Fortsetzung 12
Marlis Meergans, Eberhard Noll
Die Pariser Kommune
Die Provinzaufstände
Da Paris durch die eiserne Umklammerung weitgehend
von den revolutionären Erhebungen in der Provinz und in den
großen Städten isoliert war, bestand eine dringende
Notwendigkeit darin, den Kontakt zu diesen Erhebungen herzustellen
um die geballte militärische Kraft Versailles von Paris abzuwenden.
In den großen Städten waren zur fast gleichen Zeit
wie in Paris Kommunen ausgerufen worden. In Lyon am 22. März,
in Marseille und Toulouse am 23. ,in Narbonne und Saint Etienne
am 24., in Le Creusot am 26. Lind schließlich in Limoges
am 4. April. Aber auch in den ländlichen Gebieten entfaltete
sich der Widerstand. Dieser Widerstand und alle revolutionären
Erhebungen in den Städten wurden immer wieder gewaltsam von
den Versaillern erstickt. Die Kommune von Lyon konnte sich 3 Tage
halten, Marseille 12 Tage, Toulouse 4 Tage, Narbonne 8, Le Creusot
2 und Limoges einen Tag. Auch in den großen Städten
war zu beobachten, daß die Aufstände isoliert waren.
Als Thiers am 11. April seine große Offensive gegen Paris
begann war die Provinz bereits im Blut der Aufständischen
erstickt. Doch immer wieder rief Paris zum Widerstand gegen Versailles
auf. In diesem Zusammenhang steht auch eine Flugschrift, in der
es unter anderem hieß:
"An die Arbeiter auf dem Lande! Bruder
man betrügt Dich. Unsere Interessen sind dieselben. Das,
was ich fordere, willst auch Du. Die Befreiung, die ich verlange,
ist auch die Deine.( ... ) Was kommt es darauf an, ob die Bedrücker
Großgrundbesitzer oder Industrieunternehmer heißen?
Bei Dir wie bei uns ist der Tag lang und bringt nicht einmal soviel,
wie die leiblichen Bedürfnisse verlangen.(...) Paris wünscht
schließlich, hör' gut zu, Landarbeiter, armer Tagelöhner,
Kleiner Besitzer, den der Wucher auffrißt, Halbpächter
und Pächter, Ihr alle, die ihr sät, erntet und Euren
Schweiß vergißt, damit der Hauptteil Eurer Güter
jemandem zufalle, der gar nichts tut Paris will zu guter
Letzt den Bauern den Boden, dem Arbeiter das Werkzeug. (...) Den
Krieg, den Paris jetzt führt, ist ein Krieg gegen den Wucher,
gegen die Lüge,und gegen die Faulheit. Man sagt
Euch: Die Pariser, die Sozialisten, wollen alles aufteilen. Nun
Ihr guten Leute, seht Ihr nicht, wer das zu Euch sagt? Sind nicht
diejenigen die Enteigner und Teiler, die nichts tun und von der
Arbeit anderer leben? (...) Was auch kommen mag, merkt Euch diese
Worte denn es wird solange Revolutionen in der Welt geben,
so lange nicht die Losung gilt: Die Erde dem Bauern, das Werkzeug
dem Arbeiter, die Arbeit für alle.
Die Arbeiter von Paris "
(75)
Ähnliche Aufrufe, Wie der "An die
großen Städte" (aux grandes villes), folgten.
Am 6. April beschloß die Kommune eine Delegation nach Marseille
zu entsenden, deren Aufständische sich 12 Tage gehalten hatten,
aber es war bereits zu spät. Obwohl die Aufstände in
den Provinzen keine militärische Bedeutung hatten, so zeigten
sie doch, daß die Pariser Kommune trotz ihrer, Isolierung
von den Unterdrückten im übrigen Frankreich begrüßt
wurde. Noch heute stellen die bürgerlichen Historiker die
Pariser Ereignisse des Jahres 1871 als einen Auswuchs in der Geschichte
Frankreichs dar; und um die Sache abzurunden, vergessen sie dabei
geflissentlicherweise die Aufstände in den Provinzen.
Am 25. April nahmen 53 Batterien der Versailler
die Beschießung des Forts von Issy auf, so daß am
1. Mai die Truppen der Versailler bis auf 300 Meter an das Fort
herangerückt waren. In diesen 6 Tagen hatten nicht weniger
als 293 Belagerungsgeschütze das Fort unter Beschuß
genommen, wobei jedes ca. 400 Granaten abgeschossen hatte. Man
kann sich das Ausmaß der Zerstörung vorstellen, dennoch
beantwortete der Kommandant der Festung eine Kapitulationsaufforderung
mit folgenden Worten:
"Mein lieber Kamerad, wenn Sie noch
einmal so unverschämte Aufforderungen schicken, wie sie in
Ihrem gestrigen Brief enthalten waren, werde ich den Überbringer
nach Kriegsbrauch erschießen lassen.
Ihr ergebener Kamerad Rossel"
(76)
Die Ausmaße dieses ungleichen Kampfes
schildert ein Soldat der Festung in seinen Tagebuchnotizen:
"6. Mai. Die Battery von Fleury
schickt uns regelmäßig alle fünf Minuten ihre
sechs Schüsse. Man bringt soeben eine Marketenderin
in die Ambulanz, die eine Kugel in die linke Weiche erhalten hat.
Seit vier Tagen sind drei Frauen hier, die in den stärksten
Kugelregen gehen, um die Verwundeter. fortzuschaffen. Jene wird
sterben und hat uns ihre zwei Kinder anempfohlen. Keine
Lebensmittel mehr. Wir essen nur noch Pferdefleisch. Abends:
Der Wall ist nicht mehr zu halten.
7. Mai. Wir erhalten bis zu zehn
Granaten in der Minute. Die Wälle sind völlig entblößt.
Alle Geschütze bis auf zwei oder drei sind außer Gefecht
gesetzt. Die Versailler haben sich fast bis zu uns herangearbeitet.
Wir haben weitere dreißig Tote. Wir sind an
dem Punkt eingeschlossen zu werden ..."
(77)
Am 9. Mai fiel das Fort nach einem 15tägigen
Dauerbombardement. Nach der Einnahme des Fort von Issy stießen
die Versailler gegen das Bois de Boulogne und den PontduJour
vor, nachdem schon am 8. Mai 70 Geschütze das Feuer auf die
letztere Stellung eröffnet hatten. Am 13. Mai fiel das Fort
Vauvres. Zur selben Zeit da vor den Toren von Paris gekämpft
wurde, beschossen die Versailler die Stadt mit großem Aufwand.
Vom 4. April bis zum 21. Mai trafen viermal soviel Granaten Paris,
als während der ganzen viermonatigen Belagerung von Paris
durch die Preußen. Was Thiers wiederum nicht daran hinderte
nach allen Seiten zu versichern, daß nichts ihm ferner liegen
würde, als Paris zu bombardieren. Vor einer Delegation von
Provinzbürgermeistern erklärte er beispielsweise: "Die
Behauptung, daß wir auf Paris schießen lassen, ist
falsch, absolut falsch. In Wahrheit sind es die Kommunarden, die
dieses ungeheure Artilleriegedröhn veranstalten, um glauben
zu machen, daß sie in der Lage waren Schlachten zu liefern...
" (78)
Das Ende der Kommune (Die Blutwoche)
Am 17. Mai drangen die Versailler weiter nach
Paris vor. Fünf Stadtteile lagen unter den Beschüssen
ihrer Kanonen; und am 18. Mai überrumpeln die Versailler
Truppen in Cachan die Streitkräfte der Kommune dadurch, daß
sie mit dem Ruf: 'Es lebe die Kommune' auf sie zugingen.
Freitag, der 19. Mai: Versailles beschießt mit nicht weniger
als 300 Geschützen die Wälle am Bois de Boulogne. 75
Einschläge pro Minute schießen die Stellungen sturmreif.
Es war aber kein Kanonendonner, der die Agonie der Kommune einleitete
lediglich ein Bettlaken wurde geschwenkt:
"Von einem kleinen Finanzbeamten und
Amateurspion namens Ducatel, der am Nachmittag des 21. Mai, eine
Feuerpause nutzend, aufs Geratewohl in der Nähe der Porte
de SaintCloud herumgestrolcht war und dabei, soweit das
Auge reichte, nicht eine Menschenseele der Föderierten in
den Stellungen entdeckt hatte."(79)
"Er kletterte auf die Bastion 64"
schreibt Lissagaray, "schwenkte ein weißes Tuch
und rief den Soldaten in den Laufgräben zu:
'Nur herein es ist niemand da!' Ein Marineoffizier
(Der Versailler) erschien, befragte Ducatel, überschritt
die Reste der Zugbrücke und Überzeugte sich, daß
die Basteien und die benachbarten Häuser völlig verlassen
waren. Der Offizier kehrte sogleich in den Laufgraben zurück
und telegrafierte die Nachricht an die nächsten Generäle.
Die Breschbatterien stellten ihr Feuer ein. Die Soldaten aus den
benachbarten Laufgräben drangen in kleinen Abteilungen in
den Stadtgürtel ein." (80)
Es war der Verrat vom 21. Mai, der es den Versailler
Truppen ermöglichte in die Stadt einzudringen. Vorerst konnten
zwar die Versailler aufgehalten werden, aber ihr Vorstoß
war von entscheidender Bedeutung. Am 23. Mai 1871 begann mit dem
Kampf um Montmatre eines der dunkelsten Kapitel der Geschichte
der Kommune.
Mac Mahon, General der versailler Truppen,
gelang mit einer Truppenstärke von zwei Armeekorps der Durchbruch
durch weitere Stellungen der Kommune. Unter dem Hagel des Artilleriefeuers
fiel Barrikade um Barrikade. Ein großer Teil. von Paris
fiel in die Hände der Versailler. Am 24. Mai erschien die
letzte Nummer des "Journal Officiel"; in einem Aufruf
der Kommune hieß es:
"Der Feind ist nicht dank seiner Stärke,
sondern mit Hilfe von Verrätern in die Stadt eingedrungen.
Der Mut und die Energie der Pariser werden ihn zurückschlagen
(...) Alle auf die Barrikaden! Läutet Sturm, laßt alle
Glocken dröhnen und alle Kanonen donnern, solange auch nur
noch ein einziger Feind in der Stadt ist!
Dieser Krieg ist furchtbar, denn der Feind
kennt kein Erbarmen. (...) Der vollständige Sieg ist die
einzige Aussicht auf Rettung, die dieser erbarmungslose Feind
uns laßt. Erringen wir den Sieg durch Einigkeit und Opferbereitschaft!
Möge Paris heute seine Pflicht tun! Morgen wird ganz Frankreich
ihm nacheifern!" (81)
Am Abend des 25. Mai war der von der Kommune
noch beherrschte Teil der Stadt weiter zusammengeschrumpft. Der
Kommune blieben noch der 19. und der 20. Bezirk und vom 11. und
13. ungefähr die Hälfte.
Währenddessen wurde das Massaker der Versailler
fortgesetzt. Gefangene Nationalgardisten wurden erschossen aber
auch Zivilisten. Thiers feierte in den Vorstädten die Blutrache.
Von Versailles aus waren die Kämpfe mit bloßem Auge
zu sehen und vor der Szenerie einer brennenden Stadt feierte die
Bourgeoisie bereits ihr Siegesfest.
Am 26. Mai verlor der Widerstand der Kommune
immer mehr an Organisiertheit. Die meisten Ratsmitglieder der
Kommune standen selbst auf den Barrikaden.
"Die hemmungslose Mordgier der Versailler
brachte die Zeitung "Le Siécle" dazu, an diesem
Tage zu schreiben: 'Es ist ein tobsüchtiger Wahnsinn. Man
macht keinen Unterschied mehr zwischen dem Schuldigen und Unschuldigen.
In aller Augen lauert der Verdacht. Die Denunziationen nehmen
überhand. Das Leben der Bürger hängt nur noch an
einem Haar. Wegen eines Ja oder wegen eines Neins kann man festgenommen
und erschossen werden.' " (
82)
(Gemeint sind hier die Zustände in den
von Versailles besetzten Teilen von Paris)
Am selben Tag "wurden Gefangene der
Kommune aus dem Roquett-Gefängnis nach der Rue Haxo gebracht.
Es handelte sich um 50 Geiseln, deren Geleit durch die Straßen
des 20. Bezirks die Empörung der Bevölkerung erregte.
In dieser Atmosphäre wurden sie, übrigens ohne ausdrücklichen
Befehl, erschossen, aber wie sollte man kein Verständnis
für die Wut der Pariser haben, die genau wußten, daß
die Gefangenen Kommunarden von den Versaillern systematisch ermordet
wurden." (83)
Das Operationsgebiet der zum Zurückweichen
gezwungenen Föderierten wurde immer winziger. Auf dem Friedhof
PèreLachaise lieferten die Soldaten der Kommune ihr
letztes Gefecht. Nachdem das Tor des Friedhofes zusammengebrochen
war, ging der Kampf auf den Gräbern und in den Grabgewölben
weiter.
In der Stellung des 20. Bezirks nahmen Ferré,
Varlin, Ranvier und Jourde, die ihrem Mandat als Abgeordnete der
Kommune bis zuletzt die Treue hielten, an den letzten Kämpfen
teil. Sie waren durch die unablässigen Kämpfe erschöpft
und hatten keine Hoffnung mehr. Was aber blieb ihnen übrig
als bis zuletzt zu kämpfen? Die Blutgier der Versailler äußerte
sich in einer Weise, daß die Londoner "Times"
vom 27. Mai schrieb. "Die Partei der Ordnung (gemeint
sind die Versailler), deren Feigheit die Hauptursache des Krieges
war, zeichnet sich jetzt durch ihre Blutgier aus. Überall
werden die Häuser nach Aufständischen durchsucht, und
viele von denen, die sie finden, werden erschossen."
(84)
Am 28. Mai um 8 Uhr morgens besetzten die Versailler
das Rathaus des 20. Bezirks. Um 10 Uhr gab es nur noch schwachen
Widerstand. An einigen Barrikaden im 11. Bezirk wurde noch
immer gekämpft. Paris erlebte den letzten Kampf auf der letzten
Barrikade. Lissagaray hat ihn mit bewegenden Worten geschildert:
"Um 10 Uhr haben die Föderierten beinahe keine Kanone
mehr und sind von zwei Dritteln der Armee eingeschlossen. Sie
verzagen trotzdem nicht.
(...) Die Versailler Artillerie beschießt
sie, bis die Föderierten ihre Munition verbraucht haben.
Als die letzte Patrone verschossen ist, stürzen sie sich,
mit Kugeln überschüttet, in die Bajonette, von denen
sie umzingelt sind. (...) Die letzte Barrikade der Maitage ist
in der Rue Ramponneau, die eine Viertelstunde lang von einem einzigen
Föderierten verteidigt wird.(...) Um 11. Uhr war alles aus."
(85)
Am 28. Mai verkündete Mac Mahon den ersten
Tagesbefehl für das besiegte Paris. "Die Armee Frankreichs
hat euch gerettet, Paris ist befreit. Um 4 Uhr haben unsere Soldaten
die letzten noch von den Aufständischen besetzten Stellungen
genommen. Heute ist der Kampf beendet. Ordnung, Arbeit und Sicherheit
werden wiederkehren." (86)
Varlin, Mitglied des Rates der Kommune, wurde
von einem Geistlichen erkannt und denunziert. Er wurde von den
Versaillern erschossen, doch zuvor wurde sein Haupt so grauenhaft
zu einer Fleischmasse zerstümmelt, daß die Augen aus
den Höhlen hingen. Paris schwamm im Blut der Kommunarden.
Die Verbrechen der Versailler wurden von der Reaktion sogar als
Heldentaten, gefeiert.
"Le Figaro", der schon damals so
reaktionär war wie heute, schrieb an jenem 28. Mai: "Was
ist ein Republikaner? Ein wildes Tier. Wer ein anständiger
Mensch ist, schlägt zu, um das demokratische Ungeziefer auszurotten."
(87)
Am 25. Mai 1871 - der Endkampf der Kommunarden hatte gerade begonnen -
schleuderte August Bebel der reaktionären Mehrheit des Reichstages die
flammenden Worte entgegen:
"Meine Herren, ... seien Sie fest überzeugt, das ganze europäische
Proletariat und alles, was noch ein Gefühl für Freiheit und Unabhängigkeit
in der Brust trägt, sieht auf Paris ..., und wenn auch im Augenblick Paris
unterdrückt ist, dann erinnere ich Sie daran, daß der Kampf in Paris nur
ein kleines Vorpostengefecht ist, daß die Hauptsache in Europa uns noch
bevorsteht und daß, ehe wenige Jahrzehnte vergehen, der Schlachtruf
des Pariser Proletariats, 'Krieg den Palästen, Friede den Hütten, Tod der
Not und dem Müßiggange!' der Schlachtruf des gesamten europäischen
Proletariats werden wird."
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Das "Journal des Débats" stellte
zynisch fest: "Unsere Armee hat ihre Niederlagen durch
einen unschätzbaren Sieg gerächt " (88)
In Paris nahm die Blutorgie der Versailler
einen Umfang an, den sogar die regierungsfreundlichen Zeitungen
nicht verhehlen konnten. Am 30. Mai meldete die Zeitung "Le
Siécle":
"Alle Angeklagten werden einem summarischen
Verhör unterworfen. Dann verkündet der Vorsitzende das
Urteil. Wird der Schuldige als Normalfall eingestuft, bringt man
ihn nach Satory. Wird er dagegen als Sonderfall betrachtet, führt
man ihn in einen Nebenraum, in dem er vor seiner Erschießung
ein paar Worte mit dem Geistlichen wechseln darf."
(89)
Am selben Tage schrieb die Zeitung "La
Liberté": "Die Kriegsgerichte arbeiten in
Paris an verschiedenen Stellen mit unerhörter Aktivität.
In der LobauKaserne und in der Militärschule krachen
ständig die Salven der Exekutionskommandos. So rechnet man
mit den Elenden ab, die offen am Kampf teilgenommen haben."
(90)
Am darauffolgenden Tage, dem 31. Mai, schrieb
Emile Zola in der Zeitung "Le Sémaphore": "Ich
habe einen Spaziergang durch Paris machen können.(...) ich
will ihnen nur von den Leichenhaufen erzählen, die man unter
den Brücken aufgeschichtet hat. Nein, niemals werde ich vergessen,
wie entsetzlich sich mir das Herz zusammenkrampfte beim Anblick
dieser Haufen blutigen Menschenfleisches, die man einfach auf
die Treidelpfade geworfen hat. Die Köpfe und Gliedmaßen
liegen in grausigem Durcheinander. Aus den Haufen schauen krampfhaft
verzerrte Gesichter hervor(...) Es gibt Tote, die aussehen, als
ob man sie in zwei Teile zerschnitten habe; Andere wieder scheinen
vier Beine und vier Arme zu haben." (91)
Die Bluttaten der Versailler erregten aber
auch im Ausland starke Empörung. Selbst die bürgerlichen
Blätter der ausländischen Presse konnten die Wahrheit
nicht verheimlichen. "L'Indépendance belge",
27. Mai: "Im Jardin du Luxembourg, im Park Monceau, am
Turm St. Jacque hatte man riesige Gruben ausgehoben und mit ungelöschtem
Kalk gefüllt. Dorthin wurden die Aufständischen, Männer
wie Frauen, geführt, (...) Das Exekutionskommando feuerte,
eine Rauchwolke stieg empor (...) Die Grube und der Kalk taten
sich auf und schlossen sich wieder Über ihrer Beute."
(92)
"Times", 26 . Mai: "Viele
Frauen und kleine Kinder sind im Luxembourg erschossen worden."
(93)
Evening Standard": "Man wird wohl
kaum genau erfahren können, wie viele Menschen bei der noch
immer andauernden Schlächterei ums Leben gekommen sind; denn
die Gefangenen, die man erschießt, werden durch das Los
bestimmt und dann kreuz und quer in eigens zu diesem Zweck ausgehobene
Gruben geworfen." (94)
"Reuter", 28. Mai: "In den
Kasernen beim Stadthaus sind gestern während des ganzen Nachmittags
die Verteidiger der Kommune erschossen worden. Nach jeder Salve
fuhren geschlossene Krankenwagen heran, in die die Leichen hineingeworfen
wurden." (95)
"Le Francais": "An der Börse
haben heute die meisten Exekutionen stattgefunden. (...) Wer sich
wehren wollte, wurde an die Gittertore gebunden." (96)
"Le Siécle'', 27. Mai: "Unsere
Soldaten geben kein Pardon mehr. Erbarmungslos werden alle niedergemacht,
die ihnen in die Hände fallen. Man kann sich vorstellen,
wie viele Tote es dabei gibt." (97)
Einen der bösartigsten Henker der Kommune
war General Gallifet, den Bismarck aus der Gefangenschaft ließ,
um ihn am Kampf gegen die verhaßte Kommune teilnehmen zu
lassen. Gallifet Kriterium dafür, wer zu erschießen
sei, war einfach: "Der Kerl da sieht intelligent aus,
legt ihn um!'' (98)
Über eines seiner Verbrechen berichten
elf Augenzeugen: "Ein Zug von Gefangenen war auf dem Wege
vom Boulevard Malesherbes nach Versailles. Am Schloß von
La Muette wurde er angehalten, und Gallifet wählte 83 Männer
und 3 Frauen aus, die an der Böschung erschossen wurden.
Nach dieser Heldentat erklärte uns der General: 'Ich
heiße Gallifet. Eure Pariser Zeitungen haben mich mit Dreck
beworfen. Dafür räche ich mich jetzt,' Dann wurde
der Rest des Zuges nach Versailles geführt. Unterwegs wurden
drei Frauen und zwei Männer, die vor Erschöpfung nicht
mehr laufen konnten, von den Polizisten niedergestochen, die den
Zug begleiteten." (99)
Noch Anfang Juni kam es zu wahllosen Exekutionen
auf dem Friedhof PèreLachaise. Camille Pelletan,
ein Zeitgenosse der Kommune, schrieb in seinem Buch "Die
Maiwoche": "Das Massaker vom Mai muß besonders
erwähnt werden. Es gibt nichts Ähnliches in unserer
ganzen Geschichte. " (100)
Pelletan vergleicht die Zahl der in der Blutwoche
Ermordeten mit der Zahl der Toten, die die Französische Revolution
von 1789 gefordert hat, und kommt zu den Schluß: "Auf
welche Zahl kommen wir? Auf höchstens 12.000 für die
ganze Revolution in ganz Frankreich (1789). Das ist wenig mehr
als ein Drittel der Zahl derjenigen, die allein in der Maiwoche
in Paris ums Leben gekommen sind! Und es sind noch 5.000 weniger
als die 17.000 Opfer, die die Mörder selbst zugegeben haben!"
(101)
Statistik des Terrors der Maiwoche
Die wichtigsten Berufsgruppen der vom Kriegsgericht
verurteilten Kommunarden
2.901 Schriftsteller
2.683 Tischler
2.664 Schlosser, Mechaniker
2.233 Maurer
1.938 Schuster, Lederarbeiter
1.265 Angestellte
1.049 Steinmetzen, Bildhauer
1.022 Maler, Tapetenarbeiter
925 Buchbinder, Druckereiarbeiter
884 Schneider, Hutmacher
206 Schneiderinnen
690 Goldarbeiter, Vergolder
608 Klempner, Gießereiarbeiter
179 Uhrmacher.
106 Lehrer (102)
Gambetta, der Wortführer der nach 1871
tonangebenden "neuen bürgerlichen Gesellschaftsschichten",
behauptete nach der Zerschlagung der Kommune mit aller Entschiedenheit:
"Es gibt keine soziale Frage!''(103) Und auch Flaubert glaubte:
"Was den Sozialismus betrifft, so ist er für lange Zeit
gestorben." (104)
Alle täuschten sich. Durch die Feder Eugène
Pottiers, der, in Paris versteckt, im Juni 1871 die "Internationale"
schrieb und komponierte, antwortete ihnen die Geschichte:
Man hat sie an die Wand gestellt
und tausendmal erschossen
und brüllend zog die Unterwelt
ihr Banner durch die Gossen.
der Henker hob es aus dem Kot.
und schrie. das ist die Sühne!
doch trotz Verbot,
sie ist nicht tot,
sie lebt noch: die Kommune!
Anmerkungen:
75 F. Krause "Pariser Commune" Frankfurt a/M 1971, S. 67
76 "Die Großen 72 Tage", Berlin
1971, S. 291
77 ebenda S. 294
78 ebenda
79 ebenda S. 301
80 Prosper Lissagaray, "Die Pariser Commune"
ed. suhrk., S. 293
81 Jaques Duclos, "Himmelsstürmer",
Berlin 1963, S. 217
82 ebenda S. 217
83 ebenda S. 224
84 ebenda S. 226227
85 Prosper Lissagaray/ "Geschichte der
Commune von 1871", ed. suhrk. S. 385
86 Jacques Duelos/"Himmelsstürmer"
Berlin 1963, S. 228
87 ebenda
88 ebenda S. 229
89 ebenda
90 ebenda
91 ebenda S. 230
92 ebenda S. 234
93 ebenda
94 ebenda
95 ebenda
96 ebenda S. 235
97 ebenda
98 ebenda
99 ebenda S. 238
100 ebenda
101 ebenda
102 Geschichte 8 (DDR Geschichtsbuch) Berlin
1971
103 Die Pariser Kommune 1871, Berlin 1971,
S. 244
104 ebenda


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