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  Geschichte   

 


Ristock in der Rolle des "indischen Hauselefanten" *)

Wir wissen seit längerer Zeit, daß es die "Rechten" und die "Linken" in der SPD nicht mehr gibt.

Zu unterschiedlich sind die Auffassungen in der Vielzahl der Fragen, als daß sich die Antworten der Gruppen und ihre praktischen Tätigkeiten auf einen Gesamtnenner bringen ließen. Trotzdem gab es in der Vergangenheit wichtige Kriterien, mit deren Hilfe bestimmt werden konnte, was in der SPD als "rechts" und was als "links" zu gelten hatte. Wir werden in einer der nächsten Nummern ausführlich darauf eingehen.

Zwischen der Funktion der SPD in der Gesellschaft und der Funktion der "Linken" in der SPD besteht eine enge Beziehung. Die Funktion der SPD in der Gesellschaft wird hauptsächlich von ihrer Aufgabe her bestimmt, die Arbeiterklasse in die bürgerliche Gesellschaftsordnung zu integrieren, ihre Zustimmung zur bestehenden Eigentumsordnung zu erlangen. Dabei gilt es, die oppositionellen Kräfte in den organisatorischen Griff zu bekommen, zu kanalisieren und damit zu kontrollieren. Voraussetzung hierfür ist, daß die SPD ihre scheinoppositionelle Rolle spielt.

Aus der Vielzahl der geschichtlichen Beispiele seien nur zwei genannt: Eberts Eintritt in die Streikleitung der Berliner Metallarbeiter 1918, mit dem ausschließlichen Ziel, den Streik abzuwürgen, und Willy Brandts Aktivierung als Bundesvorsitzender des Aktionskomitees "Kampf dem Atomtod" im Jahre 1958.

In Zeiten, in denen der Bestand des Systems, bzw. der Profit der Monopolisten gefährdet erscheinen, besinnt man sich der nationalen Verantwortung. In der Stunde der Gefahr läßt kein Sozialdemokrat die Bourgeoisie im Stich. Jüngstes Beispiel: die Große Koalition in Bonn. In diesen Zeiten wird es dann schwierig, der Oppositionsfunktion gerecht zu werden.

Hier drängen sich Parallelen auf zu der Politik der sog. Linken in der SPD.

Nach Ristocks eigener Aussage hat die"Linke" die Rolle des "indischen Hauselefanten" zu spielen, mit deren Hilfe bekanntlich die wilden Elefanten gezähmt werden. Bestes Beispiel aus jüngster Zeit: Als es in der Partei wegen der Großen Koalition zu starken Protesten kam, trat Ristock in Aktion. Wir erinnern an die Protestversammlung in der Hasenheide. Ristock und Beck gebärdeten sich recht radikal und verfuhren nach einem alten Rezept. In der Opposition mußte ein Ventil geschaffen werden. Sie schlugen damals vor, eine Urabstimmung in der SPD durchzuführen. Die Mitglieder sollten befragt werden, ob sie mit der Bildung der Großen Koalition einverstanden seien. Ristock gelang es, die oppositionelle Energie zu kanalisieren.

Er redete"links" und handelte"rechts". Die Urabstimmung wurde inzwischen sang- und klanglos begraben. Noch einmal hatten sich die gutwilligen und ehrlichen Kräfte in der SPD an der Nase herumführen lassen. Inzwischen ist die Frage längst nicht mehr aktuell. Sogar Ristock darf heute die Große Koalition loben.

Die mehr als prekäre Situation West-Berlins ließen es Mattick und Neubauer sinnvoll erscheinen, die "Ristock-Linke" mit in den Vorstand zu nehmen. Es kam zur sogenannten "Rechts-Links-Koalition", d. h. Ristock durfte seine Scheinoppositionsrolle aufgeben und wurde wieder in "Verantwortung" genommen. Seither "rauft" er sich mit Mattick und Schwedler im Vorstand zusammen, seiner "Verantwortung" für Berlin bewußt.

Doch nun muckten seine eigenen Partelgänger auf, denen es inzwischen wie Schuppen von den Augen gefallen war und die nun langsam beginnen, seine Rolle zu durchschauen. Sie schrieben ihm und den anderen "Linken" im Vorstand einen offenen Brief, den wir nachstehend im vollen Wortlaut abdrucken. Es wird sich zeigen, ob es Ristock abermals gelingen wird, die echte Opposition in der SPD zu zähmen.

Autor unbekannt


Quelle: berliner manuskripte 2, S. 9, Juli 1967

*) Harry Ristock war führender linker Sozialdemokrat in der Berliner SPD und später Bausenator




 




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