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Anlage 3

Erklärungen nach § 31 GO

der Abgeordneten Ingrid Arndt-Brauer, Eckhardt Barthel (Berlin), Wolfgang Behrendt, Dr. Axel Berg, Friedhelm Julius Beucher, Rudolf Bindig, Christel Deichmann, Hans Forster, Arne Fuhrmann, Renate Gradistanac, Angelika Graf (Rosenheim), Klaus Hagemann, Anke Hartnagel, Walter Hoffmann (Darmstadt), Ingrid Holzhüter, Christel Humme, Gabriele Iwersen, Ilse Janz, Ulrich Kasparick, Karin Kortmann, Horst Kubatschka, Ute Kumpf, Christine Lambrecht, Detlev von Larcher, Waltraud Lehn, Christine Lehder, Heide Mattischeck, Michael Müller (Düsseldorf), Andrea Nahles, Günter Oesinghaus, Christel Riemann-Hanewinckel, Bernd Reuter, Thomas Sauer, Gudrun Schaich-Walch, Dr. Hermann Scheer, Dr. Frank Schmidt (Weilburg), Gisela Schröter, Ewald Schurer, Dr. Angelica Schwall-Düren, Erika Simm, Rita Streb-Hesse, Jella Teuchner, Adelheid Tröscher, Dr. Wolfgang Wodarg, Dr. Konstanze Wegner, Lydia Westrich, Klaus Wiesehügel, Hanna Wolf (München) (alle SPD) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Art. 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verbunden mit dem Antrag des Bundeskanzlers gemäß Art. 68 des Grundgesetzes (Tagesordnungspunkt 3 und Zusatzpunkt 4)

Gleichwohl machen wir uns die Entscheidung in der Sachfrage um den Einsatz der deutschen Bundeswehrsoldaten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nicht leicht. Nach mehr als 20 Jahren Krieg in Afghanis-tan wünscht sich der größte Teil der afghanischen Bevölkerung nichts mehr als Frieden und die Überwindung von Unterdrückung. Darum wird die Bundesregierung aufgefordert, auf das schnellstmögliche Ende des Bombardements und der Kampfhandlungen hinzuarbeiten und verstärkt humanitäre Hilfe zu leisten.

Das amerikanische Volk hat nach dem 11. September 2001 ein Anrecht auf unsere volle Solidarität. Solidarität beruht auf Gegenseitigkeit. Eine uneingeschränkte Solidarität setzt daher partnerschaftliche Mitbestimmung und umfassende Information voraus. Uneingeschränkte Solidarität kann kein bedingungsloses Nachvollziehen der amerikanischen Militärstrategie bedeuten. Für uns ist das humanitäre Kriegsvölkerrecht, Haager- und Genfer Konventionen, der entscheidende Maßstab. Der terroristische Angriff vom 11. September 2001 hat die gesamte Völkergemeinschaft getroffen. Unsere Antwort muss den Prinzipien des Völkerrechts folgen. Art. 57 des Zusatzprotokolls der Genfer Konvention von 1949 besagt: Wer einen Angriff plant oder beschließt, hat alles praktisch Mögliche zu tun, um sicherzugehen, dass die Angriffsziele weder Zivilpersonen noch zivile Objekte sind. Er hat von jedem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass es auch Verluste unter der Zivilbevölkerung oder zur Beschädigung ziviler Objekte kommt, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten oder unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.

Wir haben Vertrauen darauf, dass die Bundesregierung ihren Einfluss geltend macht, den Einsatz von Streubomben zu verhindern. Wir erwarten von Bundeskanzler Schröder, dass er für die Dauer des militärischen Einsatzes seinen Einfluss dahin gehend nutzt, die Amerikaner zum zielgenauen Einsatz der Bomben nur auf militärische Ziele und Einrichtungen terroristischer Netzwerke ausschließlich in Afghanistan zu bewegen.

Wir teilen die Besorgnis vieler Bürgerinnen und Bürger vor einer Ausweitung des Konfliktes durch Maßnahmen, die nicht mit der deutschen Seite abgestimmt sind. Ein Übergreifen des Konfliktes auf andere - arabische - Länder ist unbedingt zu verhindern, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Wir begrüßen daher die im Regierungsantrag manifestierte Einschränkung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte in Afghanistan:

Deutsche Kräfte werden sich an etwaigen Einsätzen gegen den internationalen Terrorismus in anderen Staaten als Afghanistan nur mit Zustimmung der jeweiligen Regierung beteiligen.

Es wird festgestellt, dass diese Haltung in der Europäischen Gemeinschaft breite Unterstützung findet. Die europäische Staatengemeinschaft sollte ihren Einfluss in diesem Sinne innerhalb der Koalition gegen den internationalen Terrorismus geschlossen vertreten und ihm auf diesem Wege zur Geltung verhelfen. Zu den mittel- und langfristigen Handlungsnotwendigkeiten zählen eine Stärkung der Vereinten Nationen, eine Weltordnungspolitik - Global Governance - und tiefgreifende Reformen der Weltwirtschaftspolitik. Institutionen wie Weltbank, IWF und UN-Sicherheitsrat müssen endlich für einen fairen Nord-Süd-Ausgleich sorgen. Angesichts der dramatischen Armut in der Welt hat sich die internationale Gemeinschaft auf folgende gemeinsame Ziele zu verpflichten: erstens Armutsbekämpfung, zweitens Politik für die Chancengleichheit aller Menschen und Völker in einer gerechteren Weltwirtschaftsordnung, drittens weitere Erhöhung der Ausgaben für die Entwicklungszusammenarbeit.

Wir begrüßen das Bemühen von Außenminister Joschka Fischer und der Bundesregierung, im Nahostkonflikt zu vermitteln und der Gewalt Einhalt zu gebieten und zu einer politischen Lösung zu kommen. Wir erwarten jedoch, dass die USA eine deutlich stärkere Rolle in diesem Konflikt einnehmen. Israel und Palästina haben jeweils das Recht auf einen eigenständigen Staat und ein Leben in gesicherten Grenzen. Wir begrüßen die Zusicherung der Bundesregierung, dass die deutschen Streitkräfte einem deutschen Kommando unterstellt werden. Darüber hinaus verweisen wir auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1994 zum Auslandseinsatz der deutschen Bundeswehr, wonach der Deutsche Bundestag zu jeder Zeit die im Einsatz befindlichen Streitkräfte zurückholen kann, wenn er dies für geboten hält. Wir behalten uns eine derartige Initiative ausdrücklich vor. Wir unterstützen, dass der Bundeskanzler die Notwendigkeit von politischen, diplomatischen und humanitären Anstrengungen öffentlich betont. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung, im Verbund mit der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinten Nationen einen demokratisch legitimierten Post-Taliban-Prozess in Afghanistan voranzutreiben. Im Rahmen eines Mar-shallplanes muss der zivile und wirtschaftliche Wiederaufbau in der Region politisch und ökonomisch gewährleistet werden. Ein Neuanfang muss alle ethnischen und politischen Gruppen in Afghanistan einbeziehen. Wir erwarten zusätzliche und konkrete Initiativen, um die Situation der Flüchtlinge in den Wintermonaten zu verbessern, damit es zu keiner humanitären Katastrophe kommt. Die Flüchtlingshilfe muss dabei klar von militärischen Aktionen getrennt werden. Wir begrüßen die Aufstockung der Hilfsprogramme der Bundesregierung auf 85 Millionen DM und die Bereitstellung von EU-Mitteln in Höhe von 700 Millionen DM. Wir unterstützen die Bemühungen der Bundesregierung, im Rahmen des Post-Taliban-Prozesses die Rechte der afghanischen Frauen und von Minderheiten im Demokratisierungsprozess sicherzustellen.

Der 11. September 2001 war eine reale Kriegserklärung an potenziell jedes zivilisierte und friedensliebende Land. Es ist notwendig, Osama Bin Laden und seinen Unterstützern das Handwerk zu legen und sie vor ein internationales Strafgericht zu stellen. Der UN-Sicherheitsrat hat in zwei einstimmig beschlossenen Resolutionen die Terroranschläge vom 11. September als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit eingestuft und dazu aufgerufen, die Terroristen und ihre Hintermänner, aber auch die Länder, die ihnen Schutz gewähren, zur Rechenschaft zu ziehen. Diese Resolutionen legitimieren auch militärische Maßnahmen. Auf dieser Basis hat die NATO zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall festgestellt. Wir sind nach intensiver Abwägung der angeführten Argumente bereit, einer Beteiligung deutscher Streitkräfte zuzustimmen.


Anlage 4

Erklärungen nach § 31 GO

der Abgeordneten Christian Sterzing und Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte ....

Nach den fürchterlichen terroristischen Anschlägen in den Vereinigten Staaten haben wir unsere Solidarität mit den Opfern, ihren Angehörigen und der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten erklärt. Wir haben anerkannt, dass der UN-Sicherheitsrat das individuelle und kollektive Selbstverteidigungsrecht der Vereinigten Staaten anerkannt und damit dem Kampf gegen den Terrorismus eine völkerrechtliche Grundlage gegeben hat. Ferner haben wir - wie zum Beispiel der Bundestag sowie die Partei Bündnis 90/Die Grünen in mehreren Beschlüssen - zum Ausdruck gebracht, dass unsere Bereitschaft zur praktischen Solidarität unter bestimmten Bedingungen auch die Bereitstellung militärischer Mittel umfasst.

Unsere Solidarität haben wir immer als kritische, nicht als uneingeschränkte verstanden. Deshalb haben wir uns - zum Beispiel als Erstunterzeichner des Berliner Aufrufs - gegen den Krieg in Afghanistan gewandt und uns für eine Bekämpfung des Terrorismus mit zivilisierten Mitteln eingesetzt, weil auch im Kampf gegen den Terror die Wertauffassungen und Grundsätze unserer Gesellschaft nicht Schaden nehmen dürfen. Die Luftangriffe in Afghanistan haben angesichts der wachsenden Zahl ziviler Opfer, von Flächenbombardements und des Einsatzes von Streubomben den Kriterien und Bedingungen, unter denen wir den Einsatz militärpolizeilicher Mittel gegen den Terror und seine Unterstützer für noch vertretbar halten, nicht entsprochen. Jede Planung und Durchführung militärischer Maßnahmen muss das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Vermeidung ziviler Opfer beachten. Wir haben uns deshalb für eine Aussetzung der Bombardierungen eingesetzt, um die humanitäre Hilfe für die hungernden und flüchtenden Menschen in Afghanistan mit zu verbessern. Zudem war für uns nicht erkennbar, dass die militärischen Maßnahmen in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet waren, da nach unserer Überzeugung der Kampf gegen den Terrorismus nur dann dauerhaft Erfolg haben kann, wenn politische, ökonomische, humanitäre, ordnungs- und strukturpolitische, polizeiliche und sicherheitsdienstliche Maßnahmen im Vordergrund stehen.

Aufgrund dieser kritischen Zwischenbilanz der Luftangriffe in Afghanistan erschien uns eine Beteiligung deutscher Soldaten nicht vertretbar. Das von der Bundesregierung beantragte Mandat sieht zudem nur eine Bereitstellung von Streitkräften vor; im Rahmen dieses Mandats soll die konkrete Einsatzentscheidung für ein Jahr der Bundesregierung vorbehalten bleiben. Wir befürchten deshalb eine Entparlamentarisierung der gemäß dem Grundgesetz allein dem Parlament vorbehaltenen Entscheidung über Bundeswehreinsätze. Unklarheiten im Hinblick auf den Auftrag, das Einsatzgebiet und die Kommandostrukturen der deutschen Streikräfte sowie der parlamentarischen Beteiligung konnten erst durch eine Protokollerklärung der Bundesregierung präzisiert werden.

Als Abgeordnete haben wir erreichen können, dass der Einsatz der Bundeswehr durch einen zusätzlichen Antrag und eine verbindliche Protokollerklärung der Bundesregierung substanziell begrenzt und in ein politisches und humanitäres Konzept eingebunden wurde. Wichtige Bestandteile sind eine entschiedene Bekämpfung der Ursachen des Terrors, zivile Konfliktlösungsstrategien, humanitäre Flüchtlingsversorgung, die zusätzliche Finanzierung von Entwicklungsmaßnahmen und anderes.

Die Entscheidung des Kanzlers, angesichts der wachsenden Ablehnung des Antrags der Bundesregierung in den Regierungsfraktionen die Entscheidung über den Bundeswehreinsatz mit der Vertrauensfrage zu verbinden, machte es uns unmöglich, die ohnehin sehr schwierige Entscheidung über die Entsendung deut scher Soldaten allein an dem zu orientieren, was uns unsere politische Überzeu gung und unser Gewissen in Sachen Militär einsätze gebietet. Mit der Gewissens frage wurde die Entscheidung über das Schicksal der rot-grünen Koalition verbun den, eine Frage, die aufgrund ihrer weitreichenden Folgen an Bedeutung der Gewissensentscheidung gleichkommt.

Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen, siehe Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Bundeskanzler hat das Recht, jederzeit die Vertrauensfrage zu stellen. Gemäß Art. 68 GG hat er auch das Recht, die Vertrauensfrage mit einer Sachfrage zu verbinden. Bei der heutigen Entscheiddung ist jedoch die Vertrauensfrage mit einer Gewissensfrage verbunden. Das verfassungsgemäße Recht des Bundeskanzlers zur Stellung der Vertrauensfrage kollidiert also mit dem verfassungsgemäßen Recht der Abgeordneten auf eine freie Gewissenenstscheidung. Das berührt Grundfragen unseres Verständnisses einer parlamentarischen Demokratie und erweist dieser sowie der Glaubwürdigkeit des Parlaments und der Abgeordneten keinen guten Dienst. In einer Mandatsaufgabe kann und darf nicht die Lösung dieses Dilemmas liegen. Dies entspricht nach unserer Überzeugung nicht dem Abgeordnetenbild, das den Vätern und Müttern des Grundgesetzes vorschwebte.

Die Verknüpfung führt auch in der Sache zu absurden Ergebnissen: Am Freitag werden die Abgeordneten der Union und FDP, obwohl sie vorbehaltlos den Krieg in Afghanistan und den Antrag der Bundesregierung unterstützen, den Antrag der Bundesregierung ablehnen. Dagegen werden eine Reihe von Abgeordneten, die eine militärische Reaktion auf den 11. September ablehnen oder Kritik an der O peration Enduring Freedom oder dem Antrag der Bundesregierung haben und deshalb den Antrag der Bundesregierung ablehnen, zustimmen.

Anlage 5

Erklärungen nach § 31 GO

der Abgeordneten Dr. Uschi Eid, Dr. Thea Dückert, Andrea Fischer (Berlin), Katrin Göring-Eckardt, Kristin Heyne, Dr. Angelika Köster-Loßack, Christine Scheel und Margareta Wolf (Frankfurt) (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz ....

Wir haben mit ja zum Einsatz deutscher Soldaten für die Terroristenbekämpfung gestimmt. Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Es ist wohl die schwerwiegendste Abstimmung, an der wir als Bundestagsabgeordnete bisher teilnehmen mussten. Wir sind unserem Gewissen gefolgt und dem, was uns unser Herz und unser Verstand unter Abwägung möglichst vieler Aspekte gesagt haben.

Der 11. September hat vielen auf erschreckende Weise vor Augen geführt, dass wir bisher in unserem Weltbild eine große Gefahr für den Frieden in der Welt ausgeblendet hatten: den internationalen Terrorismus, getrieben von religiösem oder anderem Fanatismus. Wer unter Aufgabe seines Lebens bereit ist, Flugzeuge zur Bombe zu machen, um Tausende von unschuldigen Menschen zu töten, der ist zu jeder unmenschlichen Tat fähig: auch zum Einsatz von biologischen, chemischen und atomaren Waffen genauso wie zum Angriff auf ein AKW oder eine Chemiefabrik. Wir haben die erschreckende Überzeugung, dass der Angriff auf New York und Washington erst der Anfang war - wenn wir nichts dagegen tun. Wir befürchten zudem, dass auch Angriffsziele in Europa gesucht werden. Die Gefährlichkeit dieser Terroristen zu unterschätzen, kann viele weitere Menschenleben kosten. Wer hier nicht handelt, macht sich schuldig.

Inzwischen müssen wohl auch Skeptiker - auch wir waren zwischendurch - skeptisch zugeben, dass der militärische Einsatz in Afghanistan erfolgreich war. Es ist ein Beitrag zur Terroristenbekämpfung, wenn das Talibanregime in Afghanistan abgelöst und durch eine andere Regierung unter Begleitung der UN ersetzt wird. Das Regime ist aufs Engste mit Bin Laden verknüpft. Die Taliban haben kein Zweifel daran gelassen, dass sie das Land immer als Basisstation für ihn zur Verfügung stellten. Zudem sind die Taliban grausam gegen die eigene Bevölkerung. Das reicht von der Unterjochung der Frauen über eine Terrorjustiz bis dahin, dass unter ihrer Regierung nicht etwa erst durch den Krieg - Hundertausende zu Flüchtlingen geworden und des Hungers gestorben sind. Nun kann wahrscheinlich fast allen der circa 3 bis 5 Millionen Flüchtlingen geholfen werden. Dies ist eine entscheidene Wende. Aber weder sind die Taliban endgültig besiegt noch erst Recht der Frieden gewonnen. Jetzt müssen alle Kräfte mobilisiert werden für einet stabile Nach-Talibanordnung. Dafür haben wir trotz schwieriger Haushaltslage 160 Millionen DM neu eingestellt. Zusätzlich unterstützen wir die humanitäre Hilfe in Afghanistan mit 96 Millionen DM.

Nicht alles fanden und finden wir dabei akzeptabel: Den Einsatz von Streubomben lehnen wir nach wie vor ab. Sie sind eine unnötige Grausamkeit. Wir erwarten zudem, dass alles Menschenmögliche getan wird, um Fehlabwürfe auf zivile Ziele zu vermeiden. Für diese Art der Kriegsführung gibt es von uns keine "uneingeschränkte" sondern nur eine "kritische" Solidarität.

Für unsere Zustimmung war nicht zuletzt entscheidend, dass wir Grüne in wesentlichen Punkten das Mandat zum Einsatz konkretisiert haben. Dazu gehört, dass das Operationsziel sich allein gegen die terroristischen Netzwerke Bin Ladens und al-Quaida und die Unterstützer richtet, analog zur UN-Resolution; dass die 100 Spezialkräfte polizeilich-militärische Aufgaben wahrnehmen, zum Beispiel Geiselbefreiung sowie Verhaftungen und nicht am Bodenkrieg teilnehmen; dass weder ein Einsatz im Irak noch in Somalia geplant ist; dass es keine Unterordnung deutscher Streitkräfte unter amerikanisches Kommando gibt, sondern dass die Bundesregierung die Entscheidungshoheit hat; dass es eine regelmäßige Information und Diskussion im Parlament gibt, insbesondere wenn sich etwas Wesentliches am Mandat ändern sollte.

Zudem werden wir in einem parallelen Bundestagsbeschluss deutlich machen, dass die Entmilitarisierung des Konfliktes - unter Regie der Vereinten Nationen -, der Aufbau eines zivilen und freien Afghanistans und vor allem die humanitäre Versorgung der Menschen absoluten Vorrang haben müssen. Für die Zukunft ist klar: Eine langfristige Strategie der Konfliktprävention, fairer Welthandel, Armutsbekämpfung, Entschuldung, Einsatz für Menschenrechte weltweit und der Dialog der Kulturen wird dazu beitragen, dass fanatische Terroristen sich nicht mehr auf bestehende Ungerechtigkeiten zur vermeintlichen Rechtfertigung ihrer Untaten beziehen können.

Wir stimmen auch aus großer Überzeugung mit Ja, dass wir dem Bundeskanzler Schröder unser Vertrauen aussprechen. Ganz entscheidend für unsere Zustimmung ist unser Vertrauen in Joschka Fischer. Noch nie hatten wir Grüne so einen großen Einfluss auf die internationale Politik. Dies ist vor allem dem Außenminister selbst zu verdanken. Mit ihm ist deutsche Außenpolitik stärker als bislang erkennbar auf Integration, Konfliktvermeidung und Entwicklung ziviler Perspektiven gerichtet, in Asien wie in Amerika, in Europa und im Nahen Osten. Sie ist nicht nur zivile Außenpolitik, sie ist darüber hinaus zu guten Teilen auch grüne Außenpolitik. Der grüne Außenminis-ter betreibt diese Politik mit großer Glaubwürdigkeit und mit einem hohen persönlichen Einsatz.

Man kann nicht gegen diese Politik stimmen und gleichzeitig Joschka Fischer unterstützen! Wer mit Nein stimmt, hat auch die gesamte Verantwortung für die Konsequenzen für die rot-grüne Koalition und die grüne Partei zu tragen. Als Erstes gilt die Konsequenz, dass die rot-grüne Koalition beendet sein kann.

Eine andere Außen- und Weltinnenpolitik, die allen Völkern der Erde eine Perspektive gibt, ist eine langfristige Aufgabe. Das grüne Leitbild ist die nachhaltige Entwicklung. Wir haben in den drei Jahren Regierungsbeteiligung einiges erreicht. Aber es wäre vermessen, zu glauben, dass man in drei Jahren in Deutschland einen völlig neuen Kurs durchsetzen könnte. Das braucht Zeit. Die möchten wir dieser Koalition geben, nicht nur bis zur Wahl im Herbst 2002, sondern auch in der nächsten Legislaturperiode.

Dies gilt auch für andere Politikfelder. Viele unserer Projekte sind noch auf der Zielgeraden: Atomausstiegsgesetz, KWK-Gesetz, Einwanderungsgesetz, Naturschutzgesetz es muss noch durch den Bundesrat - und vieles mehr. Auch sind andere angestoßene Entwicklungen, zum Beispiel die Förderung der erneuerbaren Energien, die Ökosteuer, die Förderung der Bahn, die Renten- und Steuerreform, die aktive moderne Arbeitsmarktförderung noch lange nicht selbsttragend und können von einer anderen Regierung jederzeit wieder rückgängig gemacht werden. Es wäre ein massives Roll-Back zu befürchten. Rot-Grün ist ein Projekt, auf das wir jahrzehntelang hingearbeitet haben. Es ist eine große Chance für dieses Land, den Reformstau zu überwinden. Wir werden aus dieser Abstimmung gestärkt hervorgehen.

.....

Weitere Erklärungen:

Dr. Edelbert Richter (SPD): Ich erkläre, dass ich der rot-grünen Bundesregierung und Bundeskanzler Gerhard Schröder mein Vertrauen ausspreche. Da der Bundeskanzler aber die Vertrauensfrage mit der Entscheidung über die Beteiligung deutscher Streitkräfte am Krieg in Afghanistan verknüpft hat, erkläre ich zugleich, dass ich der Politik der amerikanischen Regierung in dieser Region nach wie vor kein Vertrauen entgegenbringen kann.

Der anscheinende Widerspruch zwischen diesen beiden Aussagen wird dadurch aufgelöst, dass ich die Bundesregierung auffordere und es ihr zutraue, gemeinsam mit den anderen Regierungen der Europäischen Union alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Regierung der USA von willkürlicher Hegemonialpolitik abzubringen und zur Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts zu bewegen.

Denn Solidarität mit den USA bedeutet nicht blinde Gefolgschaft, sondern schließt die Pflicht ein, den Partner auf verhängnisvolle Fehlentscheidungen hinzuweisen. Und wir Sozialdemokraten, Deutsche und Europäer sollten der Einsicht, die wir in der Zeit des Kalten Krieges gewonnen haben, treu bleiben: dass aufgrund der Verletzlichkeit moderner Gesellschaften Sicherheit nicht mehr gegeneinander, sondern nur noch miteinander erreicht werden kann. Die Antiterrorkoalition sollte in diesem Sinne weitergeführt werden.

Ich bin mir bewusst, dass die Militäraktionen der USA eine Reaktion auf den furchtbarsten Terroranschlag sind, den die Welt bisher erlebt hat, dass dieses Verbrechen internationale Verfolgung sowie Ergreifung und angemessene Bestrafung der Täter verlangt, dass der UNO-Sicherheitsrat militärische Maßnahmen der USA als Selbstverteidigungsmaßnahmen für legitim erklärt hat und dass das Talibanregime in Afghanistan Terrorismus unterstützt und sich schwerer Verletzungen der Menschenrechte schuldig gemacht hat.

Zugleich bin ich jedoch der Meinung, dass die zivilen Opfer in der Region schon jetzt jedes hinnehmbare Maß bei weitem übersteigen, dass der Einsatz heimtückischer Waffen wie Streubomben nicht nur jetzt unschuldiges Leben grausam tötet, sondern auch in der Zukunft für lange Zeit unverantwortliche Risiken für die Zivilbevölkerung mit sich bringt, dass in keiner Weise erkennbar ist, wie die völkerrechtlichen legitimen Ziele, die angestrebt werden, durch die gegenwärtigen Militärmaßnahmen erreicht werden können, dass mit dem Krieg wahrscheinlich nicht nur der Terror bekämpft werden soll, sondern zugleich geopolitische Interessen in der Region wahrgenommen werden, dass die Militärmaßnahmen immer mehr Menschen einem gewaltbereiten Islamismus zutreiben und die Entwicklung eines friedlichen Zusammenlebens der Religionen zunehmend erschweren, dass sie die Gefahr zukünftiger terroristischer Gewaltakte eher erhöhen als vermindern und dass sie nichts dazu beitragen, durch die Verminderung von Armut und Ungerechtigkeit den Nährboden für Fanatismus und Gewaltbereitschaft auszutrocknen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zum Einsatz von Bundeswehrkräften im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu.

Noch vor einer Woche wäre für mich der Antrag nicht zustimmungsfähig gewesen. Die Schreckensbilder vom 11. September verblassen hierzulande. Die von Terrornetzwerken von und um al-Qaida ausgehende Bedrohung hält aber an und lässt vor allem wegen ihres Strebens nach Massenvernichtungswaffen noch Schlimmeres befürchten. Dies verpflichtet die Staaten über die Verfolgung der Hintermänner des 11. September hinaus zu umfassender Gefahrenabwehr, zur Bekämpfung von Urhebern und Ursachen des Terrorismus. Ihm ist auf Dauer nur mit dem ganzen Spektrum von Instrumenten beizukommen, angefangen bei den diplomatischen, geheimdienstlichen und finanzpolitischen. Dabei ist der Einsatz militärischer Mittel nicht nur durch den UN-Sicherheitsrat legitimiert. Er ist angesichts der militarisierten Infrastruktur des mit den Taliban eng verwobenenen al-Qaida-Netzes in Afghanis-tan und seiner Schlüsselrolle für den Gewalt- und Terrorexport auch notwendig.

Gegenüber dem Vorhaben der Bundesregierung, Bundeswehrkräfte zur Unterstützung der US-Militäroperation Enduring Freedom zur Verfügung zu stellen, ergaben sich erhebliche Bedenken: Undurchsichtig war die US-Militärstrategie, vor allem ihre weitergehenden Ziele. Unbekannt waren ihre tatsächlichen Wirkungen. Sichtbar wurden aber ihre zivilen Opfer; der Einsatz von Streubomben, die Behinderungen von humanitärer Hilfe und die drohende Hungerkatastrophe. Die Bilder der Luftangriffe schürten in der islamischen Welt Solidarisierung mit Bin Laden und den Taliban und schienen diese eher zu stärken als zu schwächen. In diesen "Nebel" sollten Bundeswehrkräfte mit einer Art Blankoscheck des Parlaments entsandt werden. Das waren keine Voraussetzungen für eine Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen. Das ließ Befürchtungen wachsen, in ein unberechenbares Kriegsabenteuer hineingezogen zu werden.

Seit einigen Tagen hat sich die Lage in Afghanistan rasant geändert: Binnen weniger Tage brach das Taliban-Regime zusammen. Millionen Menschen und vor allem Frauen sind frei von seinem Terror. Die Zugänge für humanitäre Hilfe haben sich schlagartig verbessert. Jetzt rückt die direkte Verfolgung von al-Qaida-Terroristen, die Herstellung von Sicherheit, Wiederaufbau und der politische Prozess in den Vordergrund. In diesem erheblich günstigeren Kontext sollen nun Bundeswehrkräfte für Transport, Sanitätsversorgung, ABC-Schutz, vor allem im Hinblick auf drohende Terroranschläge, Seeüberwachung und genauen Zugriff auf Terroristen zur Verfügung stehen. Auf Initiative der Grünen gelang es, den bisher sehr pauschal formulierten und damit Spekulationen fördernden Auftrag mit einer Protokollnotiz einzugrenzen und einer deutlicheren parlamentarischen Kontrolle zu unterziehen. Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen betont im Hinblick auf militärische Maßnahmen die Normen des Völkerrechts und bestimmt zentrale politische Aufgaben, mit denen den Nähr- und Resonanzböden des Terrorismus entgegengewirkt werden muss.

Wo in Afghanistan der Krieg zurückgeht, wo jetzt humanitäre Hilfe, Sicherheit, Entminung, Aufbau, politische Einigung und Terroristenverfolgung im Mittelpunkt stehen, bedeutet der unterstützende deutsche Militäreinsatz ersichtlich nicht die Teilnahme am Afghanistan-Krieg oder einen Kriegseinsatz. Damit ist eine Zustimmung zum Antrag der Bundesregierung viel eher verantwortbar geworden. Zugleich bleiben erhebliche Unklarheiten und Zweifel vor allem gegenüber der weiteren Militär- und Gesamtstrategie der USA.

Die Verknüpfung der Sachentscheidung mit der Vertrauensfrage durch den Bundeskanzler trifft uns Abgeordnete in unserer demokratischen und parlamentarischen Identität. Ein solches Durchboxen ist ein ungeeignetes Mittel, die breiten Bedenken und Widerstände in SPD, Grünen und Bevölkerung insgesamt gegenüber dem bevorstehenden Militäreinsatz zu entkräften. Es behindert die gesellschaftliche Konsensbildung durch offene Debatte, die gerade in der Sicherheitspolitik unverzichtbar ist. Das Kanzler-Machtwort zwingt uns, in unsere Gewissensentscheidung die Konsequenzen unseres Abstimmungsverhaltens für die Koalition, für die deutsche Außenpolitik und das laufende internationale Krisenmanagement, für die grüne Partei einzubeziehen. Angesichts dessen und der veränderten Rahmenbedingungen für die Bundeswehrentsendung ist meine Zustimmung zu dem Antrag der Bundesregierung notwendig und verantwortbar.


Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zwei sehr grundsätzliche und weit reichende Fragen stehen heute im Deutschen Bundestag zur Entscheidung an. Beide sind sehr unterschiedlich und haben doch eines gemeinsam. Die Antworten sind von historischer Tragweite. Es geht um den Fortbestand einer sozialökologischen, rot-grünen Reformkoalition unter Führung von Bundeskanzler Gerhard Schröder und um die Entsendung der Bundeswehr "out of area" zur Beteiligung am Krieg gegen Terrorismus.

Zwei so unterschiedliche Fragen können zwar aus Macht- und Mehrheitskalkül zusammengespannt werden, inhaltlich ist das freilich höchst problematisch. Wer das eine will und das andere ablehnt, wird mit der damit erzwungenen einfachen Ja-Nein-Antwort für beide Fragen der Komplexität nicht gerecht.

Wir bedauern es sehr, dass der Bundeskanzler - aus unserer Sicht ohne Not - die Vertrauensfrage gestellt hat, um damit die Mehrheit der Koalition für ein Auslandsmandat der Bundeswehr zu bekommen bzw. zu erzwingen. Diese Verquickung ist zwar machtpolitisch clever, aber nicht klug, weil sie nicht wirklich Vertrauen schafft, sondern Misstrauen säht, weil sie Zustimmung von Abgeordneten erzwingt, die in der Sache ernsthafte Bedenken haben, weiterhin für die rechtsstaatlich und völkerrechtliche angemessenere Form.

Das zur Abstimmung stehende Bundeswehrmandat ist angesichts der sich abzeichnenden Entwicklung von seiner ursprünglichen Funktion her vermutlich überholt. Es spräche manches dafür, es deutlich als ziviles, quasi polizeiliche und humanitäres zum Aufbau eines friedlichen Afghanistan umzuformulieren. Wir erwarten, dass es - zumal aus unserer Sicht illegitim erstritten - nicht militärisch, sondern zivil gedeutet wird. Das entspräche nicht nur dem Willen vieler Abgeordneter, sondern auch der großen Mehrheit der Bevölkerung. Diese lehnt mit uns eine Militarisierung der Außenpolitik ab.

Trotz dieser gravierender Einwände in einer sehr grundsätzlichen und letztlich auch nicht gefahrlosen Entscheidung der Bundesregierung, die Bundeswehr einzusetzen, müssen wir abwägen, ob wir die damit zwanghaft verbundene Vertrauensfrage bejahen oder die rot-grüne Regierung beenden. Wir haben als Gruppe von Kritikerinnen und Kritikern gemeinsam entschieden, weil der Einzelne das Entscheidungsdilemma nicht sinnvoll auflösen kann.

Wir entscheiden politisch wohl begründet und in großer Verantwortung. Wir stimmen in einer freien Gewissensentscheidung ab. Einige von uns sagen Nein und machen deutlich, dass wir dieses Bundeswehrmandat nicht legitimieren wollen. Wir sagen Nein zur Kriegsbeteiligung. Einige sagen Ja zur Regierung Schröder und zum Fortbestand der Koalition. Wir wollen gemeinsam diese Reformkoalition und wir wollen eine vor allem zivile Außenpolitik.


Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zu, weil ich dem Bundeskanzler nach Art. 68 Abs. 1 mein Vertrauen aussprechen will.

Ich stelle inhaltliche Bedenken gegen den Bereitstellungsbeschluss und Kritik an der Durchführung der Operation Enduring Freedom vor dem Hintergrund der gestellten Vertrauensfrage zurück. Innenpolitisch sind dabei für mich besonders folgende Gründe von erheblicher Bedeutung:

Erstens. Über die Fortsetzung oder Beendigung der Koalition muss ein Parteitag politisch entscheiden. Diese Entscheidung darf nicht stattdessen von einer kleinen Gruppe von Abgeordneten getroffen werden.

Zweitens. Rot-Grün hat nicht nur in der Außenpolitik eine erfolgreiche Politik gemacht. Die Leistungsbilanz dieser Koalition ist nach nur drei Jahren beeindruckend. Wir haben innenpolitisch das Gesicht dieser Republik verändert. Gesellschaftspolitisch wurde mit Staatsbürgerschaftsreform, Lebenspartnerschaftsgesetz und Prostituiertengesetz Deutschland moderner und liberaler. Mit dem Zuwanderungsgesetz und der Durchsetzung der Barrierefreiheit für Behinderte will die Koalition diesen Weg fortsetzen. Mit der ökologischen Erneuerung - erneuerbare Energien, Atomausstieg - und der sozialen Erneuerung - Renten-, Steuerreform - hat die Koalition Ernst gemacht, aber es bleibt auch noch viel zu tun. Die Fortsetzung von Rot-Grün ist und bleibt das Beste für unser Land.

Folgende außenpolitischen Gesichtspunkte habe ich bei meiner Entscheidung besonders abgewogen:

Erstens. Die Anschläge vom 11. September sind jederzeit wiederholbar. Nur eine Zerschlagung der Strukturen, die sie hervorgebracht haben, kann hier wieder Sicherheit schaffen. Ein repressives Vorgehen gegen das Terrornetz Bin Ladens ist daher legitim und spezialpräventiv. Das Talibanregime war nicht nur ein Unglück für die eigene Bevölkerung, sondern auch eng mit dem Terrornetz verwoben. Im Ausland ist ein repressives Vorgehen in diesem Sinne aber nicht durch Polizeikräfte möglich, sondern nur durch militärische Mittel.

Zweitens. Der sehr unscharf gefasste Antrag der Bundesregierung war zunächst schon vor dem Hintergrund seiner Bereitstellungsdauer von einem Jahr verfassungsrechtlich problematisch. Mit der Protokollerklärung des Bundesaußenministers im Auswärtigen Ausschuss wurden die verfassungsrechtlichen Bedenken ausgeräumt. Die Klarstellung beim Auftrag bezüglich der Beschränkung auf die Bekämpfung von al-Qaida, bei der Aufgliederung der eingesetzten Streitkräfte, der Beschränkung der KSK auf polizeilich-militärische Aufgaben, beim Einsatzgebiet - Ausschluss Somalias -, die Informationsverpflichtung und die Bilanz nach sechs Monaten haben Grüne in Parlament und Regierung durchgesetzt. Teilnahme an der Bombardierung oder die Stellung von Bodentruppen waren von Anfang an ausgeschlossen.

Drittens. Kritisch bleibt anzumerken, dass die Operation Enduring Freedom ein unilateraler Einsatz mit deutscher Unterstützung bleibt. Allerdings behält sich die Bundesregierung die Entscheidung über konkrete Einsätze weiterhin vor.

Viertens. Die Kriegführung der USA im Rahmen der Operation Enduring Freedom war nicht immer verhältnismäßig. Insbesondere der Streubombeneinsatz, der viele zivile Opfer gefordert hat, war auch nicht durch die Anschläge des 11. September gerechtfertigt, weil er nicht hinreichend zielgerichtet auf die Verfolgung der Terroristen ausgerichtet war. Der Antrag der Koalitionsfraktionen unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit der Bindung eines Militäreinsatzes an die Verhältnismäßigkeit und fordert die Vermeidung ziviler Opfer. Er kritisiert damit indirekt auch Aspekte der Kriegführung der USA.

Fünftens. Der Einsatz in Afghanistan war immer mit humanitärer Unterstützung der Zivilbevölkerung durch Hilfsgüterabwurf verbunden. Mit dem Rückzug der Taliban erhalten die Hilfsorganisationen in den von der Nord-allianz kontrollierten Gebieten Zugang zu der hilfsbedürftigen Bevölkerung und können nun im großen Maßstab Hilfe ins Land bringen:

Sechstens. Gerade in der jetzigen international angespannten Situation ist eine rot-grüne Bundesregierung ein wichtiger Beitrag für die langfristige Friedensperspektive. Gerade das internationale Ansehen von Außenminis-ter Joschka Fischer, seine Rolle in der Nah-Ost-Politik, ist für den Aufbau einer internationalen Friedensordnung notwendig.

Albert Schmidt (Hitzhofen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich stimme dem Beschlussvorschlag der Bundesregierung zur begrenzten Bereitstellung deutscher Streitkräfte im Rahmen der militärischen Operationen der weltweiten Antiterrorkoalition aus folgenden Gründen zu:

Nach den Klarstellungen und Präzisierungen durch die verbindliche Protokollerklärung der Bundesregierung haben für mich Art und Umfang des möglichen deutschen Beitrags deeskalierenden Charakter. Sie entsprechen weitgehend den auch von den Gremien meiner Partei beschlossenen Kriterien der Zweckmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit und Zielgenauigkeit.

Im Einzelnen bewerte ich die angeforderten Komponenten wie folgt:

Erstens. Eine deutsche Beteiligung an Luftangriffen oder an einem Bodenkrieg ist und bleibt klar ausgeschlossen.

Zweitens. Der mögliche Einsatz von Spezialkräften wird durch die Protokollerklärung ausschließlich auf polizeilich-militärische Aufgaben gegen das terroristische Netzwerk Bin Ladens bzw. gegen deren unmittelbare Unterstützer beschränkt, zum Beispiel auf Geiselbefreiung und Verhaftungen. Sie werden nicht in einem Bodenkrieg als Bestandteile von Truppen eingesetzt. Vergleichbare Kommandoaktionen auch mit deutscher Beteiligung haben auf dem Balkan dafür gesorgt, dass Kriegsverbrecher gefasst und vor das Haager UN-Tribunal gebracht wurden.

Drittens. Das mögliche Einsatzgebiet wird durch die Protokollerklärung weiter eingegrenzt: Außerhalb Afghanistans kann eine Stationierung oder gar ein Einsatz nicht ohne Zustimmung der jeweiligen Regierung erfolgen, in Ländern ohne Regierung nur mit erneuter Beschlussfassung des Bundestages. Im Nahen Osten ist nach Aussage des Bundeskanzlers in unserer Fraktionssitzung am 14. November 2001 ein Einsatz nicht vorgesehen. Damit ist eine unkontrollierte Ausweitung des Konfliktes mit deutscher Beteiligung zum Beispiel nach Somalia oder in den Irak ausgeschlossen.

Viertens. Drohungen von al-Qaida sowie Hinweise auf den Besitz radioaktiven Materials zeigen: Die Bedrohung durch atomare, biologische oder chemische Kampfstoffe ist nicht abstrakt, sondern sehr konkret. Die Bundeswehr besitzt mit dem Fuchs-Panzer ein System zum Aufspüren solcher Waffen, das dem Schutz aller vor Ort betroffenen Menschen, ob Soldaten oder Zivilbevölkerung, dient.

Fünftens. Sanitätseinheiten - "fliegendes Hospital" und ähnliches - dienen der Evakuierung Verletzter, der medizinischen Versorgung von Soldaten und oft auch der Zivilbevölkerung.

Sechstens. Durch die Bereitstellung von Transportflugzeugen werden die Versorgungsmöglichkeiten mit humanitären Hilfsgütern verbessert.

Siebtens. Die bereitgestellten Marineeinheiten sollen gefährliche Schiffstransporte wie zum Beispiel Öl- und Chemietanker vor Anschlägen schützen. Dies ist aufgrund entsprechender Bedrohungshinweise sinnvoll, um un absehbare, auch ökologische Folgen terroristischer Anschläge auf solche Transporte zu verhindern.

Achtens. Es gibt keine Unterordnung deutscher Streitkräfte unter amerikanisches Kom mando. Die Entscheidungshoheit verbleibt bei der deutschen Bundesregierung mit ihren grünen Ministern.

Neuntens. Das Mandat gilt für die Dauer eines Jahres. Die Gremien des Bundestags werden jedoch kontinuierlich und zeitnah über Verlauf und Ergebnisse der Operationen unterrichtet. Der Bundestag übt damit seine unverzichtbaren parlamentarischen Kontrollrechte aus und kann jederzeit in eigener Beurteilung der aktuellen Ent wicklung neue Entscheidungen treffen, gegebenenfalls auch die deutschen Streitkräfte zurückrufen. Für die weitere Bewertung ist für mich zum Beispiel maßgeblich, dass auf den Einsatz von Streubomben verzichtet wird.

Zehntens. Mit dem parallel beschlossenen Entschlie-ßungsantrag des Bundestags wird das militärische Vorgehen in ein politisches Gesamtkonzept zur Zukunft eines zivilen und friedlichen Afghanistans, zur dauerhaften friedlichen Konfliktlösung und zur sofortigen Verbesserung der humanitären Lage und Versorgung der Menschen vor Ort eingeordnet. Auch dies war eine wesentliche Forderung bündnisgrüner Beschlüsse.

Damit entspricht das Anforderungsprofil eines möglichen deutschen Beitrags den für mich maßgeblichen Kriterien. Es bleibt jedoch die Grundfrage zu entscheiden, ob militärische Mittel prinzipiell ge eignet und moralisch legitim sind, um Terrorismus zu bekämpfen.

Es ist die niederschmetternde und brutale Wirklichkeit, dass in Kriegsaktionen auch Unschuldige getroffen, verletzt und getötet werden. Ebenso wirklich ist aber, dass mit dem erkennbaren Ende des Talibanregimes, das elementare Menschenrechte mit Füßen getreten hat, in den befreiten Städten ein Stück Freiheit und relativer Sicher heit für die Menschen möglich geworden ist. Dort ist auch der von uns geforderte Bombenstopp Wirklichkeit geworden - noch vor dem Beginn des Ramadan. Zum ersten Mal seit Jahren besteht für die Stadtbewohner und für die Flüchtlinge, die jetzt in ihre Heimatorte zurückkehren, die begründete Hoffnung, den nächsten Winter nicht wieder mit Frieren und Hungern verbringen zu müssen. Die ersten Versor gungsschiffe sind unterwegs, die Konvois werden jetzt rollen. Es muss bezweifelt werden, ob dies alles ohne jedes militärische Eingreifen möglich geworden wäre.

Ich erwarte von der Bundesregierung, dass - gemäß dem heutigen Entschließungs antrag - verstärkte Anstrengungen zu einer wirksamen Versorgung der Zivilbevölke rung mit Nahrung, Kleidung und Wohnung Vorrang vor allem anderen haben.

Meine Gewissensentscheidung wird nicht nur von den genannten Fragen bestimmt, sondern ebenso von dem Bewusstsein, damit auch eine Entscheidung über das Ge samtprojekt einer ökologisch-sozialen Reformregierung zu treffen ist. Wenn die Koa lition bei einer derart wichtigen Entscheidung der eigenen Regierung die parlamenta rische Unterstützung entzöge, hätte dies - mit oder ohne Vertrauensfrage - über kurz oder lang das Ende dieser Regierung zur Folge. Die Konsequenz wäre ein ökologisches roll-back durch eine neue Regierung ohne grüne Beteiligung, ein Stopp bzw. die Rücknahme von Reformen, die das Land verändert haben.

Ich habe 20 Jahre für das Projekt einer ökologisch-sozialen Reformkoalition geworben und geackert. Wir haben von A wie Atomausstieg und Agrarwende über B wie Bahnsanierung bis Z wie Zuwanderungsgesetz eine Fülle von Reformen für ein weltoffenes und umweltfreundliches Land durchgesetzt und auf den Weg gebracht. Das neue Naturschutzgesetz wurde gestern verabschiedet. Die Ökosteuer zeigt klar ökologische Lenkungswirkung. Die Förderung Erneuerbarer Energien bringt den Klimaschutz voran. Es wäre unzulässig und sogar zynisch, das Erneuerbare-Energien-Gesetz aufzuwiegen gegen die Beteiligung an einem Militäreinsatz. Aber weil wir in drei Jahren Regierungsbeteiligung nicht nur das Profil dieses Landes im grünen Sin ne umgestaltet haben, sondern mit Joschka Fischer auch einen international geachteten Außenminister stellen, der gerade jetzt bei der Neugestaltung globaler Ordnungen eine herausragende Rolle spielt, bin ich nicht bereit, das Gesamtprojekt Rot-Grün und damit dann möglicherweise auch die Zukunftsperspektive der grünen Partei leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Viele, die eine deutsche Beteiligung in Afghanistan ablehnen, unterstützen - oft ebenso vehement - die Politik des Außenministers. Diese Politik ist von Anfang an auf Integration, Konfliktvermittlung und Entwicklung ziviler Perspektiven gerichtet - in Asien wie in Amerika, in Europa und im Nahen Osten. Der grüne Außenminister betreibt diese Politik mit großer Glaubwürdigkeit und mit einem Einsatz bis an die Grenze der physischen Belastbarkeit. Er findet dafür im Inland wie im Ausland hohe Anerkennung. Er kann diese Politik aber nur so lange fortsetzen, wie seine eigene Fraktion und Partei dafür die Voraussetzungen schafft und erhält. In einer parlamentarischen Demokratie geschieht dies auf dem Wege der Abstimmung durch eine klare Mehrheit.

Hinzu kommt für mich, dass ein Ausscheiden der Bundesrepublik Deutschland aus der NATO-Solidarität unübersehbare Konsequenzen für die atlantische Sicherheitsarchitektur und für Europa hätte: Rückkehr der USA zum Unilateralismus, Rück schlag bei der Entwicklung einer gemeinsamen Politik Europas. Es wäre nicht nur fahrlässig, sondern schlicht unpolitisch, diesen Zusammenhang bei der Entscheidungsfindung auszublenden.

Nach kritischer Abwägung all dieser Zusammenhänge entscheide ich mich letztlich aber entlang der einfachen Frage: Was vermindert wahrscheinlich die akute terroristische Bedrohung, was hilft bei der kurzfristigen Bekämpfung terroristischer Gewalt, was verschafft der afghanischen Bevölkerung nach Jahren des Hungerns und Leidens am schnellsten eine Perspektive? Oder noch einfacher: Was hilft den Menschen?

Ich meine, dass Terrorismus, wie er sich am 11. September manifestiert hat, nicht durch Krieg aus der Welt zu schaffen ist. Nur eine langfristige Strategie der Konfliktprävention - fairer Welthandel, Armutsbekämpfung, Dialog der Kulturen - kann terroristischer Gewaltbereitschaft dauerhaft den Nährboden entziehen. Dies beinhaltet auch das Eingeständnis und die Korrektur schwerer politischer Fehler der westlichen Welt. Ich fürchte aber, dass es kurzfristig ohne repressive, auch militärische Mittel nicht geht, sofern diese zweckmäßig, zielgenau, verhältnismäßig und in ein politisches Gesamtkonzept eingebettet sind.

In diesem Sinne ist für mich der deutsche Beitrag, wie er von der Bundesregierung als Handlungsrahmen vorgeschlagen wird, vertretbar und verantwortbar.

Dr. Antje Vollmer (BÜNDNS 90/DIE GRÜNEN): Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen; so Art. 38 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes.

Der Bundeskanzler hat das Recht, jederzeit die Vertrauensfrage zu stellen. Gemäß Art. 68 des Grundgesetzes hat er auch das Recht, die Vertrauensfrage mit einer Sachfrage zu verbinden. In der heutigen Abstimmung ist die Vertrauensfrage mit einer Gewissensfrage verbunden. Auch diese Verbindung ist von der Verfassung zugelassen, aber nicht unbedingt gewollt. Sie führt auch in der Sache zu absurden Ergebnissen: Abgeordnete der Union und der FDP, obwohl sie den Krieg in Afghanistan und den Antrag der Bundesregierung unterstützen, werden den Antrag der Bundesregierung ablehnen. Dagegen werden eine Reihe von Abgeordneten, die wie ich den Terrorismus militärisch für nicht besiegbar halten oder Kritik an der Operation Enduring Freedom haben, heute zustimmen. In einer Mandatsaufgabe kann und darf nicht die Lösung dieses Dilemmas liegen. Dies entspricht nach meiner Überzeugung nicht dem Abgeordnetenbild, das den Vätern und Müttern des Grundgesetzes vorschwebte.

Ich habe in der Abstimmung mit Ja gestimmt, weil ich mich mit einem Nein gegen den Fortbestand der rot-grünen Koalition ausgesprochen hätte. Für mich ist das rot-grüne Regierungsprojekt aber weder inhaltlich noch konzeptionell erschöpft. Es ist von der Bevölkerung akzeptiert, im praktischen Verlauf erfolgreich und im inneren Verhältnis der Beteiligten nicht zerrüttet.

Die notwendige Debatte über die neue Rolle Deutschlands und darüber, wie sie auszufüllen ist, steht unthematisiert im Hintergrund der heutigen Entscheidungen. Diese Diskussion offen und im Dialog mit der Bevölkerung zu führen ist notwendiger denn je. Mit meiner heutigen Entscheidung möchte ich mich dafür einsetzen, dass diese Debatte möglich bleibt und inhaltlich und konzeptionell eine rot-grüne Handschrift trägt.

Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich erkläre, warum ich für den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Terrorismusbekämpfung stimmen und dem Kanzler mein Vertrauen aussprechen werde.

Die grausamen Anschläge vom 11. September 2001 in New York und Washington haben uns alle erschüttert. Wir sind solidarisch mit der Bevölkerung der Vereinigten Staaten und fühlen uns alle von den Anschlägen getroffen. Wir unterstützen daher den Kampf gegen den internationalen Terrorismus solidarisch, aber auch kritisch. Dass sich die sicherheitspolitische Lage dramatisch verändert hat, ist nicht mehr zu leugnen. Darüber müssen wir in Deutschland eine rationale Diskussion führen.

Ich kritisiere das Junktim von Vertrauensfrage und einer Sachentscheidung, für die gerade in der Frage des Einsatzes militärischer Mittel die grundgesetzlich manifestierte Gewissensentscheidung als Voraussetzung für eine sachgerechte Entscheidung des einzelnen Abgeordneten von wesentlicher Bedeutung ist. Diese Kritik an der Verknüpfung innenpolitischen Machtkalküls mit einer Sachabstimmung entbindet uns in der konkreten Situation aber nicht von der nun notwendig gewordenen Abwägung zwischen dem Range einer Gewissensentscheidung und der Bewertung der rot-grünen Koalition, aber auch des grünen Projektes durch Zustimmung oder Ablehnung. Ich entscheide mich heute für eine Fortführung von Rot-Grün und werde damit zugleich die Frage der Bewertung der Politik der bestehenden Koalition und der Zukunft von Rot-Grün dem Bundesparteitag in Rostock überlassen. Die Delegierten haben 1998 für Rot-Grün auf Bundes ebene gestimmt und müssen folgerichtig auch über die Fortführung oder Beendigung entscheiden.

Die rot-grüne Koalition hat bisher gute Arbeit geleistet. Wir haben präventive Elemente in der Außenpolitik gestärkt, fördern die zivile Konfliktbearbeitung und praktizieren einen Multilateralismus, der langfristig zur Verregelung der internationalen Beziehungen beiträgt. Damit setzen wir Schritt für Schritt Zielsetzungen grüner Außenpolitik durch. Wir sind nicht so schnell, wie wir gerne wären, aber wir kommen damit voran. Daher kann nicht die Fraktion über den Fortbestand der Koalition entscheiden, sondern das kann nur die Partei tun. Wir werden auf der BdK in Rostock eine ausführliche Diskussion über Außenpolitik und damit den Fortbestand der Koalition führen. Die Diskussion auf dem Parteitag ist auch ein Beitrag zur gesellschaftlichen Debatte über die deutsche Außenpolitik, die in den letzten Monaten zu kurz gekommen ist und deren Beginn wir einfordern. Das Ergebnis ist offen, aber es ist die Partei, die darüber entscheiden muss.

Grundlagen für die Entscheidung über einen Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Bekämpfung des internationalen Terrorismus sind erstens die internationalen politischen Verpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland eingegangen ist, und eine aktuelle reale Lageanalyse. Aufgrund meiner Analyse der generellen Bedrohungssituation komme ich zu dem Ergebnis, dass sich die Bundesrepublik Deutschland an dem breiten Spektrum von Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus mit polizeilichen, geheimdienstlichen, diplomatischen, humanitären und auch militärischen Maßnahmen beteiligen sollte. Daher werde ich dem Antrag der Bundesregierung zustimmen. Ich kann alle verstehen, die grundsätzlich Militäreinsätze ablehnen, bin aber der Ansicht, dass gezielte militärische Maßnahmen in der momentanen Situation erforderlich sind.

Der Entschließungsantrag sowie die Protokollnotiz der Bundesregierung zeigen eindeutig, dass es sich um einen begrenzten Einsatz der Bundeswehr handelt und dass die Rechte des Parlamentes nicht angegriffen werden. Er greift damit die Präzisierungen, die vom Parteirat am 12. November 2001 beschlossen wurden, auf. Diese sind für uns als Grüne zentrale Kriterien bei einer so zentralen Entscheidung in der Frage, ob und, wenn ja, wie wir uns auch mit militärischen Mitteln an der Bekämpfung des Terrorismus beteiligen.

Dennoch habe ich einige gewichtige Kritikpunkte an der Gesamtstrategie der Vereinigten Staaten. Erstens. Mein Eindruck ist, dass die USA allein und ohne Rückversicherung mit den Partnern in der Antiterrorkoalition oder der NATO über Ziele und Taktik der militärischen Aktionen entscheiden. Es darf auf keinen Fall geschehen, dass durch rücksichtsloses und gedankenloses Vorgehen der Zusammenhalt der Antiterrorkoalition gefährdet wird und gefährliche Konsequenzen für den Weltfrieden haben könnte. Dies wäre ein Erfolg für die Terroristen.

Zweitens. Die Informationslage ist unzureichend. Ein Großteil der Verunsicherung in der Öffentlichkeit entstand, weil zu optimistische Erwartungen geweckt wurden und unsere Partner uns ungenügend informierten. Ich hoffe, dass sich die Informationslage für die Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsträger grundsätzlich verbessern wird.

Drittens. Nicht akzeptabel ist die Verwendung von Munition, die unterschiedslos auch gegen Zivilisten wirkt, insbesondere Streubomben. Ebenso lehne ich den Beschluss der EU ab, die Nordallianz mit Waffen zu beliefern. Diese Vorgehensweisen sind für uns nicht akzeptabel und wir werden vehement auf allen Ebenen deren Aufgabe einfordern.

Viertens. Ich begrüße, dass die Vereinigten Staaten im multilateralen Rahmen agieren und damit signalisieren, dass der internationale Terrorismus nicht von einem Staat allein, egal, wie viel Macht er in sich vereinigt, besiegt werden kann, sondern dass wir eine breite Koalition benötigen. Dennoch habe ich zum Teil den Eindruck, dass die USA immer noch einen Multilateralismus à la carte betreiben.

Fünftens. Ich warne vor zu viel Optimismus. Auch wenn die jetzigen Erfolge der Militäraktionen aus der öffentlichen Diskussion viel Druck herausgenommen haben. So froh wir über die Freilassung der Mitarbeiter von Shelter Now sind, so darf man sich über den Charakter von militärischen Aktionen und der prekären Lage in Afghanistan keine Illusionen machen. Wir wissen doch, dass die Nordallianz keineswegs ein demokratischer Wunschpartner ist. Jetzt kommt es darauf an, verantwortlich mit der Zukunft Afghanistans umzugehen und allen potenziellen Beteiligten eines zukünftigen Regimes klar zu machen, unter welchen Bedingungen wir den Aufbau des Landes unterstützen. Dazu gehört aus meiner Sicht die strikte Einhaltung von Menschenrechten, ein Demokratisierungsprozess, der im Einklang mit den vorgefundenen gesellschaftlichen Verhältnissen steht und die Einbeziehungen der umliegenden Länder im Rahmen eines Regionalkonzeptes.

Darüber hinaus möchte ich folgende Punkte zu bedenken geben:

Erstens. Wir können nicht ausschließen, dass der internationale Terrorismus auch Anschläge in Europa verübt. Das heißt, unser Sicherheitsverständnis muss sich, gemessen an den veränderten Realitäten, ändern. Wir brauchen ein tiefgreifende Debatte über eine neue Sicherheitspolitik, in der neu und verstärkt über Prävention, aber auch über Abwehrmaßnahmen diskutiert wird. Dabei können und dürfen Abwehrmaßnahmen nicht nur vom Militär übernommen werden. Häufig handelt es sich um polizeiliche und geheimdienstliche Aufgaben.

Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Form des Konfliktes, mit dem wir seit dem 11. September konfrontiert sind, ein völlig anderer ist als zu Zeiten des Kalten Krieges, als jener innerstaatliche Konflikt auf dem Balkan oder dem regionalen Kurdenkonflikt. Es ist neu, dass auf der einen Seite ein staatlicher Gegner sitzt, auf der anderen Seite ein schwer zu fassender, nicht greif barer "non-state-actor", der mit klassischen militärischen Mitteln nicht zu besiegen ist. Und neu ist auch, dass es nicht wie zum Beispiel im Kosovo um die Hilfe für andere Menschen und die Durchsetzung von Menschenrechten geht, sondern um Verteidigung. Der UN-Sicherheitsrat hat die Terrorangriffe verurteilt und das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt. Wir müssen auch sehen, dass es keine "sauberen" militärischen Aktionen gibt. Daraus ist zu folgern, dass wir darauf achten, dass die Mittel nach dem Kriterium der Verhältnismäßigkeit angewandt werden und einem politischen Ziel folgen.

Zweitens. Wir als Grüne haben die Aufgaben, einer Formierung der Gesellschaft zu widerstehen. In Zeiten der Bedrohung und der Unsicherheit neigen Gesellschaften zu übersteigerter Kontrolle und Überwachung, in der Illusion, dass diese die Sicherheit erhöht. Dies ist nicht der Fall. Die Erfahrung in den 70er-Jahren bis in die 80er-Jahre hat gezeigt, dass dies häufig nicht der Fall ist. Im Gegenteil: Wir laufen Gefahr, uns damit der Grundlagen unserer freiheitlichen Gesellschaft zu berauben.

Drittens. Die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus wird sich über Jahre hinweg ziehen. So wichtig die Diskussion über humanitäre Hilfe aus unserer Sicht in den letzten Wochen war, haben wir es versäumt, die qualitative Veränderungen für die deutsche Außenpolitik zu bewerten. Denn die Frage ist: Was heißt es für Außen- und Sicherheitspolitik, für Prävention und zivile Konfliktbearbeitung, wenn wir nicht mehr die traditionelle Konfliktstruktur gleichartiger Gegner haben? Welche Folgen haben die Anschläge vom 11. September 2001 für unsere multilaterale Politik und wie müssen wir sie weiterentwickeln? Diese Fragen sind noch nicht beantwortet, sie können es noch gar nicht sein.

Nach einer gründlichen Abwägung zwischen meiner Kritik an einzelnen Maßnahmen bei der Terrorismusbekämpfung und der grundsätzlichen Notwendigkeit der kurz- und langfristigen Gefahrenabwehr bin ich zu der Ansicht gekommen, dass ich dem Antrag der Bundesregierung zustimmen werde.


Helmut Wilhelm (Amberg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):  Der heutige Tag ist kein Glanzlicht in der Geschichte des deutschen Parlaments. Abgeordnete, vor allem in CDU und FDP, die deutsche Soldaten nach

Afghanistan schicken wollen, stimmen hiergegen, weil sie dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen oder können. Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, die einen militärischen Einsatz dort als sachlich oder moralisch falsch ablehnen, sind gezwungen dafür zu stimmen, weil sie das rot-grüne Reformprojekt nicht aufgeben wollen. Die Verknüpfung der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz mit der Vertrauensfrage mag taktische Gründe haben; dem Vertrauen der Bürger in die Ehrlichkeit der Arbeit dieses Parlaments war sie nicht förderlich.

Nach unserem Grundgesetz sind Abgeordnete an Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Schwer nachvollziehbar war für mich der Gedanke des Kanzlers, geäußert in der Fraktionssitzung der Grünen, diese Gewissensentscheidung könne man auch dadurch wahrnehmen, dass man von seinem Mandat zurücktrete. Aber auch durch die Verbindung zweier konträrer Übel, militärischer Einsatz und Ende des rot-grünen Reformprojekts, wird das freie Mandat behindert. Solchen Verknüpfungen muss entschieden widersprochen werden.

So entscheide ich mich für die Fortsetzung der rot-grünen Koalition. Rot-Grün ist das einzige tragbare politisch Modell in dieser Republik, ist einzig auf eine zukunftsfähige Politik gerichtet. Rot-Gelb, Schwarz-Gelb sind Politikmodelle des vorigen Jahrhunderts.

Mancher mag meinen, es seien zu wenig grüne Ideen umgesetzt worden. Die Differenz aber zu denen, die überhaupt keine Antwort auf existenzielle Menschheitsfragen suchen oder wollen, ist riesig. Hingegen will und kann Rot-Grün noch viel bewirken. Ich will das rot-grüne Projekt nicht aufgeben. Schon gar nicht will ich den urgrünen Gedanken der Basisdemokratie dadurch konterkarieren, dass einige wenige grüne Abgeordnete die Entscheidung für die Aufgabe oder die Fortsetzung der Regierungskoalition treffen, die den Delegierten der Bundesversammlung, des höchsten Beschlussgremiums der Partei, zusteht. Es ist mir ein Gewissensanliegen, mich für den Fortbestand der rot-grünen Koalition, für eine auch zukünftige Durchsetzungschance grüner Politikideen zu entscheiden.

Ich bedauere, dass der Kanzler aus mir nicht nachvollziehbaren Gründen Abgeordnete in Gewissenskonflikte gebracht hat. Die Verbindung einer eindeutigen Gewissensentscheidung, des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte, mit der Vertrauensfrage ist vom Grundgesetz zwar nicht untersagt, aber auch nicht unbedenklich. Den ursprünglichen Antrag der Bundesregierung auf Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte mit Aktionskreis von Afrika bis Zentralasien, zeitlich ausgedehnt auf ein ganzes Jahr und bei beliebiger Veränderbarkeit des Kräfteverhältnisses der eingesetzten Truppenteile, ohne Bundestagsentscheidung abzulehnen, war mir ebenfalls eine Gewissensentscheidung, obwohl ich den Kampf gegen den internationalen Terrorismus - aber mit geeigneten Mitteln - für nötig halte, mir Völkerrecht und Bündnisverpflichtung klar sind, aber weil massive Bedenken gegen die militärische Strategie der USA bestanden und weil eine humanitäre Katastrophe in Afghanistan droht.

Nunmehr bin ich gezwungen abzuwägen - und das fällt mir nicht leicht. Allerdings hat sich seit dem Bekanntwerden der Anforderung zur Bereitstellung von Bundeswehreinheiten vor einer Woche Entscheidendes geändert. Die Lage in Afghanistan hat sich dramatisch gewandelt. Das Talibanregime ist gestürzt, Bin Laden und das Terrornetzwerk der al-Qaida werden von diesem Regime nicht mehr gestützt.

In dieser Situation treten die zentralen Anliegen von Bündnis90/Die Grünen in den Mittelpunkt: die rasche humanitäre Versorgung der Zivilbevölkerung und die Entwicklung und Umsetzung eines politischen Konzeptes für eine tragfähige und friedliche Perspektive reiner Post-Taliban-Regierung. Außenminister Joschka Fischer hat umfassende und rasche humanitäre Hilfe angekündigt und 95 Millionen DM dafür bereitgestellt. Weitere 160 Millionen DM werden für Wiederaufbau in Afghanistan zur Verfügung gestellt.

Meine Hauptkritikpunkte am Beschlussantrag der Bundesregierung waren gerade der von Nordafrika bis Zentralasien reichende, also völlig unbestimmte Einsatzraum für die deutschen Truppenteile, die beliebige Veränderbarkeit der Truppenteile ohne weitere Entscheidung des Bundestags und das sich auf ein volles Jahr erstreckende Mandat ohne weitere parlamentarische Kontrolle, ein auch im Interesse der eingesetzten Soldaten unerträglicher Zustand, der die Fürsorgepflicht des Parlaments ihm gegenüber eklatant verletzt hätte. Gerade insoweit aber ist es in intensiven Verhandlungen mit dem Koalitionspartner gelungen, unsere Bedingungen für einen möglichen Einsatz deutscher Soldaten durchzusetzen. Die Prämissen des Parteirats von Bündnis90/Die Grünen sind voll erfüllt. Dies ist ein klarer Beweis für den Erfolg grüner politischer Einflussnahme. Ohne unsere Regierungsbeteiligung wäre dies unmöglich gewesen. Ich kann und will diesen Erfolg in meiner Abwägung würdigen.

Daher stimme ich mit Ja.


Gila Altmann (Aurich) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Zur Abstimmung stehen heute zwei Fragenkomplexe, die aufgrund des Junktims gemeinsam beantwortet werden sollen, obwohl sie sachlich und von ihren Auswirkungen her sehr unterschiedlich sind. Ich kann sie nur einzeln beantworten.

Den Einsatz militärischer Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus halte ich nach wie vor für nicht zielführend. Den Out-of-area-Einsatz der Bundeswehr lehne ich deshalb ab.

Die Entscheidung über die Fortsetzung der rot-grünen Koalition ist nicht von einzelnen Abgeordneten, sondern im Falle meiner Fraktion auch von der Bundesdelegiertenversammlung zu treffen. Um einer solchen Entscheidung nicht vorzugreifen, muss ich diesen Teil der Abstimmung mit Ja beantworten.

Aus diesen Erwägungen heraus habe ich mit Ja gestimmt.


Peter Dreßen (SPD): Mir fällt die heutige Entscheidung wie vielen anderen sehr schwer. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass deutsche Soldaten auf fremden Boden - außerhalb der NATO-Mitgliedstaaten - nichts zu suchen haben. Militärische Auseinandersetzungen dürfen nicht Mittel der Politik sein.

Wenn ich trotzdem dem Antrag der Bundesregierung zustimme, hat dies drei Gründe:

Erstens. Ich sehe keinen anderen Weg, um den terroristischen Hintermännern des verbrecherischen Anschlags vom 11. September 2001 in New York und Washington habhaft zu werden. In Gesprächen mit Menschen aus der Friedensbewegung konnte mir niemand eine ernsthafte Alternative aufzeigen, wie wir anders als es die Bundesregierung vorsieht, wirksam gegen Terror vorgehen können. Alle beteuern zwar, dass etwas getan werden muss, jedoch hat niemand dazu ein anderes schlüssiges Konzept.

Zweitens. Solch ein Anschlag kann sich auch in unserem Land wiederholen. Es ist die Pflicht eines Abgeordneten, den Menschen in unserem Land die größtmögliche Sicherheit zu geben. Erleichtert wird die Entscheidung dadurch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hinter dieser militärischen Aktion steht.

Drittens. Die rot-grüne Bundesregierung hat in den letzten drei Jahren erfolgreich gearbeitet. Sie hat den Ausstieg aus der Kernenergie in die Wege gleitet, die alternativen Energien stark gefördert, im Sozialbereich notwendige Reformen durchgeführt - Kindergeld, Wohngeld, BAföG - Arbeitnehmerrechte gestärkt, die Rente sicher gemacht, eine gerechte Steuerreform verabschiedet, im Bildungs- und Forschungsbereich Milliarden für Zukunftsinvestitionen freigemacht und vieles mehr. Aus diesen Gründen spreche ich dem Bundeskanzler und der Bundesregierung das volle Vertrauen aus.


Dr. Uwe Jens (SPD): Es gibt in der Politik, Probleme, die darf und kann man nicht den so genannten Experten überlassen. Dazu gehört die schwierige Sach- und Gewissensfrage über den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan. Die Bombardierung mit Streubomben, die damit einhergehenden so genannten Kollateralschäden, den Einsatz zusätzlicher deutscher Soldaten in Afghanistan, insbesondere von 100 Spezialkräften, die auf dem Boden agieren, lehne ich nach wie vor mit Nachdruck ab.

Ich habe bereits in der Entschließung vom 20. September 2001 gegen das Versprechen einer "uneingeschränkten Solidarität" gestimmt, was es unter befreundeten, demokratischen Ländern nicht geben kann.

Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland verbindet ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage gemäß Art. 68 Grundgesetz mit dieser Sach- und Gewissensfrage. Ein ungewöhnlicher, bisher einmaliger Vorgang. Ob dies geschickt und notwendig war, werden wissenschaftliche Untersuchungen in Zukunft zeigen.

Doch damit ist seit Mittwoch dieser Woche eine neue Lage entstanden:

Die neueste politische Entwicklung scheint auch ohne deutsche direkte militärische Unterstützung einer möglichen Lösung näher zu kommen. Statt einer Eskalation geht es meines Erachtens in diesem geschundenen Land jetzt um Deeskalation des Militärischen, also mehr um politische, humanitäre und UNO-Unterstützung.

Die anstehende außergewöhnliche Entscheidung im Bundestag über das Vertrauen zum Bundeskanzler und den ersten Militäreinsatz außerhalb des NATO-Bündnisgebietes wird in dieser Form in absehbarer Zeit nicht wieder holt werden. Deshalb muss allen Beteiligten klar sein, dass zusätzliche Anforderungen von Soldaten über die jetzigen Kontingente hinaus von Deutschland nicht eingefordert werden können.

Ich habe in meiner langen politischen Tätigkeit als Parlamentarier viele schwere Entscheidungen treffen müssen. Ich habe dies immer nach sorgfältiger Prüfung, nach bestem Wissen und Gewissen getan. Sollte die Vertrauensfrage für Bundeskanzler Schröder scheitern, kann ich jedoch keine Verbesserung der politischen Gesamtlage erkennen - auch nicht für meine Anliegen, die mir aufgrund meines Lebensweges, meiner Erfahrungen und Erkenntnisse wichtig sind.

Sehr wahrscheinliche Neuwahlen würden die Partei Bündnis 90/Die Grünen in schwere Existenznot bringen. Die mir wichtige nachhaltige Erneuerung unserer Volkswirtschaft würde einen Rückschlag erleiden.

Die PDS, die aus meiner Sicht wirklich nicht in der Lage ist, die zukünftigen Probleme unserer Wirtschaft und Gesellschaft zu lösen, könnte erheblichen Zulauf erhalten.

Sollte es dagegen - wider Erwarten - zu einem Politikwechsel mit einem Kanzler oder einer Kanzlerin der konservativen Kräfte in unserem Lande kommen, würden eher noch mehr Soldaten für die Kriegführung außerhalb des NATO-Gebietes zur Verfügung gestellt.

In meiner ersten Erklärung zur Abstimmung über die "uneingeschränkte Solidarität" hatte ich erklärt, dass man von vornherein stets auch das Ende seiner Handlungen bedenken muss. Zusätzlich besteht die Pflicht, auch alle Alternativen zu prüfen.

Unter den jetzigen Gegebenheiten und unter Abwägung aller zurzeit überschaubaren Unwägbarkeiten halte ich den Einsatz deutscher Soldaten nach wie vor für verfehlt. Bundeskanzler Schröder muss ich dennoch mein Vertrauen aussprechen.

Das Schwierigste in der Politik ist es zweifellos, die Glaubwürdigkeit zu bewahren. Bei diesem ständigen Ringen um beste Lösungen oder kleinste Übel müssen wir stets alle Fakten und neueste Entwicklungen in unsere Überlegungen einbeziehen. Man bemüht sich.

Die Abgeordneten von CDU/CSU und FDP haben unter den Bedingungen der Vertrauens frage für den jetzigen Bundeskanzler keine Bedenken, gegen den Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan zu stimmen. Betrogene sind die Soldaten, die nun mit knappster Rückendeckung durch das deutsche Parlament zu Kampfeinsätzen nach Afghanistan geschickt werden.


Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenn ich heute dem Antrag der Bundesregierung zustimme, so stimme ich damit für die Option der Weiterführung der rot-grünen Regierungskoalition. Ich spreche mich aber ausdrücklich gegen eine militärische Bereitstellung deutscher Soldaten - nun zum ersten Mal außerhalb von Europa - aus, weil für mich Krieg kein geeignetes Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist. Ich zweifle an dem Sinn der kriegerischen Maßnahmen, auch im Bewusstsein der Folgen, die für die Beteiligten und Unbeteiligten immer eine große Katastrophe bis zum Tode bedeuten.

Ich habe dem Bündnisfall nach Art. 5 des NATO-Vertrages zugestimmt, weil die Wahl der Mittel der Beistandschaft in der jeweiligen nationalen Verantwortung eines Landes liegt. Weder Art. 5 des NATO-Vertrages noch die Sicherheitsratsresolutionen verpflichten zur militärischen Beistandschaft. Darum hätte ich von einer rot-grünen Bundesregierung erwartet, dass die Beistandschaft hauptsächlich in humanitären Leistungen und Strafverfolgungsmaßnahmen erbracht wird. Durch die Verknüpfung der Vertrauensfrage mit der inhaltlichen Frage ist mir ein Konflikt zwischen der Regierungsfähigkeit der rot-grünen Koalition und meiner entschiedenen Ablehnung des Antrages auf Einsatz bewaffneter Streitkräfte aufgezwungen worden. Mein jetziges Ja ändert aber nichts an meinem grundsätzlichen Nein gegen den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Vertragsgebietes.

Ich bezweifle sehr, dass es weise war, die Vertrauensfrage mit der Abstimmung über den Einsatz in Afghanistan zu verknüpfen. Das Vorgehen des Kanzlers ist zwar rechtlich legitim, führt aber zu der absurden Situation, dass heute Abgeordnete der Opposition, die für den Bundeswehreinsatz sind, dagegen stimmen, weil sie dem Kanzler nicht das Vertrauen aussprechen wollen. Es führt weiterhin dazu, dass Abgeordnete der rot-grünen Koalition für den Antrag stimmen, obwohl sie gegen eine Militärbeteiligung sind. Das hätte verhindert werden können und ist ein Schaden für die parlamentarische Demokratie.


Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entscheidung zwischen Krieg und Frieden ist für mich eine Gewissens- und keine Koalitionsfrage.

Ich lehne den Kabinettsbeschluss zur Bereitstellung eines deutschen Bundeswehrkontingents weiterhin strikt ab. Unter anderem, weil ich einem Konzept, das ich von der grundsätzlichen Herangehensweise für falsch halte, keinen Blankoscheck ausstellen möchte.

Die Entscheidung über einen Bundeswehreinsatz kann und darf nur durch das Gewissen der einzelnen Abgeordneten bestimmt werden. Die Koalitionsfrage - quasi das Ende des rot-grünen Projektes - ist hingegen eine politische Grundsatzentscheidung, die nicht alleine durch das Abstimmungsverhalten einiger weniger Abgeordneten herbeigeführt werden darf, sondern muss mit Einverständnis durch das höchste Gremium der Partei, die Bundesdelegiertenkonferenz, entschieden werden.

Eine solche weit reichende Entscheidung, die das Leben vieler Menschen in diesem Land ändern wird, kann ausschließlich von der grünen Basis getroffen werden.

Daher werde ich am Freitag bei der Vertrauensfrage, die Kanzler Schröder den Grünen unnötigerweise aufgezwungen hat, gegen mein Gewissen und gegen meine Überzeugung mit Ja stimmen.

Christa Lörcher (fraktionslos): [zuvor SPD-Fraktion - d.R.] Die Abstimmung umfasst zwei schwerwiegende Entscheidungen, die miteinander verknüpft sind: die Entscheidung über die Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA sowie die Entscheidung über den Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen.

Bei einer getrennten Abstimmung hätte ich bei der Vertrauensfrage mit Ja gestimmt und dem Bundeskanzler und der Bundesregierung mein Vertrauen ausgesprochen, bei der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der gemeinsamen Militäroperation jedoch mit Nein gestimmt.

Da die Abstimmungen miteinander verbunden sind, ist eine persönliche Abwägung beider Entscheidungen nötig: aus Gewissensgründen lehne ich den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei solchen Einsätzen grundsätzlich ab; diese Entscheidung lässt mir keine andere Wahl, als insgesamt mit Nein zu stimmen.

Syliva Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist ein aufrechter Gang? Für mich: In Gewissensfragen so zu sprechen und zu handeln, wie es meinem tatsächlichen Fühlen, Denken und meiner Verantwortung entspricht.

Ich sage weiterhin in der Gewissensfrage des "Kriegseinsatzes" Nein zur Ermächtigung der Bundesregierung, deutsche Soldaten - egal ob freiwillig oder nicht - in Auslandseinsätze zu schicken. Das ist durch unser Grundgesetz nicht gedeckt. Völkerrecht bricht Bundesrecht. Meiner - und nicht nur meiner Ansicht nach - sind die Kriegshandlungen der USA trotz der UN-Resolutionen vom 12. und vom 28. September 2001, die sich speziell auf die Terrosismusbekämpfung beziehen, nicht von Art. 51 der UN-Charta gedeckt. Insofern kann das Völkerrecht in diesem Fall nicht zur Legitimation herangezogen werden. Auch der Zweck darf bestimmte Mittel nicht heiligen. Aber auch ich freue mich an den Bildern aus Afghanistan, die befreite, lachende, tanzende Menschen zeigen, Frauen ohne Burka.

Der Entschließungsantrag der Koalition zur Bekämpfung der Ursachen von Terror und Fanatismus ist ein erster Schritt in eine richtige Richtung und an diesem haben die Grünen einen wesentlichen Anteil.

Seit Mittwoch gibt es eine zweite Gewissensfrage, die, ob das Projekt Rot-Grün weitergeführt werden kann und soll - eine Frage, die in nationaler, aber auch europäischer Verantwortung zu beantworten ist.

Ich bezweifle sehr, dass es weise war, die Vertrauensfrage mit der Abstimmung über den Afghanistan-Einsatz zu verknüpfen. Das Vorgehen des Kanzlers ist jedoch rechtlich legitim und ich muss mich dieser zweiten, leider untrennbar mit der ersten verknüpften Gewissensfrage in aller Verantwortung stellen. Druck ist für mich kein Grund, eine Entscheidung zu revidieren. Das tue ich auch nicht.

Aber es gibt sehr gewichtige Argumente, die ernsthaft zu bedenken sind. Sie sind von vielen Menschen an mich herangetragen worden, von unseren Wählern, von Vereinen und Verbänden, von Freunden und von Kollegen und besonders natürlich von unserer grünen Basis selbst - ich habe sie bedacht und in meine Entscheidungsfindung einfließen lassen.

Bis zur Vertrauensfrage des Kanzlers habe ich überwältigenden Zuspruch zu meiner Entscheidung erhalten, den "Kriegseinsatz" abzulehnen. Nach der Vertrauensfrage änderte sich das. Sehr viele Menschen haben die Grünen als Gestaltungsfaktor und als Korrektiv gegen eine reine SPD-Politik gewählt. Sie wollten eine neue ökologische, soziale und friedenspolitische Politik. Diesen Erwartungen haben wir mit der Politik der letzten drei Jahre versucht gerecht zu werden: mit der Ökosteuer, dem Atomausstiegsgesetz, dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, der eingeleiteten Agrarwende, der LKW-Maut, dem Bundesnaturschutzgesetz, dem hart erkämpften Zuwanderungs- und Asylrecht usw. Diese Erfolge währen ohne die Grünen nicht nur gefährdet, sie würden kassiert.

Politik in einer Koalition ist nicht komplikationslos. Sie kann nur erfolgreich sein, wenn Kompromisse gefunden und Konflikte gelöst werden. Manche Schritte, zum Beispiel beim Atomkonsens, waren kleiner, als wir es uns gewünscht haben - aber sie waren Schritte in die richtige Richtung. Dieser Weg - das ist meine Überzeugung - muss weiter beschritten werden. Denn alles andere als Rot-Grün bedeutet viele Schritte zurück: in alte Politikmuster von Lebesraumzerstörung, Stärkung des Militärs und von Überwachungsinstitutionen, rigider Politik gegenüber Flüchtlingen und Asylsuchenden, Förderung der großen Konzerne usw., es gäbe wieder mehr Reichtum für Reiche und größerer Armut der Armen. Das kann und will ich nicht verantworten.

Ich weiß, egal welchen Weg wir Abgeordneten gehen, es wird ein schwerer Gang für die Grünen. Aber die Partei hat 1998 mit großer Mehrheit entschieden, in eine rot-grüne Regierung einzutreten. Wir entsprachen damit der Hoffnung der Wähler, dass mit Rot-Grün eine andere Politik beginnt. Meine parlamentarische Arbeit, die gestern mit der Verabschiedung des neuen Bundesnaturschutzgesetzes einen großen Erfolg zu verbuchen hat, hat gezeigt, dass wir gemeinsam mit der SPD dieses Land voranbringen können. Deshalb werde ich für eine Fortsetzung dieser gemeinsamen Politik votieren.

Ich bitte alle Mitglieder der Partei, insbesondere die meines Brandenburger Landesverbandes, sowie die vielen Bürgerinnen und Bürger, die sich in den letzten Tagen mit der Bitte an mich gewandt haben, dem Kanzler das Vertrauen zu entziehen, um Verständnis und Respekt für meine Entscheidung, die ich schweren Herzens, aber nach verantwortungsbewusster Abwägung getroffen haben und die ich mit meinem Gewissen, dem ich letztlich verpflichtet bin, vereinbaren kann.


Gerald Häfner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Entscheidung über den Einsatz deutscher Soldaten in einem Krieg mit einem diffusen Gegner und einer noch nicht gänzlich zu Ende gedachten Strategie ist für mich - und ich denke: für jeden Bundestagsabgeordneten - eine schwere. Jeder, der diese Entscheidung zu treffen hat, lädt damit eine immense Verantwortung auf sich. Er kann diese verdrängen, er kann sich hinter der Entscheidung der Regierung oder seiner Fraktionsvorsitzenden verschanzen, aber er entgeht ihr dabei nicht. Und er muss wissen: Er entscheidet nicht für sich. Er entscheidet für sein Land. Und er steht in der Verantwortung für die Menschen, die er vertritt und an derer statt er diese Entscheidung treffen muss.

Wenn ich nun also mit meiner Entscheidung die Verantwortung für einen Kriegseinsatz mit ungewissem Ausgang, ja möglicherweise für die Gefährdung oder den Verlust von Menschenleben übernehme, so handele ich dabei zugleich als Vertreter des ganzen Volkes. Dies kann ich nur, wenn ich dabei meinen verfassungsmäßigen Auftrag ganz ernst nehme, bei einer derartigen Entscheidung weder an "Aufträge" noch an "Weisungen" gebunden zu sein, sondern nur meinem Gewissen zu folgen. Dem Gewissen unterworfen zu sein heißt, dem eigenen Abstimmungsverhalten nicht den Willen einer Regierung, einer Partei oder einer Fraktion, auch nicht den Willen einer Pressure group, eines Verbandes oder Geldgebers zugrunde zu legen, sondern nur die eigene innere Überzeugung. Dieser Grundsatz ist ein Kernelement der Demokratie. Ihn wirklich ernst zu nehmen bedeutet zugleich den wirksamsten Schutz gegen ihre verschiedensten Gefährdungen - vom individuellen Bestechungs- oder Erpressungsversuch bis zur totalitären Machtanmaßung hierarchisch organisierter Gruppen.

Ein Bundeskanzler, der Zweifel hat, ob er noch das Vertrauen der Mehrheit des Parlamentes genießt, hat jederzeit das Recht, die Vertrauensfrage nach Art. 68 GG zu stellen. Die Vertrauensfrage ist nach unserer Verfassung kein Instrument für den parlamentarischen Alltagseinsatz. Sie ist vielmehr für Krisensituationen vorgesehen und dient unter anderem als wohldosiertes und sinnvolles Mittel, zur Auflösung des Parlamentes und zu Neuwahlen zu kommen. Sie ist in der Geschichte der Bundesrepublik erst dreimal angewandt worden: 1972 von Willy Brandt und 1982 gleich zweimal: von Helmut Schmidt und Helmut Kohl. Die Vertrauensfrage sollte im Parlament gestellt werden, wenn ein Kanzler über keine ausreichende Mehrheit mehr verfügt, zum Beispiel weil eine Koalition im Grunde gescheitert ist bzw. ein Koalitionspartner abspringen will.

Beides ist im vorliegenden Falle nicht gegeben. Mehr noch: In beiden durch den Kanzler jetzt verknüpften Fragen, der Sach- wie der Vertrauensfrage, ist unstreitig eine stabile Parlamentsmehrheit des Kanzlers vorhanden. Und die rot-grüne Koalition steht nach anfänglichen Schwierigkeiten fester denn je. Sie hat auf vielen Gebieten eine hervorragende Politik gemacht. Gerade die Außenpolitik gehört hierzu. Wie kein anderer zuvor hat der von den Grünen gestellte deutsche Außenminister binnen kürzester Zeit Gewicht und Statur gewonnen - nicht als Großmann oder anmaßender Vertreter einer wieder erstarkten Großmacht, sondern als ehrlicher Makler und erfolgreicher Vermittler in den verschiedenen Krisenregionen dieser Welt. Diese vor allem auf Deeskalation, Prävention und friedliche Konfliktlösung setzende Politik wird von der ganzen Koalition mitgetragen und ist immer mehr zu einem Markenzeichen der Deutschen auf dem internationalen Parkett geworden.

Die notwendige Abwägung bei Fragen von Krieg und Frieden: Der vorliegende Militäreinsatz aber wirft ernste Fragen auf. Zu unklar sind Dauer, Mandat, politische und militärische Ziele. Der "Kampf gegen den Terrorismus" ist ein höchst dehnbarer Begriff. Uns, den Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen, ist es gelungen, auf dem Wege einer mittlerweile von der Bundesregierung beschlossenen Protokollnotiz substanzielle Eingrenzungen des im ursprünglichen Antrag fahrlässig weit gefassten Mandates zu erreichen.

Dennoch bleiben Risiken. Aus allen bisherigen Erfahrungen mit Terrorismus habe ich lernen müssen: Das terroristische Kalkül will immer weit mehr als die unmittelbare Tat erreichen. Es verfolgt sein Ziel perfiderweise oft weniger durch die unmittelbaren Folgen der Tat als durch die dergestalt provozierte Reaktion des Angegriffenen. Dieser soll durch die brutalen und unvorhersehbaren Anschläge zu Reaktionen gezwungen werden, die ihn als das zeigen, was er für die Terroristen immer schon ist: das Böse, der Satan oder - im Falle Deutschlands - das brutale und faschistische System, das sich nur mit einer biederen Maske tarnt, bevor in der Reaktion auf den Terror die wahre Fratze zum Vorschein kommt. Deshalb sprachen die fanatisierten RAF-Terroristen mitten im Frieden ständig vom "Krieg", den das System gegen sie führe. Das war, was sie wollten. Ich sage nicht, dass ich dieser Argumentation folge. Ich finde sie menschenverachtend und zynisch. Aber man muss bei seiner Reaktion auf den Terrorismus auch dieses Kalkül berücksichtigen - und damit auch, welche Reaktionen ein zu weit gehender Gegenschlag bei fanatisierten Anhängern bestimmter Überzeugungen auslösen kann.

Der Terroranschlag vom 11. September 2001 ist an menschenverachtender Grausamkeit kaum zu überbieten. Die Täter und Hintermänner dieses Anschlags zu fassen und vergleichbare Anschläge für die Zukunft zu verhindern ist ein hohes, auch von mir unterstütztes Ziel. Nicht aber ein Jahre dauernder "Krieg gegen den Terrorismus", wie er uns mehrfach angekündigt wurde - ohne dass je mit ausreichender Klarheit beschrieben wurde, was das eigentlich heißt. Krieg ist gefährlich. Im Krieg sterben Menschen. Und: In den heutigen Kriegen sterben in aller Regel weitaus mehr unschuldige Zivilisten als Soldaten. Dies dürfen wir nicht verdrängen. Vor allem aber gilt es, bei der notwendigen klaren Reaktion auf die entsetzlichen Terroranschläge die eigenen Maßstäbe von Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten nicht außer Acht zu lassen. Und es gilt, in einer an sozialen Spannungen überreichen Welt alles zu vermeiden, was vorhandene Feindbilder und den verbreiteten Hass noch stärken könnte. Der Einsatz von Gewalt zur Verhinderung von Terrorismus und zur Bestrafung terroristischer Gewalttäter ist legitim, der Einsatz von Bomben gegen Unschuldige ist es nicht.

Dies gilt es bei der Abwägung über den Militäreinsatz zu beachten. Ich kann nur hoffen, dass die militärischen Handlungen der Amerikaner möglichst bald zur Realisierung der angegebenen Kriegsziele - Afghanistan von der Gewaltherrschaft der Taliban zu befreien und Osama Bin Laden, die Mitglieder seines Terrornetzes und die Verantwortlichen für die Anschläge auf New York dingfest zu machen - führen und dass eine weitere Eskalationsspirale vermieden wird. Die Meldungen von der Entwicklung in Afghanistan innerhalb der letzten Tage machen mich zum Glück, das will ich nicht verhehlen, etwas weniger besorgt - wenn auch noch keineswegs ganz sorgenfrei.

In einer derartig fragilen, von sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Spannungen geprägten Welt ist ein lediglich militärisches Vorgehen in hohem Maße fragwürdig und gefährlich. Vielmehr scheint es mir notwendig, weit mehr als bisher diplomatisch vorzugehen und vor allem auch die Ursachen für die globalen Spannungen, den extremen Unterschied zwischen Arm und Reich, die Einseitigkeit und die unsozialen Aspekte des globalen Handels und die Spannungen zwischen Lebensweisen, Religionen und Kulturen anzugehen. Gerade unser Land könnte hier einen entscheidenden Beitrag leisten.

Die politische Rolle Deutschlands: Von wichtigen Verantwortlichen - auch aus den Reihen der Bundesregierung - ist in den letzten Tagen wiederholt gesagt worden, Deutschland sei in der Frage dieses Militäreinsatzes überhaupt nicht frei. Formal vielleicht - politisch aber seien die Deutschen festgelegt. Deutschland könne und dürfe in der Frage dieses Militäreinsatzes gar nicht anders entscheiden, als in dem vorliegenden Antrag zum Ausdruck gebracht wird, wenn es die Lehren der Geschichte ernst nähme. Seit Konrad Adenauer sei Deutschland Teil des Westens, dies lasse für uns keine andere Option des Handelns mehr offen. Wenn dieses 80-Millionen-Volk, so hieß es in den letzten Tagen aus einflussreichem Mund, je wieder frei von diesen Bindungen agieren würde, drohten weit schlimmere Folgen als die jetzigen Toten in New York und Afghanistan.

Diese Auffassung scheint mir fatal. Sie postuliert eine Ausweglosigkeit, die es nicht gibt. Sie treibt die deutsche Außenpolitik in eine Engführung, die jedes eigenständig politische Denken diskreditiert oder unmöglich macht. Sie postuliert und zementiert, was sie, wenn man ihren Worten trauen könnte, eigentlich ablehnt: einen deutschen Sonderweg. Damit werden Denkverbote errichtet, wo eine faire Debatte über die besten Konzepte gefordert wäre.

Auch ich möchte, dass Deutschland seine tätige Solidarität mit den USA beweist. Aber wir können dies auch anders als durch Militäreinsätze tun. Beitragen sollten wir - aber unseren Beitrag selbst bestimmen! Dass die Beiträge der Bündnispartner höchst verschieden sein können - ja oftmals sogar sollen! - zeigt zum Beispiel auch die Tatsache, dass Großbritannien sich von Anfang an auch militärisch beteiligt, während andere Bündnispartner dies weder tun noch tun wollen.

Mehr noch: Auch das unkritische und undifferenzierte Gerede vom Westen ist ahistorisch, falsch und politisch fatal. Sehen wir im Westen die USA und im Osten Russland, so liegt unser Land in der Mitte. Diese Mittler- oder Brückenfunktion ohne eigenes Großmachtstreben hat es in seinen besten Phasen auch wahrgenommen. Der tiefe Abstieg in den deutschen Nationalismus und - noch mehr - den Nationalsozialismus war es, der schließlich zu einer Teilung Deutschlands wie zur Teilung Europas geführt hat. Damit war die Mitte für einige Zeit eliminiert. Sie war mitten durchgetrennt, zerteilt, und es gab nur noch West und Ost, Kapitalismus und Sozialismus, zwei einander hochgerüstet gegenüber stehende Blöcke. In diese bipolare Welt musste sich auch das damalige Deutschland einordnen: der westliche Teil nach Westen, der östliche nach Osten. 1989 fielen in der Folge der demokratischen Revolution die Mauer und der Stacheldraht. Deutschland und Europa wuchsen wieder zusammen. Damit sind wir auch (geo-)politisch wieder in eine andere Rolle geschlüpft, die unser Außenminister ohnehin schon mehr und mehr wahrnimmt. Deutschland gehört wie kaum ein anderes Land zu den glaubwürdigen Akteuren präventiven Krisenmanagements, ziviler Konfliktbearbeitung und friedlicher, demokratischer Veränderungen auf dem Planeten. Diese Kernkompetenz im "Kampf gegen den Terrorismus" anzubieten - zum Beispiel in der Form eines festen, verbindlich organisierten Dialogs zwischen Christentum und Islam -, wäre ein großartiger und unverzichtbarer Beitrag gewesen, den die Deutschen in diese "Allianz gegen den Terror" hätten einbringen können. Auch die USA werden zunehmend darauf angewiesen sein, dass es diesen ehrlichen, allseits großes Vertrauen genießenden Makler gibt. Nicht aus dem westlichen Bündnis ausscheren sollten wir, sondern uns mehr für unsere eigenen künftigen Aufgaben in einer längst nicht mehr bipolaren Welt interessieren und zugleich nach Osten und Süden öffnen.

Die Vermischung ist darauf angelegt, eine Gewissensentscheidung zu korrumpieren: Derartige Fragen in Ruhe und unter Durchdenken aller denkbaren Konsequenzen abzuwägen, das ist die Aufgabe, vor der wir als Bundestagsabgeordnete in dieser Abstimmung stehen. Durch die Verknüpfung der Gewissensentscheidung mit der Vertrauensfrage wird diese allerdings überlagert und letztendlich praktisch unmöglich gemacht. Denn sie verhindert die freie, in der Sache wohl begründete Entscheidungsfindung der Parlamentarier.

So schwächt dieses Junktim den Beschluss in der Sache, statt ihn zu stärken. Denn allzuviel gänzlich anders geartete Überlegungen mischen sich hinein. Schließlich geht es nun nicht mehr alleine um die Frage des Militäreinsatzes, sondern zugleich und vor allem um Fortbestand oder Ende der rot-grünen Koalition und damit um Fortbestand oder Ende einer erfolgreichen, aber noch keineswegs abgeschlossenen Politik.

So entstehen denn auch gänzlich absurde Konstellationen. Abgeordnete stimmen reihenweise gegen ihre Überzeugung. Treffen die gestern gemachten Ankündigungen zu, so werden zum Beispiel dieselben Volksvertreter von CDU/CSU und FDP, die noch vor vier Tagen öffentlich erklärt haben, sie würden dem Antrag der Bundesregierung für einen Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan rückhaltlos zustimmen, jetzt genau den gleichen Antrag mit eben solcher Entschlossenheit ablehnen. Sie tun dies nicht etwa, weil sie dagegen sind, sondern sie bleiben dafür und wünschen sich, dass der Antrag durchkommt. Trotzdem werden sie nicht für ihn stimmen. Umgekehrt gibt es in den Reihen der Koalition - und mitnichten nur in den Reihen des grünen Koalitionspartners - mehrere Abgeordnete, die deutlich erklärt haben, dass sie nicht für diesen Einsatz stimmen. Sie werden das auch in bzw. vor der Abstimmung tun, dann aber trotzdem anders entscheiden, als ihre Überzeugung und ihr Gewissen in dieser Sache ihnen sagen.

Die Verbindung dieser beiden völlig unterschiedlich gelagerten Abstimmungen zeugt von einem Fehlverständnis des Parlaments. Sie droht, die politische Kultur zu beeinträchtigen. Der offene und ehrliche Streit unterschiedlicher Meinungen, die Akzeptanz abweichender Positionen ist eine Grundvoraussetzung jedweder Demokratie. Es wäre daher wichtig gewesen, gerade auch in der Frage eines Kriegseinsatzes eine offene und ehrliche Debatte und abweichende Auffassungen zuzulassen anstatt sie zu beschädigen.

Dabei geschieht diese Verknüpfung ohne jede Not. Die rot-grüne Koalition ist nicht am Ende - im Gegenteil: Sie ist kraftvoller und frischer denn je. Niemand in dieser Koalition möchte das erfolgreiche Bündnis aufgeben.

So gilt auch für diese Abstimmung, dass ein ehrliches, zutreffendes Ergebnis nicht zu erwarten ist. Denn, vor die Vertrauensfrage gestellt, werden 47 grüne Abgeordnete meiner Erkenntnis nach 47 mal mit Ja antworten. Dass trotzdem eine Reihe von Fraktionsmitgliedern bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage mit Nein stimmen wird, liegt wiederum nicht an dieser, sondern an der völlig sachfremden Verknüpfung mit einem Militäreinsatz, den sie ablehnen.

Das Grundgesetz hätte es, nebenbei, zugelassen, die Vertrauensfrage getrennt von der Sachfrage zu stellen. Damit wäre nicht nur die Freiheit der Abgeordneten in beiden Fällen gewahrt geblieben: Wir hätten auch ein klares Ergebnis, wie viele Abgeordnete in der einen wie der anderen Frage nun wirklich dafür bzw. dagegen sind. Mit dem jetzt gewählten Verfahren werden wir das nie herausfinden. Was sich allerdings mit Gewissheit sagen lässt, ist: Wären die Sach- und die Vertrauensfrage getrennt gestellt worden, hätte es zu beidem eine deutliche Mehrheit gegeben. So aber hat man sich ohne Not in eine Zitterpartie begeben, die über die Freiheit des Mandates und die Sachlichkeit der Abstimmung hinaus auch diese von den Bürgern gewollte Koalition massiv gefährdet.

Das Ergebnis meiner Abwägung: Ich möchte das rot-grüne Projekt nicht beenden. Ich will es fortführen! Der Ausstieg aus der Atomenergie und der Einstieg in alternative Energieformen, die Agrarwende, eine ökologische und soziale Steuerreform, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes, eine moderne und generationengerechtere Reform des Rentensystems, die Stärkung der Demokratie und die Einführung unmittelbarer Bürgerbeteiligung, eine weitsichtige und vermittelnde Außen-, Friedens- und Menschenrechtspolitik, dies alles ist mir zu wichtig, als dass ich es so fahrlässig, wie es mit dieser Abstimmung geschähe, gefährden wollte. Die von der Bundesregierung auf Druck insbesondere einer Reihe grüner Abgeordneter ergänzend zum heute zu fassenden Beschluss abgegebene Protokollerklärung und die Entwicklung in Afghanistan lassen mich hoffen, dass die dennoch bestehenden Risiken dieses - bis auf den möglichen Einsatz der 100 Sonderkräfte - deutlich defensiven und nicht kampforientierten Einsatzes beherrschbar und damit hinnehmbar bleiben. Ich werde deshalb in der nachfolgenden Abstimmung, die mich zwingt, zwei Fragen miteinander zu vermischen, die nichts miteinander zu tun haben, mit "ja" stimmen. Ich tue das auch deshalb, weil ich mich nicht berechtigt fühle, ein politisches Projekt zu beenden, das von den Wählern eindeutig und für die Dauer dieser Legislaturperiode gewollt ist.

Ich hoffe, dass künftige Abstimmungen dieses Parlamentes in der Freiheit und Sachbezogenheit stattfinden können, die einer Abstimmung von vergleichbarer inhaltlicher Bedeutung würdig sind. Das Parlament ist nicht ein bloßes Notariat der Regierung, sondern die freie Vertretung sämtlicher Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die ein Anrecht darauf haben, dass ihre Ängste, Anliegen, Fragen und Gesichtspunkte in den Abstimmungen mit dem größtmöglichen Ernst aufgenommen und gewürdigt werden. Die Vermischung zweier völlig unterschiedlicher Fragen in einer einzigen Abstimmung, der damit ausgeübte Druck, ja die Aufforderung an einzelne Abgeordnete, wenn sie mit ihrem Gewissen in Schwierigkeiten kämen, könnten sie doch ihr Mandat zurückgeben, hat mit den berechtigten Erwartungen der Bürger an ihr Parlament und mit dem Parlaments- und Abgeordnetenverständnis des Grundgesetzes nicht mehr viel zu tun.


Quelle: Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages vom 16.11.2001


 




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