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  Geschichte   

 


Hermann Axen über die deutschlandpoltische Problematik im Jahre 1953

- Auszüge aus einem Gespräch mit Prof. Dr. Harald Neubert

Vier Jahrzehnte nach dem Juli 1953 wird noch immer über die damalige Deutschlandpolitik der Sowjetunion gerätselt. Neue Einblicke geben die folgenden, redaktionell leicht gekürzten Auszüge eines Gesprächs mit Hermann Axen, das der Ostberliner Historiker und ND-Autor Prof. Dr. Harald Neubert, von 1970 bis 1990 Direktor des Instituts für Internationale Arbeiterbewegung an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, wenige Wochen vor Axens Tod am 15. Februar 1992 geführt hat.

NEUBERT: Ist etwas dran, daß Berija 1953 die DDR preisgeben wollte?

AXEN: Berija hatte nach Stalins Tod eine solche Idee. Man muß an die allgemeine Situation erinnern. In der Sowjetunion und in der ganzen kommunistischen Bewegung wurde die Verschärfung des Kalten Krieges so eingeschätzt, daß man mit dem baldigen Ausbruch eines heißen Krieges rechnen mußte. Man kam zu dem Schluß, alles tun zu müs- sen, um den Krieg zu verhindern.

NEUBERT: Ich lebte damals in der Sowjetunion und kann das bestätigen. Es herrschte Kriegsangst...

AXEN: Sehr prononciert haben sich damals auch Thorez und Togliatti, vor allem wohl Togliatti, geäußert. Togliatti hat der italienischen Regierung u.a. den Verzicht auf Opposition angeboten, falls diese sich von der NATO-Politik abwendet. Thorez hat erklärt, daß im Falle eines Krieges gegen die Sowjetunion die französische Arbeiterklasse auf Seiten der Sowjetunion steht. Die Zuspitzung hing natürlich auch mit dem Krieg in Korea zusammen.

NEUBERT: Togliatti hat damals gesagt, daß der Kampf um Frieden keine Frage des Klassenkampfes mehr ist, sondern eine Menschheitsfrage. Dafür ist er aus der Sowjetunion ganz scharf angegriffen worden. Eigentlich hatte Togliatii nichts anderes gesagt, als das, was dann in den 80er Jahren die die offizielle Auffassung von KPdSU, SED usw. war.

AXEN: Das stimmt. Damals wurde die Frage nach Krieg oder Frieden nicht als Lebensfrage der Menschheit gesehen. Aber zurück zur Situation von 1953. Es vollzog sich eine ungemeine Zuspitzung. Zum Beispiel kam es auch im Iran mit dem Sturz von Mossadegh zu einer reaktionären Wende. In vielen Teilen der Welt waren Kolonialkriege gegen die Befreiungs bewegungen im Gange. All dies wurde dem Kampf gegen den Kommunismus untergeordnet, was überhaupt der Realität widersprach. Nun muß man wissen, daß es in der sowjetischen Führung nach Stalins Tod 1953 eine Gruppe um Berija gab, die von Stalins Meinung abwich. Sie ging davon aus, daß sich die internationale La verschärfe und die USA aus einen großen Krieg zusteuere. Deshalb hat Berija in der Deutschen Kommission eine Neutralisierung Deutschlands vorgeschlagen. Man solle Deutschland als kapitalistisches, allerdings entmilitarisiertes, neutralisiertes Land billigen. Auf diese Weise, so hatte er Malenkow als Regie- rungschef überzeugen wollen, könne man den drohenden Krieg verhindern, und die Sowjetunion bekäme die Hände für ihre anderen außenpolitischen Aktivitäten, vor allem in Südostasien, frei.

Das schloß für uns den Verzicht auf den Sozialismus, eine Aufhebung der Beschlüsse der II. Parteikonferenz der SED, ein. In der Sowjetunion war man der Meinung, Berija hätte in dieser Hinsicht bereits Kontakte mit dem Westen, namentlich mit Churchill, aufgenommen. Molotow und Chruschtschow und später auch Malenkow haben diesen Plan Berijas abgelehnt.

NEUBERT: War dieser Plan nicht identisch mit dem Anliegen der Stalin-Note von 1952?

AXEN: Eine gewisse Anknüpfung gab es in der Stalin-Note war aber nicht die Rede vom Verzicht auf die Ergebnisse der antifaschistisch-demokratischen Reformen im Osten, während Berija hierzu bereit war. Diese revolutionären Veränderungen sollten rückgängig gemacht werden.

NEUBERT: Es wurde behauptet, daß Herrnstadt und Zaisser auf Seiten Berijas gestanden hätten. Stimmt das?

AXEN: Inwieweit sie eingeweiht waren, ist mir nicht bekannt. Ich kann nur soviel dazu sagen: In Moskau fanden Verhandlungen zwischen den Führungen statt, an denen Grotewohl, Ulbricht, Oelßner und vielleicht noch andere teilnahmen. Wilhelm Pieck war krank und lag in Barwicha im Krankenhaus. Er konnte also nicht dabei sein, wurde aber auf dem Laufenden gehalten. Die Sitzung eröffnete Malenkow und übergab Berija das Wort. Dabei wurde den deutschen Genossen mitgeteilt, was sie bis dahin nicht wußten, daß Berija nach Stalins Tod zum Leiter der Deutschen Kommission ernannt worden war.

Berija hat auf dieser Sitzung seinen Plan dargelegt darunter auch, daß man mit den Aufbau des Sozialismus verzichten müsse. Allerdings hat er einiges - wie im Stile eines Agenten - verschwiegen, beispielsweise das Eingeständnis, daß die Ergebnisse der Industrie- und Bodenreform, der Schulreform, die Enteignung der Kriegsverbrecher rückgängig zu machen wären. Die Linie, die Berija verfolgte, wäre auch dem Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945, den Stalin gebilligt hatte, zuwidergelaufen.

NEUBERT: War Berija nach Ihrer Meinung tatsächlich ein Agent des Westens?

AXEN: Das weiß ich nicht. Auszuschließen ist es nicht. In der Liste der Verbrechen, die er begangen hat, wäre auch dies denkbar. Der Hintergrund war natürlich, daß aufgrund der Veränderungen der Lage, so wie sie in Moskau eingeschätzt wurde, der Krieg vor der Tür gestanden hätte, daß alles an einem seidenen Faden gehangen hätte. Vor diesem Hintergrund meinte man, den Frieden mit einer veränderten Deutschlandpolitik retten zu können.

NEUBERT: Ich kann nicht glauben, daß Berija ein Agent des Westens war. Das ergibt für mich keinen Sinn. Diese Behauptung entspricht vielmehr dem von Stalin zuvor kultivierten Wahn, überall würden imperealistische Agenten, Spione tätig sein und jeder könnte dafür in Frage kommen. So galt auch Trotzki als Agent des Imperialismus und jeder andere, der in der Komintern eine andere Meinung als die von Stalin gebilligte vertrat.

AXEN: Ich glaube auch nicht, daß Trotzki und die anderen Agenten des Imperialismus gewesen wären. Auf alle Fälle steht aber fest, daß Berija die DDR opfern wollte, um die Hände frei zu bekommen für seine persönlichen Ambitionen. Die Linie Beriias scheiterte daran, daß sie von Chruschtschow, Molotow, Malenkow und anderen entschieden abgelehnt wurde.

Ich will aber meinen Gedanken zu den Vorgängen in der SED fortführen. Während des Aufenthaltes der Genossen in Moskau war ich als Mitglied des Sekretariats für die Arbeit der Führung verantwortlich. Andere in Frage kommende Genossen waren nicht anwesend. In dieser Eigenschaft erhielt ich ein von Grotewohl und Ulbricht unterzeichnetes chiffriertes Telegramm, das mir von Orlow übergeben wurde, dem Vertreter Tulpanows in der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), der schon abberufen war. Orlow kam in Generalsuniform, was sonst nicht üblich war, noch dazu in Begleitung von sechs weiteren Personen. Er war später stellvertretender sowjetischer Außenminister. Ein sehr harter Geselle. Er hat mir das Telegramm, das recht kurz war, verlesen. Sein Inhalt war:

Ab sofort im Ergebnis der hiesigen Aussprache und übereinstimmender Standpunkte keine weitere Propagierung der Beschlüsse der II. Parteikonferenz über den Aufbau der Grundlagen des Sozialismus, keine weitere Propagierung der Broschüren mit entsprechendem Inhalt, Einziehung dieser Materialien, dafür Orientierung auf Aufbau eines demokratischen Deutschlands und Friedenspolitik usw. Ich wurde als amtierender Sekretär beauftragt, den Genossen Heinrich Rau, der in Abwesenheit der anderen dem Politbüro vorstand und zugleich stellvertretender Ministerpräsident war, zu informieren, und unverzüglich, noch vor Rückkehr der Delegation aus Moskau, die entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen und den Bezirkssekretären der SED Mitteilung zu machen.

Daraufhin habe ich sofort Otto Schön gerufen, der Mitglied des Sekretariats war. Als ich Genossen Rau informierte, war Herrnstadt, Kandidat des Politbüros und Chefredakteur des "Neuen Deutschlands", anwesend. Ich hatte inzwischen an die Bezirksleitungen ein Telegramm verfaßt, das Rau billigte. Dennoch war ich im Zweifel, ob ich das Telegramm sofort herausschicken sollte. Immerhin ging es um eine entscheidende Frage unserer Politik und Entwicklung. Wir wußten ja nicht, wann die Delegation zurückkehrt. Inzwischen rief aber Orlow fortwährend an, um darauf zu drängen, daß das Telegramm herausgehen solle. Herrnstadt reagierte sofort mit der Bemerkung, daß diese neue Orientierung großartig sei, daß sie uns die ganze Sache erleichtere. Für mich waren diese Äußerungen überraschend. Ich selbst habe in dieser Situation wie ein Soldat gehandelt, der zwar die Sache nicht versteht, den Befehl aber ausführen muß. Die ganze Geschichte bekam aber dann eine Wende.

NEUBERT: War dieses Telegramm tatsächlich von Grotewohl und Ulbricht?

AXEN: Es war von ihnen. Sie waren in Moskau überzeugt oder gezwungen worden, diese Linie zu akzeptieren. Sie wurde aber kurz danach korrigiert. Es dauerte noch etwa vierzehn Tage, bis Berija abgelöst wurde.

Gleich gab es eine andere Orientierung: Alles, was in- zwischen eingeleitet worden war, wurde rückgängig gemacht. Das waren die Umstände, weshalb ich aus dem Sekretariat ausgeschlossen und zum 2. Sekretär der Bezirksleitung der SED von Berlin ernannt wurde. Aus dem Zentralkomitee wurde ich nicht ausgeschlossen.

NEUBERT: Sie wurden also zum Bauernopfer für die Entscheidungen anderer?

AXEN: Meine Ablösung vollzog sich stillschweigend. Es gab keinerlei Angriffe gegen mich. Mein Name wurde nicht einmal in diesem Zusammenhang erwähnt. Auf der nachfolgenden Plenartagung des Zentralkomitees habe ich eine Rede gehalten, in der ich Selbstkritik geübt habe. Ich habe ausgeführt, daß ich falsch gehandelt hätte, daß ich als Kommunist selbständig über die Dinge hätte nachdenken müssen.

NEUBERT: Der ganze Vorgang zeugt aber vom undemokratischen Wesen der Partei und Mißbrauch der Parteidisziplin. Hätten Sie "eigenverantwortlich gehandelt", wären Sie ebenfalls zur Verantwortung gezogen worden.

AXEN: In der Tat: Ich hätte machen können, was ich wollte, alles war falsch. Hätte ich die Anweisung aus Moskau nicht befolgt, hätte man mir den Kopf abgerissen. Herrnstadt, soviel kann ich sagen, war ein Vertrauter von Berija. Ob er in dessen Pläne eingeweiht war, weiß ich nicht. Inwieweit Zaisser alles durchschaut hat, kann ich ebenfalls nicht sagen.

Quelle: Neues Deutschland vom 25. Juni 1993




 




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