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Bruno Mander
Rezension
"Sozialist in dürftiger Zeit"
Friedrich-Martin Balzer, Hans Manfred Bock, Uli Schöler (Hrsg.):
Wolfgang Abendroth. Wissenschaftlicher Politiker. Bio-bibliographische Beiträge,
Leske + Budrich, Opladen 2001, 505 Seiten
Eine ausführliche Biographie über den Kämpfer gegen Faschismus,
imperialistischen Krieg und Reaktion, für soziale Demokratie und den
Übergang zur kommunistischen Gesellschaft Wolfgang Abendroth (1906-1985)
steht noch aus. Vorliegendes Buch enthält Bausteine dazu, die allerdings
vom Leser selbst aufeinandergefügt werden müssen, um den Lebenslauf
chronologisch zusammen zu bekommen. Es enthält 18 meist aus Anlass des
Todes von Abendroth erschienene Aufsätze über sein Wirken, die
ähnlich geartete Einleitung Schölers, Angaben über die 74
Doktoranden des Professors, deren Themen und Praxisfelder, das erste nahezu
vollständige Gesamtverzeichnis seiner mehr als 1000 Erstveröffentlichungen,
darunter 13 Bücher, bibliographisch-biographische Angaben und ein nicht
komplettes, aber dennoch aufschlussreiches Verzeichnis der Schriften über
und gegen ihn. Durchgehend wird die Erkenntnis vermittelt: Dieser Gelehrte
war zugleich Praktiker. Er redete und schrieb in verständlichem, gut
marxistischem Deutsch über wichtige Dinge.
Nachfolgend soll versucht werden, Leben und Schaffen Abendroths auf Grund
des Buches im Überblick darzustellen. Die Kurzbiographie in Theodor
Bergmanns Geschichte der KPD(O) wird dabei z. T. korrigiert und ergänzt.
Abendroth, Sohn sozialdemokratischer Lehrer-Eltern, trat als 14jähriger
dem Kommunistischen Jugendverband bei, wurde 1924 in der ersten ultralinken
Verfolgungswelle ausgeschlossen und landete nach vergeblichen Versuchen,
mit der Frankfurter kommunistischen Studentengruppe zurechtzukommen, beim
Bund Freier Sozialistischer Jugend, der Menschen unterschiedlicher politischer
Orientierung umfasste. 1926/29 wirkte er mit zahlreichen Artikeln am Verbandsorgan
mit; sie lassen u. a. Einflüsse des Austromarxismus erkennen. Abendroth
gehörte auch der KPD an, wurde dort aber 1928 ebenfalls ausgestoßen
und ging zur KPD(O). Sein Hauptbetreuer im Jurafach war der sozialdemokratische
"Vater des Arbeitsrechts" Hugo Sinzheimer. Ideologische Ziehväter sah
er in Brandler und Thalheimer. Zwar trat Abendroth 1931 wieder der KPD bei,
offenbar weil er sich davon mehr Kontakt zu den Massen versprach. Er ist
aber der Einheitsfront- und Faschismustheorie der KPD(O) treu geblieben.
Die Mitgliedschaft in "Neu Beginnen" – einer Gruppe, die in KPD und SPD intern
für das Zusammengehen beider Parteien wirkte – hat er behauptet. Sie
ist aber nicht nachweisbar und wird durch einen führenden Vertreter
"Neu Beginnens", Richard Löwenthal, bestritten. (S. 196)
Abendroths weiterer Lebensweg wird bei Bergmann größtenteils wie
hier nachgezeichnet. 1933 entlassen, erwarb der junge Referendar zwei Jahre
später in Bern den Titel eines Dr. jur. Andererseits beteiligte sich
Abendroth an der illegalen Arbeit von KPD und KPD(O) in Hitlerdeutschland
und kehrte dorthin zurück. Es folgten Verhaftung und Hochverratsprozess,
vier Jahre Zuchthaus Luckau ab 1937, fortdauerndes Schreibverbot, 1943 Einziehung
zum Strafbataillon 999, Verbindung zu griechischen Partisanen und britische
Gefangenschaft in Ägypten, bei gleichzeitiger antifaschistischer Lehrtätigkeit
unter Mitgefangenen, sowie in Wilton Park, Südengland. 1946 trat Abendroth
der SPD bei. Weitere Stationen waren seine Arbeit in der Justizverwaltung
und an Universitäten der Sowjetischen Besatzungszone. Insgeheim unterhielt
er Kontakte zum Ostbüro der SPD - in der Annahme, es handle sich um
ein seriöses Unternehmen und keine Agentenorganisation. 1948 musste
er nach Westen fliehen. Er wurde 1949 Hochschulrektor in Wilhelmshaven,
hatte 1951-1972 den Lehrstuhl für Politikwissenschaft in Marburg inne
und lehrte nach seiner Emeritierung an der Akademie der Arbeit in Frankfurt/Main.
Wissenschaft und Politik waren bei Abendroth keine voneinander abgeschotteten
Räume. Beim Darstellen seines Lebens müssen sie gleichwohl getrennt
behandelt werden, wie das auch die Herausgeber versuchten.
Zur SPD war Abendroth in der Annahme gestoßen, dass sich aus ihr noch
eine marxistische Partei entwickeln ließe, die mit gleichermaßen
gewandelten Kommunisten zur gesamtdeutschen Partei zusammenwachsen
würde. Er unterstützte den sozialistisch-reformistischen
DGB-Flügel mit Viktor Agartz und Otto Brenner, desgleichen den SDS,
stand dessen Fördergesellschaft vor und wurde, als die SPD-Führung
im Oktober 1961 beide für mit der Partei unvereinbar erklärte,
ebenfalls exmittiert. Politisch-ideologisch hatte sich Abendroth längst
von der SPD gelöst, so weil diese ihren Deutschlandplan aufgegeben und
1959 das Godesberger Programm akzeptiert hatte, 1960 zudem auf NATO-Kurs
einschwenkte. Sein hier erwähnter Alternativentwurf zu Godesberg wurde
Mitte 2000 in der Leipziger Reihe "Schriften aus dem Liebknecht-Haus" neu
herausgebracht. Er liest sich über weite Strecken wie ein Gegenentwurf
zu pseudomodernen Vorstellungen rechter PDS-Ideologen.
Nach dem Parteiausschluss gehörte Abendroth, zeitweise im Sozialistischen
Bund bzw. Sozialistischen Büro tätig, zu den Verfechtern der Ostermarsch-,
Antinotstands- und Antivietnamkriegsbewegung. Er setzte Hoffnungen in die
DKP, dann in die Grünen, die ihm als politische Faktoren erschienen,
um eine Richtungsänderung der SPD zu bewirken. Im Falle DKP veranlasste
ihn das zur Vorsicht beim Kommentieren von Vorgängen in den Ostblockländern.
Vergebens hoffte er auf Reformanstöße durch den XX. KPdSU-Parteitag
und eine Einigung linker Sozialisten der Bundesrepublik.
Seine Arbeit als Jurist, Politologe und Historiker, als Hochschullehrer in
Marburg und Dozent in Frankfurt/Main hatte wichtige, z. T. fortdauernde Ergebnisse.
Auf verfassungsrechtlichem Gebiet bestand er auf unbedingter Einhaltung insbesondere
des Sozialstaatsprinzips im Grundgesetz, bei dessen Wahrnehmung auch der
legale Übergang zur sozialistischen Gesellschaft möglich wäre,
wenn die Mehrheit dafür ist. Abendroth wandte sich gegen jede Aushöhlung
dieses und des antifaschistischen Verfassungsprinzips. Eben dies Festhalten
am Grundgesetz trug ihm im Westen Attacken wegen angeblicher Verfassungswidrigkeit
ein. Gleichzeitig wurde er von SED-Ideologen "antikommunistischer Vorbehalte"
und des "Trotzkismus" bezichtigt. DDR-Staatsrechtler Karl-Heinz Schöneburg
verwahrte sich gegen derartige Anwürfe und konnte seinen Artikel sogar
veröffentlichen. (S. 95) Wiederholt setzten sich auch in Westdeutschland
demokratisch gesinnte Wissenschaftler, Publikationsorgane und die meisten
Schüler für Abendroth ein. In der Adenauer-Ära war er der
einzige Marxist der BRD mit Lehrstuhl, blieb weitgehend isoliert und musste
sich, wie Oskar Negt konstatierte, als "Sozialist in dürftiger Zeit"
bewähren.
Auftrieb verschaffte ihm die 68er Bewegung mit ihren Vorläufern und
progressiven Folgeerscheinungen im Universitätswesen. Durch eigene Arbeiten
wie durch Betreuung der 74 Doktoranden trug er zur Wissens- und Horizonterweiterung
geistig aufgeschlossener junger Menschen bei. Unter ihm, dem "Partisanenprofessor",
behandelten seine Schüler wesentliche Fragen der Geschichte der Arbeiterbewegung,
so die linken Kleingruppen in der Weimarer Republik wie KPD(O), SAP und "Neu
Beginnen", die englische und italienische KP sowie den antifaschistischen
Arbeiterwiderstand, aber auch die Deutschnationale Volkspartei und die NSDAP,
die SS, rechts- und zeitungswissenschaftliche Probleme, solche der Frauenbewegung
und asiatischer Länder. Der Aufschwung von Politikwissenschaft und Soziologie
führte in den 70er Jahren dazu, dass 27 seiner Schüler Professoren
wurden – ein Vorgang, wie er momentan undenkbar wäre. Andere und z.
T. auch ihre Zöglinge brachten oder bringen als Lehrer, Gewerkschaftsfunktionäre
oder Publizisten Wissen unter die Leute, das sie bei ihm bzw. unter Anwendung
von ihm verfochtener marxistischer Methoden erlernten.
Zwar konnte sich keine regelrechte "Abendroth-Schule" bilden. Dies auch der
wegen der von ihm so genannten zweiten Restauration, die seit dem Ende des
"Realsozialismus" forciert wurde. Faktisch wäre die Schule auf Erneuerung
des Marxismus unter Wahrung der wichtigsten Traditionen ausgegangen.
Wissenschaftlicher Nachwuchs in Abendroths Fußtapfen hat derzeit keine
Chance. Von seinen Büchern ist nur eins im Handel erhältlich. Die
in Bibliotheken vorhandenen Schriften und das durch ihn herangebildete menschliche
Potential könnten es möglich machen, sein Erbe kritisch zu sichten,
zu pflegen und vielleicht einmal in größerem Umfang anzuwenden.
© Bruno Mander , Berlin 2002


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