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  Ökonomie   

 


Stand: 1998-02-10

Der Euro kommt zu früh

Professoren der Wirtschaftswissenschaften nehmen Stellung zum geplanten Start der Europäischen Währungsunion

1. Zur Europäischen Integration gibt es keine Alternative. Die gemeinsame Währung wird dazugehören – jedenfalls für Kerneuropa. Aber der Euro kommt zu früh.

2. Die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte hat Fortschritte gemacht. Jedoch ist sie nicht weit genug vorangetrieben worden, vor allem nicht in den großen Ländern wie Italien, Frankreich, aber auch Deutschland. Der Konsolidierungsprozeß wurde zu spät und nur halbherzig begonnen. Trotz eines ungewöhnlich niedrigen Zinsniveaus und damit günstiger Zinsaufwendungen für die öffentlichen Haushalte und trotz zahlreicher Beispiele kreativer Buchführung ist es gerade den Kernländern nicht gelungen, die vereinbarte Defizitgrenze deutlich und nachhaltig zu unterschreiten. Auch ist die durchschnittliche Schuldenquote in der Europäischen Union seit 1991 nicht gesunken, sondern um 15 Prozentpunkte gestiegen. Sie liegt heute weit über dem Maastricht-Limit. Das widerspricht dem Geist des Vertrages.

3. Der Vertrag verlangt zu Recht Nachhaltigkeit der Konvergenz. Dafür wurde zwar der sogenannte "Stabilitätspakt" erfunden. Er kann jedoch dauerhafte Haushaltsdisziplin nicht gewährleisten. Seine Sanktionsdrohung ist allenfalls glaubwürdig, wenn nur ein einzelnes Land oder sehr wenige Länder betroffen sind. Da Sanktionen nicht automatisch eintreten, dürfte es aber kaum eine qualifizierte Mehrheit für die Anwendung des Paktes geben, wenn eine größere Zahl von Ländern gleichzeitig die Defizitgrenze verletzt. Die Stabilität des Euro kann der Pakt daher nicht sichern.

4. Seit dem Maastricht-Jahr 1991 haben sich zudem die strukturellen Probleme in Europa verschärft. Die Arbeitslosigkeit ist weiter gestiegen. Gerade auch Deutschland und Frankreich – die Motoren der Europäischen Integration – sind nicht gut gerüstet für den verstärkten Strukturwandel und den härteren Wettbewerb in der Währungsunion. Der Euro löst das europäische Beschäftigungsproblem nicht. Da der Wechselkurs in einer Währungsunion nicht mehr als Anpassungsinstrument zur Verfügung steht, müssen die Arbeitsmärkte erheblich flexibler werden – in Deutschland, aber auch anderswo. Hier fehlt jedoch die klare Trendwende. Wenn es nicht vor Beginn der Währungsunion dazu kommt, muß mit wirkungslosen Experimenten der Nachfragestimulierung und vor allem auch mit politischem Druck auf die Europäische Zentralbank gerechnet werden.

5. Die derzeitige wirtschaftliche Ausgangssituation ist daher denkbar ungeeignet für den Start der Währungsunion. Eine geregelte Verschiebung um einige Jahre – mit gemeinschaftlich vereinbarten Auflagen über zu erreichende weitere Konsolidierungsfortschritte – muß ernsthaft als politische Option in Betracht gezogen werden. Sie wäre keine politische Katastrophe und könnte von niemandem als Signal eines Ausstiegs aus dem Integrationsprozeß gedeutet werden. Der dauerhafte Erfolg des Euro ist wichtiger als der Zeitpunkt seiner Einführung.

6. Eine geregelte Verschiebung wäre für kein Land ein Grund, in seinen Konsolidierungsanstrengungen nachzulassen. Denn damit würde es dokumentieren, daß es sich entweder das Ziel finanzpolitischer Disziplin nicht zu eigen macht oder gar nicht dazu in der Lage ist. Mit einem solchen Land die Währungsunion zu beginnen, wäre ein Kardinalfehler.

7. Scheitert der Versuch, im Konsens eine geregelte Verschiebung zu erreichen, dann muß jedenfalls für eine unnachsichtige Prüfung der Konvergenz gesorgt werden. Dann darf nicht zum Tabu erklärt werden, daß die Währungsunion mit einer kleinen Gruppe von Ländern beginnt. Statt dessen müssen die Konvergenzkriterien auch im Sinne der Nachhaltigkeit so streng wie möglich ausgelegt werden – so streng wie es der Vertrag erlaubt. Wer die Konvergenzkriterien nicht ernst nimmt, untergräbt das Vertrauen in die faktische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank und in die Stabilität des Euro. Die Erwartung eines von Anfang an schwachen Euro – nach innen wie nach außen – würde den Start der Währungsunion mit einer schweren Hypothek belasten.






b) English version of declaration

The Euro starts too early

Professors of economics on the planned start of European Monetary Union

1. There is no alternative to European integration. The single currency will be part of it – at least for the core of Europe. However, the Euro comes too early.

2. The consolidation of public budgets has made progress. Nevertheless, it has not advanced enough, especially in large countries such as Italy, France and Germany. The process of consolidation started too late and halfheartedly. In spite of an unusually low level of interest rates, hence reduced costs of debt service, and in spite of numerous examples of creative accounting, the core countries have not succeeded in reducing deficits markedly and sustainably below the 3 per cent reference value. Moreover, the average debt ratio of the member states has not come down since 1991 but has risen by 15 percentage points. As a result, it now exceeds the 60 per cent reference value of the Maastricht treaty by a large margin. This is contrary to the spirit of the treaty.

3. The treaty rightly requires persistence of convergence. To ensure this the so-called "stability pact" has been invented. However, the pact cannot guarantee budgetary discipline. The threat of sanctions is credible, if at all, only if the deficit reference value is violated by one country or very few countries. Given that sanctions are not automatic, it is unlikely that a qualified majority will enforce the pact when a larger number of countries simultaneously violates the limit. The pact cannot ensure the stability of the Euro.

4. Since 1991 the structural problems of Europe have worsened. Unemployment has continued to rise. Notably Germany and France – the driving forces of European integration – are not well prepared to cope with the more rapid structural change and the stiffer competition in a monetary union. The Euro does not solve the unemployment problem of Europe. Given that exchange rates are no longer available for adjustment, labour markets need to become much more flexible – in Germany as well as elsewhere. An unambiguous change of trend is missing in this respect. If such a trend change is not achieved before the start of monetary union, we will have to expect useless experiments of demand stimulation and above all political pressure on the European Central Bank.

5. The current state of economic affairs is most unsuitable for starting monetary union. An orderly postponement for a couple of years – supplemented by conditions on further progress with respect to budgetary consolidation – has to be seriously considered as a political option. Postponement must not be seen as a political catastrophy. No party can infer from it that the process of integration has come to an end. The persistent success of the Euro is more important than its starting date.

6. An orderly postponement would not be a reason for any country to reduce its efforts at consolidating public budgets. Reducing effort would be a signal that the country either does not make budgetary discipline an objective of its own or that it is unable to take the necessary action. It would be a fundamental error to start monetary union with such a country.

7. Should the attempt of reaching unanimous agreement on an orderly postponement fail, it will be of utmost importance to apply the convergence criteria without any indulgence. Then it must not be declared a taboo that the monetary union starts with a smaller group of countries. On the contrary, with regard to sustainability, the convergence criteria need to be applied as rigorously as possible – as strictly as the treaty permits. Governments who do not take the examination of convergence seriously, undermine the confidence in the actual independence of the European Central Bank and in the stability of the Euro. The start of monetary union would suffer from a heavy burden if the Euro is expected to be weak – inside and outside the monetary union.


c) Liste sämtlicher Unterzeichner der Erklärung "Der Euro kommt zu früh":

Aberle, Gerd (Gießen) Baltensperger, Ernst (Bern) Bartling, Hartwig (Mainz) Baßeler, Ulrich (Berlin) Becker, Wolf Dieter (Aachen) Bender, Dieter (Bochum) Berg, Hartmut (Dortmund) Bergen, Volker (Göttingen) Berthold, Norbert (Würzburg) Besters, Hans (Bochum) Biethahn, Jörg (Göttingen) Blankart, Charles B. (Berlin) Bliemel, Friedhelm (Kaiserslautern) Blum, Ulrich (Dresden) Bohley, Peter (Zürich) Bös, Dieter (Bonn) Bössmann, Eva (Köln) Caesar, Rolf (Hohenheim) Cezanne, Wolfgang (Cottbus) Claassen, Emil (Paris) Corsten, H. (Kaiserslautern) Dickertmann, Dietrich (Trier) Eickhof, Norbert (Potsdam) Engel, Günther (Göttingen) Eschenburg, Rolf (Münster) Fehl, Ulrich (Marburg) Feser, Hans-Dieter (Kaiserslautern) Folkers, Cay (Bochum) Francke, Hans-Hermann (Freiburg) Frank, Werner (Göttingen) Frerich, Johannes (Bonn) Frowen, Stephen F. (London) Fuhrmann, Wilfried (Potsdam) Gabisch, Günter (Göttingen) Gaertner, Wulf (Osnabrück) Gäfgen, Gérard (Konstanz) Gandenberger, Otto (München) Gans, Oskar (Heidelberg) Gebauer, Wolfgang (Frankfurt) Gemper, Bodo (Siegen) Görgens, Egon (Bayreuth) Gröner, Helmut (Bayreuth) Gutmann, Gernot (Köln) Hahn, Oswald (Erlangen-Nürnberg) Hartwig, Karl-Hans (Münster) Hasse, Rolf (Hamburg) Häuser, Karl (Frankfurt) Helmstädter, Ernst (Münster) Herdzina, Klaus (Hohenheim) Herz, Bernhard (Bayreuth) Heuß, Ernst (Erlangen-Nürnberg) Hieber, Manfred (Bonn) Hildenbrand, Werner (Bonn) Hölscher, Reinhold (Kaiserslautern) Homburg, Stefan (Hannover) Hoppmann, Erich (Freiburg) Jarchow, Hans-Joachim (Göttingen) Kath, Dietmar (Duisburg) Kaufer, Erich (Innsbruck) Kerber, Wolfgang (Marburg) Kirsch, Guy (Fribourg) Klenner, Wolfgang (Bochum) Knieps, Günter (Freiburg) Koester, Ulrich (Kiel) Konrad, Anton (München) Kösters, Wim (Bochum) Kraus, Willy (Bochum) Kruse, Jörn (Hohenheim) Kuhn, Helmut (Göttingen) Lang, Franz Peter (Braunschweig) Lechner, Hans H. (Berlin) Lehmann-Waffenschmidt, Marco (Dresden) Lenel, Hans-Otto (Mainz) Littmann, Karl-Konrad (Speyer) Loef, Hans-E. (Siegen) Lücke, W. (Göttingen) Luckenbach, Helga (Gießen) Lüdeke, Reinar (Passau) Lux, Thomas (Bonn) Mertens, Peter (Erlangen-Nürnberg) Mitschke, Joachim (Frankfurt) Molsberger, Josef (Tübingen) Monissen, Hans (Würzburg) Mückl, Wolfgang (Passau) Müller, Herbert (Gießen) Müller-Groeling, Hubertus (Kiel) Müller-Merbach, Heiner (Kaiserslautern) Nachtkamp, Hans H. (Mannheim) Neubauer, Werner (Frankfurt) Neumann, Manfred J.M. (Bonn) Neus, Werner (Tübingen) Oberender, Peter (Bayreuth) Ohr, Renate (Hohenheim) Petersen, Hans-Georg (Potsdam) Pfähler, Wilhelm (Hamburg) Piesch, Walter (Hohenheim) Pohmer, Dieter (Tübingen) Preuße, Heinz Gert (Tübingen) Richter, Rudolf (Saarbrücken) Rieter, Heinz (Hamburg) Rinne, Horst (Gießen) Rohde, Klaus (Bonn) Rose, Manfred (Heidelberg) Rudolph, Heinz (Bochum) Rübel, Gerhard (Passau) Schäfer, Wolf (Hamburg) Schellhaaß, Horst (Köln) Scheper, Wilhelm (Kiel) Scherf, Wolfgang (Gießen) Schittko, Ulrich K. (Augsburg) Schlotter, Hans-Günther (Göttingen) Schmidt, Günter (Saarbrücken) Schmidt, Ingo (Hohenheim) Schmidtchen, Dieter (Saarbrücken) Schönfeld, Peter (Bonn) Schröder, Jürgen (Mannheim) Schüller, Alfred (Marburg) Schulz, Wilfried (München) Schumann, Jochen (Münster) Schweizer, Urs (Bonn) Seel, Barbara (Hohenheim) Seitz, Tycho (Bochum) Sell, Axel (Bremen) Siebke, Jürgen (Heidelberg) Smeets, Heinz-Dieter (Düsseldorf) Socher, Karl (Innsbruck) Sondermann, Dieter (Bonn) Stobbe, Alfred (Mannheim) Spahn, Peter (Hohenheim) Steiger, Otto (Bremen) Steinmann, Gunter (Halle) Theurl, Theresia (Innsbruck) Thieme, Jörg (Düsseldorf) Tietzel, Manfred (Duisburg) Tolkemitt, Georg (Hamburg) Uebe, G. (Hamburg) Ulrich, Volker (Greifswald) van Meerhaeghe (Deurle) van Suntum, Ulrich (Münster) Vaubel, Roland (Mannheim) Vollmer, Uwe (Leipzig) von Hauff, Michael (Kaiserslautern) von Stein, Joh. Heinr. (Hohenheim) von Weizsäcker, Robert (Mannheim) Vosgerau, Hans-Jürgen (Konstanz) Wagenhals, Gerhard (Hohenheim) Wagner, Franz W. (Tübingen) Watrin, Christian (Köln) Weber, Axel (Bonn) Weck-Hannemann, Hannelore (Innsbruck) Wegehenkel, Lothar (Ilmenau) Wenzel, Heinz-Dieter (Bamberg) Wille, Eberhard (Mannheim) Willgerodt, Hans (Köln) Willms, Manfred (Kiel) Woll, Artur (Siegen) Zimmermann, Klaus W. (Hamburg) Zink, Klaus J. (Kaiserslautern) Zohlnhöfer, Werner (Mainz)




 




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