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  Politik   

 


1992-09

Offener Brief von Gerd Bastian kurz vor seinem Tode -
Appell an die Öffentlichkeit gegen rassistische Bestrebungen in der Bundesrepublik

Gerd Bastian

Der Lack ist ab vom Gesicht der Bundesrepublik. Weggewischt ist die Schminke der demokratischen Wohlanstaendigkeit, abgelegt die Maske aus Gewaltverzicht, Toleranz und Solidaritaet mit Schwaecheren!

Und wieder ist unverhuellt da, die Fratze des haesslichen Deutschland, das nur sich fuer wichtig und lebenswert haelt, alles "Artfremde" aber mit Hass verfolgt und erbarmungslos ausmerzt, wenn es das Bild vom "reinen" Vaterland stoert.

Kaum ist die Bundesrepublik groesser und maechtiger geworden nach dem holterdiepolter vollzogenen Anschluss des zweiten deutschen Staates, hat sich der organisierte, frueher penetrant verharmloste Neofaschismus wie ein Flaechenbrand uebers Land gedehnt. Seit Monaten brennen Nacht fuer Nacht die Wohnheime der bei uns Schutz Suchenden, werden Mitmenschen die das Pech haben, durch Hautfarbe und Aussehen als Nichtdeutsche kenntlich zu sein, mit Hass verfolgt, durch brutale Gewalt in Angst und Schrecken versetzt, gleich ob es sich um Maenner, Frauen oder Kinder handelt, mit Fuessen getreten, geschlagen und nicht selten umgebracht.

Boese Erinnerungen an meine Jugend in den dreissiger Jahren werden da wach. Wie damals beherrschen Gewaltbereitschaft, hasserfuellter Fanatismus und gnadenlose Selbstgerechtigkeit die Szene. Nur die Zielscheiben der Schlaeger und Moerder haben sich geaendert.

Damals waren die Juden die unschuldigen Opfer einer totalen Ausgrenzung. Heute sind es die bei uns lebenden Auslaender. Damals brannten die juedischen Geschaefte und Synagogen. Heute brennen die Auslaenderwohnheime und -wohnungen.

Doch damals wie heute sieht eine beschaemende Vielzahl braver Buergerinnen und Buerger den Mordbrennern tatenlos zu, oft mit kaum verhohlender Schadenfreude im Gesicht. Und allzuviele staerken ihnen mit offenem Beifall in widerlichster Weise den Ruecken.

Ausgeblieben ist der empoerte, zornige Aufschrei eines ganzen zur Parteinahme aufgerufenen Volkes. Die wohltoenenden Reden der Politiker, die pflichtschuldig Abscheu, allzuoft aber auch relativerendes Verstaendnis bekunden, aendern daran ebensowenig wie die fast unmaechtigen Proteste einer Minderheit tief Be- schaemter, die fuer uns alle auf die Strasse gehen, Schutzwaelle zu bilden suchen und manchmal auch Schlimmeres verhindern konnten.

Und unsere Ordnungshueter? Warum sind sie nicht in der Lage, dem Unwesen Einhalt zu gebieten? Den Gewalttaetern das Handwerk zu legen? Sie, die beim Weltwirtschaftsgipfel gegen eine von Trillerpfeifen ausgehende "Gewalt" mit aeusserster Haerte vorgegangen sind, aber den Neonazis gegenueber eine merkwuerdige, mit Unfaehigkeit und Organisationsmaengeln allein nicht mehr zu erklaerende Zurueckhaltung ueben? Kein Wunder, dass sich da auch der Verdacht einer heimlichen Sympathie und ideologischen Uebereinstimmung mit den Rechtsradikalen aufdraengt. Er wird sich festigen, wenn Justiz und Polizei nicht endlich beweisen, dass sie entschlossen sind, dem braunen Spuk ein schnelles Ende zu bereiten.

Die Schande wird freilich auch dann noch lange auf uns sitzen bleiben. Zu Recht leider, denn in der Auseinandersetzung mit dem Neofaschismus in seiner seit Wochen sichtbaren, schaendlichsten Erscheinungsform hat die Bundesrepublik, haben wir Deutsche die Reifepruefung nicht bestanden.



Quelle: Die Gruenen, Bundesvorstand, Bonn

Anmerkung der GLASNOST-Redaktion:

Petra Kelly und Gerd Bastian waren am 21.10.1992 tod aufgefunden worden. Beide waren tief erschüttert über die Welle der rassistischen Gewalt in der Bundesrepublik.


 




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