Start

quellen 

  

  Geschichte   

 


Rudi Dutschke zur Tschombé-Demonstration "als Beginn unserer Kulturrevolution".

Am 18. Dezember 1964 besuchte der für die Ermordung des bedeutendsten afrikanischen Revolutionärs Lumumba verantwortliche kongolesische Ministerpräsident Moise Tschombé West-Berlin. Nach den relevanten Gesprächen in der BRD über die Beteiligung westdeutscher Konzerne am Kongo-Katanga-Geschäft galt es noch schnell das gesamtdeutsche Ritual, einen Blitzbesuch bei 'Berlin-Willy' und an der Mauer zu absolvieren.

Wir hatten uns weder organisatorisch noch technisch auf die Demonstration vorbereitet. Sie war 'ordentlich' angemeldet, aber ein Verständnis der Demonstration als Kampfinstrument der Bewußtwerdung primär für die an ihr Beteiligten hatten wir damals noch nicht. Historisch nicht uninteressant ist, daß der SDS und die FDJ-West-Berlin ihre erste gemeinsame Aktionsbesprechung durchführten, LSD- und SHB-Vertreter waren auch anwesend. Ein gemeinsames Flugblatt, unterschrieben von allen Gruppen, wurde durch die 'verständlichen' Bedenken des LSD-Vertreters gegen die FDJ verhindert.

Von entscheidender Bedeutung bei der Demonstration vor dem Flughafen und später auf den Straßen in Richtung Schöneberger Rathaus war die Bereitschaft bei der Mehrheit der Demonstranten zu einer Illegalisierung der Demonstration, war ihre Entschlossenheit zum gemeinsamen Handeln gegen die fetischisierten Spielregeln der formalen Demokratie anzugehen. Es entstand eine spontane Kooperation und Solidarisierung zwischen den verschiedensten Fraktionierungen innerhalb der Linken, die damals noch sehr sektiererisch sich gebärdeten. Das militante Auftreten der Demonstranten überraschte die 'Hüter der Ruhe und Ordnung' so ziemlich vollständig. Die Agitation und Aufklärung als Prozeß der Selbstaufklärung der Demonstranten trug sinnlichen Charakter. Die Organisation und temporäre Führung bildete sich auch im Prozeß der Aktion selbst heraus.

Der 'lange Marsch' vom Flughafengelände bis zum Rathaus Schöneberg, mit Umgehungen der Polizeisperren, betrug ca. io km. Eigentlich hätte schon damals Duensing wegen Unfähigkeit sein Amt freigeben sollen. Wir erreichten als geschlossene Gruppen das Rathausgelände, ohne allerdings - und das war ein Fehler - sofort die taktische Möglichkeit des stattfindenden Marktes für die 'Partisanentätigkeit' zu verwerten. So konnte sich die Polizei doch noch formieren, gestattete eine Delegation, und die Aktion bekam ambivalente Momente. Subversiv wurde sie noch einmal zum Schluß, als es doch noch gelang, das abfahrende Tschombé-Auto mit einem Tomaten-Terror-Bombardement zu überschütten. In dieser Aktion wurden spontan Widerstandsformen gefunden, die erst sehr viel später zur Methode unseres politischen Kampfes wurden.

Mit der Anti-Tschombé-Demonstration hatten wir erstmalig die politische Initiative in dieser Stadt ergriffen. In der postfestum-Betrachtung können wir sie als Beginn unserer Kulturrevolution ansetzen, in der tendenziell alle bisherigen Werte und Normen des Etablierten in Frage gestellt werden, sich die an der Aktion Beteiligten primär auf sich selbst konzentrieren und in der Aktion ihre Selbstaufklärung über den Sinn und das Ziel der Aktion weiterführen.

Die Demonstranten erkannten sich in den Pressekommentaren des nächsten Tages absolut nicht wieder, ihr Mißtrauen gegen die staatlich-gesellschaftliche Ordnung, wurde verstärkt. Sie sahen die arbeitsteilige Berichterstattung, alle Ebenen der Verzerrung und Lüge kamen zum Durchbruch: So konnte man im Abend, der schon damals am besten die 'objektiven Interessent' des Senats und des Kapitals verkörperte, folgendes lesen: "Das Neue Deutschland versucht heute früh, die Demonstration hochzuspielen. Unter der Überschrift 'Tausendfacher Ruf in West-Berlin: Mörder Tschombé, raus' wird der Eindruck erweckt , als hätte es in West-Berlin so etwas wie eine Revolution gegen Tschembé gegeben. Im minuziösen Bericht des ND wird mit Formulierungen wie 'Sprechchöre hallten Mörder Tschombé raus' ein restlos verzerrtes Bild- der Schweigedemonstration gezeichnet." Ganz anders und viel eindeutiger die Berliner Morgenpost: "Demonstranten mit den Rufen: Tschombé raus' über den Mehringdamm. Vergeblich versuchten Polizisten die Studenten aufzuhalten. Die Beamten wurden überrannt" (19. 12. 1964).

Die Leserbriefkästen in den Zeitungen standen auf Sturm: die 'Bevölkerung' wünschte harte Maßnahmen gegen uns. "Schickt die wilden Horden in den Osten" - war die immer wieder durchkommende Stereotype. Die manipulierende Manipulation wurde für uns der Resonanzboden unserer 'Öffentlichkeitsarbeit'. Den Weg zu den Massen fanden wir damals noch weniger als heute, unsere gewollte Beschränkung auf die leicht mobilisierbaren Schichten der Schüler und Studenten war richtig, galt es doch erst einmal die noch sehr schmale Basis innerhalb der Universität auszubauen und zu verbreitern.

Eine wirkliche radikale organisatorische und personelle Selbstkritik der Anti-Tschombé-Demonstration fand weder im SDS noch auf einer Vollversammlung in der Universität statt. Die Lemprozesse auf der Straße wurden nicht vervollständigt durch theoretische Reflexion mit praktisch-organisatorischen Konsequenzen. Dennoch: ein Durchbruch war gelungen.

Quelle: Bergmann, Dutschke, Lefèvre, Rabehl: Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition, S. 63, Rowohlt 1968




 




©  GLASNOST, Berlin 1992 - 2019