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Beiträge zur Politik  









Renfrey Clarke

Die AFL-CIO in Russland

In der internationalen Arbeiterbewegung wuerden nur wenige bestreiten, dass Gewerkschaften in reichen Laendern die Verpflichtung haben, ihren Partnern in aermeren Laendern zu helfen oder in Laendern, in denen Arbeiterorganisationen nach einer Diktaturperiode wieder aufgebaut werden muessen. In dieser Hinsicht scheint die groesste amerikanische Gewerkschaftsorganisation AFL-CIO (American Federation of Labor - Congress of Industrial Organisations) in Russland eine beispielhafte Rolle zu spielen.

Seit einigen Jahren unterhaelt die AFL-CIO bereits ein Buero mit einem Team von Organisatoren in Moskau. Gelder wurden fuer eine Stiftung fuer Forschung und Erziehung zur Verfuegung gestellt, in der US- Gewerkschaftsaktivisten und akademische Spezialisten fuer Arbeitsbeziehungen mit russischen Kollegen zusammenarbeiten, um oertlichen Gewerkschaften Serviceleistungen anzubieten. Es wurde sogar Geld besorgt, um die Gehaelter von Arbeiterorganisatoren zu bezahlen, die in Provinzen neue Gewerkschaften gruenden sollten. Daher mag es verwundern, dass sich unter den Organisationen, die den grossen Teil der russischen Gewerkschaftsbewegung ausmachen, unverhohlener Aerger ueber die Taetigkeit der AFL-CIO breitmacht. Selbst diejenigen russischen Gewerkschaften, die am engsten mit der AFL-CIO zusammengearbeitet haben, halten die amerikanischen Arbeitsmissionare fuer eine sehr zweifelhafte Segnung. Diese Gewerkschaften haben Briefe an das AFL-CIO-Hauptquartier nach Washington geschickt, in denen sie sich bitter ueber die Art und Weise beklagen, wie die Programme umgesetzt werden.

Diese Unzufriedenheit sollte jedoch nicht wirklich ueberraschen. Waehrend die AFL-CIO eine Verpflichtung zu praktischer Hilfe hat, ist sie traurigerweise unqualifiziert, Empfehlungen zu geben, wie man Gewerkschaften aufbaut. Die Ratschlaege der AFL-CIO bezueglich Strategie und Taktik anzunehmen, ist genauso, als ob man Boxstunden bei einem Kaempfer nimmt, der 50 Knock-outs in 50 Kaempfen einstecken musste. Die Mitgliedschaft im AFL-CIO ist seit Jahren stetig gefallen und liegt nun bei mageren 14 Millionen - nur rund 10 Prozent der amerikanischen Arbeiterschaft.

Finanzquellen

Trotz ihres Versagens zuhause hat die AFL-CIO eine erstaunliche Faehigkeit, auslaendische Gewerkschaften zu finanzieren. Diese Unterstuetzung belaeuft sich zur Zeit auf ueber 30 Millionen Dollar pro Jahr - fast die Haelfte des Gesamtbudgets der AFL-CIO - und steht in deutlichem Kontrast zu den mageren 1,5 Millionen Dollar pro Jahr, die der Gewerkschaftsdachverband laut eigenen Berichten in den Vereinigten Staaten fuer Organisationsarbeit ausgibt. Dieses Paradoxon wird durch den Fakt aufgeklaert, dass buchstaeblich saemtliche Finanzen, die fuer internationale Gewerkschaftshilfe ausgegeben werden, keineswegs von amerikanischen Gewerkschaftsmitgliedern kommen, sondern von der US-Regierung. Ein Grossteil des Geldes wird ueber die private, extrem rechte "Nationale Stiftung fuer Demokratie" (National Endowment for Democracy) geschleust, waehrend andere Summen direkt aus dem US-Staatshaushalt kommen und ueber das Bugdet der US-Behoerde fuer Internationale Entwicklung (US Agency for International Development, US AID) laufen.

Es ist unnoetig zu betonen, dass das Geld einen politischen Preis hat. Um die Gelder fliessen zu lassen, muessen sich die AFL-CIO Vertreter in fremden Laendern darum bemuehen, die Art von nationalen Arbeiterbewegungen aufzubauen, die sich die US-Regierung wuenscht. Die Operationen der AFL-CIO in Russland gehoeren eindeutig zu den umfassendsten und bestfinanzierten unter ihren Auslandsaktivitaeten. Der offizielle AFL-CIO-Repraesentant in Moskau, Tom Bradley, arbeitet nun schon seit mehreren Jahren in einem gut ausgestatteten Buero im Zentrum Moskaus. Eine Broschuere, die Bradley kuerzlich herausgegeben hat, listet detailliert die Aktivitaeten seiner Organisation in Moskau auf (die formell als das Freie Gewerkschaftsinstitut, Free Trade Union Institute, Moskau, bekannt ist), und nennt fuenf nicht-russische Beschaeftigte. Die Gesamtzahl der russischen Beschaeftigten, die vom Institut und seinen Programmen beschaeftigt werden, betraegt vermutlich mindestens vierzig. Laut Bradleys Broschuere gehoeren die amerikanischen Gewerkschaften zu den finanziellen Unterstuetzern der Zeitschrift "Delo", die seit Beginn des Jahres 1993 erscheint.

Sie bezahlt ungewoehnlich gut fuer Stories, obwohl sie nur eine kleine Auflage hat, und konzentriert sich auf Themen, die fuer Gewerkschaftsaktivisten interessant sind.. Das vom AFL-CIO finanzierte "Organisatoren"-Programm ist bereits gut etabliert und hat mehrere Dutzend bezahlte Mitarbeiter in groesseren Industrieregionen und in Moskau. Die amerikanische Lehrergewerkschaft fuehrt in Zusammenarbeit mit Bradleys Institut Seminare fuer russische Schullehrer ueber Unterricht in Demokratie und die Rolle von Lehrergewerkschaften durch. Der AFL-CIO ist ebenfalls Partner von amerikanischen Bergwerksgesellschaften und der US-Behoerde fuer Sicherheit und Gesundheit in Bergwerken, um russische Kohleminen sicherer und produktiver zu machen. Schliesslich konnte im letzten Juni das ehrgeizigste Projekt der AFL-CIO in Russland auf die Beine gestellt werden: die russisch-amerikanische Stiftung fuer Forschung und Bildung im Gewerkschaftsbereich.

Die Unternehmungen der AFL-CIO in Russland waren von anfang an hoch "ideologisch". "Delo" hat den wohlverdienten Ruf, unfaehig zu sein, auch nur ein einziges Wort oder eine einzige Handlung des russischen Praesidenten Boris Jelzin zu kritisieren. Die Tatsache, dass Jelzins Reformen den Arbeitern enorme Kosten auferlegt haben - das Dahinschmelzen von Sparguthaben durch die Inflation, drastische Kuerzungen des Realeinkommens, und nun eine steil ansteigende Arbeitslosikgeit -, hat nicht dazu gefuehrt, diese Unterstuetzung zu mindern.

Beziehungen zur FNPR

Obwohl anzunehmen war, dass das Ziel die Entwicklung der Arbeiterbewegung in Russland sein sollte, haben die mit AFL-CIO-Hilfe ergriffenen Massnahmen eine feindliche und sektiererische Haltung zu Organisationen gezeitigt, die einen grossen Teil der Bewegung ausmachen. Von Russlands 72 Millionen Menschen umfassender Arbeiterschaft sind zwischen 50 und 60 Millionen Mitglieder der Vereinigung unabhaengiger Gewerkschaften Russlands (Federation of Independent Trade Unions in Russia, FNPR). AFL-CIO verweigert jedoch die Zusammenarbeit mit Mitgliedsgewerkschaften der FNPR. Die Argumentation zur Stuetzung dieser Position lautet, dass die FNPR- Gewerkschaften als legale Nachfolger der alten sowjetischen Organisationen keine echten Gewerkschaften seien. Aber das ist einfach unwahr. Seit 1990 hat ein deutlicher Prozess der Erneuerung und Demokratisierung der FNPR stattgefunden. Bei einer der wichtigsten Reformen wurden die alten, hochzentralisierten Autoritaetslinien in den Gewerkschaften gebrochen; Mitgliedsgewerkschaften entscheiden nun allein ueber ihre Politik, waehrend die hoechsten Organe der FNPR nur eine beratende und koordinierende Rolle spielen. Unter dem Druck ihrer zunehmend fordernden Mitglieder mussten sich die Vertreter der FNPR-Mitgliedsgewerkschaften Kenntnisse der Arbeiterorganisation und des Kampfes aneignen. Viele Funktionaere, die dabei durchfielen, wurden bei Wahlen durch andere ersetzt. Der Grad der personellen Erneuerung variiert deutlich von Gewerkschaft zu Gewerkschaft, und in einigen Faellen kann der Reformprozess als vollendet betrachtet werden. Aber es sollte betont werden, dass nur wenige der AFL-CIO-Gewerkschaften Modelle fuer Demokratie sind. Insbesondere die fuehrenden Gremien der AFL-CIO sind wesentlich weniger demokratisch und den Wuenschen von Arbeitern und Angestellten zugaenglich als ihre ausserordentlich reformierten russischen Partner.

Die letzten Kampfabstimmungen bei einem AFL-CIO-Kongress hat es 1965 gegeben. Die tatsaechlichen Gruende fuer die Feindschaft der AFL-CIO gegenueber der FNPR liegen in reflexhaften Kalte-Kriegs-Vorurteilen und, in juengster Zeit, in der aeusserst kritischen Haltung der FNPR gegenueber Jelzin. Im September 1993 hat die Fuehrung der FNPR die Aufloesung des Parlaments und die Ausserkraftsetzung der Verfassung durch den russischen Praesidenten scharf kritisiert. Im wesentlichen wurde die Haltung der FNPR gegenueber Jelzins Coup von den meisten russsischen politischen Parteien geteilt.

Die "freien" Gewerkschaften

Die AFL-CIO hat die Zusammenarbeit mit dem Grossteil der Gewerkschaftsbewegung in Russland zurueckgewiesen und stattdessen versucht, mit den "freien" Gewerkschaften zu arbeiten, die ausserhalb der Strukturen der FNPR arbeiten. Seit ihrer Entstehung in den spaeten 80er Jahren haben die "freien" Gewerkschaften zusammen eine Mitgliedschaft von nur ein paar hunderttausend Menschen. Einige dieser Gewerkschaften, die vor Jahren von Gewerkschaftsaktivisten gegruendet worden waren, die sich von der traditionellen Gewerkschaftsbewegung wegen deren Mangel an Militanz in der Verteidigung von Arbeiterrechten getrennt hatten, gehoeren zu Russlands bestorganisierten und kaempferischsten Organisationen der Arbeiterbewegung; dazu gehoeren die Gewerkschaft der Bergleute und die der Fluglotsen. Unter den anderen "freien" Gewerkschaften gibt es jedoch einige sehr merkwuerdige Organisationen, deren Anspruch, Teil der Arbeiterbewegung zu sein, mehr als duerftig ist. Insgesamt ist die "freie" Gewerkschaftsbewegung nicht besonders energisch und scheint nicht zu wachsen. Mehrere Versuche, einen Bund "freier" Gewerkschaften zu gruenden, hatten wenig Erfolg.

In der Regel unterstuetzten die "freien" Gewerkschaften - mit ihren Urspruengen bei den Kritikern der Herrschaft der Kommunistischen Partei - Jelzin, obwohl einige mit ihm brachen und extrem nationalistische Positionen annahmen. In juengster Zeit hat die Unterstuetzung fuer den russischen Praesidenten jedoch zu groesseren Spannungen innerhalb der "freien" Gewerkschaftsbewegung gefuehrt. Fuer Gewerkschaften, die als Organisationen von Aktivisten entstanden, gibt es offensichtliche Widersprueche bei der Unterstuetzung einer praesidialen Administration, die Arbeitsplaetze attackiert und versucht, lange Verzoegerungen bei der Bezahlung von Loehnen zu rechtfertigen. Als kleine und relativ arme Organisationen brauchen die "freien" Gewerkschaften dringend die Forschung, das Training und die juristische Unterstuetzung, die die AFL-CIO geben kann. Diese Hilfe zu gewaehren, ist das Ziel der russisch-amerikanischen Stiftung fuer Forschung und Bildung im Gewerkschaftsbereich, die einzige der AFL- CIO-Initiativen in Russland, von der man in einem durchaus qualifizierten Sinne davon sprechen kann, dass sie eine nuetzliche und positive Rolle spielt. In der zweiten Haelfte des letzten Jahres hat die Stiftung vier Buecher publiziert und damit begonnen, Handbuecher ueber praktische Fragen der Gewerkschaftsorganisation vorzubereiten. Sie fuehrte Trainingsseminare durch und widmete sich der Lobbyarbeit in der russischen Presse mit Artikeln und Informationen, um die "freien" Gewerkschaften in Auseinandersetzungen zur Sprache kommen zu lassen.

Der Zugang zu dieser Hilfe ist jedoch auf Nicht-FNPR-Gewerkschaften beschraenkt. Diese politische Apartheid ist verblueffend rigide. Ein Dokument, das die Aktivitaeten der Stiftung erklaert, beschreibt zum Beispiel, dass ihre Experten "in lokalen Zeitungen ueber die Verletzung der Rechte freier Gewerkschaften schreiben". Es ist anzunehmen, dass die Repraesentanten der Stiftungen nicht weiter beunruhigt sind, wenn Rechte derjenigen Gewerkschaften angegriffen werden, die sie nicht fuer "frei" halten. Organisiertes Wildern.

Weitaus kontroverser war das vom AFL-CIO finanzierte "Organisatoren"- Programm. Es wurde nicht mit dem Ziel auf die Beine gestellt, existierenden Gewerkschaften zu helfen, sondern neue zu gruenden. In der Zwischenzeit sind die erwarteten Mitglieder der neuen Gewerkschaften fast alle Mitglieder der bestehenden Gewerkschaftsorganisationen. Das "Organisatoren"-Programm hat als konzertiertes Programm zum Wildern in den Mitgliedsbestaenden den Protest sowohl des FNPR als auch der "freien" Gewerkschaften auf sich gezogen. In Jekaterinenburg im Ural behauptete ein Bericht des Chefs des "Organisatoren"-Programms, dass "Dutzende" neuer Gewerkschaften gegruendet worden seien. In der Republik Komi im Norden des europaeischen Russland half das Programm, fuenf neue Gewerkschaften und einen regionalen "freien" Gewerkschaftsbund zu gruenden. Den fuenf Gewerkschaftsangestellten, die in der Republik Komi beschaeftigt werden, werden Gehaelter von sage und schreibe 400 Dollar pro Monat bezahlt. Das ist im Westen keine besonders grosse Summe, aber in Russland ein ausgesprochen ansehnliches Einkommen, wo das Hoechst- Einkommen von Regierungsvertretern - das von Praesident Jelzin - im Moment 290 Dollar wert ist. Es eruebrigt sich zu betonen, dass es fuer Gewerkschaftsfunktionaere mit bescheidenem Einkommen aeusserst verlockend ist, fuer das "Organisations"-Programm zu arbeiten. Ob die AFL-CIO auch hilft, die Gehaelter der "freien" Gewerkschaften zu bezahlen, ist bislang von unabhaengiger Seite nicht bestaetigt worden, obwohl es jede Menge Geruechte gibt. Aber es ist bekannt, dass die Moskauer Angestellten der "freien" Unabhaengigen Gewerkschaft der Bergleute (Independent Union of Miners, NPG) weiterhin grosszuegige Gehaelter in den letzten Monaten bekommen haben, waehrend grosse Teile der Angestellten der Gewerkschaften nahe am Verhungern waren, weil ihre Gehaelter nicht bezahlt wurden. Sind die Aktivitaeten der AFL-CIO in Russland erfolgreich, selbst nach Massgabe ihrer eigenen - ausgesprochen seltsamen - Zielstellungen und Prioritaeten? In mindestens zwei Faellen haben diese Programme ausgesprochen scharfe Kontroversen in Kreisen der "freien" Gewerkschaften ausgeloest, die soweit gingen, moegliche Vorteile fuer die AFL-CIO und ihre Strategie zunichte zu machen.

Hauptstreitpunkt war das "Organisatoren"-Programm, bei dem die Hoffnung, dass Training und Unterstuetzung ausgewaehlter Aktivisten hilfreich waeren, eine grosse und breite soziale Basis fuer eine "freie "Gewerkschaftsbewegung zu schaffen, sich als Illusion erwiesen haben. Um ihre Gehaelter zu rechtfertigen, muessen die Organisatoren Gewerkschaften gruenden, aber daraus folgt nicht notwendigerweise, dass diese Gewerkschaften mehr organisieren als eine kleine Zahl von Freunden und politischen Kumpanen dieser Aktivisten. Zwischenzeitlich hat das "Organisatoren"-Programm als bevorzugter Empfaenger von US- Geldern und als aufstrebendes Zentrum von Einfluss auf die Buerokratie den Fuehrern "freier" Gewerkschaften akute Angst eingefloesst. Das war insbesondere der Fall, als Angestellte des "Organisatoren"-Programms anlaesslich eines Seminares im letzten Jahr beschlossen, eine Vereinigung der Freien Gewerkschaften Russlands zu gruenden, die sehr schnell weitere Finanzquellen des AFL-CIO erschliessen konnte. Fuer die Gewerkschaft "Sotsprof", eine der wichtigeren und recht unabhaengigen der "freien" Gewerkschaften, war diese Entwicklung nicht akzeptabel. Ihr Vorsitzender Sergei Kramow schrieb an die Zentrale der AFL-CIO in Washington und verlangte die Entlassung des Vorsitzenden der "Organisatoren", Victor Utkin. "Ohne Beratung mit den fuehrenden Mitgliedern der freien russischen Gewerkschaften", so beschwerte sich Kranow, "verkuendete (Utkin) die Gruendung eines neuen Gewerkschaftsbundes, der niemanden betraf ausser ein paar Angestellten des 'Organisatoren'-Programms". Laut Kramow gefaehrdeten die Aktivitaeten Utkins und sein Besitz "erheblicher Zuschuesse" die Einheit der "wirklichen Gewerkschaftsbwegung" in Russland.

Kramows Brief wies ebenfalls auf erhebliche Probleme innerhalb der russisch- amerikanischen Stiftung fuer Forschung und Bildung in der Gewerkschaftsbewegung hin. Der Vorsitzende von "Sotsprof" rief dazu auf, die Stiftung unter neuer Leitung, die sich auf die Vorsitzenden der "freien" Gewerkschaften stuetze, neu zu organisieren. Die Stiftung, so argumentierte er, sei "belastet mit internen Querelen und der Verteilung von Geldern unter ihren Fuehrern, die von den Amerikanern als Hilfe fuer die Gewerkschaften geschickt wurden". Die Probleme, die die AFL-CIO-Programme verfolgen, haben in der Tat Wurzeln, die weitaus tiefer liegen als der Opportunismus und die Kaeuflichkeit einiger Beschaeftigter und die Konkurrenz zwischen abhaengigen Gewerkschaften, die um jeden Hilfsdollar kaempfen.

Das Haupthindernis, dem sich die AFL-CIO-Vertreter in Russland ausgesetzt sehen, liegt in ihrem gesamten Verstaendnis von Gewerkschaftsbewegung - naemlich Unterordnung von Arbeiterkaempfen unter "Sozialpartnerschaft" und Aufbau von buerokratischen business- freundlichen Gewerkschaften, in denen die wirkliche Arbeiter- und Angestellten-Demokratie plattgemacht wird. Es ist nutzlos fuer die Verteidigung von Arbeitern. Und es war nutzlos in den Vereinigten Staaten und erweist sich als doppelt so nutzlos unter den weit haerteren Bedingungen Russlands. Der grossen Masse der Gewerkschafter, die ernsthafte Aktionen fordert, um die Bezahlung von Loehnen und Schutz vor Inflation durchzusetzen, antworten die Emissaere der US-Gewerkschaften gebetsmuehlenartig mit Warnungen, dass (um Bradleys Broschuere zu zitieren) "die alten kommunistischen Gewerkschaften weiterexistieren und immer noch maechtig sind, grosse Vermoegen und Finanzquellen kontrollieren und versuchen, wieder an die Macht zu kommen". Werden sie zu oekonomischen Fragen festgenagelt, dann koennen die AFL-CIO-Vertreter wenig mehr tun, als Bekraeftigungen zu murmeln, dass Privatisierungen und der Markt, so wie es von Gaidar und dem Internationalen Waehrungsfond gepredigt wird, bald anfangen wuerden, ihre Wunder zu wirken. Nicht einmal Russlands Kapitalisten glauben im grossen und ganzen an diese Richtung. Unter den Arbeitern ist die Antwort ueberwiegend voll Verachtung. Trotzdem sind die Fuehrer der "freien" Gewerkschaften sehr zoegerlich, mit den AFL-CIO-Strategien zu brechen. Ein solcher Umschwung wuerde ernsthafte Fragen danach aufwerfen, warum diese Gewerkschaften vom grossen Teil der Gewerkschaftsbewegung isoliert bleiben. Auch kommt man an der Vermutung nicht vorbei, dass zumindest bei einigen dieser Gewerkschaftsfuehrer persoenliche materielle Interessen im Spiel sind. Es sollte daher nicht ueberraschen, dass die "freie" Gewerkschaftsbewegung nun unter extremen inneren Spannungen leidet.

Diese waren klar sichtbar in den Wochen vor dem massiven Streik der Bergleute am 1. Maerz (1994). Der Druck von Massen zwang eine offensichtlich zurueckhaltende NPG-Fuehrung in Moskau dazu, diese Aktionen zu unterstuetzen, die von der FNPR-Bergbaugewerkschaft initiiert worden waren. Aber die NPG-Fuehrer grenzten sich gegenueber der von grossen Teilen der Streikkomitees erhobenen Forderung ab, dass die Regierung zuruecktreten und Jelzin vorzeitige Praesidentschaftswahlen abhalten solle. Die lokale NPG- Gewerkschaftsorganisation im Workuta-Kohlebecken hoch im Norden des europaeischen Russland sprach der gesamtrussischen Fuehrung das Misstrauen aus, und eine zeitlang war die "freie" Gewerkschaft der Bergleute am Rande der Spaltung.

Die Tatsache auslaendischer Unterstuetzung fuer eine rivalisierende Gewerkschaftsbewegung, wie klein und ineffektiv sie auch sein mochte, hat den Apparat der FNPR dazu gewzungen, Reformen zu akzeptieren und Kaempfe durchzustehen, die sie anderweitig vermieden haben wuerde. Ironischerweise bescherten unter dem Strich die Schnitzer der AFL-CIO Praesident Jelzin eine aktivere und resolutere Arbeiteropposition, als er sie andernfalls gehabt haette.

Indirekte Hilfe fuer Nationalisten Es waere jedoch falsch, die AFL-CIO-Einmischung in Russland fuer perverserweise verdienstvoll zu halten trotz der gegenteiligen Absichten ihrer Initiatoren. Insoweit die russischen Arbeiter auf die Anwesenheit und die Aktivitaeten von AFL-CIO reagierten, waren die Stroemungen der Arbeiterbewegung, die hauptsaechlich davon profitierten, nicht die der "zivilisierten Linken" - die weiterhin klein und schwach sind -, sondern die ultra-nationalistischen, gegen Jelzin gerichteten Stroemungen. Zum Beispiel erlangte im Januar die Vereinigung freier Gewerkschaften Russlands, eine kleine Gruppe unter dem Vorsitz des nationalistischen Ideologen Alexander Alexejew, Beruehmtheit mit einer Deklaration, die aufrief zum Boykott "der AFL-CIO-Lehrer von jenseits des Ozeans, deren Aktivitaeten das Ziel haben, die nationalen Interessen Russlands zu verletzen". Die Erklaerung geisselte "Gewerkschaftsaktivitaeten, bei denen Arbeiter, statt fuer ihre Rechte zu kaempfen, blindlings dem Kurs amerikanischer Politik in unserem Land folgen, das heisst, ihre Augen verschliessen vor 'Liberalisierung' im Gaidar-Stil, Massenentlassungen und Fabrikschliessungen". Weder Alexejews Gewerkschaftsorganisation noch seine "National-Soziale Partei der Arbeiter Russlands" spielen auf der russischen politischen Buehne eine grosse Rolle. Aber es ist bestuerzend festzustellen, dass die AFL-CIO- Programme in Russland eine ganze Menge unbeabsichtigter Munition liefern, die auch einfach von groesseren und gefaehrlicheren ultra- nationalistischen Stroemungen genutzt werden koennte. Bislang sind sich jedoch wenige Russen darueber im Klaren, dass die US-Regierung ueber die AFL-CIO eine politische Intervention in die Arbeiterbewegung ihres Landes in Szene setzt. Das Ausmass der AFL-CIO- Aktivitaeten in Russland ist fast zu vernachlaessigen, vor allem, weil die kalten Krieger der AFL-CIO-Fuehrung ihre Abgesandten in Russland davon abgehalten haben, sich in die Massen-Gewerkschaftsbewegung des Landes, die FNPR, zu begeben, wo sie wirklichen Schaden haetten anrichten koennen. Dennoch sind die Interessen der Gewerkschaftsaktivisten in den USA definitiv durch das verletzt worden, was die AFL-CIO-Fuehrung in Russland tut. Bei grossen Teilen der russischen Gewerkschaftsaktivisten haben die amerikanischen Gewerkschaften nun einen schlechten Ruf wegen des Versuchs, Gewerkschaftsfuehrer anzustiften, die russische Arbeiterbewegung zu spalten und zu demobilisieren, und sie einer Regierungspolitik unterzuordnen, die bereits einer grosse Zahl von Arbeitern Hunger und Mittellosigkeit gebracht hat.

Im Idealfall wuerde die AFL-CIO Regierungsgelder zurueckweisen - die unakzeptable politische Kosten bedeuten - und ihre Aktivitaeten in Russland auf bescheidenerer Basis neu strukturieren, indem sie praktische Hilfe bei Forschung, Training, Organisations- und Rechtsfragen jeder Arbeiterbewegung, die das wuenscht, anbieten wuerde. Aber mit einer AFL-CIO-Fuehrung, wie sie jetzt ist und der Unwahrscheinlichkeit von Veraenderungen in der nahen Zukunft waeren Gewerkschaftsaktivisten in den USA gut beraten, wuerden sie entscheiden, dass der beste Weg, ihren russischen Partnern zu helfen, die Forderung nach vollstaendiger Beendigung aller AFL-CIO- Aktivitaeten in Russland ist.


© Renfrey Clarke


Renfrey Clarke ist Russland-Korrespondent der australischen Zeitschrift "Green Left Weekly". Er war kontinuierlicher Mitarbeiter des Russischen Arbeits-Informations-Zentrums (KAS-KOR) und seiner Publikation "Russian Labour Review". Seinen Beitrag entnahmen wir der Nr. 48 (1994) der in London erscheinenden Zeitschrift "Labour Focus on Eastern Europe", mit der das SoFo einen Zeitschriftenaustausch vereinbarte. Die Uebersetzung des Artikels leistete Gabi Hesselbein, Hamburg, Mitglied der SoFo-Redaktion. Nachdruck bei Quellenangabe moeglich. Belegexemplar erbeten.

Die Zeitschrift SoFo - Sozialistisches Forum erscheint sechsmal im Jahr. SoFo-Redaktion und Vertrieb, Koelner Str. 66, 60327 Frankfurt/M.

Quelle: Newsgroup:cl.gruppen.sofo, 06.03.1995










 

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