhaushalten muss jeder fuenfte - trotz Wohngeld - ueber 30 Prozent der Rente fuer die Wohnung ausgeben, und rund ein Drittel dieser Haushalte zahlt mehr als ein Viertel der Rente. - Der Einigungsvertrag enthaelt keine direkte Aussage ueber den kuenftigen Status der bisher volkseigenen bzw. genossenschaftlichen Wohnungen. Bei sinngemaesser Anwendung des BRD-Rechtes haetten diese Wohnungen aufgrund der Tatsache, dass ihr Bau zum groessten Teil mit oeffentlichen Mitteln aus dem Staatshaushalt fi- nanziert wurde, den Status von Sozialwohnungen mit entsprechenden Konsequenzen fuer Mietpreis- und Bele- gungsbindung erhalten muessen. Das ist nicht ge- schehen. Mit einem ganz ueblen Trick - fuer ehemalige DDR-Buerger nicht durchschaubar - wurden diese rund vier Millionen Wohnungen dem Gesetz zur Regelung der Miethoehe unterworfen und damit hinsichtlich der Mietpreisbildung dem sogenannten freifinanzierten Wohnungsbau gleichgestellt. Im neu hinzugefuegten Paragraphen 11 des Miethoehegesetzes heisst es dazu in Absatz 3: "... den hoechstzulaessigen Mietzins... schrittweise mit dem Ziel zu erhoehen, die in Para- graph 2 Absatz 1, Satz 1 Nr. 2 bezeichnete Miete zuzulassen." Hinter diesem Juristenkauderwelsch verbirgt sich die sogenannte ortsuebliche Ver- gleichsmiete. Damit hat sich die Lage in den ostdeutschen Laendern gegenueber den Altbundeslaendern und Westberlin, wo es noch einen Teil Sozial- wohnungen gibt, verschlechert. 2. Aushoehlung gesundheitlicher Grundsatzbestimmungen Krankenkassen Die Festlegungen des Einigungsvertrages schufen faktisch eine zeitweilige "Regionalisierung" in Alt- und Neubundeslaender. So heisst es im Einigungsvertrag, Anlage 1, Kap. VIII, Sachbiet G, Abschnitt II: Paragr. 313 Finanzierung (1) Bis zur Angleichung der wirtschaftlichen Ver- haeltnisse in dem in Artikel 3 des Eini- gungsvertrages genannten Gebiet an das Niveau im uebrigen Bundesgebiet haben Krankenkassen, die ihre Zustaendigkeit auf das in Artikel 3 des Ei- nigungsvertrages genannte Gebiet erstrecken, in Ergaenzung der in 220 vorgesehenen Regelungen in ihrem Haushalt die Einnahmen und Ausgaben fuer die Durchfuehrung der Versicherung in diesem Ge- biet getrennt auszuweisen. Dies gilt auch fuer den Rechnungsabschluss sowie fuer Ge- schaeftsuebersichten und Statistiken. Die Kran- kenkassen duerfen fuer die Finanzierung der Aus- gaben, die auf das in Artikel 3 des Einigungs- vertrages genannte Gebiet entfallen, nur die Einnahmen aus der Durchfuehrung der Versicherung in diesem Gebiet verwenden; entsprechend ist ein besonderer Beitragssatz festzulegen. Die Krankenkassen in den neuen Bundeslaendern haben 1991 ein Finanzvolumen von fast 2,6 Mrd. angespart. Bisherige Schaetzungen sagen fuer 1992 in den Kran- kenkassen Ost ein Defizit von ca. 250 Mio DM voraus, was nur ein Bruchteil (9,6 %) der Einsparsumme 1991 ausmacht. Durch das sich gegenwaertig in der parlamentarischen Debatte befindliche Gesundheitsstrukturgesetzt (soll noch im Oktober 1992 verabschiedet werden), wird der erwaehnten zweiteiligen Regionalisierung, ein- schliesslich der vorerst getrennten Kassenfuehrung, sowie der konkreten Situation der Leistungsempfaenger und Leistungsanbieter in den neuen Bundeslaendern nicht entsprochen. Der Gesetzenwurf basiert allein auf der Analyse der Situation in den alten Bundeslaendern, die erweiterten Zuzahlungen in Hoehe von 3,2 Mrd. DM, die Einsparungen bei Aerzten, der Pharmaindustrie usw. betreffen jedoch die Alt- wie Neubundeslaender. Die ausschliesslich im Westen entstandenen Defizite sollen also durch den Osten mit getragen werden. Von dieser geplanten Nicht- einhaltung des Einigungsvertrages sind alle fuer in der DDR gesetzlich Versicherten und auch die dort angesiedelten Leistungsanbieter (z.B. die zwangsniedergelassenen aelteren Aerzte und Aerztinnen) betroffen. Gesundheitswesen - stationaere Versorgung Artikel 33 des Einigungsvertrages besagt: "(1) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die Vor- aussetzungen dafuer zu schaffen, dass das Niveau der stationaeren Versorgung der Bevoelkerung in dem in Artikel 3 genannten Gebiet zuegig und nachhaltig verbessert und der Situation im uebrigen Bundesgebiet angepasst wird." Die Finanzierung des auf ueber 30 Mrd. DM geschaetzten investiven Nachholebedarfs muesste durch ein auf ca. zehn Jahre angelegtes gemeinsames Investitions- programm von Bund und den neuen Laendern gesichert werden. In ihrer Antwort auf eine Anfrage nach der Art der Realisierung des Auftrages des Art. 33 Einigungs- vertrag nimmt sich die Bundesregierung jedoch ab Anfang 1993 aus der Verantwortung fuer eine zuegige und nachhaltige Verbesserung der Situation in den neuen Bundeslaendern heraus, indem sie den investiven Nachholebedarf fuer Krankenhaeuser den Laendern und Kommunen ueberlaesst. Es heisst in Drucksage 12/3115 des Deutschen Bundestages vom 29.7.92: "Die neuen Laender haben jetzt die Aufgabe, mit ihrer gestaerkten Fi- nanzausstattung ihre originaeren Aufgaben zu erfuel- len. Zusaetzliche Mittelzuweisungen fuer Einzelbe- reiche sind nicht moeglich. Auch eine Ausnahme zugunsten der Krankenhaeuser ist derzeit nicht machbar." Der Verweis auf die "gestaerkte Finanzausstattung" der neuen Laender ist angesichts ihrer prekaeren Haushaltslage eine Verhoehnung des Ei- nigungsvertrages. Die Defizite der ostdeutschen Laender und Gemeinden steigen von 9,3 Mrd. DM 1991 auf 33,8 Mrd. DM 1994 und 1995 gar auf 62 Mrd. DM (Berechnungen des DIW). Gesundheitswesen - ambulante Behandlung Anlage I des Einigungsvertrages, Kapitel VIII, Sachgebiet t, Abschnitt II hatte festgelegt, dass in den neuen Laendern aerztlich geleitete kommunale, staatliche und freigemeinnuetzige Gesundheitsein- richtungen, einschliesslich Polikliniken, Ambulato- rien u.a. kraft Gesetzes bis 31.12.1995 zur am- bulanten Versorgung zuzulassen sind und eine Verlaengerung der Zulassung moeglich ist. Die am- bulante Versorgung wird im bundesdeutschen Gesund- heitssystem durch den Sicherstellungsauftrag ueber die kassenaerztliche Vereinigung niedergelassener Aerzte organisiert. Obwohl seit mehr als zehn Jahren allen Gesund- heitspolitikern klar ist, dass dieses System kosten- treibend und dringend reformbeduerftig ist, wurde die Versorgung in den neuen Bundeslaendern gleichartig gestaltet. Polikliniken, staatliche Arztpraxen, Dispensaireein- richtungen wurden abgewickelt und liquidiert. In der Existenzberechtigung von Polikliniken und Ambulatorien in den neuen Bundeslaendern bis 31. 12. 1995 sah die kassenaerztliche Vereinigung der nieder- gelassenen Aerzte ihre Monopolstellung in der ambu- lanten Versorgung gefaehrdet und trieb - entgegen den Festlegungen des Einigungsvertrages - zusammen mit kommunalen und Landesbehoerden einen Grossteil der Aerztinnen und Aerzte in die Niederlassung (derzeit ca. 90 %). Mehr als ein Drittel davon sind aelter als 50 Jahre. Muessen diese mit 65 Jahren in den Ruhe- stand (wie es das Gesundheitsstrukturgesetz vorsieht), ist ihre Existenz und Alterssicherung gefaehrdet. Hier haben Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker versagt, denn Alterna- tivvorstellungen fuer die ambulante Versorgung sind heute mehr denn je gefragt. VII. Zerstoerung der geistig-kulturellen Struktur 1. Untergrabung statt Erhaltung kultureller Substanz "Die kulturelle Substanz in dem in Artikel 3 genannten Gebiet darf keinen Schaden nehmen." (Art. 35.2 des Einigungsvertrages). Diese Grundaussage des Kapitels VIII. des Einigungsvertrages ueber Kultur, Bildung und Wissenschaft, Sport ist zu einer leeren Huelse geworden. Die kulturelle Substanz hat nicht nur Schaden genommen, sondern ist in ihrer Existenz bedroht. - Seit der Vereinigung mussten in den neuen Bundeslaendern jedes zweite Kino und jede vierte Bibliothek schliessen, die Zahl der Kulturhaeuser ging um 15 %, die der Jugendzentren um 40 % zurueck. - Theater, Orchester, Museen, Gedenkstaetten leiden dramatische Finanznot, sind unterbesetzt, muessen Spielplangestaltung oder Oeffnung einschraenken oder sind teilweise schon geschlossen worden. - Fuer Kuenstler sind die Ateliermieten in Grossstaedten zwischen 500 und 2000 Prozent gestiegen bei gleichzeitiger Abnahme der Auftraege. Staatliche Unterstuetzung ist gekuerzt oder weggefallen. Viele Kuenstler sind in direkte soziale Notlage geraten. - Bei Verwirklichung der Plaene fuer die Reduzierung der Wissenschafts- und Hochschullandschaft wird es nach einer Schaetzung der "Initiative" fuer die Wis- senschaft in den neuen Bundeslaendern" in Ostdeutsch- land pro 10 000 Einwohner nur noch etwa 12 in Forschungsbereichen Taetige geben, gegenueber 69 in den alten Bundeslaendern (in Ungarn 35, in Polen 25). Eine Gruppe renommierter Wissenschaftler der Freien Universitaet Berlin charakterisiert die Entwicklung folgendermassen: "Der Vereinigungsprozess beider deutscher Staaten bedeutet fuer die ehemalige DDR die Stillegung vieler wissenschaftlicher Einrichtungen und die Freisetzung von WissenschaftlerInnen und wissenschaftlich- technischem Personal in einer Groessenordnung, die einmalig in der bisherigen Geschichte ist und deren Folgen kaum absehbar sind. Damit droht die Zerstoerung eines betraechtlichen Teils der wissen- schaftlichen Kapazitaeten im oestlichen Teil Deutschlands als Beitrag zu dessen geistig- kultureller Veroedung." (Zitiert aus: Weissbuch - Unfrieden in Deutschland, S. 335) 2. Finanzieller Kollaps fuer Kultur In Art. 35, Abs. 6 und 7 wird zur Finanzierung kul- tureller Angelegenheiten festgelegt: "(6) Der Kulturfonds wird zur Foerderung von Kultur, Kunst und Kuenstlern uebergangsweise bis zum 31. Dezember 1994 in dem in Artikel 3 genannten Gebiet weitergefuehrt. Eine Mitfinanzierung durch den Bund... wird nicht ausgeschlossen..." "(7) Zum Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands kann der Bund uebergangsweise zur Foerderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Massnahmen und Einrichtungen in dem in Artikel 3 genannten Gebiet mitfinanzieren." Im Bundeshaushalt sind fuer Substanzerhaltung und Foerderung der kulturellen Infrastruktur im Sinne des Einigungsvertrages und als Zuschuss des Bundes an die Stiftung Kulturfonds von 1991 mit 1.097.000 TDM bis 1993 mit 316.000 TDM sich drastisch verringernde Mittel vorgesehen. (Zum Vergleich: Die Zuwendung des Bundes allein an die Kunst- und Ausstellungshalle der BRD soll 1993 die Summe von 30 000 TDM erreichen!) Mit Ablauf des Haushaltsjahres 1993, also bereits fuer 1994, sollen entgegen den Festlegungen des Einigungsvertrages diese Mittel wegfallen. Das bedeutet: - Schon jetzt sind diese Mittel voellig unzureichend und ueberdies noch weitaus geringer als die Mittel fuer Einrichtungen in den westlichen Bundeslaendern. Zwei Beispiele aus Berlin: Die Staatlichen Schauspielbuehnen erhalten ueber 40 Mio DM, das vergleichbare Deutsche Theater ein Drittel dessen = 13,8 Mio. DM; die Deutsche Oper in Westberlin verfuegt ueber einen 80-Millionen-Etat, die Staatsoper in Ostberlin nur ueber 37 Millionen. - Mit dem Wegfall der Bundeszuschuesse 1994 muessten die ostdeutschen Laender und Kommunen 90 - 95 Prozent der Kulturausgaben tragen, angesichts ihrer Finanzlage ist der "Zusammenbruch einer jahrhundertealten Kulturszene", wie es die Theater-Intendanten der Stadt Dresden formulierten, programmiert. - Soll die Verpflichtung aus Art. 35 des Eini- gungsvertrages nicht ad absurdum gefuehrt werden, so muss sie laengerfristige Aufgabe fuer den Bund sein. Es ist pure Illusion anzunehmen, die neuen Laender koennten im Verlaufe von zwei - drei Jahren eine finanzielle/wirtschaftliche Leistungskraft erringen, um die kulturelle Landschaft zu erhalten. 3. Ruinierung der Wissenschaftslandschaft - Die eigentliche Verletzung der Aussage des Art. 38, dass "Wissenschaft und Forschung... auch im vereinten Deutschland wichtige Grundlagen fuer Staat und Gesellschaft (bilden)", erfolgt mit Hilfe der Bestimmungen der Anlage I des Vertrages, Kapitel XIX - Recht der im oeffentlichen Dienst stehenden Personen -. Sie gaben die Moeglichkeit, alle oeffentlich Bediensteten - also auch die Wis- senschaftler, Lehrer u.a. Bereiche der Intelligenz - erst einmal ausserhalb der Grundrechte des Grundgesetzes anzusiedeln, zu Unpersonen oder Unrechtspersonen zu erklaeren und von daher die uebergrosse Mehrheit der Intelligenz auszusieben. So wurde jene bereits zitierte Zerstoerung der wissenschaftlichen Kapazitaeten und der geistig- kulturellen Sozialstruktur erreicht, die den Aussagen ueber Wissenschaft und Forschung als Grundlage fuer Staat und Gesellschaft im vereinten Deutschland ins Gesicht schlaegt. - Gleichwohl stellt die Praxis der Evaluierung und Abwicklung wissenschaftlicher Einrichtungen auch einen direkten Verstoss gegen die Bestimmung von Artikel 38, Abs. 1, Satz 2 dar, der die Erhaltung leistungsfaehiger Einrichtungen nach Begutachtung durch den Wissenschaftsrat fordert. In nicht wenigen Faellen, die auch oeffentlich dokumentiert sind (vergleiche Weissbuch - Unfrieden in Deutschland, S. 333 - 383), wurde in gar nicht gutachterlicher, sondern selbstherrlicher, arroganter, von wenig Sachkompetenz getragener Art mit international be- kannten Wissenschaftlern und wissenschaftlich lei- stungsfaehigen Einrichtungen umgegangen. Gegenueber vielen Einrichtungen bestanden politische Vorur- teile, andere wurden nicht einmal im eingeschraenkten Sinne "begutachtet", vielen erneuerungswilligen und -faehigen Kraeften keine Chance fuer die Durchsetzung neuer Wissenschaftskonzepte gegeben. - Einen direkten Verstoss gegen Art. 38, Abs. 2 des Einigungsvertrages stellen auch die administrativ angeordnete Beendigung der Taetigkeit der Gelehr- tensozietaet der Akademie der Wissenschaften und das Erloeschen der Mitgliedschaft ihrer Gelehrten dar. Art. 38, Abs. 2 geht klar von der Auffassung aus, dass die Taetigkeit der Gelehrtensozietaet fortgefuehrt wird und lediglich ueber das Wie landesrechtlich ent- schieden wird. Der Berliner Senat hat diesen Tatbe- stand ins Gegenteil verkehrt. VIII. Verstoss gegen grundsaetzliche rechtliche Bestimmungen 1. Fortsetzung der Entrechtung fuer Zehntausende Kapitel XIX der Anlage I des Einigungsvertrages, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1, Abs. 4 enthaelt folgende Regelung: "(4) Die ordentliche Kuendigung eines Arbeitsver- haeltnisses in der oeffentlichen Verwaltung ist auch zulaessig, wenn 1. der Arbeitnehmer wegen mangelnder fachlicher Qualifikation oder persoenlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht oder 2. der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist oder 3. die bisherige Beschaeftigungsstelle ersatzlos aufgeloest wird oder bei Verschmelzung, Eingliederung oder wesentlicher Aenderung des Aufbaues der Beschaeftigungsstelle oder eine anderweitige Verwendung nicht mehr moeglich ist... Dieser Absatz tritt nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Wirksamwerden des Beitritts ausser Kraft." Mit Hilfe dieser und anderer Festlegungen des Kapitels XIX ueber Rechtsverhaeltnisse im oeffentlichen Dienst stehender Personen sind in den vergangenen zwei Jahren mehr als 600 000 Angestellte, Arbeiter, Wissenschaftler, Paedagogen, Techniker, Mediziner, Kuenstler und Angehoerige anderer Berufsgruppen abge- wickelt, in Arbeitslosigkeit oder Altersuebergangsgeld unter Umgehung gesetzlicher Schutzrechte entlassen worden. Sie waren die Grundlage des mit dem Anschluss der DDR von den Regierenden in Bonn praktizierten personellen Kahlschlages. Jetzt soll sogar die auf zwei Jahre festgelegte Be- grenzung beseitigt und die grundgesetzwidrige Kuendigungsklausel von Oktober 1992 auf Dezember 1993 - also um 1 1/4 Jahre verlaengert werden. In der Begruendung eines entsprechenden Gesetzentwurfes heisst es: "Eine Verlaengerung der Frist fuer die Bedarfskuendigung nach Anlage I Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr. 1 Abs. 4 des Einigungsvertrages bis zum 31. Dezember 1993 wuerde die Ergebnisse im Personalabbau der neuen Laender erheblich erbessern." (Bundestagsdrucksache 12/2794 vom 12. 6. 92) Dies bedeutet die Ermaechtigung fuer Bedarfskuendigungen und Willkuermassnahmen gegen bisher noch nicht erfasste Missliebige oder neu durch etwa kritische Haltung sich als nicht den Anforderungen entsprechend Erweisende. Es bedeutet Kuendigungen ohne Abstimmung mit dem Personalrat und ohne Beruecksichtigung sozialer Belange in den oeffentlichen Verwaltungen, insbesondere im Kultus- und Wissenschaftsbereich und in den Verwaltun- gen der Kommunen bis 31. 12. 1993. Die OeTV befuerchtet den Abbau von 150 000 Arbeitsplaetzen durch diese Regelung. 2. Parteienkungelei statt oeffentlicher Verfassungsdiskussion In Artikel 5 des Einigungsvertrages heisst es, "Die Regierenden der beiden Vertragsparteien empfehlen den gesetzgebenden Koerperschaften des vereinten Deutschlands, sich innerhalb vor zwei Jahren mit den im Zusammenhang mit der deutschen Einigung aufgeworfenen Fragen zur Aenderung oder Ergaenzung des Grundgesetzes zu befassen." - "Im Zusammenhang mit der deutschen Einigung" war in verfassungsmaessiger Hinsicht ein breit getragener Wunsch sowohl fuer eine neue Verfassung wie auch eine verfassungsgebende Versammlung vorgebracht worden. Beides wollen die Regierenden in Bonn nicht. So wurde lediglich eine Gemeinsame Ver- fassungskommission (GVK) aus je 32 Vertretern von Bundestag und Bundesrat geschaffen, die Aenderungen und Ergaenzungen des Grundgesetzes vorbereiten und beiden Organen vorlegen soll. - Waehrend sich nach Meinungsumfragen wichtige Forderungen zur Verfassungsergaenzung, wie Aufnahme sozialer Grundrechte und Staatsziele, oekologischer Umbau der Verfassungsordnung, Konkretisierung des Friedensgebotes, Erweiterung der Mitwirkungsrechte des Volkes, auf eindeutige Mehrheiten in der Be- voelkerung stuetzen koennen, stossen sie in der GVK und bei der Mehrheit von Bundestag und Bundesrat auf Ablehnung. Statt oeffenlicher Verfassungsdiskussion mauscheln die Fraktionen der grossen Parteien und es drohen politische Kompensationsgeschaefte. - In anderer Weise entfernt sich die Mehrheit der GVK vom urspruenglich relativ eng gehaltenen Auftrag des Artikels 5, Einigungsvertrag. Die gesetzgebenden Koerperschaften sollten sich nur mit dem Bund-Laender- Verhaeltnis, der Moeglichkeit einer Neugliederung fuer den Raum Berlin/Brandenburg, mit der Moeglichkeit der Aufnahme von Staatszielen und einer Volksabstimmung ueber eine Verfassung im Rahmen des Art. 146 befassen. Jetzt wird eine Generalrevision des Grundgesetzes unter konservativ-autoritaeren Vorzeichen angestrebt. Einschraenkung des Asylrechts nach Art. 16 GG, Einsatz der Bundeswehr ausserhalb des NATO-Gebietes, Einschraenkung des Rechtes auf Unverletzlichkeit der Wohnung, Privatisierung von Post und Bahn u.a. zeigen in diese Richtung. Sicher wird dies zugleich auch mit einigen anderen Festlegungen demokratisch drapiert werden. - In jedem Fall ist die Verfassungsfrage bisher keine Angelegenheit des Volkes, was sicher dessen im geltenden Grundgesetz verankerter Souveraenitaet widerspricht, wohl aber auch dem Einigungsvertrag und den mit der Vereinigung aufgeworfenen und ihrer Loesung harrenden Aufgabe. * * * *** ende ***







©  GLASNOST, Berlin 1992 - 2019