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Moskau (ADN). In dem Appell, den das Staatskomitee für den Ausnahmezustand an das sowjetische Volk gerichtet hat, heißt es unter anderem: Landsleute! In dieser für die Geschicke des Vaterlandes und unserer Völker schweren und kritischen Stunde wenden wir uns an Euch. Eine tödliche Gefahr hängt schwer über unserem Vaterland. Die Politik der Reformen, eingeleitet auf Initiative Michail Gorbatschows als ein Mittel zur Sicherung der dynamischen Entwicklung und der Demokratisierung des gesellschaftlichen Lebens, ist aus unterschiedlichen Gründen in eine Sackgasse geraten. Die Behörden auf allen Ebenen haben das Vertrauen des Volkes verloren. Politikastertum hat im öffentlichen Leben die Sorge um das Schicksal des Vaterlandes und der Bürger er- setzt. Bösartige Verhöhnung gilt allen Institutionen des Staates. Das Land ist praktisch unregierbar geworden. Vorteil aus den gewährten Freiheiten ziehend und unter Mißbrauch der ersten Triebe der Demokratie, haben sich extremistische Kräfte auf den Weg gemacht, die Sowjetunion zu vernichten, den Staat zu zerstören und um jeden Preis die Macht an sich zu reißen. Die Ergebnisse des ersten landes- weiten Referendums über die Einheit des Vaterlands wurden mit Füßen getreten. Zynische Spekulationen auf nationale Gefühle sind zu einem Deckmantel zur Befriedi- gung persönlicher Ambitionen geworden. Die politischen Abenteurer kümmert weder das heutige Unglück ihrer Völker noch der morgige Tag. Indem sie eine Atmosphäre morali- schen und politischen Terrors zulassen und sich hinter einem Schutzschild öffentlichen Vertrauens verbergen, vergessen sie, daß die Beziehungen, die sie verurteilen und zerreißen, auf der Grundlage einer viel breiteren öffentlichen Unterstützung gegründet worden sind, die dazu noch die jahrhundertelange Bewährungsprobe der Ge- schichte bestanden haben. Die Machtkrise hat katastrophale Auswirkungen auf die Wirtschaft. Der chaotische und spontane Rutsch in die Marktwirtschaft provozierte eine Explosion des Egoismus auf regionaler, Bezirks-, Gruppen- und Persönlicher Ebene. Der Krieg um die Gesetze und die Ermutigung zentrifugaler Strö- mungen hat die, Zerstörung der integralen nationalökonomischen Mechanismen vorangetrieben, die in Jahrzehnten aufgebaut worden sind. Das Ergebnis war ein rapider Verfall des Lebensstandards der großen Mehrheit der sowjetischen Menschen, Spekulation und Schattenwirtschaft blühten auf. Es ist höchste Zeit, daß den Menschen die Wahrheit gesagt wird: Wenn keine dringenden und entscheidenden Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft ergriffen werden, sind eine Hungersnot und eine Spirale der Verarmung in naher Zukunft unvermeidlich, von denen es nur ein Schritt zum massenhaften Ausbruch spontanen Unmuts mit verheerenden Konsequenzen ist. Die zunehmende Destabilisierung der politischen und wirtschaftlichen Lage in der Sowjetunion untergräbt unsere Stellung in der Welt. Mancherorts sind revanchistische Bemerkungen zu hö- ren, Forderungen nach einer Revision unserer Grenzen werden erhoben. Es werden auch Stimmen laut, die von der Auflösung der Sowjetunion und der Möglichkeit sprechen, einige Einrichtungen und Regionen des Landes unter internationale Aufsicht zu stellen. Dies ist die bittere Wirklichkeit. Wo sich noch gestern ein Sowjetbürger im Ausland als würdiger Bürger eines einflußreichen und geachteten Staates fühlte, findet er sich heute oft als Ausländer zweiter Klasse wieder, dem man entweder Miß- achtung oder Mitleid entgegenbringt. Wir beabsichtigen, Gesetz und Ordnung umgehend wiederherzustellen, das Blutvergießen zu beenden, der Welt des Verbrechens einen gnadenlosen Krieg zu erklären und schändliche Erscheinungen auszumerzen, die unsere Gesellschaft diskreditieren und die sowjetischen Bürger entwürdigen. Wir werden die Straßen unserer Städte von kriminellen Elementen säubern und der Willkür der Plün- derer des Volkseigentums ein Ende - bereiten. Wir befürworten unverfälschte demokratische Prozesse, eine be- ständige Reformpolitik, die zur Erneuerung unseres Vaterlands und seiner wirtschaftlichen und sozialen Wohlfahrt führt, die es in die Lage versetzt, einen würdigen Platz in der Weltgemeinschaft der Völker einzunehmen. Die Entwicklung des Landes darf nicht auf dem sinkenden Lebensstandard des Volkes aufgebaut werden. Unsere Hauptsorge gilt der Lösung des Lebensmittel- und Woh- nungsproblems. Alle verfügbaren Kräfte werden mobilisiert, um diese grundlegendsten Bedürfnisse des Volkes zu befriedigen. Wir erklären entschlossen, daß es niemandem jemals erlaubt werden wird, unsere Souveränität, Unab- hängigkeit und territoriale Unversehrtheit zu verletzen. Alle Versuche, zu unserem Land in der Sprache des Diktats zu sprechen, gleich woher sie kommen, werden ent- schlossen zurückgewiesen. Wir appellieren an alle wahren Patrioten und Menschen guten Willens, das Staatskomitee bei seinen Bemühungen, das Land aus der Krise zu führen, zu unterstützen.
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