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TEIL 1: GESCHICHTE UND SELBSTKRITIK DER PL/PI

Die Genossen, die im Herbst 1969 unter dem Namen PEI die politische Arbeit in einem westberliner Großbetrieb aufnahmen, versuchten - ähnlich wie viele andere Gruppen -, mit diesem Schritt den veränderten Bedingungen Rechnung zu tragen, mit denen die Studentenbewegung konfrontiert war. Die Studentenbewegung hatte sich durch die Kämpfe in den Jahren 1968/69 das Bewußtsein erworben, daß die einzelnen Widersprüche, an denen sich ihre einzelnen Kämpfe entzündeten, nur durch die Revolution des Proletariats gelöst werden können. Konsequenz dieses Bewußtseins war die Einsicht in die Beschränktheit und Vergeblichkeit eines rein studentischen Kampfes, dessen Schwerpunkt noch dazu in der Hochschule liegt. Verengte zudem bis zu diesem Zeitpunkt die schwere Niederlage, die das deutsche Proletariat durch den Faschismus erlitten hatte, das Bewußtsein der studentischen Rebellen, vermochten diese, trotz der französischen und italienischen Arbeiterkämpfe nicht wirklich an ein revolutionäres deutsches Proletariat zu glauben, so waren die ersten Erfolge studentischer Betriebsarbeit, die Im Sommer 1969 erkämpft wurden (vgl. das "Harzer Papier"), waren aber vor allem die Septemberstreiks des westdeutschen Proletariats eine wichtige Voraussetzung für die PEI-Genossen, mit der Arbeit im Betrieb zu beginnen.

Mit diesem Schritt grenzten sich diese Genossen zugleich gegen die drei hauptsächlichen Richtungen ab, in denen im Herbst 1969 die aus der Studentenbewegung hervorgegangenen Gruppierungen die Grenzen dieser Bewegung zu überschreiten versuchten.

Zum einen grenzten sie sich gegen die Basisgruppen ab. An ihnen kritisierten sie vor allem eine, noch dazu unsystematische Fabrikpropaganda von außen, die die Fabrikarbeiterschaft immer nur zur Selbstorganisation aufrufen konnte. Zudem kritisierte sie an diesen Gruppen die Strategielosigkeit, die sich hinter der Parole "Arbeiterkontrolle" zeigte.

Zum zweiten grenzten sie sich gegen die studentischen ML-Gruppen ab. An ihnen kritisierten sie den Versuch, Voraussetzungen für Proletarische Praxis schaffen zu wollen, indem man die Praxis storniert, Klassiker studiert und sich nach Maximen organisiert, die nicht im Hinblick auf Praxis entwickelt, sondern aus Büchern abgeleitet sind. Schließlich grenzten sie sich mit der Aufnahme von Betriebsarbeit gegen die Genossen ab, die meinten, aus erweiterter theoretischer Arbeit werde eine Strategie für die Arbeit im Produktionsbereich hervorgehen. Demgegenüber vertrat die PEI die Auffassung, daß es notwendig sei, in den Betrieb zu gehen, um bei der Strategieentwicklung von der sinnlichen Stufe der Erkenntnis auszugehen, d.h. die revolutionäre Strategie zu entwickeln auf der Grundlage konkreter Kenntnisse über die Erscheinungsformen des Ausbeutungsverhältnisses im Kapitalismus der Gegenwart und auf der Grundlage der Erfahrungen, die das Proletariat bei seinen Kämpfen macht.

Als die PEI-Genossen im Herbst 1969 sich in einem dreiwöchigen Lehrgang auf die Betriebsarbeit vorbereiteten, das "Harzer Papier" schrieben und schließlich die Arbeit im Betrieb aufnahmen, gingen sie von folgenden strategischen Vorstellungen aus:

An dem Ort, an dem das Kapital die Arbeiterklasse konzentriert und organisiert, im Großbetrieb in erster Linie, gilt es, Arbeitergruppen aufzubauen, die sich durch Aktionen und Schulung befähigen. Massenkämpfe zu initiieren und In diesen Kämpfen die Voraussetzungen für das Klassenbewußtsein und für die Organisierung der proletarischen Massen. zu schaffen. Das Hauptkriterium für die Entscheidung, einen Konflikt aufzunehmen und auszutragen, sollte die Frage sein: Was spaltet, was einigt das Proletariat? Wichtiger jedoch als der jeweilige Inhalt des Konflikts erschien der PEI die Form, in der er ausgetragen wird. Die kollektive und organisierende Aktion galt ihr als das Entscheidende an jedem Konflikt. Die Aktionsstrategie der initiativen Arbeitergruppen sollte von konkreten Untersuchungen im Betrieb ausgehen gemäß den Prinzipien für Untersuchungen, die die KPCh unter Führung Mao Tse Tungs entwickelt hat. Die PEI ging zudem davon aus, daß die Fortschritte, solcher Betriebsarbeit die Hochschulpolitik auf ein neues Niveau heben werden, denn die Diskussion um die "Revolutionäre Berufsperspektive“ hatte gezeigt, daß die Perspektive der sozialistischen Intelligenz völlig in der Luft hängt, solange nicht das kämpfende, Proletariat dieser Intelligenz konkrete Aufgaben stellt.

Diese Linie hält die PL/PI auch heute im Wesentlichen für richtig. Dennoch liegen einige Mängel dieser Linie rückblickend auf der Hand. Wir nahmen die Arbeit in einem Konzern auf, ohne seine Stellung im Reproduktionsprozeß der westdeutschen Kapitale bestimmt zu haben; wir nahmen die Arbeit in einem westberliner Großbetrieb auf, ohne die nationale Perspektive des Klassenkampfs gründlich studiert zu haben; außerdem hatten wir uns den wissenschaftlichen Sozialismus nur unzureichend angeeignet, als wir die Betriebsarbeit aufnahmen. Dennoch glauben wir rückblickend, daß der Pragmatismus, mit dem wir begannen, uns davor bewahrt hat, im reinen Problematisieren stecken zu bleiben. Die Praxis im Betrieb klärte uns sehr bald über die mangelnde theoretische Fundierung unserer Arbeit auf, aber die ungelösten theoretischen Fragen und unsere mangelnde theoretische Ausbildung stellten sich auf diese Weise als ungelöste Fragen der Praxis dar, deren Lösung dementsprechend nicht in seminaristischen Zirkeln oder in allgemeiner Grundlagenschulung zu suchen war. Die mangelnde theoretische Fundierung unserer Arbeit zeigte sich vor allem, als uns an einigen Fehlern der zweite Hauptmangel unserer anfänglichen Linie deutlich wurde. Dieser zweite Hauptmangel bestand darin, daß wir die organisatorischen Voraussetzungen unserer Arbeit vernachlässigt hatten. Die Richtung, in der wir diese Mängel zu überwinden versuchten und versuchen, läßt sich nur im Zusammenhang mit unseren wichtigsten Erfahrungen darstellen, auch wenn diese notwendig begrenzten Erfahrungen selbstverständlich nicht der alleinige Ausgangspunkt für die Beseitigung dieser Mängel sein konnten.

Zunächst mußten wir bei unserer Betriebsarbeit feststellen, daß die Aktionsstrategie nicht so leicht in die Tat umzusetzen ist, wie wir das aufgrund unserer Erfahrungen in der Studentenbewegung und der Erfahrungen in einem kleinen Betrieb erhofft hatten. Entsprechend geriet die Untersuchungsarbeit in die Gefahr, ufer- und ziellos Daten zu sammeln, führten wir Untersuchungsgespräche, bei denen den Arbeitern dunkel bleiben mußte, was wir wollen. Eine zeitlang drohte sogar diese ziellose Untersuchungstätigkeit als "Korrektur" an die Stelle der Aktionsstrategie zu treten. Diese Gefahr vor Augen, nahmen wir die Systematisierung der Untersuchungsarbeit in Angriff, was zunächst verlangte, eine einheitliche Auswertung der Untersuchungsergebnisse sicher zu stellen, um auf dieser Grundlage eine systematische Diskussion über die strategischen, auf Aktionen gerichteten Schwerpunkte der weiteren Untersuchungen führen zu können. Diese Korrektur war nichts anderes als ein erster Versuch, die organisatorischen Voraussetzungen unserer Arbeit zu verbessern.

So unklar uns die Rolle und Bedeutung der Partei war. So unklar mußte uns auch der Unterschied zwischen ihr und der Organisation der Massen bleiben. Wir hatten zwar zu Beginn unserer Arbeit gesagt, daß aus den Massenaktionen sowohl der Keim der Massenorganisation wie auch der Keim der Partei hervorgehen soll; wir waren aber nicht in der Lage diesen Prozeß näher zu bestimmen. Die Notwendigkeit, zwischen Massenorganisation und Kaderorganisation zu unterscheiden, wurde uns in dem Moment in ihrer praktischen Bedeutung klarer, als wir darangingen, eine Betriebsgruppe aufzubauen.

Nach etwa zweimonatiger Betriebsarbeit hatten wir Kontakte zu einer Reihe von Arbeitern geknüpft, die an politischer Arbeit interessiert waren. Teils hatten wir sie am Arbeitsplatz kennen gelernt, teils sehr zufällig oder gar außerhalb des Betriebs. Mit diesen zusammen wollten wir eine Organisation bilden, die sich mit einem Delegiertenrat und einem zentralen Gremium auch zentrale Organe schafft; die alte PEI aber sollte in dieser neuen Organisation aufgehen. Aber dies hätte zur Konsequenz gehabt, die politische Arbeit auf das Maß zurückzuschrauben, das dem noch unentwickelten Bewußtseinsstand der Mehrzahl der Arbeitergenossen entsprochen hätte. Politische Diffusion wäre also Konsequenz dieses Schritts gewesen, während wir gerade bei der Korrektur der ziellosen Untersuchungsarbeit die Notwendigkeit einer schärferen politischen Konturierung erkannt hatten. Wir beschlossen deswegen, den ursprünglichen Arbeitszusammenhang, den wir unter dem Namen PEI eingegangen waren, gesonderten der Betriebsgruppe aufrecht zu erhalten; wir begannen,in den verschiedenen Abteilungen bzw. den nächstgrößeren Betriebseinheiten, in denen die PEI-Genossen arbeiteten, aus diesen Genossen Zellen zu bilden. Die so in Zellen organisierten PEI-Genossen hatten in ihren Abteilungen als Kader zu arbeiten. d.h., sie hatten in ihren Abteilungen Gruppen zu bilden und die Initiative beim Herausfinden und Analysieren und schließlich beim Austragen geeigneter Konflikte zu ergreifen. Durch die Unterscheidung zwischen Abteilungszelle und Abteilungsgruppe war uns die Unterscheidung von Kader- und Massenorganisation praktisch geworden.

Wir waren sowohl der praktischen Arbeit als auch in den fraktionellen Auseinandersetzungen innerhalb der westdeutschen und westberliner Linken auf die Notwendigkeit des Aufbaus einer Kaderorganisation gestoßen und beschäftigten uns eine zeitlang so ausschließlich mit diesem Problem,daß wir in die Gefahr gerieten, die Massenarbeit schematisch vom Aufbau der Partei zu trennen, und zwar so, daß wir die Massenarbeit hintan zu stellen begannen. Die PEI geriet in ein Dilemma: Einerseits war Ihr bewußt, daß sie nur auf der Grundlage konsolidierter und weiterentwickelter Arbeit unter den proletarischen Massen im Betrieb sich wirklich zu einer proletarischen Kaderorganisation würde emporarbeiten können; andererseits stellten sie Ereignisse wie der Prozeß gegen Horst Mahler oder die Vorbereitungen zum 1. Mai vor die Notwendigkeit, wie eine konsolidierte Kaderorganisation zu handeln. Nachdem die PEI eine zeitlang versucht hatte, diesen Widerspruch jeweils ad hoc zu lösen, und dabei die Erfahrung machte, auf diese Weise nur den Widerspruch zwischen der Arbeit unter den proletarischen Massen im Betrieb und der allgemeinen politischen Tätigkeit zu vertiefen, warf sie Ihre Anstrengungen auf die Vorbereitung, eines Plenums zur Organisationsfrage, das die Lösung der aufgetretenen Schwierigkeiten zu erarbeiten hatte. Dies Plenum fand Pfingsten 1970 statt. Die wichtigsten Ergebnisse dieses 1. Plenums sind in den folgenden Teilen dieser Plattform dargelegt.

Teil 2: Strategische Hauptlinie der PL/PI

Quelle: Plattform, verabschiedet vom 2. Plenum 1970, GLASNOST-Archiv




 




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