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Abbé Meslier: Das Testament.
Aus: Hartmut Krauss: Das Testament des Abbé Meslier. Die Grundschrift der modernen Religionskritik. Osnabrück 2005.

Schlußfolgerungen aus diesem ganzen Werk


Alle diese Argumente hier sind so beweiskräftig, wie sie es nur sein können; es genügt, ihnen nur geringe oder mittlere Aufmerksamkeit zu schenken, um ihre Evidenz einzusehen. Und so ist durch alle Argumente, die ich oben vorgebracht habe, klar bewiesen, daß alle Religionen der Welt, wie ich am Anfang dieser Schrift behauptet habe, bloß menschliche Erfindungen sind und alles, was sie uns lehren und zu glauben zwingen, nichts als Irrtümer, Blendwerk, von Scharlatanen, Gaunern und Heuchlern erfundener Lug und Trug, um die Menschen zu täuschen, oder von schlauen und gerissenen Politikern erfunden, um sie im Zaume zu halten und mit dem unwissenden Volk, das blind und einfältig alles, was man ihm sagt, als von den Göttern kommend glaubt, nach Lust und Laune verfahren zu können. Und diese schlauen und gerissenen Politiker behaupten, daß es zweckmäßig und ratsam wäre, die Menschen im allgemeinen so hinters Licht zu führen, unter dem Vorwand, es sei nötig, daß das Volk viele Dinge nicht wisse und viele falsche glaube.1

Da aber alle derartigen Irrtümer, Wahngebilde und Schwindeleien die Quelle und die Ursache unendlich vieler übel, Mißstände und Verbrechen in der Welt sind und da die Tyrannei, die so viele Völker auf der Erde seufzen macht, es auch noch wagt, sich dieses falschen und abscheulichen Scheinbehelfs zu bedienen, so ist es wohl gerechtfertigt, wenn ich sage, daß dieser ganze Wust der Religionen und staatlichen Gesetze, wie sie gegenwärtig sind, im Grunde nur Mysterien der Bosheit sind. Ja, meine lieben Freunde, sie sind in der Tat nichts weiter als Mysterien der Bosheit, verabscheuungswürdige Mysterien der Bosheit, denn durch eben dieses Mittel machen Eure Priester Euch zu elenden Gefangenen und halten Euch unter dem verhaßten und unerträglichen Joch ihres eitlen und irrwitzigen Aberglaubens, immer unter dem Vorwand, Euch glücklich zu Gott führen und seine heiligen Gesetze und Gebote beachten lassen zu wollen. Und durch eben dieses Mittel plündern und pressen Euch die Fürsten und Großen dieser Erde aus, unterdrücken Euch, richten Euch zugrunde und tyrannisieren Euch unter dem Vorwand, Euch zu regieren und das allgemeine Wohl herbeizuführen und aufrechtzuerhalten.

Ich möchte meine Stimme vom einen Ende des Königreiches bis zum anderen ertönen lassen, oder vielmehr bis zu den Endpunkten der Erde, und aus Leibeskräften schreien: Ihr seid von Sinnen, oh Menschen, Ihr seid von Sinnen, Euch derart gängeln zu lassen und blind soviel ungereimtes Zeug zu glauben. Ich würde sie darauf hinweisen, daß sie sich im Irrtum befinden und daß diejenigen, die sie regieren, sie mißbrauchen und betrügen. Ich entdeckte ihnen dieses abscheuliche Mysterium der Bosheit, das sie überall so elend und unglücklich macht und unserer Zeit unfehlbar in den kommenden Jahrhunderten zu Schimpf und Schande gereichen wird. Ich würfe ihnen ihre Torheit und Einfältigkeit vor, an so viele Irrtümer, soviel Blendwerk und soviel lächerlichen und plumpen Betrug zu glauben und dies alles so blind zu glauben. Ich würfe ihnen ihre Feigheit vor, so lange solch abscheuliche Tyrannen am Leben zu lassen, anstatt das verhaßte Joch ihrer tyrannischen Regierung und Willkürherrschaft abzuschütteln.

In der Antike sagte einmal jemand, daß nichts seltener zu sehen sei als ein alter Tyrann, und der Grund hierfür war, daß die Menschen noch nicht so schwach und feige waren, Tyrannen lange Zeit regieren oder leben zu lassen. Sie hatten den Geist und den Mut, sich ihrer zu entledigen, wenn sie ihre Macht mißbrauchten. Heutzutage aber ist es kein seltenes Ereignis mehr, Tyrannen lange Zeit leben und regieren zu sehen. Die Menschen haben sich nach und nach an die Sklaverei gewöhnt, und sie sind jetzt so sehr daran gewöhnt, daß sie fast nicht mehr daran denken, ihre einstige Freiheit wieder zu erringen; die Sklaverei scheint ihnen eine Bedingung ihrer Natur zu sein. Deshalb wächst die Hoffart dieser abscheulichen Tyrannen auch von Tag zu Tag, und deshalb erschweren sie auch alle Tage das unerträgliche Joch ihrer Willkürherrschaft noch mehr. Superbia eorum ascendit semper (Psalm 73,32). Ihr werdet sagen, daß ihre Bosheit und ihre Verbrechen aus dem Übermaß ihres Fettes und dem Unmaß ihres Wohlergehens herrührten, prodiit quasi ex adipe iniquitas eorum (Psalm 72,7), sie sind so weit gekommen, sich in ihren Lastern und Verbrechen zu gefallen,  transierunt in a ff ectum cordis. Und deshalb auch ist das Volk so elend und unglücklich unter dem Joch ihrer Willkürherrschaft.

Wo sind die edlen Tyrannenmörder, die man in vergangenen Jahrhunderten gesehen hat? Wo sind die Brutus und Cassius? Wo sind die edlen Mörder eines Caligula? Wo sind die Publicola? Wo sind die großmütigen Verteidiger der allgemeinen Freiheit, die Könige und Tyrannen aus ihrem Lande jagen und die jedem Einzelnen das Recht gaben, die Tyrannen zu töten? Wo sind die Cecinna und so viele andere, die erbittert gegen die Tyrannei der Könige schrieben und laut ihre Stimme gegen sie erhoben? Wo sind die Kaiser, die würdigen Kaiser, wie Trajan und Antonius der Fromme, von denen ersterer dem obersten Beamten seines Reiches ein Schwert reichte und ihm befahl, ihn mit eben diesem Schwert zu töten, wenn er zum Tyrannen werden sollte, und der andere sagte, daß er lieber das Leben eines seiner Untertanen retten würde, als tausend seiner Feinde zu töten? Wo sind, so frage ich, diese guten Fürsten und diese würdigen Kaiser? Solche Männer sieht man nicht mehr! Auch sieht man keinen dieser edlen Tyrannenmörder mehr! Aber wo sind, wenn es sie schon nicht gibt, die Jacques Clément und Ravaillac unseres Frankreich? Warum leben sie nicht noch in unserem Jahrhundert, ja in allen Jahrhunderten, um alle diese abscheulichen Ungeheuer und Feinde der Menschheit zu erdolchen und zu erschlagen? Und durch dies Mittel die Völker der Erde von ihrer tyrannischen Herrschaft zu befreien! Lebten doch noch diese erhabenen und edlen Verteidiger der allgemeinen Freiheit! Warum leben sie heutzutage nicht mehr, um alle Könige von der Erde zu verjagen, alle Unterdrücker zu unterdrücken und den Völkern endlich die Freiheit zu geben? Warum leben alle diese tapferen Schriftsteller und Redner nicht mehr, die die Tyrannen anprangerten, ihre Stimme gegen deren Tyrannei erhoben und mit deren Lastern, Ungerechtigkeiten und schlechter Staatsführung streng ins Gericht gingen? Warum leben sie nicht noch heutzutage, um offen alle Tyrannen anzuprangern, die uns unterdrücken? Um ihre Stimme laut gegen alle Verbrechen und alles Unrecht ihrer schlechten Staatsführung zu erheben? Warum leben sie nicht noch heutzutage, um mit ihren Schriften jene Personen öffentlich für jedermann verächtlich und verhaßt zu machen? Um endlich das Volk aufzurütteln, mit vereintem Willen und gemeinsamer Kraft das unerträgliche Joch ihrer Willkürherrschaft abzuschütteln?

[...] Solange Ihr die Herrschaft von Fürsten und Königen auf der Erde duldet, werdet Ihr und Eure Nachkommen elend und unglücklich sein; und ihr werdet elend und unglücklich sein, solange Ihr den Irrtümern der Religion folgt und Euch ihrem aberwitzigen Aberglauben unterwerft. Verwerft daher gänzlich diese eitlen und abergläubischen Verrichtungen, verbannt aus Eurem Geist den törichten und blinden Glauben an diese falschen Mysterien; schenkt ihnen nicht den geringsten Glauben und lacht über alles, was Euch Eure auf ihren Gewinn bedachten Priester sagen. Wollt Ihr denn mehr daran glauben als sie selbst? Beruhigt Euren Geist und Euer Herz ganz und gar darob, und schafft auch unter Euch alle diese eitlen und dem Aberglauben dienenden Ämter der Priester und Opferer ab und zwingt alle jene, soviel es ihrer auch sind, so zu leben und nützlich zu arbeiten wie Ihr selbst, oder laßt sie sich zumindest mit etwas Gutem und Nützlichem beschäftigen. Aber das ist nicht genug. Strebt danach, Euch zu vereinigen, alle, so viele es Eurer und Euresgleichen sind, um das Joch der tyrannischen Herrschaft Eurer Könige und Fürsten abzuschütteln; stürzt überall die Throne des Unrechts und der Ruchlosigkeit; zertrümmert alle diese gekrönten Häupter, brecht überall den Hochmut und die Überheblichkeit dieser stolzen und hochmütigen Tyrannen und duldet niemals mehr, daß sie Euch irgendwie beherrschen.

Den Vernünftigsten gebührt es, die anderen zu führen und zu regieren, ihre Aufgabe ist es, gute Gesetze und Verordnungen zu erlassen, die den Erfordernissen der Zeit, des Ortes und anderer Umstände gemäß die Vermehrung und Erhaltung des allgemeinen Wohls bezwecken: »Wehe denen«, sagt einer unserer sogenannten heiligen Propheten, »die ungerechte Gesetze machen. Vae condunt leges iniquas« (Jesaja io,r). Aber wehe auch denen, die sich feige ungerechten Gesetzen unterwerfen; wehe den Völkern, die sich feige von Tyrannen versklaven lassen und sich selbst blind zu Sklaven von Irrtümern und Aberglauben der Religion machen.

[...] Überzeugt Euch also selbst, geliebte Völker, daß die Irrtümer und der Aberglaube Eurer Religion und die Tyrannei Eurer Könige und all derjenigen, die Macht über Euch haben, die verhängnisvollen und verabscheuungswürdigen Ursachen aller Eurer Übel, aller Schmerzen, aller Sorgen und Eures ganzen Elends sind. Ihr könntet glücklich sein, wäret Ihr von diesem abscheulichen und unerträglichen Joch des Aberglaubens und der Tyrannei befreit und würdet allein von einem guten und vernünftigen Magistrat regiert. Deshalb schüttelt, wenn Ihr das Herz dazu habt und Euch endgültig von Euren Leiden befreien wollt, gänzlich das Joch derer ab, die Euch regieren und Euch unterdrücken, vereinigt Euch und brecht mit vereinter Kraft das Joch der Tyrannei und des Aberglaubens; vertreibt in gemeinsamer Übereinstimmung alle Eure Priester, alle Eure Mönche und alle Eure Tyrannen, um unter Euch einen guten, vernünftigen und klugen Magistrat einzurichten, damit er Euch in Frieden regiere, anständig rechtspreche, weder die einen noch die anderen bevorzuge und sorgfältig über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe und des allgemeinen Wohls wache, und dem Ihr Eurerseits unverzüglichen und zuverlässigen Gehorsam schuldet. Euer Heil läge in Eurer Hand, Eure Erlösung hinge allein von Euch selbst ab, wenn Ihr Euch nur alle zusammen tätet; Ihr habt alle Mittel und die nötige Kraft, um die Freiheit zu erringen und Eure Tyrannen zu Sklaven zu machen; denn Eure Tyrannen hätten ohne Euch selbst keinerlei Gewalt über Euch, wie mächtig und großartig sie auch sein mögen; ihre ganze Größe, alle ihre Reichtümer, ihre ganze Stärke und Macht kommen nur von Euch. Es sind Eure Kinder, Eure Eltern, Eure Verwandte, Eure Freunde und Eure Nächsten, die ihnen im Kriege wie auch an allen anderen Stellen dienen, wohin jene sie schicken, und jene vermöchten ohne sie, ohne Euch nichts zu unternehmen. Sie bedienen sich Eurer eigenen Kraft gegen Euch selbst, um Euch, so viele Ihr auch seid, alle in ihre Sklaverei zu zwingen, und sie würden sich ihrer auch bedienen, um Euch alle, die einen nach den anderen, zugrunde zu richten und zu vernichten, wenn nur einige ihrer Städte oder ihrer Provinzen versuchten, ihnen Widerstand zu leisten und ihr Joch abzuschütteln. Aber das wäre nicht ebenso, wenn das ganze Volk, alle Provinzen und alle Städte sich vereinigen und das ganze Volk sich gemeinsam verschwören würde, um sich aus der gemeinsamen Sklaverei, in der sich alle befinden, zu befreien, denn dann wären alle diese Tyrannen bald zerschmettert und ausgerottet.

Vereinigt Euch also, Völker, wenn Ihr vernünftig seid, schließt Euch alle zusammen, wenn Ihr das Herz habt, um Euch von Eurem ganzen gemeinsamen Leid zu erlösen, ermutigt und ermuntert Euch gegenseitig zu einem solch edlen, erhabenen, wichtigen und ruhmreichen Werk, wie dieses es ist. Beginnt zunächst damit, Euch heimlich Eure Ansichten und Wünsche mitzuteilen, verbreitet überall so geschickt wie möglich ähnliche Schriften wie zum Beispiel diese hier, die allen Leuten die Eitelkeit der Irrtümer und des Aberglaubens kundtun und überall die Willkürherrschaft der Fürsten und Könige der Erde verhaßt machen. Unterstützt Euch gegenseitig bei einer so gerechten wie notwendigen Sache, wo es sich um das gemeinsame Interesse aller Völker handelt. Was Euch bei dieser Art von Zusammenstößen und Umständen, wo es darum ginge, für die Freiheit aller zu kämpfen, ins Verderben führt, ist, daß Ihr Euch selber gegenseitig zu grunderichtet, indem Ihr bei solchen Gelegenheiten gegeneinander für die Ziele der Tyrannen oder die Aufrechterhaltung ihrer Sache und Macht kämpft, anstatt, wie Ihr müßtet, Euch alle zu vereinen, um sie gemeinsam alle zu vernichten und auszurotten. Ihr könntet unter solchen Verhältnissen nichts Besseres tun, als mit vereinter Kraft dem Beispiel derjenigen zu folgen, die sich früher heldenmütig von der Tyrannei derer befreiten, die sie regierten und unterdrückten, dem Beispiel der tapferen Holländer und der tapferen Schweizer, von denen die einen heldenmütig das unerträgliche Joch der Tyrannei der Spanier abschüttelten, die damals vom Herzog von Alba ausgeübt wurde, die anderen ebenso heldenmütig sich gegen die Tyrannei der grausamen Regierung, die das österreichische Herrscherhaus in ihrem Land eingesetzt hatte, zur Wehr setzten. Ihr habt im Hinblick auf Eure Fürsten und Könige und alle, die Euch regieren und in jener Namen und Autorität tyrannisieren, nicht weniger Grund und Anlaß, ein Gleiches zu tun, da deren Tyrannei den äußersten Punkt des Unmaßes erreicht hat.

Es heißt in unserer sogenannten heiligen und göttlichen Schrift: »Gott hat die hoffärtigen Fürsten vom Stuhl heruntergeworfen und Demütige daraufgesetzt. Sedes ducum superborum destruxit Deus, et sedere fecit mites pro eis.K Und es heißt da auch, daß er »der stolzen Heiden Wurzel ausgerottet und Demütige an ihre Stätte gepflanzt« habe  (Jesus Sirach zo,z7/z8). Radices gentium superbarum arefecit Deus, et plantavit humiles ex ipsis gentibus. Wer sind denn nun die stolzen und hoffärtigen Fürsten, von denen in dieser sogenannten heiligen und göttlichen Schrift die Rede ist? Das sind Eure Herrscher, Eure Herzöge, Eure Fürsten, Eure Könige, Eure Monarchen, Eure Potentaten und so weiter. Laßt zu unserer Zeit diese Weissagung der angeblich göttlichen Worte sich erfüllen, stürzt, wie sie es sagen, alle diese hoffärtigen Tyrannen von ihrem Thron und setzt an ihre Stelle einen guten, milden, vernünftigen und klugen Magistrat, daß er Euch mit Milde regiere und glücklich in Frieden erhalte. Welches sind die stolzen Geschlechter, von denen es in derselben Schrift heißt, daß Gott sie mit der Wurzel ausrotten wolle? Das ist niemand anderes als dieser ganze stolze und hoffärtige Adel, der unter Euch lebt und Euch auspreßt und unterdrückt; es ist niemand anderes als alle diese stolzen Beamten Eurer Fürsten und Könige, alle diese stolzen Intendanten und Gouverneure der Städte und Provinzen; alle diese stolzen Steuerpächter und Empfänger von Abgaben, alle diese stolzen Erpresser und Steuerbeamten; schließlich alle diese hochmütigen Prälaten, Bischöfe, Äbte, Mönche und dicken Pfründner und alle diese anderen reichen Herren und Damen oder Fräulein, die nichts anderes auf der Welt tun, als die Großen und die Erhabenen zu spielen, die nichts anderes tun, als sich zu zerstreuen und jede Art von Wohlleben zu genießen, während Ihr, das Volk, Tag und Nacht mit allerlei mühseliger Arbeit zubringt und Euer Leben lang die ganze Last des Tages und der Hitze tragt, um im Schweiße Eures Angesichts alle die zum Leben notwendigen und nützlichen Dinge hervorzubringen.

Da habt Ihr, meine lieben Freunde, die wahrhaft hoffärtigen Leute, die Ihr mit der Wurzel ausrotten solltet wie Pflanzen, die den Saft der Erde, der sie nährt, nicht mehr aufnehmen können. Der Saft aber, der so reichlich fließt und alle diese hoffärtigen und stolzen Herrschaften nährt, sind die großen Reichtümer und die fetten Einkünfte, die sie alle Tage aus der mühsamen Arbeit Eurer Hände ziehen. Denn allein von Euch, Eurem Fleiß und Eurer mühsamen Arbeit kommt der Überfluß aller Gaben und aller Reichtümer der Erde. Dieser überströmende Saft, den sie aus Eurer Hände Arbeit saugen, hält sie am Leben, nährt sie, mästet sie und macht sie so stark und mächtig, so hochmütig, hoffärtig und stolz, wie sie sind. Aber wollt Ihr, Völker, wollt Ihr gänzlich diese hoffärtigen und hochmütigen Herrschaften da mit der Wurzel ausrotten? Dann braucht Ihr sie nur dieses überströmenden Saftes zu berauben, den sie aus Eurer Hände Arbeit und Eurer Mühsal ziehen. Behaltet selbst in Euren Händen alle die Güter, die Ihr im Schweiße Eures Angesichts so reichlich hervorbringt; haltet sie für Euch selbst und alle Euresgleichen zurück, gebt nichts davon diesen hoffärtigen und unnützen Herrschaften, gebt nichts davon diesen hoffärtigen und reichen Faulpelzen; gebt nichts davon allen diesen unnützen Mönchen und Geistlichen; gebt nichts davon diesem stolzen und hochmütigen Adel; gebt nichts davon diesen hoffärtigen und überheblichen Tyrannen noch jenen, die ihnen dienen. Befehlt allen Euren Kindern, Euren Eltern, Euren Verwandten und allen Euren Freunden, sie zu verlassen, ihren Dienst völlig aufzukündigen und nichts mehr für sie zu tun; schließt sie gänzlich aus Eurer Gesellschaft aus; betrachtet sie überall, wie Ihr Ausgestoßene unter Euch betrachten würdet, und durch dies Mittel werdet Ihr sie bald vertrocknen sehen, wie die Pflanzen, deren Wurzeln keinen Saft mehr aus der Erde aufnehmen.

Ihr habt keinerlei Bedarf an allen diesen Leuten da, Ihr könntet gut auf sie verzichten, sie aber können niemals auf Euch verzichten. Werdet doch endlich vernünftig, Völker dieser Erde (denn ich redete gern zu allen Völkern auf der Welt, da niemand für sie spricht und niemand ihnen sagt, was ihnen gesagt werden müßte), Ihr alle, die Ihr nichts verstanden habt, lernt endlich Euer eigenes Wohl kennen, lernt Euer wahrhaftes Wohl erkennen! Und Ihr alle, die Ihr einfältig seid, lernt endlich vernünftig zu werden!  Intelligite insipientes in populo, et stulti aliquando sapite (Psalm 93,8). Wenn Ihr also vernünftig seid, legt allen Euren Haß, Euren Neid aufeinander ab, vergeßt alle persönlichen Feindschaften untereinander und wendet Euren ganzen Haß und alle Eure Empörung gegen Eure gemeinsamen Feinde, gegen alle diese abscheulichen Tyrannen und gegen diese ganze stolze und hochmütige Bande, die Euch unterdrückt, so elend macht und Euch die besten Früchte Eurer mühsamen Arbeit aus den Händen reißt und raubt. Vereint Euch in dem gleichen Gedanken an Eure Befreiung aus diesem verhaßten und unerträglichen Joch ihrer tyrannischen Herrschaft wie auch der eitlen und abergläubischen Verrichtungen ihrer falschen Religionen. Es gebe daher keine andere Religion bei Euch als die der wahren Vernunft und der Rechtschaffenheit der Sitten, nichts anderes als die Ehrlichkeit und den Anstand, die Aufrichtigkeit und den Großmut des Herzens, nichts anderes, als die Tyrannei und den abergläubischen Götzendienst gänzlich auszurotten, nichts anderes, als überall die Gerechtigkeit und Billigkeit aufrechtzuerhalten; es sollte nichts anderes bei Euch geben, als Irrtum und Betrug vollkommen zu verjagen und überall die Wahrheit, die Gerechtigkeit und den Frieden herrschen zu lassen; keine andere Religion, als daß sich alle mit ehrlichen und nützlichen Aufgaben beschäftigen und geordnet alle gemeinsam leben und immer die allgemeine Freiheit erhalten und Ihr Euch schließlich alle gegenseitig liebt und unverletzlichen Frieden und Einigkeit untereinander bewahrt.

[...] Wenn alle diejenigen, die genauso gut wie ich, oder eher noch besser als ich, die Eitelkeit der menschlichen Dinge kennen, die viel besser als ich die Irrtümer und den Betrug der Religionen kennen, die viel besser als ich die Mißbräuche und Ungerechtigkeiten der Herrschaft über die Menschen kennen, wenigstens am Ende ihrer Tage sagten, was sie darüber denken, wenn sie das alles wenigstens, bevor sie sterben, in dem Maße anprangerten, verurteilten und verdammten, wie es dies verdiente, dann sähe man die Welt bald ihr Gesicht und ihre Gestalt verändern; man lachte bald über all die Irrtümer und all die eitlen und abergläubischen Verrichtungen der Religion, und man sähe bald diese ganze prachtvolle Größe und diesen ganzen stolzen Hochmut der Tyrannen fallen; man sähe sie bald gänzlich bezwungen. Was aber diese Art von Verbrechen und von Irrtümern und Mißständen überall auf der Welt so mächtig erhält, ist, daß niemand ihnen entgegentritt, niemand widerspricht, niemand sie dort anprangert und offen verurteilt, wo sie einmal etabliert und zugelassen sind. Alle Völker seufzen unter dem tyrannischen Joch der Irrtümer und des Aberglaubens, der Mißbräuche und des Unrechts der Herrschaft, und niemand wagt offen gegen so viele so abscheuliche Irrtümer seine Stimme zu erheben, gegen so viele so abscheuliche Mißbräuche, gegen so viele so abscheuliche Raubzüge und Ungerechtigkeiten, die überall auf der ganzen Welt begangen werden. Die Weisen verstellen sich in dieser Hinsicht, sie wagen es nicht, offen zu sagen, was sie denken, und es ist diesem feigen und furchtsamen Schweigen zu verdanken, daß alle die Irrtümer, dieser ganze Aberglaube und alle die Mißstände, von denen ich geredet habe, sich auf der Welt behaupten und sich jeden Tag noch vervielfältigen können, wie wir es sehen.

1 Cf. S. 93.


 




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