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Der Hessische Landbote1Georg Büchner (1813 - 1837)
Litographie von A. Hoffmann
ERSTE BOTSCHAFT
Darmstadt, im Juli 1834
VORBERICHT
Dieses Blatt soll dem hessischen Lande die Wahrheit melden,
aber wer die Wahrheit sagt, wird gehenkt; ja sogar der, welcher
die Wahrheit liest, wird durch meineidige Richter vielleicht
gestraft. Darum haben die, welchen dies Blatt zukommt, folgendes zu
beobachten:
1 . Sie müssen das Blatt sorgfältig außerhalb
ihres Hauses vor der Polizei verwahren;
2. sie dürfen es nur an treue Freunde mitteilen;
3. denen, welchen sie nicht trauen wie sich selbst, dürfen
sie es nur heimlich hinlegen;
4. würde das Blatt dennoch bei einem gefunden, der es gelesen
hat, so muß er gestehen, daß er es eben dem Kreisrat habe
bringen wollen;
5. wer das Blatt nicht gelesen hat, wenn man es bei ihm findet,
der ist natürlich ohne Schuld.
FRIEDE DEN HÜTTEN! KRIEG DEN PALÄSTEN!2
Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen
gestraft. Es siebt aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker
am fünften Tage und die Fürsten und Vornehmen am sechsten
gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt:
"Herrschet über alles Getier, das auf Erden kriecht", und
hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt.
Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag: sie wohnen
in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben
feiste Gesichter und reden eine eigne Sprache; das Volk aber liegt
vor ihnen wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer geht hinter dem
Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und
treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt
ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde
verzehren seine Äcker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele,
sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Vornehmen.
Im Großherzogtum Hessen sind 718 373 Einwohner, die geben an
den Staat jährlich an 6 363 436 Gulden, als
Direkte Steuern . . . . . . . 2 128 131 Fl3
Indirekte Steuern . . . . . . 2 478 264 Fl.
Domänen . . . . . . . . . . . . 1 547 394 Fl.
Regalien . . . . . . . . . . . . . . . 46 938 Fl.
Geldstrafen . . . . . . . . . . . . . 98 511 Fl.
Verschiedene Quellen . . . . . 64 198 Fl.
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 363 436 Fl.
Dies Geld ist der Blutzehnte, der vom Leib des Volkes genommen
wird. An 700 000 Menschen schwitzen, stöhnen und hungern dafür.
Im Namen des Staates wird es erpreßt, die Presser berufen sich
auf die Regierung, und die Regierung sagt, das sei nötig, die
Ordnung im Staat zu erhalten. Was ist denn nun das für
gewaltiges Ding: der Staat? Wohnt eine Anzahl Menschen in einem Land
und es sind Verordnungen oder Gesetze vorhanden, nach denen jeder
sich richten muß, so sagt man, sie bilden einen Staat. Der
Staat also sind a l l e; die Ordner im Staate sind die Gesetze, durch
welche das Wohl a l l e r gesichert wird und die aus dem Wohl a l l e
r hervorgehen sollen. - Seht nun, was man in dem Großherzogtum
aus dem Staat gemacht hat; seht, was es heißt: die Ordnung im
Staate erhalten! 700 000 Menschen bezahlen dafür 6 Millionen, d.
h. sie werden zu Ackergäulen und Pflugstieren gemacht, damit sie
in Ordnung leben. In Ordnung leben heißt hungern und geschunden
werden.
Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben und die
wachen, diese Ordnung zu erhalten? Das ist die Großherzogliche
Regierung. Die Regierung wird gebildet von dem Großherzog und
seinen obersten Beamten. Die andern Beamten sind Männer, die von
der Regierung berufen werden, um jene Ordnung in Kraft zu erhalten.
Ihre Anzahl ist Legion: Staatsräte und Regierungsräte,
Landräte und Kreisräte, geistliche Räte und Schulräte,
Finanzräte und Forsträte usw. mit allem ihrem Heer von
Sekretären usw. Das Volk ist ihre Herde, sie sind seine Hirten,
Melker und Schinder; sie haben die Häute der Bauern an, der Raub
der Armen ist in ihrem Hause; die Tränen der Witwen und Waisen
sind das Schmalz auf ihren Gesichtern; sie herrschen frei und
ermahnen das Volk zur Knechtschaft. Ihnen gebt ihr 6 000 000 Fl.
Abgaben; sie haben dafür die Mühe, euch zu regieren; d.h.
sich von euch füttern zu lassen und euch eure Menschen und
Bürgerrechte zu rauben. Sehet, was die Ernte eures Schweißes
ist!
Für das Ministerium des Innern und der Gerechtigkeitspflege
werden bezahlt 1 110 607 Gulden. Dafür habt ihr einen Wust von
Gesetzen, zusammengehäuft aus willkürlichen Verordnungen
aller Jahrhunderte, meist geschrieben in einer fremden Sprache. Der
Unsinn aller vorigen Geschlechter hat sich darin auf euch vererbt,
der Druck, unter dem sie erlagen, sich auf euch fortgewälzt. Das
Gesetz ist das Eigentum einer unbedeutenden Klasse von Vornehmen
und Gelehrten, die sich durch ihr eignes Machwerk die Herrschaft
zuspricht. Diese Gerechtigkeit ist nur ein Mittel, euch in Ordnung zu
halten, damit man euch bequemer schinde; sie spricht nach Gesetzen,
die ihr nicht versteht, nach Grundsätzen, von denen ihr nichts
wißt, Urteile, von denen ihr nichts begreift. Unbestechlich ist
sie, weil sie sich gerade teuer genug bezahlen läßt, um
keine Bestechung zu brauchen. Aber die meisten ihrer Diener sind der
Regierung mit Haut und Haar verkauft. Ihre Ruhestühle stehen auf
einem Geldhaufen von 461 373 Gulden (so viel betragen die Ausgaben
für
die Gerichtshöfe und die Kriminalkosten). Die Fräcke,
Stöcke und Säbel ihrer unverletzlichen Diener sind mit dem
Silber von 197 502 Gulden beschlagen (so viel kostet die Polizei
überhaupt, die Gendarmerie usw.). Die Justiz ist in Deutschland
seit Jahrhunderten die Hure der deutschen Fürsten. Juden Schritt
zu ihr müßt ihr mit Silber pflastern, und mit Armut und
Erniedrigung erkauft ihr ihre Sprüche. Denkt an das
Stempelpapier, denkt an euer Bücken in den Amtsstuben und euer
Wachestehen vor denselben. Denkt an die Sporteln für Schreiher
und Gerichtsdiener. Ihr dürft euern Nachbar verklagen, der euch
eine Kartoffel stiehlt; aber klagt einmal über den Diebstahl,
der von Staats wegen unter dem Namen von Abgabe und Steuern jeden Tag
an eurem Eigentum begangen wird, damit eine Legion unnützer
Beamten sich von eurem Schweiße mästen; klagt einmal, daß
ihr der Willkür einiger Fettwänste überlassen seid und
daß diese Willkür Gesetz heißt, klagt, daß ihr
die Ackergäule des Staates seid, klagt über eure verlorne
Menschenrechte: wo sind die Gerichtshöfe, die eure Klage
annehmen, wo die Richter, die Recht sprächen? - Die Ketten
eurer Vogelsberger Mitbürger4,
die man nach Rockenburg schleppte, werden euch Antwort geben.
Und will endlich ein Richter oder ein andrer Beamte von den
wenigen, welchen das Recht und das gemeine Wohl lieber ist als ihr
Bauch und der Mammon, ein Volksrat und kein Volksschinder sein, so
wird er von den obersten Räten des Fürsten selber
geschunden.
Für das Ministerium der Finanzen 1 551 502 Fl.
Damit werden die Finanzräte, Obereinnehmer, Steuerboten, die
Untererheber besoldet. Dafür wird der Ertrag eurer Acker
berechnet und eure Köpfe gezählt. Der Boden unter euren
Füßen, der Bissen zwischen euren Zähnen ist
besteuert. Dafür sitzen die Herren in Fräcken beisammen,
und das Volk steht nackt und gebückt vor ihnen; sie legen die
Hände an seine Lenden und Schultern und rechnen aus, wie viel es
noch tragen kann, und wenn sie barmherzig sind, so geschieht es nur,
wie man ein Vieh schont, das man nicht so sehr angreifen will.
Für das Militär wird bezahlt 914 820 Gulden.
Dafür kriegen eure Söhne einen bunten Rock auf den Leib,
ein Gewehr oder eine Trommel auf die Schulter und dürfen jeden
Herbst einmal blind schießen und erzählen, wie die Herren
vom Hof und die ungeratenen Buben vom Adel allen Kindern ehrlicher
Leute vorgehen und mit ihnen in den breiten Straßen der Städte
herumziehen mit Trommeln und Trompeten. Für jene 900 000 Gulden
müssen eure Söhne den Tyrannen schwören und Wache
halten an ihren Palästen. Mit ihren Trommeln übertäuben
sie eure Seufzer, mit ihren Kolben zerschmettern sie euch den
Schädel, wenn ihr zu denken wagt, daß ihr freie Menschen
seid. Sie sind die gesetzlichen Mörder, welche die gesetzlichen
Räuber schützen; denkt an Södel! Eure Brüder,
eure Kinder waren dort Bruder und Vatermörder.
Für die Pensionen 480 000 Gulden.
Dafür werden die Beamten aufs Polster gelegt, wenn sie eine
gewisse Zeit dem Staate treu gedient haben, d. h. wenn sie eifrige
Handlanger bei der regelmäßig eingerichteten Schinderei
gewesen, die man Ordnung und Gesetz heißt.
Für das Staatsministerium und den Staatsrat 174 600 Gulden.
Die größten Schurken stehen wohl jetzt allerwärts in
Deutschland den Fürsten am nächsten, wenigstens im
Großherzogtum. Kommt ja ein ehrlicher Mann in einen Staatsrat,
so wird er ausgestoßen. Könnte aber auch ein ehrlicher
Mann jetzo Minister sein oder bleiben, so wäre er, wie die
Sachen stehn in Deutschland, nur eine Drahtpuppe, an der die
fürstliche Puppe zieht; und an dem fürstlichen Popanz zieht
wieder ein Kammerdiener oder ein Kutscher oder seine Frau und ihr
Günstling oder sein Halbbruder - oder alle zusammen.
In Deutschland stehet es jetzt, wie der Prophet Micha schreibt,
Kap. 7, v. 3 und 4: "Die Gewaltigen raten nach ihrem Mutwillen,
Schaden zu tun, und drehen es, wie sie es wollen. Der Beste unter
ihnen ist wie ein Dorn, und der Redlichste wie eine Hecke." Ihr
müßt die Dörner und Hecken teuer bezahlen! denn
ihr müßt ferner für das großherzogliche Haus
und den Hofstaat 827 772 Gulden bezahlen.
Die Anstalten, die Leute, von denen ich bis jetzt gesprochen, sind
nur Werkzeuge, sind nur Diener. Sie tun nichts in ihrem Namen, unter
der Ernennung zu ihrem Amt steht ein L., das bedeutet L u d w i g von
Gottes Gnaden, und sie sprechen mit Ehrfurcht: "Im Namen des
Großherzogs." Dies ist ihr Feldgeschrei, wenn sie euer
Gerät versteigern, euer Vieh wegtreiben, euch in den Kerker
werfen. Im Namen des Großherzogs sagen sie, und der Mensch, den
sie so nennen, heißt: unverletzlich, heilig, souverän,
königliche Hoheit. Aber tretet zu dem Menschenkinde und blickt
durch seinen Fürstenmantel. Es ißt, wenn es hungert, und
schläft, wenn sein Auge dunkel wird. Sehet, es kroch so nackt
und weich in die Welt wie ihr und wird so hart und steif
hinausgetragen wie ihr, und doch hat es seinen Fuß auf eurem
Nacken, hat 700 000 Menschen an seinem Pflug, hat Minister, die
verantwortlich sind für das, was es tut, hat Gewalt über
euer Eigentum durch die Steuern, die es ausschreibt, über euer
Leben durch die Gesetze, die es macht, es hat adlige Herrn und Damen
um sich, die man Hofstaat heißt, und seine göttliche
Gewalt vererbt sich auf seine Kinder mit Weibern, welche aus ebenso
übermenschlichen Geschlechtern sind.
Wehe über euch Götzendiener! - Ihr seid wie die
Heiden, die das Krokodil anbeten, von dem sie Zerrissen werden. Ihr
setzt ihm eine Krone auf, aber es ist eine Dornenkrone, die ihr euch
selbst in den Kopf drückt; ihr gebt ihm ein Zepter in die Hand,
aber es ist eine Rute, womit ihr gezüchtigt werdet; ihr setzt
ihn auf euern Thron, aber es ist ein Marterstuhl für euch und
eure Kinder. Der Fürst ist der Kopf des Blutigels, der über
euch hinkriecht, die Minister sind seine Zähne und die Beamten
sein Schwanz. Die hungrigen Mägen aller vornehmen Herren, denen
er die hohen Stellen verteilt, sind Schröpfköpfe, die er
dem Lande setzt. Das L., was unter seinen Verordnungen steht, ist das
Malzeichen des Tieres, das die Götzendiener unserer Zeit
anbeten. Der Fürstenmantel ist der Teppich, auf dem sich die
Herren und Damen vom Adel und Hofe in ihrer Geilheit übereinander
wälzen - mit Orden und Bändern decken sie ihre
Geschwüre, und mit kostbaren Gewändern bekleiden sie ihre
aussätzigen Leiber. Die Töchter des Volks sind ihre Mägde
und Huren, die Söhne des Volks ihre Lakaien und Soldaten. Geht
einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer
Geld dort lustig machen, und erzählt dann euern hungernden
Weibern und Kindern, daß ihr Brot an fremden Bäuchen
herrlich angeschlagen sei, erzählt ihnen von den schönen
Kleidern, die in ihrem Schweiß gefärbt, und von den
zierlichen Bändern, die aus den Schwielen ihrer Hände
geschnitten sind, erzählt von den stattlichen Häusern, die
aus den Knochen des Volks gebaut sind; und dann kriecht in eure
rauchigen Hütten und bückt euch auf euren steinichten
Ackern, damit eure Kinder auch einmal hingehen können, wenn ein
Erbprinz mit einer Erbprinzessin für einen andern Erbprinzen Rat
schaffen will, und durch die geöffneten Glastüren das
Tischtuch sehen, wovon die Herren speisen, und die Lampen riechen,
aus denen man mit dem Fett der Bauern illuminiert.
Das alles duldet ihr, weil euch Schurken sagen: diese Regierung
sei von Gott. Diese Regierung ist nicht von Gott, sondern vom Vater
der Lügen. Diese deutschen Fürsten sind keine rechtmäßige
Obrigkeit, sondern die rechtmäßige Obrigkeit, den
deutschen Kaiser, der vormals vom Volke frei gewählt wurde,
haben sie seit Jahrhunderten verachtet und endlich gar verraten. Aus
Verrat und Meineid, und nicht aus der Wahl des Volkes, ist die Gewalt
der deutschen Fürsten hervorgegangen, und darum ist ihr Wesen
und Tun von Gott verflucht! ihre Weisheit ist Trug, ihre
Gerechtigkeit ist Schinderei. Sie zertreten das Land und zerschlagen
die Person des Elenden. Ihr lästert Gott, wenn ihr einen dieser
Fürsten einen Gesalbten des Herrn nennt, d. h. Gott habe die
Teufel gesalbt und zu Fürsten über die deutsche Erde
gesetzt. Deutschland, unser liebes Vaterland, haben diese Fürsten
zerrissen, den Kaiser, den unsere freien Voreltern wählten,
haben diese Fürsten verraten, und nun fordern diese Verräter
und Menschenquäler Treue von euch! - Doch das Reich der
Finsternis neiget sich zum Ende. Über ein kleines, und
Deutschland, das jetzt die Fürsten schinden, wird als ein
Freistaat mit einer vom Volk gewählten Obrigkeit wieder
auferstehn. Die Heilige Schrift sagt: "Gebet dem Kaiser, was
des Kaisers ist." Was ist aber dieser Fürsten, der
Verräter? - Das Teil von J u d a s !
Für die Landstände 16 000 Gulden.
Im Jahr 1789 war das Volk in Frankreich müde, länger die
Schindmähre seines Königs zu sein. Es erhob sich und berief
Männer, denen es vertraute, und die Männer traten zusammen
und sagten, ein König sei ein Mensch wie ein anderer auch, er
sei nur der erste Diener irr. Staat, er müsse sich vor dem Volk
verantworten, und wenn er sein Amt schlecht verwalte, könne er
zur Strafe gezogen werden. Dann erklärten sie die Rechte des
Menschen: "Keiner erbt vor dem andern mit der Geburt ein Recht
oder einen Titel, keiner erwirbt mit dem Eigentum ein Recht vor dem
andern. Die höchste Gewalt ist in dem Willen aller oder der
Mehrzahl. Dieser Wille in das Gesetz, er tut sich kund durch die
Landstände oder die Vertreter des Volks, sie werden von allen
gewählt, und jeder kann gewählt werden; diese Gewählten
sprechen den Willen ihrer Wähler aus, und so entspricht der
Wille der Mehrzahl unter ihnen dem Willen der Mehrzahl unter dem
Volke; der König hat nur für die Ausübung der von
ihnen erlassenen Gesetze zu sorgen." Der König schwur,
dieser Verfassung treu zu sein; er wurde aber meineidig an dem Volke,
und das Volk richtete ihn, wie es einem Verräter geziemt.5
Darin schafften die Franzosen die erbliche Königswürde ab
und wählten frei eine neue Obrigkeit, wozu jedes Volk nach der
Vernunft und der Heiligen Schrift das Recht hat. Die Männer, die
über die Vollziehung der Gesetze wachen sollten, wurden von der
Versammlung der Volksvertreter ernannt, sie bildeten die neue
Obrigkeit. Sie waren Regierung und Gesetzgeber, vom Volk gewählt,
und Frankreich war ein Freistaat.
Die übrigen Könige aber entsetzten sich vor der Gewalt
des französischen Volkes; sie dachten, sie könnten alle
über der ersten Königsleiche den Hals brechen und ihre
mißhandelten Untertanen möchten bei dem Freiheitsruf der
Franken erwachen. Mit gewaltigem Kriegsgerät und reisigem Zeug
stürzten sie von allen Seiten auf Frankreich, und ein großer
Teil der Adligen und Vornehmen im Lande stand auf und schlug
sich zu dem Feind. Da ergrimmte das Volk und erhob sich in seiner
Kraft. Es erdrückte die Verräter und zerschmetterte die
Söldner der Könige. Die junge Freiheit wuchs im Blut der
Tyrannen, und vor ihrer Stimme bebten die Throne und jauchzten die
Völker. Aber die Franzosen verkauften selbst ihre junge Freiheit
für den Ruhm, den ihnen Napoleon6
darbot, und erhoben ihn auf den Kaiserthron. - Da ließ der
Allmächtige das Heer des Kaisers in Rußland erfrieren und
züchtigte Frankreich durch die Knute der Kosaken und gab den
Franzosen die dickwanstigen Bourbonen wieder zu Königen, damit
Frankreich sich bekehre vom Götzendienst der erblichen
Königsherrschaft und dem Gotte diene, der die Menschen frei und
gleich geschaffen. Aber als die Zeit seiner Strafe verflossen war und
tapfere Männer im Julius 1830 den meineidigen König Karl
den Zehnten7
aus dem Lande jagten, da wendete dennoch das befreite
Frankreich sich abermals zur halberblichen Königsherrschaft und
band sich in dem Heuchler
Louis Philippe8
eine neue Zuchtrute
auf. In Deutschland und ganz Europa aber war große Freude, als
der zehnte Karl vom Thron gestürzt ward, und die unterdrückten
deutschen Länder 'rüsteten sich zum Kampf für die
Freiheit. Da ratschlagten die Fürsten, wie sie dem Grimm des
Volkes entgehen sollten, und die listigen unter ihnen sagten: Laßt
uns einen Teil unserer Gewalt abgeben, daß wir das übrige
behalten. Und sie traten vor das Volk und sprachen: Wir wollen euch
die Freiheit schenken, um die ihr kämpfen wollt. Und zitternd
vor Furcht warfen sie einige Brocken hin und sprachen von ihrer
Gnade. Das Volk traute ihnen leider und legte sich zur Ruhe. -
Und so ward Deutschland betrogen wie Frankreich.
Denn was sind diese Verfassungen in Deutschland? Nichts als leeres
Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich
herausgeklopft haben. Was sind unsere Landtage? Nichts als langsame
Fuhrwerke, die man einmal oder zweimal wohl der Raubgier der Fürsten
und ihrer Minister in den Weg schieben, woraus man aber nimmermehr
eine feste Burg für deutsche Freiheit bauen kann. Was sind
unsere Wahlgesetze? Nichts als Verletzungen der Bürger und
Menschenrechte der meisten Deutschen. Denkt an das Wahlgesetz im
Großherzogtum, wornach keiner gewählt werden kann, der
nicht hochbegütert ist, wie rechtschaffen und gutgesinnt er auch
sei, wohl aber der G r o l m a n n, der euch um die zwei Millionen
bestehlen wollte.9
Denkt an die Verfassung des Großherzogtums. - Nach den
Artikeln derselben ist der Großherzog unverletzlich, heilig und
unverantwortlich. Seine Würde ist erblich in seiner Familie, er
hat das Recht, Krieg zu führen, und ausschließliche
Verfügung über das Militär. Er beruft die Landstände,
vertagt sie oder löst sie auf. Die Stände dürfen
keinen Gesetzesvorschlag machen, sondern sie müssen um das
Gesetz bitten, und dem Gutdünken des Fürsten bleibt es
unbedingt überlassen, es zu geben oder zu verweigern. Er bleibt
im Besitz einer fast unumschränkten Gewalt, nur darf er keine
neuen Gesetze machen und keine neuen Steuern ausschreiben ohne
Zustimmung der Stände. Aber teils kehrt er sich nicht an diese
Zustimmung, teils genügen ihm die alten Gesetze, die das Werk
der Fürstengewalt sind, und er bedarf darum keiner neuen
Gesetze. Eine solche Verfassung ist ein elend jämmerlich Ding.
Was ist von Ständen zu erwarten, die an eine solche Verfassung
gebunden sind? Wenn unter den Gewählten auch keine Volksverräter
und feige Memmen wären, wenn sie aus lauter entschlossenen
Volksfreunden bestünden?! Was ist von Ständen zu erwarten,
die kaum die elenden Fetzen einer armseligen Verfassung zu
verteidigen vermögen! - Der einzige Widerstand, den sie zu
leisten vermochten, war die Verweigerung der zwei Millionen Gulden,
die sich der Großherzog von dem überschuldeten Volke
wollte schenken lassen zur Bezahlung seiner Schulden. - Hätten
aber auch die Landstände des Großberzogtums genügende
Rechte und hätte das Großherzogtum, aber nur das
Großherzogtum allein, eine wahrhafte Verfassung, so würde
die Herrlichkeit doch bald zu Ende sein. Die Raubgeier in Wien und
Berlin würden ihre Henkerskrallen ausstrecken und die kleine
Freiheit mit Rumpf und Stumpf ausrotten. Das ganze deutsche Volk muß
sich die Freiheit erringen. Und diese Zeit, geliebte Mitbürger,
ist nicht lerne. - Der Herr hat das schöne deutsche Land,
das viele Jahrhunderte das herrlichste Reich der Erde war, in die
Hände der fremden und einheimischen Schinder gegeben, weil das
Herz des deutschen Volkes von der Freiheit und Gleichheit seiner
Voreltern und von der Furcht des Herrn abgefallen war, weit ihr dem
Götzendienste der vielen Herrlein, Kleinherzoge und
Däumlings Könige euch ergeben hattet.
Der Herr, der den Stecken des fremden Treibers Napoleon
zerbrochen hat, wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen
Tyrannen Zerbrechen durch die Hände des Volks. Wohl glänzen
diese Götzenbilder von Gold und Edelsteinen, von Orden und
Ehrenzeichen, aber in ihrem Innern stirbt der Wurm nicht, und ihre
Füße sind von Lehm. - Gott wird euch Kraft geben,
ihre Füße züi Zerschmeißen, sobald ihr euch
bekehret von dem Irrtum eures Wandels und die Wahrheit erkennet: daß
nur ein Gott ist und keine Götter neben ihm, die sich Hoheiten
und Allerhöchste, heilig und unverantwortlich nennen lassen, daß
Gott alle Menschen frei und gleich in ihren Rechten schuf und daß
keine Obrigkeit von Gott Zum Segen verordnet ist als die, welche auf
das Vertrauen des Volkes sich gründet und vom Volke ausdrücklich
oder stillschweigend erwählt ist! daß dagegen die
Obrigkeit, die Gewalt, aber kein Recht über ein Volk hat, nur a
l s o von Gott ist, wie der Teufel auch von Gott ist, und daß
der Gehorsam gegen eine solche Teufelsobrigkeit nur so lange gilt,
bis ihre Teufelsgewalt gebrochen werden kann! - daß der
Gott, der ein Volk durch e i n e Sprache Zu e i n e m Leibe
vereinigte, die Gewaltigen, die es zerfleischen und vierteilen oder
gar in dreißig Stücke zerreißen, als Volksmörder
und Tyrannen hier Zeitlich und dort ewiglich strafen wird, denn die
Schrift sagt: was Gott vereinigt hat, soll der Mensch nicht trennen!
und daß der Allmächtige, der aus der Einöde ein
Paradies schaffen kann, auch ein Land des Jammers und des Elends
wieder in ein Paradies umschaffen kann, wie unser teuerwertes
Deutschland war, bis seine Fürsten es zerfleischten und
schunden.
Weil das deutsche Reich morsch und faul war und die Deutschen
von Gott und von der Freiheit abgefallen waren, bat Gott das Reich zu
Trümmern gehen lassen, um es Zu einem Freistaat zu verjüngen.
Er hat eine Zeitlang den Satansengeln Gewalt gegeben, daß sie
Deutschland mit Fäusten schlügen, er hat den Gewaltigen und
Fürsten, die in der Finsternis herrschen, den bösen
Geistern unter dem Himmel (Ephes. 6), Gewalt gegeben, daß sie
Bürger und Bauern peinigten und ihr Blut aussaugten und ihren
Mutwillen trieben mit allen, die Recht und Freiheit mehr lieben als
Unrecht und Knechtschaft. - Aber ihr Maß ist voll!
Sehet an das von Gott gezeichnete Scheusal den König
Ludwig von Bayern10,
den Gotteslästerer, der redliche Männer vor seinem Bilde
niederzuknien zwingt und die, welche die Wahrheit bezeugen, durch
meineidige Richter zum Kerker verurteilen läßt! das
Schwein, das sich in allen Lasterpfützen von Italien wälzte,
den Wolf, der sich für seinen Baals Hofstaat für immer
jährlich fünf Millionen durch meineidige Landstände
verwilligen läßt, und fragt dann: "Ist das eine
Obrigkeit von Gott, zum Segen verordnet?"
Ha! du wärst
Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus;
Du raubst, du
schindest, kerkerst ein,
Du nicht von Gott,
Tyrann!
Ich sage euch: sein und seiner Mitfürsten Maß ist
voll. Gott, der Deutschland um seiner Sünden willen geschlagen
hat durch diese Fürsten, wird es wieder heilen. "Er wird
die Hecken und Dörner niederreißen und auf einem Haufen
verbrennen." Jesaias 2 7, 4. So wenig der Höcker noch
wächset, womit Gott diesen König Ludwig gezeichnet hat, so
wenig werden die Schandtaten dieser Fürsten noch wachsen können.
Ihr Maß ist voll. Der Herr wird ihre Körper zerschmeißen,
und in Deutschland wird dann Leben und Kraft als Segen der Freiheit
wieder erblühen. Zu einem großen Leichenfelde haben die
Fürsten die deutsche Erde gemacht, wie Ezechiel im 37. Kapitel
beschreibt: "Der Herr führte mich auf ein weites Feld, das
voller Gebeine lag, und siehe, sie waren sehr verdorrt." Aber
wie lautet des Herrn Wort zu den verdorrten Gebeinen: "siehe,
ich will euch Adern geben und Fleisch lassen über euch wachsen,
und euch mit Haut überziehen, und will euch Odem geben, daß
ihr wieder lebendig werdet, und sollt erfahren, daß Ich der
Herr bin." Und des Herrn Wort wird auch an Deutschland sich
wahrhaftig beweisen, wie der Prophet spricht: "Siehe, es
rauschte und regte sich, und die Gebeine kamen wieder zusammen, ein
jegliches zu seinem Gebein. - Da kam Odem in sie, und sie wurden
wieder lebendig und richteten sich auf ihre Füße, und
ihrer war ein sehr groß Heer." Wie der Prophet schreibet,
also stand es bisher in Deutschland: eure Gebeine sind verdorrt, denn
die Ordnung, in der ihr lebt, ist eitel Schinderei. Sechs
Millionen bezahlt ihr im Großherzogtum einer Handvoll Leute,
deren Willkür euer Leben und Eigentum überlassen ist, und
die anderen in dem zerrissenen Deutschland gleich also. Ihr seid
nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos. Ihr müsset geben,
was eure unersättlichen Presser fordern, und tragen, was sie
euch aufbürden. So weit ein Tyrann blicket - und
Deutschland bat deren wohl dreißig -, verdorret Land und
Volk. Aber wie der Prophet schreibet, so wird es bald stehen in
Deutschland: der Tag der Auferstehung wird nicht säumen. In dem
Leichenfelde wird sich's regen und wird rauschen, und der Neubelebten
wird ein großes Heer sein.
Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser,
die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen, und durch
eure Arme, die ihr ihnen willenlos leihet. Ihrer sind vielleicht
10 000 im Großherzogtum und eurer sind es 700 000, und also
verhält sich die Zahl des Volkes zu seinen Pressern auch im
übrigen Deutschland. Wohl drohen sie mit dem Rüstzeug und
den Reisigen der Könige, aber ich sage euch: Wer das Schwert
erhebt gegen das Volk, der wird durch das Schwert des Volkes
umkommen. Deutschland ist jetzt ein Leichenfeld, bald wird es ein
Paradies sein. Das deutsche Volk ist ein Leib, ihr seid ein Glied
dieses Leibes. Es ist einerlei, wo die Scheinleiche zu zucken
anfängt. Wann der Herr euch seine Zeichen gibt durch die Männer,
durch welche er die Völker aus der Dienstbarkeit zur Freiheit
führt, dann erhebet euch, und der ganze Leib wird mit euch
aufstehen.
Ihr bücktet euch lange Jahre in den Dornäckern der
Knechtschaft, dann schwitzt ihr einen Sommer im Weinberge der
Freiheit und werdet frei sein bis ins tausendste Glied.
Ihr wühltet ein langes Leben die Erde auf, dann wühlt
ihr euren Tyrannen ein Grab. Ihr bautet die Zwingburgen, dann stürzt
ihr sie und bauet der Freiheit Haus. Dann könnt ihr eure Kinder
frei taufen mit dem Wasser des Lebens. Und bis der Herr euch ruft
durch seine Boten und Zeichen, wachet und rüstet euch im Geiste
und betet ihr selbst und lehrt eure Kinder beten: "Herr,
Zerbrich den Stecken unserer Treiber und laß dein Reich zu uns
kommen - das Reich der Gerechtigkeit. Amen."
Anmewrkungen:
1
Der Hessische Landbote
Die Flugschrift wurde in dem hier wiedergegebenen Wortlaut Ende
Juli 1834 auf einer geheimen Presse des Buchhändlers Karl
Prellerin Offenbach gedruckt. Wie der von Ludwig Weidig stammende
Titel "Der Hessische Landbote. Erste Botschaft" erkennen
läßt, war sie ursprünglich als Anfang einer Folge
von Flugblättern geplant.
Die Büchnersche Originalfassung ist nicht erhalten. In der
von Weidig durch Streichungen, Formulierungsänderungen und
Hinzufügungen hergestellten Druckfassung sind dessen Zusätze,
soweit sie ermittelbar sind, durch Kursivdruck gekennzeichnet.
Eine zweite, von Weidig nochmals bearbeitete, politisch noch
stärker entschärfte Ausgabe der Flugschrift wurde im
November 1834 in Marburg gedruckt.
2
Friede den Hütten! Krieg den Palästen! - Wahlspruch der
Truppen die während der Französischen Revolution in
feindliche Länder einrückten.
3
Fl. - (franz.: florin) Abkürzende Bezeichnung für
Gulden.
4
Vogelsberger Mitbürger - Die Teilnehmer an dem oberhessischen
Bauernaufstand von 1830. Sie wurden nach der Niederschlagung des
Aufstandes durch das Militär bei dem Dorfe Södel in das
Landeszuchthaus in Rockenburg eingeliefert.
5
der König schwur - Ludwig XVI. (1754 1793) brach seinen
Schwur auf die Verfassung von 1789, indem er mit ausländischen
Fürsten geheime Verbindungen aufnahm, mit dem Ziel, die neue
revolutionäre Ordnung zu stürzen. Er wurde 1793
hingerichtet
6
Napoleon
- Napoleon Bonaparte (1769 1821) machte sich 1864 selbst
zum Kaiser von Frankreich. Schon durch den Staatsstreich vom 18.
Brumaire (10. November) 1799 hatte er das Direktorium
gestürzt und
an seiner Stelle eine Militärdiktatur errichtet.
7
... Karl den Zehnten aus dem Lande jagten
- Charles X, (1757 bis 1836),
letzter König der Bourbonen, die 1815 nach dem Sieg der
"Heiligen Allianz" der europäischen Feudalstaaten
über Napoleon ihre in der Großen Französischen
Revolution gestürzte Macht wiedererlangt hatten, wurde durch
die Juli Revolution 1830 zur Abdankung gezwungen und verließ
darauf das Land.
8
Louis Philippe - Herzog von Orleans
(1773 1850), von der französischen Großbourgeoisie
1830 auf den französischen Thron erhoben, regierte als
.Bürgerkönig" bis zu seinem Sturz durch die
Februar Revolution 1848.
9
Grolmann
- Als Abgeordneter des hessischen Landtages trat Grolmann
dafür
ein, daß die Privatschulden des Großherzogs in Höhe
von zwei Millionen Gulden aus Staatsmitteln gedeckt werden. Die
Mehrheit des Landtages lehnte das Verlangen Ludwigs II. ab, was die
Auflösung des Landtages zur Folge hatte.
10
Ludwig von Bayern - Ludwig l. (1786 1868), von 1825 bis 1848
König von Bayern, ließ den Würzburger Bürgermeister
J. Behr und den Arzt Dr. G. Eisenmann, die eine Kritik an der Person
des Königs gewagt hatten, zu langjährigen Gefängnisstrafen
verurteilen und zwang sie, vor seinem Bildnis niederzuknien und
Abbitte zu tun.
Quelle: Büchners Werk, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1977
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