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Beiträge zur Politik  






Hartmut Krauss

Postmodernismus und Islamismus. Grundmerkmale einer ideologischen Kumpanei.


Kritik an der spätbürgerlich-kapitalistischen ‚Moderne’ ist kein exklusives Projekt der ‚Linken’, also - in traditioneller Bedeutung - jener Kräfte, die für eine Zurückdrängung und schließliche Überwindung zwischenmenschlicher Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse eintreten. Die ‚Moderne’ bildet auch das herausragende Objekt der Ablehnung und Bekämpfung seitens diverser reaktionärer und ultrakonservativer Kräfte. Dabei geht es diesen im Wesentlichen nicht um die kapitalistischen Konstitutions- und zugleich Negationsmerkmale der ‚Moderne’, sondern um die aggressive Zurückweisung der Ideale, normativen Leitprinzipien und Institutionalisierungen der Aufklärung wie Menschenrechte, Trennung von Religion und Staat/Politik, Säkularisierung der Lebensverhältnisse und Rationalisierung der Bedeutungssysteme etc. Nicht die Selbstnegation der modernen Lebensideale wie Freiheit, Selbstbestimmung, Demokratie, Solidarität etc. durch die Entfaltung der kapitalistischen Profitlogik wird hier fokussiert, sondern die antitraditionalen, auf Überwindung prämoderner Herrschaftsbeziehungen abzielenden Inhalte der Aufklärungsideen werden unmittelbar desavouiert. Entsprechend lautet die Devise:

Radikale Ablehnung der ‚kulturellen Moderne’ bei gleichzeitiger Akzeptanz und Indienstnahme der ökonomischen, technischen und bürokratischen Modernität.


Als herausragende Kollektivsubjekte dieser reaktionär-antiemanzipatorischen Ablehnung und Bekämpfung der ‚kulturellen Moderne’ erweisen sich heute - in der Ära der postrealsozialistischen Globalisierung - religiös-fundamentalistische Bewegungen in allen Erdteilen, wobei die vielschichtige islamistische Entzündung der muslimischen Herrschaftskultur und die Machteroberung der evangelikalen Fundamentalisten in den USA besonders ins Gewicht fallen. Im Windschatten dieses fundamentalistischen Aufmarsches versucht auch der europäische Katholizismus ein gegenaufklärerisches Comeback. Gemeinsam ist diesen kulturübergreifenden Strömungen der Versuch der Wiedererlangung absolutistischer Deutungs- und Normierungsmacht sowie die Durchsetzung einer totalitären Kontrolle über die alltägliche Lebenspraxis der unterworfenen Menschen.


Diese reaktionär-fundamentalistische Rebellion gegen die ‚kulturelle Moderne’ stößt nun in Europa auf eine relativ schwache und fragile Abwehrfront, wofür insbesondere drei paralysierende Prozesse ausschlaggebend sind:

1) Die nahezu vollständige Entkoppelung der spätbürgerlichen Herrschaftselite von den Grundprinzipien der liberal-demokratischen Legitimationsideologie bei gleichzeitiger neoliberaler Fetischisierung der „Marktkräfte’ als gesellschaftliches Allheilmittel und oberstes Handlungsgebot. Diese marktradikale Reorganisation des herrschenden Denkens führt zunehmend zu einer ‚Ausscheidung’ und Marginalisierung demokratisch-emanzipatorischer Inhalte, Orientierungen, Stellungnahmen etc. im spätkapitalistischen Kulturbetrieb (Wissenschaft, Kunst, Literatur, Bildung, Medien).

2) Die Missdeutung des Zusammenbruchs des „realsozialistischen“ Gesellschaftsprojektes als Scheitern progressiv-emanzipatorischer Gesellschaftsveränderung schlechthin; darin eingeschlossenen die undifferenzierte Gleichsetzung der Theorie von Marx und Engels mit dem stalinistischen „Parteimarxismus“.

3) Die nahezu vollständige Verwirrung der Dialektik der kapitalistischen Moderne und die umfassende Denunzierung der emanzipatorischen Inhalte des europäischen Humanismus und der Aufklärung als intellektuelles „Leitklima“.



Dabei wirkt insbesondere der Gesamtdiskurs des Postmodernismus zugleich als geistig-kultureller Paralysator kritisch-emanzipatorischer Theorie und Praxis sowie als „ideologischer Bodyguard“ religiös-totalitärer Herrschaftsbewegungen. Im Folgenden wird dieses diskursive Zusammenspiel anhand der ideologischen Kumpanei zwischen Postmodernismus und Islamismus verdeutlicht.


Postmodernistisches Verwirrspiel und Andocken islamistischer Ideologie Teil 1: Zerrbild der Moderne durch Entsorgung der Kapitallogik und Dämonisierung der Aufklärung

Das, was unter dem Sammelbegriff „Postmoderne“ bzw. „postmodernes Denken“ firmiert, ist annäherungsweise als geistig-kulturelle Strömung bzw. als Artikulation einer weltanschaulichen „Stimmungslage“ zu fassen, die ihr Unbehagen ausdrückt gegenüber den klassischen Leitvorstellungen der Aufklärung bzw. der neuzeitlich-abendländischen Rationalität. Entsprechend gelten Wahrheit, Vernunft, Identität, Fortschritt, Emanzipation etc. sowie die sich darauf beziehenden „großen Erzählungen“ als unrettbar gescheitert und diskreditiert. Insbesondere die hier federführende französische Gegenwartsphilosophie richtet ihren „dekonstruktivistischen“ Affekt gegen sämtliche Denkfiguren, in denen „das Allgemeine“, „das Universelle“ oder „die Identität“ eine (vermeintlich) konstitutive Rolle spielt. Im Kern handelt es sich damit beim mainstream des „postmodernen Denkens“ um eine ideologische Abwehrreaktion auf die bürgerlich-kapitalistische Selbstnegation der „Moderne“. Nicht die verformende Logik der Kapitalverwertung, sondern die Emanzipationsideale der antifeudalen Revolutionsbewegung sollen verantwortlich sein für die Gebrechen der Moderne. Damit untergräbt das postmoderne Denken bereits im Ansatz ein adäquates Verständnis der sozialhistorischen Gewordenheit der Spätmoderne.

1) So ist die bürgerlich-kapitalistisch dominierte Moderne des 20. und frühen 21. Jahrhunderts - im Gegensatz zum reduktionistischen Grunddiskurs des „Postmodernismus“ - nicht als „linearer“ Ausfluß von Totalitätsdenken, Aufklärung, Vernunft und Emanzipation zu begreifen. Hervorstechendes Merkmal ist vielmehr die fatale Synthese von instrumenteller (profit- und herrschaftslogisch zugerichteter) Vernunft, antichristlichem Irrationalismus und/oder religiösem Fundamentalismus. Hochrüstung, kriegerischer Nationalismus, Rassenwahn, bürokratisch geplanter und verwalteter Massenmord, perfektionierter Hightech-Terrorismus etc. sind Ausdrucksformen dieser antihumanen Legierung. In der Tat hat der Faschismus das Geheimnis des fest etablierten und ‘enthumanisierten’ Kapitalismus ausgeplaudert: Die „arbeitsteilige“ Vereinbarkeit von Kapitallogik, irrationalistischer Herrschaftskultur und Desavouierung der bürgerlichen „Gründerideale“ im Interesse der Perfektionierung/Optimierung der antagonistischen Zivilisation.

Das Denken der Postmoderne „entdialektisiert“/“entwidersprüchlicht“ demgegenüber die historische Etablierung der „modernen“ bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation und konfundiert vor diesem ideologisch geglätteten Hintergrund bürgerliche Aufstiegsideologie, kapitalistische Legitimationsideologie und sozialistische Emanzipationsideologie (ganz zu schweigen von der Reflexion unterschiedlicher Marxismen) zu einem als „prinzipiell gleichförmig“ unterstellten „modernen Denken“. Sein kognitiver Modus ist die spektakulär vorgetragene einfache Verkehrung des Negierten in sein blankes Gegenteil: Differenz statt Universalität; Dissens statt Konsens; Subjektdefätismus statt Subjektriumphalismus; absolute Bedeutungskontingenz statt absoluter Wahrheit etc. Zudem weist das postmoderne Denken zwei fundamentale Ausblendungen auf: Zum einen übersieht es die intensive Verflechtung der technisch-industriekapitalistischen und bürokratischen „Moderne“ mit der kulturellen „Prä-Moderne“ (preußisch-kriegerischer bzw. zaristisch-despotischer Traditionalismus), die das eigentliche Signum der Katastrophen des 20. Jahrhunderts darstellt1.

2) Wenn Lyotard (1986, S.122) behauptet: „Die Sehnsucht nach der verlorenen Erzählung ist für den Großteil der Menschen selbst verloren“, dann unterliegt er einem grandiosen Irrtum. Angesichts der „neuen Zerrissenheit“, „Unübersichtlichkeit“ und sozialen Gegensätzlichkeit/Krisenhaftigkeit im postfordistischen Kapitalismus wächst vielmehr die Suche nach der Rekonstituierung von ganzheitlichem (Lebens-)Sinn. So kehren, wie Burger (1993, S.470) zutreffend festgestellt hat, „die vielen großen Erzählungen gerade wieder, und zwar in ihrer primitivsten, narrativ konstruierten Form als Erzählungen der nationalen, der ethnischen, ja der rassischen Identitäten. Das ist die unangenehme Wahrheit der postmodernen Pluralität. Allen diesen Identitäten ist gemeinsam, daß sie über die Pathetisierung von Differenzen laufen und daß sie konstruierte Geschichten erzählen, welche abstrakte politische Gebilde und gesellschaftliche Strukturen künstlich substantialisieren; daß sie über Ausgrenzungen Gesellschaften in Gemeinschaften uminterpretieren.“ Insbesondere die kulturübergreifende Wiederkehr fundamentalistisch ausgelegter bzw. „erzählter“ Offenbarungsreligionen ist hier von zentraler Bedeutung.

3) Auch der „Postmodernismus“, der Nietzsches Erbe angetreten hat (vgl. z.B. Rippel 1988, ), basiert letztlich auf einer „falschen Erzählung“: Er kapriziert sich auf Reversibles/“Zurücknehmbares“ in der realgeschichtlichen Entwicklung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft (Aufklärungsdenken; Emanzipationsversprechen; humanistische Orientierungen) und ignoriert das Irreversible, Wesentliche, Strukturbestimmende der Moderne - die Logik der Kapitalverwertung als durchwirkendes Prinzip. Nicht die „Vernunft an sich“ bildet nämlich nach dem „Tod Gottes“ das neue Integrationsmedium, sondern die entfesselte multiple Dynamik des „sich-selbst-verwertenden-Werts“ mit ihrer unwiderstehlichen (stummen) Prägekraft für das posttraditionelle Verhalten der Menschen. Zwar entsteht und verbleibt tatsächlich ein geistiges Vakuum („moderne“ Sinnkrise), aber dieses wird beständig durch einen antiemanzipatorisch- „gegenaufklärerischen“ Pluralismus (Koexistenz von bürgerlichen Ideologieformen, neuen und alten Irrationalismen) kompensatorisch ausgefüllt. Aus dieser fundamentalen Ausblendung resultiert sowohl die überzogene Maßlosigkeit und Beliebigkeit als auch der apologetische Effekt der „postmodernen Ideologie“. Exemplarisch manifestiert sich dieses grundlegende Defizit in Lyotards linear-mechanistischer „Ableitung“ des „Phänomens Auschwitz“ aus dem „Aufklärungsdenken“: „Mir scheint es tatsächlich unmöglich, so weiterzudenken ... so zu tun, als könne eine Art Aufklärungskonzept ... einfach fortgesetzt werden. Ich meine, daß jede Philosophie, die den Emanzipationsgedanken ohne Vorbehalte aufnimmt, die Augen vor dem Wesentlichen verschließt: vor der Niederlage dieses Programms ... Es handelt sich keineswegs darum, daß Fortschritt nicht stattgefunden hat, sondern im Gegenteil, daß die wissenschaftlich-technische, künstlerische, ökonomische und politische Entwicklung die totalen Kriege, den Totalitarismus, das wachsende Nord-Süd-Gefälle, die Arbeitslosigkeitund die neue Armut, den kulturellen Abbau mit der Krise des Bildungssystems möglich gemacht hat. Brutal gesprochen möchte ich sagen, daß ein Wort das Ende des modernen Vernunftideals ausdrückt, das ist: Auschwitz (Lyotard 1987, S. 96f; zit.n. Steigerwald 1994, S.297).

Hier treten nun folgende „postmoderne“ Irrtümer gebündelt in Erscheinung:

a) Ins Auge sticht die Aufzählung wesentlicher Krisen- und Verfallserscheinungen der bürgerlich-kapitalistischen Formation bei gleichzeitiger vollständiger Ent-nennung der zugrundeliegenden kapitalismusspezifischen Verursachungs- und Vermittlungszusammenhänge.

b) Anstatt den radikalen Bruch zwischen der bürgerlichen Aufklärung in der antifeudal-revolutionären Aufstiegsphase und der instrumentalistischen „Schleifung“ dieses Konzepts durch die etablierte Bourgeoisie auch nur ansatzweise zu reflektieren, werden die Aufklärung und das Vernunftsideal pauschal und undifferenziert diffamiert. So wird auch die Möglichkeit der Herauslösung der modernen Wissenschaften aus dem Gehäuse der Profit- und Herrschaftslogik von vornherein verdrängt.

c) Nicht der „realgesellschaftliche“ Verrat der Emanzipationsintention, sondern die Emanzipationsabsicht selbst wird als „Verderbnis“ denunziert. Auf diese Weise wird das Klasseninteresse der herrschenden Bourgeoisie als deformierender Faktor ausgeblendet.

d) In verfälschender Weise wird schließlich die funktionale Einverleibung irrationalistischer Konzepte (Nationalismus, Rassismus, Faschismus, „prämoderne“ Glaubens- und Wertorientierungen) in die bürgerlich-kapitalistische Herrschaftsreproduktion ausgeklammert. Damit gerät aber die verheimlichte Seite des Postmodernismus ins Blickfeld: Die indirekte Verteidigung/Verharmlosung von totalitären Bewegungen und Irrationalismen.


Auch der islamistische Haß auf die westliche Moderne ist nicht deren kapitalistischen Grundstrukturen geschuldet, sondern bezieht sich in konsensualer Eintracht mit der postmodernen Aufklärungskritik auf ihre rational-säkulare Konstitution. So bildet die Bekämpfung der Grundprinzipien der ‚kulturellen Moderne‘ den substanziellen Kern der islamisch-fundamentalistischen. Ideologie. Die Betonung der autonomen Subjektqualität der vergesellschafteten Individuen als vernunftbegabte Selbstgestalter ihres eigenen Lebensprozesses und die sich darin gründende Schöpferkraft, Selbstverantwortung und Würde des Menschen (als Gattung und Individuum) wird als dekadenter Unglaube und Ursache allen Übels denunziert und statt dessen auf der theozentrischen Setzung Gottes als allmächtiger Schöpfer, Gestalter und Richter des Weltgeschehens beharrt. Militant-aggressive Verteidigung/Reinstallierung von „Gottesherrschaft“, religiösem Gesetzesmonismus (Schari’a) und absolutistisch-herrschaftlichem Kollektivdenken richtet sich vehement und unversöhnlich gegen anthropozentrischen Humanismus, demokratischen Pluralismus und individuelle Menschenrechte. Vor diesem geistig-normativen Hintergrund weist der islamische Fundamentalismus als soziale Bewegung, die auf die regressive Perfektionierung und Radikalisierung eines kulturspezifischen Herrschaftssystems ausgerichtet ist, ausgeprägt totalitäre Züge auf. Hervorstechend ist hier zunächst sein absolutistischer, d. h. transhistorische sowie transkulturelle Gültigkeit fordernder Geltungsanspruch. So besagt die Ende der 30er Jahre formulierte Doktrin der ‚Muslimbrüder‘2 folgendes: „Der Islam ist ein vollständig auf sich selbst beruhendes, totales System, das auf dem Koran und der Sunna (dem Vorbild des Propheten Muhammad) basiert und zu jeder Zeit und an jedem Ort anwendbar ist“ (Heine 1992, S. 27). Die im Koran niedergelegte göttliche Offenbarung mit ihren kanonisierten Gesetzesvorschriften und Regeln fundiert somit einen universalen religiös-gesetzesethischen Monismus, der kulturellen, politischen und weltanschaulich-moralischen Pluralismus sowie Gewaltenteilung grundsätzlich ausschließt. Es wird explizit der Anspruch erhoben, „daß prinzipiell alle Beziehungen zwischen den Menschen auf koranischer Grundlage geregelt werden könnten“ (Riesebrodt 1990, S. 173). Gemäß diesem absoluten Geltungsanspruch wird als gesellschaftlich-politisches Ordnungsziel in Gestalt der ‚Islamischen Republik‘ eine ‚theokratische‘ Herrschaft des göttlichen Gesetzes anvisiert, das als allgemeinverbindliche Richtschnur dienen soll. Die islamischen Grundsätze werden somit zur exklusiven Strukturierungs- und Regulierungsgrundlage sämtlicher Gesellschaftsbereiche erhoben, der sich die vergesellschafteten Individuen ausnahmslos zu unterwerfen haben. Zwar existiert z. B. im Iran keine zentralistische Einheitspartei und es finden Wahlen und Volksbefragungen statt, aber hierbei handelt es sich um eine formale und untergeordnete Staffage im Rahmen der elitären Herrschaft der islamischen Rechtsgelehrten3. „Da sie allein legitime Stellvertreter des verborgenen Imam seien und nur sie über das Wissen zur Interpretation des göttlichen Gesetzes verfügten, könnten auch nur sie entscheiden, welche weltlichen Gesetzesvorhaben mit dem göttlichen Gesetz vereinbar sind und welche Kandidaten für politische Ämter zugelassen werden dürfen. Insofern kann man hier ... von einem hierokratisch kontrollierten Republikanismus mit plebiszitären Elementen (sprechen)“ (ebenda, S. 173f.). Generelles Kennzeichen des islamischen Fundamentalismus ist somit die Ersetzung von ‚Volkssouveränität‘ durch ‚Gottessouveränität‘ vermittels der vormundschaftlichen Herrschaftsausübung von ‚Gottesgelehrten‘. „Sayyid Qutbs Aufruf an die Muslime zum Kampf gegen die Volkssouveränität als eine ‚Ta’til Hukm Allah/Aussetzung der Herrschaft Gottes‘ gehört heute in der Welt des Islam - wie einst der Marxsche Aufruf ‚Proletarier aller Länder vereinigt Euch‘ im westlichen Europa - zu den Präambeln politischer Programme fundamentalistischer Bewegungen“ (Tibi 1996, S. 356f.).



Postmodernistisches Verwirrspiel und Andocken islamistischer Ideologie Teil 2: Die Konvergenz von Subjektdefätismus und Gottesknechtschaft

Im ‚triumphalistischen ’ Subjektmodell des aufstrebenden Bürgertums wird das isolierte (atomistische) Individuum als vereinzelter Einzelner bespiegelt, das aus seiner sozialen Einbettung in das gesellschaftliche Beziehungsensemble herausgelöst wird und der objektiven Umwelt als selbstgewisser und souveräner Beherrscher gegenübertritt. Bei Descartes, der als der primäre Konstrukteur des „modernen“ Subjekts angesehen wird, lassen sich folgende konzeptionellen Beschaffenheitsmerkmale hervorheben:

1) Ausgehend von seiner dualistischen Aufspaltung der Realität in res cogitans (Ideelles) und res extensa (Materielles) trennt Descartes das „vernünftige Ich“ von seinem eigenen Körper. Das Ego, das gesichertes Wissen als Voraussetzung von Umweltbeherrschung erlangen will, muß sich von seinen Gefühlen distanzieren und seine Leidenschaften kontrollieren. Der unentrinnbare Preis, den das Subjekt für seine Erkenntnisgewinnung zu zahlen hat, ist folglich die Selbstdisziplin. Dieser Prozeß der Selbstdiziplinierung findet seine äußere Entsprechung (wenn nicht Anregung) in der zeitgenössischen Zentralisierung der „absoluten Macht“ des Königs.

2) Das mit dem Paradigma des absolutistischen Herrschers korrespondierende „souveräne“ Subjekt imponiert als autonomer, von seinen sozialen Einbindungen und mit-menschlichen Bezügen abgekoppelter vereinzelter Einzelner/Egozentriker. Indem er die eigene Seele als Fundament des wahren Wissens auszeichnete, gelangte Descartes zu dem Schluß, „daß mehr als eine Seele (wenigstens auf einmal) die Wahrheit oder Güte des Wissens verderben müßte. Seiner Meinung nach hatte die ‘einfache Rationalität’ eines Mannes mit ‘gesundem Menschenverstand’, der alleine arbeite,’ vorzüglichere’ und ‘solidere’ Ergebnisse zu bieten, als die kollektiven, angehäuften Meinungen aller Wissenschaftler“ (Tolman 1994, S.98).

3) Das seine Emotionalität und (körperlich verankerte) Leidenschaftlichkeit abspaltende und kontrollierende autonome Vernunft-Subjekt, das seiner Umwelt als souvräner Beherrscher gegenübertritt, verdrängt und desartikuliert die ihm innewohnende Selbstwidersprüchlichkeit: die Gewinnung von Identität wird nicht als problematischer Prozeß begriffen, sondern gerät zur selbst-verständlichen Voraussetzung. „Selbsttransparenz“ scheint ihm untrennbar anzuhaften.

Auf dieses triumphalistische Modell des modernen Subjekts reagiert der Postmodernismus in radikal-gegensätzlicher Form mit seinem defätistischen Modell der Dekonstruktion: Hier wird in einfacher Negation der einzelne Mensch als den Umständen ausgeliefertes, schicksalbestimmtes, inkohärentes, selbstungewisses und diffuses Wesen ausgegeben – unfähig zur Emanzipation und ‚Entfremdungsdurchbrechung’ - bloßer „Treibsand der Geschichte“. Der inneren Einheitlichkeit und Widerspruchsfreiheit wird die prinzipielle Widersprüchlichkeit/Uneinheitlichkeit und Fragilität als überhistorischer Grundzug der menschlichen Subjektivität einfach entgegengesetzt. Es wird nicht gezeigt, durch welche konkret-historischen Widerspruchskonstellationen hindurch „geronnene“ Subjektformen wieder „flüssig“ werden und wie das Subjekt den Formwandel vollzieht. Dabei wird zugleich die formationslogisch determinierte Funktionalität bestimmter „Charaktermerkmale“ des „modernen Subjekts“ verkannt. „Ich-Eingeschlossenheit“, Verdrängung von „Schwäche“ und kontrastierende Hervorkehrung von „Stärke“ im formalen Verhalten, „rationale“ Bändigung von emotionalen und affektiven „Störvariablen“ etc. sind im Rahmen der alltäglichen bürgerlich-kapitalistischen Tätigkeitsstrukturen und Verkehrsformen funktionale („notwendige“) Aspekte der subjektiven Handlungsfähigkeit und können nicht einfach voluntaristisch „ausgeschaltet“ werden. Im Kern wird mit der „Fragilitätsthese“ nur ein ontologisches „Gegenpostulat“ aufgestellt, das dann mit diversen theoretischen Versatzstücken (z.B. biologistisch-sexualistische Konzeptionen des Unbewußten) plausibilisiert wird.

Indem der postmoderne Diskurs in verabsolutierender Einseitigkeit den einzelnen Menschen als zerfallendes, in Auflösung begriffenes, auf Unterwerfung fixiertes Wesen hypostasiert, befindet er sich in unmittelbarer Nähe zum orthodox-islamischen Menschenbild. Ja, im Grunde liefert der konservative Gesetzesislam die perfekte kulturell-normative Software für die Selbstdegradierung des Subjekts zu einem Unterworfenen. Denn in seinem absolutistischen Bedeutungsrahmen erscheint das Individuum als gehorsampflichtiger, auf Hingabe fixierter Gottesknecht, dem eine selbstbestimmte Handlungsautonomie im Rahmen des konkret-historisch gegebenen Möglichkeitsfeldes strikt abgesprochen wird. Seinen institutionellen Bewährungsort findet dieser nachhaltig entsubjektivierte Gläubige in der Moschee (Masdschid), dem „Ort der Niederwerfung“, während er seine habituelle Durchformung und Zurichtung immer wieder in der muslimischen Gebetshaltung realisiert. Sofern das ‚entindividuierte’ Mitglied der muslimischen Gemeinschaft der Rechtgläubigen (umma) sich dem Zwangskatalog des islamischen Vorschriftenregisters verweigert und sich anschickt, seine zugewiesene Rolle als „Gottunterworfener“ in Frage zu stellen bzw. auch nur zu lockern, bringt es den alltagsterroristischen Sanktionsapparat der schariatischen Überwachungs- und Kontrollgesellschaft gegen sich auf und riskiert drakonische Strafen.


Die Bezeugung der Gottesknechtschaft im sich periodisch wiederholenden Akt der Niederwerfung ist aber nur die eine Seite der muslimischen Subjektivität (der Teil des ‚Unterworfenseins’). Die andere, weltlich-repressive, ist damit untrennbar verknüpft. So fungiert nämlich die rituell bekundete und normativ praktizierte Gottesunterworfenheit zugleich als Legitimationsgrundlage für die Ausübung von Herrschaft gegenüber ‚den Anderen’ (der Teil des Bestimmenden): Wer sich Gott pflichtgemäß unterwirft ist bestimmungs- und herrschaftsberechtigt gegenüber dem ‚pflichtuntreuen’ Teil der Menschheit. Die spezifische Ambivalenz des islamischen Subjekts erscheint demnach als dialektische Verbindung von Gottesknechtschaft (Unterworfenheit) und Befehlsanspruch (Herrschaftsanmaßung). So setzt sich der Islam in seiner Selbstbespiegelung als letztgültige und damit einzig wahre Religion. Während in der Nachfolge von Abraham Moses als Überbringer der Thora und Jesus als Überbringer des Evangeliums aufgetreten sind, ist der nach ihnen kommende Prophet Mohammed als Überbringer des Koran dadurch ausgezeichnet, daß er als letzter die endgültige, umfassende, einzig wahre und vollendete Offenbarung von Allah empfing und somit Geltung als „Siegel der Propheten“ beansprucht. Demnach hat sich Gott vermittels Mohammed im Koran abschließend und kategorisch geoffenbart. Daraus wird dann der herrschaftliche Geltungsanspruch des Islam als der einzig „wahren“ und überlegenen Religion abgeleitet und mit der religiösen Pflicht zur Islamisierung verbunden, also der weltweiten missionarischen Verbreitung/Durchsetzung des Islam. Diese Idee des ‚Taghallub‘, die gleichermaßen Dominanz und Überlegenheit bedeutet, bildet die zentrale Basis der islamischen Weltanschauung. Folgerichtig akzeptiert das islamische Glaubensbekenntnis auch keine interkulturelle Gleichberechtigung, sondern impliziert die Forderung nach Unterordnung/Unterwerfung der Anders- und Nichtgläubigen. Entsprechend kann der siegreiche Islam Minderheiten oder generell „die Anderen“ nur im Zustand des Erniedrigtseins und der Unterwürfigkeit dulden. Dieser Dominanzanspruch hat noch „nichts mit Fundamentalismus zu tun, sondern (er) ist Inhalt der orthodoxen Doktrin von der Verbreitung des Islam, das heißt der Islamisierung, zu der die Hidjra, also die Migration gehört“ (Tibi 2002, S.267).

Der Selbstsicht des Islam als einzig wahre und überlegene Religion, die bereits im dogmatischen Grundansatz antipluralistisch ist und eine gleichberechtigte Koexistenz und Kommunikation mit Anders- und Nichtgläubigen ausschließt, findet ihre ‚organische‘ Entsprechung in der Glorifizierung der Umma, der Gemeinschaft aller gläubigen Muslime, als beste aller menschlichen Gemeinschaften. So heißt es in Sure 3, Vers 110 des Koran: „Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen erstand. Ihr heißet, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah“. Ausgestattet mit einem solchermaßen religiös-narzißtisch konstituierten Selbstbild sieht sich der konservative Mehrheits-Islam dazu berechtigt und verpflichtet, alles ‚Unislamische‘ zu bekämpfen und seinen Herrschaftsanspruch gegenüber den unterlegenen und minderwertigen ‚Ungläubigen‘ durchzusetzen. Dabei ist diese herrschaftliche Abgrenzung und Selbstaufwertung der Umma gegenüber der Masse der Anders- und Nichtgläubigen nicht etwa ein besonderes Merkmal des Islamismus, sondern gehört zum wesentlichen Kern des islamischen Weltanschauung. Im Zentrum dieser religiösen Herrschafts- und Ungleichheitsideologie steht der Begriff ‚Kufr‘: „Kufr steht für jede Religion, Weltanschauung, Gruppierung oder Glaubensgemeinschaft, die man nicht unter der Definition ‚Islam‘ einordnen kann - Kufr ist somit ein Sammelbegriff für jede nicht islam-konforme Lebensweise“ (Zaidan, zit. n. Zentrum Demokratische Kultur 2003, S. 95). Diese imperial ausgerichtete Bekämpfung des Kufr konkretisiert sich in der Erzeugung und Propagierung eines Feindbildes, das heute primär in der Verteufelung der ‚modernen‘ bzw. säkularen Gesellschaft erscheint. Als „verdorben“, „unrein“, „verwerflich“ etc. gilt alles, was nicht den konservativ interpretierten „göttlichen Gesetzen“ entspricht bzw. sich dem absolutistischen Geltungsanspruch des Gesetzes-Islam entzieht.


Postmodernistisches Verwirrspiel und Andocken islamistischer Ideologie Teil 3: Paralyse wissenschaftlicher Analysestandards und kritischer Urteilsmaßstäbe

Diese mit Zwang und Gewalt gepanzerte religiöse Subalternität, die zugleich totalitär-herrschaftssüchtig gegenüber allen Anders- und Nichtgläubigen auftritt, wird vom postmodernen Denken zur ‚Differenz’ bzw. Andersheit verkleinert, verharmlost und entwichtigt. Immunisierung gegenüber Kritik erweist sich hier als präventive Apologetik. Voraussetzung dafür ist die Suspendierung kritisch-wissenschaftlicher, Analyse-, Bewertungs- und Urteilsprinzipien. Nur auf diese Weise kann letztlich die pauschale Dämonisierung der Moderne und die Verdrängung des absolutistisch-repressiven Geistes der Prämoderne als generierende Basis des postmodernistischen Verwirrspiels den Anschein der Legitimität wahren.

An Stelle einer seriösen Reflexion über die konzeptionellen Standards und Geltungsansprüche sowie die Möglichkeiten, Grenzen/Verantwortlichkeiten und Not-Wendigkeitspotentiale ‚moderner‘ Wissenschaft frönt das postmoderne Wissenschaftsverständnis mit einer scheinbar subversiv-anarchischen Attitüde dem Dogma der Beliebigkeit bzw. des verabsolutierten Relativismus. Gedacht als „Entzauberung der Entzauberung“ zielt der postmodernistische Angriff nicht einfach auf die sinnbezogene und funktionale Relativierung der wissenschaftlichen Leistungskraft, sondern auf die Aushebelung der binären Unterscheidung/Unterscheidbarkeit von wahr und falsch als Grundlage des wissenschaftlichen Kommunikationsprozesses. „Wissenschaft besitzt von nun an keine höhere Wahrheitsgewähr als zum Beispiel das Kartenlegen, die Zahlenmystik oder die Schlagzeilen der Boulevardpresse. ... Ob man sein Wissen aus wissenschaftlichen Untersuchungen, Kneipengesprächen oder Horoskopen zieht, wird somit zu einer Frage des subjektiven Geschmacks bzw. der persönlichen traditionalen Vorlieben“ (Schmidt-Salomon 1999, S. 347). Vermittels dieser Entspezifizierung der Wissenschaft und dem damit korrespondierenden „Verlust der Wahrheit“ als Leitwert, wird nicht nur das erkenntnisinteressierte Subjekt a priori desavouiert, sonder zugleich esoterischer Obskurantismus unterschiedlichster Spielart als „gleichberechtigt“ inthronisiert.

Als undifferenziert-regressive Reaktion auf unterschiedliche Spielarten eines deterministischen Fortschrittsglaubens (Technologischer Optimismus, Hegelianismus, mechanistischer Parteimarxismus) artikuliert und mobilisiert das postmoderne Denken einen aggressiven/pauschaldenunziatorischen „Affekt gegen das Allgemeine“ (Honneth). Nicht nur, daß aufgrund der Nichterfüllung der fortschrittsdeterministischen Verheißungen auf die prinzipielle Aussichtslosigkeit praktisch-kritischer Wirklichkeitsveränderung „kurzgeschlossen“ wird, sondern darüberhinaus wird das gesamte Konstitutionsensemble der ‚kritischen Vernunft‘, d. h. die kognitiven Funktionsmomente begreifenden Denkens als Prämisse emanzipatorischer Praxis zur Wurzel aller „modernen“ Übel erklärt . Die Weigerung bzw. das Unvermögen, zwischen instrumenteller und kritischer Vernunft zu unterscheiden, führt im postmodernen Denken zur Tabuisierung, ja Verteufelung des Denkens von Zusammenhängen, der Aufschlüsselung des Verhältnisses von Einzelnem, Besonderem und Allgemeinem sowie der Vermittlung von Analyse und Synthese. Der erklärte Feind des postmodernistischen Beliebigkeitsdogmas ist somit das begreifende Erkennen als begriffliche Analyse der Entstehungsursachen, Entwicklungszusammenhänge und konstitutiven Beschaffenheitsmerkmale von Realitätsstrukturen. Nicht etwa nur die fortschrittsdeterministischen Zukunftsentwürfe, sondern generell jedwede nichtsingulären theoretischen Erkenntnisabsichten, noch dazu in Verbindung mit einem kritisch-emanzipatorischen Interesse, werden in das „Schmähbild“ der „Großen Erzählungen“ hineingezogen und entsprechend abgewehrt.

Die Kehrseite des postmodernen „Affekts gegen das Allgemeine“ bildet die Fetischisierung des Einzelnen und der damit korrespondierende Kult der Differenz. Die als „methodischer Individualismus“ zum Prinzip erhobene „Zerschneidung“ der Interdependenz von Einzelnem, Besonderem und Allgemeinem verengt den Erkenntnisprozeß von vornherein auf die Erfassung des unvermittelt Singulären, das nur noch in seiner isolierten Einzigartigkeit betrachtet werden darf, würde doch bereits die Einnahme eines vergleichenden, kategorial-methodisch unterlegten Analyseblickwinkels sofort den Verdacht „vergewaltigender Identitätszerstörung“ nach sich ziehen4. Damit wird einer verzerrten Ontologie Vorschub geleistet, in der nur noch das lediglich singulär beschreib-, aber nicht mehr hinterfragbare ‚Unvergleichlich-Heterogene‘ existiert. Die Behauptung der ‚Inkommensurabilität‘ und damit letztendlich unantastbaren Fundamentalität der „Differenz“ löscht nicht nur die progressiv-kritische Bedeutung von Vergleichs- und Bewertungsmaßstäben aus, sondern bewirkt eine Immunisierung herrschaftsförmiger, auf Herrschaftserhalt bzw. Herrschaftseroberung bedachter Partikularismen (Bewegungen, Parteien, Nationen, Ethnien, Religionen etc.) gegenüber in Frage stellender und wertender Kritik. Nicht zuletzt auf diese Weise fungiert das postmoderne Denken als „methodologischer“ Verharmloser und tendenzieller Apologet totalitärer/fundamentalistischer Gegenwartsbewegungen. Ein unmittelbar aufschlussreiches Beispiel hierfür lieferte der Meisterdenker des pseudolinken Postmodernismus, Michel Foucault, mit seiner expliziten Bewunderung für den totalitär-fundamentalistischen Umsturz im Iran. In undistanzierter Apologie schrieb er: „ Im Iran bestimmt der Kalender die Termine der Politik. Am 2. Dezember beginnen die Feierlichkeiten des Trauermonats Moharram, mit denen man an den Tod des Imam Hussein erinnert. Es handelt sich um ein großes Bußritual (noch vor kurzem sah man Geißlerprozessionen). Doch das Gefühl der Schuld, das an das Christentum erinnern könnte, ist hier unlösbar mit der Verherrlichung des für eine gerechte Sache erlittenen Martyriums verknüpft. In dieser Zeit sind die Massen bereit, im Rausch des Opfermuts den Tod auf sich zu nehmen. Das schiitische Volk gibt sich den Extremen hin.“ Kunstreich (2004, S.40) urteilt über dieses Hohelied auf den schiitischen Totalitarismus: „Hätte Foucault Filme gedreht, er hätte die Riefenstahl der islamischen Revolution und des Ayatollah Khomeini werden können.“


Ein zentraler Umwälzungsaspekt des Aufklärungsdenkens ist die Idee des ‚freien‘ Individuums. Nach dieser Auffassung verfügen die individuell-konkreten Menschen als ‚Gattungsindividuen‘ unabhängig von ihren jeweiligen sozialen und kulturellen „Einbettungen“ über das ‚artspezifische‘ Vermögen, sich ihres „Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“ (Kant). Im Lichte dieser ‚allgemeinmenschlichen‘ Fähigkeit zur Mündigkeit (d. h. Tradiertes kritisch zu reflektieren)5 werden die überlieferten Gemeinschaftsformen (Sippe, Stamm, Kaste, Stand, Religionszugehörigkeit etc.) nicht mehr als zwangsdeterministische Gebilde aufgefaßt, die den Menschen eine unwandelbare und nichttranszendierbare Identität auferlegen. Dem individuellen Subjekt wird vielmehr die Kompetenz und das Recht zuerkannt, sich vom Tradierten (Althergebrachten, Gewohntem) zu distanzieren, die unmittelbar-zufälligen sozialen Bindungen, Standesgrenzen und Glaubenszugehörigkeiten zu überschreiten und seine Identität - im Rahmen des konkret-historisch limitierten Raumes alternativer Wahlmöglichkeiten - ‚frei‘ zu gestalten.


Die Idee des ‚freien‘ Individuums setzt wiederum die Vorstellung einer ‚einzigen Menschheit‘ voraus6. Zwar unterscheiden sich demnach die konkret-empirischen Individuen in ihrer personalen Einzigartigkeit, ihren soziokulturellen Bezügen, reproduktiven Besonderheiten, spezifischen Lebensführungspraxen etc., aber sie sind zugleich ‚vereint‘ in gemeinsamen Dispositionen, Bedürfnissen, Fähigkeitsstrukturen und Interessen. Folglich gibt es nicht nur Besonderes, Einzelnes und Differentes im zwischenmenschlichen und interkulturellen Verkehr, sondern gleichzeitig immer auch Allgemeines, ‚Übergreifendes‘ und Gemeinsames als Basis reziproker Kooperation, Verständigung und Perspektivenverschränkung. Nur weil ein bedeutungshaftes ‚gemeinsames Drittes‘ in Gestalt von intersubjektiv geteilten Erkenntnissen, Werturteilen, Normen, Erfahrungen etc. existiert, kann zivilisiertes menschlich-interkulturelles Zusammenleben als tätige Begegnung von Gleichberechtigten gedeihen7.


Die Ideen des ‚freien Individuums, der ‚einzigen Menschheit‘ und der Menschenrechte als Kernaspekte der Aufklärung sind nun im konkret-historischen Entfaltungsprozeß der bürgerlich-kapitalistischen ‚Moderne‘ in Form von Klassenpolarisierung, Neopatriarchalismus und Kolonialismus nachhaltig negiert und beschädigt worden. So wurde die Idee des ‚freien‘ Individuums auf das Konzept des männlichen egoistisch-utilitaristischen Konkurrenzsubjekts „zurückgeschnitten“; die ‚einzige Menschheit‘ zerfiel in den Gegensatz zwischen Kolonialherren und kolonisierten Knechten; die Menschenrechte wurden durch Imperialismus, Rassismus, Chauvinismus und Militarismus zerfetzt. Auf diese Weise verkam die frühbürgerliche Fortschrittsideologie zur ethnozentristischen Rechtfertigungsideologie kolonialistischer Eroberung, Ausbeutung und Unterdrückung, wobei Andersartigkeit und Fremdheit a prori als Minderwertigkeit kogniziert und bewertet wurde.

Diese herrschaftspraktische Demontage der im Aufklärungsdenken manifest gewordenen ‚Leitkultur‘ des säkularen Humanismus provozierte nun einen ‚edlen Verrat‘ in Gestalt eines einfach-negatorischen Übergangs vom imperialistisch zerschundenen „Aufklärungshumanismus“ zum abstrakten Antihumanismus und Kulturrelativismus: Um den westlich-kapitalistischen Kolonialismus zu delegitimieren, der die Unterdrückung nichtwestlicher (fremder) Völker selbstgefällig als „zivilisatorische Notwendigkeit“ rationalisiert hatte, wurde jetzt im Rahmen der strukturalistischen ‚Philosophie der Entkolonialisierung‘ die Idee der ‚einzigen Menschheit‘ verworfen und durch das Dogma der kriterienlosen Gleichsetzung der Kulturen ersetzt. An die Stelle zivilisationsideologischer Herrschaftsanmaßung trat nicht die kritische Reaktivierung der emanzipatorischen Gehalte der Aufklärung, sondern das Credo kultureller Gleichmacherei. Während man das Konzept der ‚einzigen Menschheit‘ in den „Plural der Kulturen“ auflöste, wurde zugleich das humanistische Grundprinzip preisgegeben, „demzufolge der Mensch ein (potentiell, H. K.) vernunftbegabtes und moralisches Wesen ist, bevor er in diese oder jene Sprache eingepfercht wird, Angehöriger dieser oder jener Rasse, Mitglied dieser oder jener Kultur ist“ (Renan, zit. n. Finkielkraut 1989, S. 40). Das durchaus edle Ursprungsmotiv, angesichts der kolonialistischen Expansions- und Unterdrückungsorgien der kapitalistisch gewordenen ‚Moderne‘ den Fremden zu rehabilitieren und den westlich-kapitalistischen Überlegenheitsanspruch zu dekonstruieren, wurde genau an der Stelle zu einem „Fressen der Reaktion“, wo der herrschaftliche Ethnozentrismus als linearer Ausdruck der Aufklärung und nicht als Verrat an deren Emanzipationsidealen begriffen wurde. Damit wurde leichtfertig das kritisch-humanistische Konzept des ‚freien‘ Gattungsindividuums verworfen und mit der Verbannung des Universellen auch die Möglichkeit und Notwendigkeit der Geltung von allgemeinen/kulturübergreifenden Regeln desavouiert bzw. pauschal als „Fremdherrschaft“ diffamiert. Andere/fremde Kulturen wurden jetzt nicht mehr - wie im kolonialistischen Diskurs - als „minderwertig“ angesehen, sondern als homogene Ganzheiten stilisiert, die in ihrer angeblich unzugänglichen ‚Differenzialität‘ a priori als ‚legitim‘ zu akzeptieren seien. Berechtigte Kritik am westlichen Kolonialismus/Ethnozentrismus schlug somit um in das intellektuelle Verbot, fremde Kulturen herrschaftskritisch zu analysieren und zu bewerten. Unter dem konzeptionellen Deckmantel der ‚kulturellen Identität‘, die zugleich ‚nichtwestlichen‘ Traditionalismus tabuisiert und das ‚fremde‘ Individuum zum passiven Schicksalsobjekt unmittelbar vorgegebener Einflüsse degradiert, wird nicht nur die ‚andersartige‘ Kultur kritischer Reflexion entzogen, sondern der Fremde entsubjektiviert bzw. kulturalistisch verdinglicht. Indem man nämlich den Anderen/Fremden auf seine kulturelle Herkunft festlegt, eliminiert man von vornherein die subjektive Möglichkeit des ‚Bruchs‘, d. h. man nimmt ihm seine Freiheit: „sein Eigenname verschwindet im Namen seiner Gemeinschaft, er ist nur noch ein Muster, der austauschbare Repräsentant einer bestimmten Klasse von Menschen. Unter dem Vorwand, ihn bedingungslos anzunehmen, verbaut man ihm jede Bewegungsfreiheit, jeden Ausweg, verbietet man ihm die Eigenständigkeit, lockt man ihn hinterhältig in die Falle seiner Andersartigkeit“ (Finkielkraut 1989, S. 81).

Indem der kulturrelativistische Antikolonialismus die ‚befreiten‘ postkolonialen Nationalkulturen in ihrer eigenständigen/autochtonen Herrschaftsförmigkeit ausblendet bzw. hinter dem Schleier des Differenzfetischs verschwinden läßt, fällt er schließlich zurück auf das Niveau jener schon von Marx (1988b, S. 380) kritisierten historischen Rechtsschule8, „welche die Niederträchtigkeit von heute durch die Niederträchtigkeit von gestern legitimiert, eine Schule, die jeden Schrei des Leibeigenen gegen die Knute für rebellisch erklärt, sobald die Knute eine bejahrte, eine angestammte, eine historische Knute ist.“ Wie soll man sich nun zu einer Kultur verhalten, „wo man über Delinquenten körperliche Züchtigungen verhängt, wo die unfruchtbare Frau verstoßen und die Ehebrecherin mit dem Tode bestraft wird, wo die Aussage eines Mannes soviel wert ist wie die von zwei Frauen, wo eine Schwester nur Anspruch auf die Hälfte des Erbes hat, das ihrem Bruder zufällt, wo die Frauen beschnitten werden, wo die Mischehe verboten und die Polygamie erlaubt ist?“ (Finkielkraut 1989, S. 111). Darauf lautet die Antwort der Kulturrelativisten: „Die Nächstenliebe gebietet ausdrücklich die Achtung vor solchen Bräuchen. Der Leibeigene muß in den Genuß der Knute kommen können: ihm dies zu nehmen würde bedeuten, sein Innerstes zu verstümmeln, seine Menschenwürde zu verletzen, kurz, Rassismus an den Tag zu legen“ (ebenda).


Die von den „Meisterdenkern“ des Postmodernismus so variantenreich praktizierte Mißdeutung der Aufklärung als „Grundübel“ wirkt in Verbindung mit der kulturrelativistischen Ausblendung bzw. Tabuisierung der repressiv-antiemanzipatorischen Beschaffenheitsmerkmale und des barbarischen Potentials ‚prämoderner‘ (Herrschafts-)Kulturen in zweierlei Richtung: Zum einen schwächt diese negative Synergie nachhaltig die geistig-moralischen Widerstands- und Abwehrkräfte innerhalb der entwickelten kapitalistischen Länder gegenüber der sich aktuell verstärkenden Doppelbedrohung von „McWorld“ und „Dschihad“. Und zum anderen fungiert sie als unmittelbare geistige Bestärkung der sich weltweit ausbreitenden fundamentalistischen Ideologisierungsprozesse. So fällt es den diversen Fundamentalismen leicht, das (post-)strukturalistische, kulturrelativistische und postmoderne Ideengut in den eigenen Diskurs zu integrieren und apologetisch zu instrumentalisieren. „Man muß gesehen haben“, so Al-Azm (1996, S. 10), „wie die Sprecher und Vertreter repressiver Regime rund um den Erdball auf der Internationalen Menschenrechtskonferenz in Wien 1993 ganz unerwartet und überaus zynisch eine Haltung einnahmen, die aussah wie eine relativistische, postmoderne, avantgardistische und multikulturelle ‚Sensibilität‘ für Leben, Politik und Kultur, für die Menschenrechte, die Rechte der Frauen und die Unantastbarkeit kultureller Unterschiede. Doch mit ihrer neuen Argumentation versuchen diese Regime nur, jene charakteristischen Verletzungen von Menschenrechten zu legitimieren, die bei ihnen zu Hause praktiziert werden. Und das alles im Namen einer praktischerweise entdeckten Authentizität, im Namen von Nativismus, Partikularismus, kultureller Vielfalt, im Namen der Heiligkeit von Tradition, Sitte, und des Endes aller großen universalistischen Erzählungen!“


Bei näherer Betrachtung zeichnen sich insbesondere die folgenden diskursiven „Brückenschläge“ zwischen Postmodernismus/Kulturrelativismus und Fundamentalismus ab:

1) Die im postmodernen Denken zum Ausdruck gebrachte pauschale (d. h. die gesellschaftlich-historische Dialektik des bürgerlich-kapitalistischen Formationsprozesses ausblendende) Verdammung des Aufklärungsdenkens einschließlich des darin enthaltenen Übergangs vom theozentrischen zum anthropozentrischen Weltbild bestärkt unmittelbar das fundamentalistische Streben nach Wiedereinsetzung des Religiösen als absoluter Geltungs- und Normierungsmacht9. Neben der Denunzierung der Vernunft als emanzipatorische Gattungspotenz der Menschen munitioniert nicht zuletzt die antihumanistische Dekonstruktion des modernen Subjekts den fundamentalistischen Feldzug gegen die kulturelle ‚Moderne‘ bzw. den säkularen Humanismus. In diesem Kontext gerät vor allem die ‚moderne‘ Idee des ‚freien‘ Individuums als mit allgemeinmenschlichen Fähigkeiten ausgestatteter Gestalter seines Lebensprozesses ins Fadenkreuz des religiösen Totalitarismus. So heißt es in einem Manifest der ägyptischen ‚Dschihad‘-Gruppe von 1987: „Wir möchten dem modernen Heidentum und dem modernen Götzendienst, die sich in unseren Ländern und in den meisten Ländern der Islamisten ... als Nachahmung des gottlosen und heidnischen Europas verbreitet haben, den Krieg erklären - wie unsere Vorfahren gegen das Heidentum und die alte Götzendienerei gekämpft haben“ (zit. n. Al-Azm 1993, S. 101.).

2) Die postmodernistische Destruierung allgemeingültiger Regeln begreifender Wirklichkeitsanalyse und -bewertung, die Auflösung des Wahrheitsbegriffs sowie generell die Dekonstruktion wissenschaftlicher Realitätsverarbeitung fügt sich nahtlos ein in die fundamentalistische Verketzerung ‚moderner‘ Bildung. Dabei erregen insbesondere die materialistische Anmaßung, das Universum ohne Gott erklären zu wollen, das Prinzip der „Selbstvervollkommnung des Menschen“ sowie überhaupt der Entwicklungsgedanke die haßerfüllte Ablehnung seitens der fundamentalistischen Glaubenseiferer. So heißt es bei einem Sprecher der von Maududi gegründeten islamistischen Partei Pakistans, der Dschamaaat-e-Islami: „Niemals wurden in der islamischen Gesellschaft Selbständigkeit, Neuerung und Wandel als (...) Werte betrachtet. Das Vorbild sind vielmehr die dauerhafte, unveränderliche, transzendentale und von Gott geoffenbarte Moral sowie die theologischen und geistigen Werte von Koran und Sunna“ (ebenda, S. 126)10.

3) Der postmoderne Fortschrittsdefätismus und die Verschmähung der Emanzipationsmöglichkeit der Menschen als „große Erzählung“ spielt unmittelbar der traditionsideologischen Herrschaftsapologetik der Fundamentalisten in die Hände. So sind für die Akteure des ägyptischen Dschihad die Menschen „keineswegs frei, einer Idee, die Gottes Religion und Gesetz entgegengesetzt ist, oder gar dem Atheismus, der Verdorbenheit und der Neuerung anzuhängen“ (ebenda. S. 116). Und weiter: „Demokratie fordert Gleichheit aller Bürger. Die Staatsbürgerschaft ist ohne Ansehen von Religion und Frömmigkeit das Fundament dieser Gleichheit. Der Islam lehnt diese Ansicht ab. Ebenso wie er die Gleichheit von Muslimen und Ungläubigen (...), von Wissenden und Unwissenden (...), von Gottesfürchtigen und Gottlosen ablehnt“ (ebenda, S. 117). Sehr klar wird der totalitäre Herrschaftsanspruch des islamischen Fundamentalismus im „Sendschreiben des Glaubens“ von Saleh Sirriya zum Ausdruck gebracht: „Ein islamischer Staat ist jener, dessen innerstes Anliegen es ist, den Islam zu verbreiten und für ihn in toto einzutreten, innerlich und äußerlich (...) Dies bedeutet: Herrschaft über alle staatlichen Apparate und über alle Lebenszusammenhänge. Jegliche Information würde dann im Dienste der islamischen Mission stehen. Und nichts, was dem Islam entgegengesetzt ist, würde in Funk oder Presse veröffentlicht. Der Zweck der Erziehung bestünde darin, Generationen heranreifen zu lassen, die an den Islam glauben, mit ihm vertraut sin, ihn als ihre Richtschnur akzeptieren und sich für sein Wohl opfern. Daher müßten alle Curricula in diese Richtung ausgearbeitet werden - einschließlich der Wissenschaften. Und niemand wird Verantwortung in den Bereichen Information und Erziehung erhalten, wenn er nicht ein Missionar für den Islam ist“ (ebenda, S. 111f.).

4) Die kulturrelativistische Auflösung der Menschheit in ‚inkommensurable‘, absolut differente und deshalb gleichberechtigte Kulturen unabhängig von ihrer realen Beschaffenheit wird von den fundamentalistischen und totalitären Protagonisten nichtwestlicher Herrschaftskulturen als „geistige Waffe“ instrumentalisiert, um ihre lokalen Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen. Diese Vorgehensweise ist eindrucksvoll von Al-Azm (1996, S. 10) exemplifiziert worden: „Als amnesty international und andere Menschenrechtsorganisationen das Regime Sadam Husseins anprangerten, weil Bagatelldieben die Ohren abgeschnitten und bei geringfügigen Gesetzesübertretungen die Nasen entfernt werden, antwortete Tariq Aziz nach diesem Muster. Er beschuldigte die Kritiker des irakischen Regimes öffentlich, eurozentrisch zu sein, einem voreingenommenen westlichen Bezugspunkt anzuhängen, zu wenig Verständnis für die irakische Gesellschaft aufzubringen, es an Achtung vor Besonderheiten und Eigenheiten der arabischen Kultur, den muslimischen Werten, der Scharia usw. fehlen zu lassen. Offenkundig sind Partikularismus, Nativismus und kultureller Relativismus die letzten Rückzugsgebiete dieser Verbrecher - ganz in der Art, wie der Patriotismus stets die letzte Zuflucht für gewisse Schurken war.“


Trotz der kriegerischen Kollision zwischen US-Administration und islamistischem Terrorismus ist das Verhältnis zwischen spätkapitalistischer und islamischer Herrschaftselite längst auch durch eine enge Interessenverflechtung und strategische Allianz gekennzeichnet. Das betrifft nicht nur die Erdöl- und Rüstungsmarktbeziehungen, sondern auch arabische Kapitalbeteiligungen und die westliche Werbung muslimischer Bankkunden. So ist z.B. Dubai mit einer Beteiligung von rund einer Milliarde Dollar nach Kuwait Anfang 2005 als zweites Golf-Emirat Großaktionär bei DaimlerChrysler geworden und damit nach eigenen Angaben zum drittgrößten Aktionär des Konzerns aufgestiegen. Siemens feiert einen riesigen Geschäftsabschluß mit Saudi-Arabien und die Deutsche Bank startet gerade eine Offensive mit koran- und schariaverträglichen Finanzprodukten. Vor diesem Hintergrund lässt sich dann relativ leicht die politisch-ideologische Funktionalität der postmodernistischen/kulturrelativistischen Geisteszurichtung begreifen, der die westeuropäischen Universitätszöglinge ausgesetzt sind. Bezogen auf den Islam-Komplex bedeutet das: Profitable bzw. geschäftsadäquate Weißwäscherei und Vorbehaltsbekämpfung.



Literatur:


Al-Azm, Sadik Jalal: Unbehagen in der Moderne. Aufklärung im Islam. Frankfurt am Main 1993.


Al-Azm, Sadik Jalal: Das Wahrheitsregime der Verbrecher. Postmoderner Relativismus und die Frage der Menschenrechte. In: Frankfurter Rundschau vom 26. November 1996, S. 10.


Burger, Rudolf: Das Denken der Postmoderne. Würdigung einer Philosophie für Damen und Herren. In: Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft. (21) 1993, 4, S.461-470.


Eagleton, Terry: Die Illusionen der Postmoderne. Ein Essay. Stuttgart; Weimar 1997.


Finkielkraut, Alain: Die Niederlage des Denkens, Reinbek bei Hamburg 1989.


Heine, Peter: Fundamentalisten und Islamisten. Zur Differenzierung der Re-Islamisierungsbewegungen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament. B 33/92 (August 1992), S. 23-30.


Krauss, Hartmut: Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen ‚prämoderner‘ Herrschaftskultur und kapitalistischer ‚Moderne‘. Osnabrück 2003.


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Lyotard, Jean F.: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Graz 1986.


Riesebrodt, Martin: Fundamentalismus als patriarchalische Protestbewegung. Amerikanische Protestanten (1910-28) und iranische Schiiten 1961-79) im Vergleich. Tübingen 1990.


Rippel, Philipp: Souveränität und Revolte. Die Wiedererweckung Nietzsches und Heideggers in Frankreich. In: Peter Kemper (Hrsg.): `Postmoderne` oder Der Kampf um die Zukunft. Die Kontroverse in Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft. Frankfurt am Main 1988. S. 104-126.


Schmidt-Salomon, Michael: Erkenntnis aus Engagement. Grundlegung zu einer Theorie der Neomoderne. Eine Studie zur (Re-)Konstruktion von Pädagogik, Wissenschaft und Humanismus. Aschaffenburg 1999.


Steigerwald, Robert: Abschied vom Materialismus? Materialismus und moderne Wissenschaft. Bonn 1994.


Tibi, Bassam: Die Krise des modernen Islams. Eine vorindustrielle Kultur im wissenschaftlich-technischen Zeitalter. Erw. Ausg., 2. Aufl. Mit einem Essay: Islamischer Fundamentalismus als Antwort auf die doppelte Krise. Frankfurt am Main 1991.


Tibi, Bassam: Der wahre Imam. Der Islam von Mohammed bis zur Gegenwart, München 1996.


Tibi, Bassam: Islamische Zuwanderung. Die gescheiterte Integration. Stuttgart München 2002.


Tolman, Charles W.: Die Beharrlichkeit des Kartesianismus im psychologischen Hauptstrom und Anzeichen seiner Überwindung. In: Forum Kritische Psychologie 34, Berlin; Hamburg 1994, S.95-111.


Zentrum Demokratische Kultur (Hrsg.): Demokratiegefährdende Phänomene in Kreuzberg und Möglichkeiten der Intervention - ein Problemaufriss. Eine Kommunalanalyse im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Berlin, Februar 2003.


1 Vgl. hierzu ausführlich meine Studie „Faschismus und Fundamentalismus“ (Krauss 2003).

2 Die ‚Muslimbruderschaft‘ war 1928 von dem Grundschullehrer Hasan al-Banna (1906-1949) in Ägypten gegründet worden. Sie erstrebte die Etablierung eines islamischen Staates an und bekämpfte die angebliche Säkularisierung der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens.

3 Da nur die gelehrten islamischen Geistlichen zur angemessenen Interpretation und Weiterentwicklung der Schari‘a in der Lage seien, könnten auch nur sie die Herrschaft des göttlichen Gesetztes garantieren. „Dabei kommt es weniger darauf an, ob sie die Regierungsämter selbst bekleiden oder nicht. Wichtig ist allein, daß sie die Kontrolle darüber besitzen“ (Riesebrodt 1990, S. 166).

4 „Wenn die postmoderne Theorie eine Form des Kulturalismus ist, dann ist sie dies unter anderem deshalb, weil sie sich weigert anzuerkennen, daß das, was verschiedene ethnische Gruppen sozial und ökonomisch miteinander gemeinsam haben, letztlich wichtiger ist als ihre Unterschiede“ (Eagleton 1997, S. 163).

5 Das Konzept der ‚allgemeinmenschlichen‘ Fähigkeit zur Mündigkeit bzw. der Kompetenz, den Status „selbst verschuldeter Unmündigkeit“ eigenständig verlassen zu können, ist ein zugleich herrschafts- und subjektkritisches Konzept par exellence.

6 „Gerade dadurch, daß die Neuzeit sich von jedem religiösen Bezug lossagt, vollendet sie die biblische Offenbarung: es gibt nur eine einzige Menschheit“ (Finkielkraut 1989, S. 110).

7 „Vor der französischen Kultur, der deutschen Kultur, der italienischen Kultur, gibt es die menschliche Kultur“ (Renan, zit. n. Finkielkraut 1989, S. 41).

8 Die „historische Rechtsschule“ war eine am Ende des 18. Jahrhunderts in Deutschland entstandene Richtung in der Geschichts- und Rechtswissenschaft. Ihre Grundausrichtung war die Legitimation feudaler Privilegien und Institutionen durch den Nachweis langfristiger historischer Traditionen.

9 In der Sicht Bassam Tibis dient die Kritik am Projekt der Moderne primär dazu, „die Revitalisierung des Religiösen zu rechtfertigen. Die Religionskritik der Aufklärung setzte kognitive Potentiale frei; diese gilt es nun zu bändigen und die Sicherheit des Glaubens bei der Welt- und Selbstdeutung wieder herzustellen. Die Leistung der kulturellen Moderne, den Glauben an das Absolute reflexiv zu machen und das religiöse Leben in eine Verkörperung des Prinzips der Subjektivität umzuwandeln, wird gegenwärtig von Vertretern der Postmoderne in Frage gestellt. Einer unter ihnen, Peter Koslowski, versteht die Postmoderne als eine Überwindung der ‚Schranke totalisierender ... Vernunftherrschaft‘, um den Weg für die Wiederherstellung der ‚messianische(n) Hoffnung auf das Absolute‘ zu ebnen“ (1991a, S. 206).

10 Eine wesensgleiche Einstellung formuliert auch der katholisch-fundamentalistische Erzbischof Lefebvre. Für ihn bedeutet jede Entwicklung, d. h. die Abkehr von der beständigen „Wiederkehr des Gleichen“, den Tod des Glaubens. Die intellektuelle Neugier bzw. den modernen Forschergeist geißelt er als „morbide Liebe zur Neuerung unter dem Vorwand des Fortschrittes“. Deshalb sei auch „ein freier Forscher“ nicht mehr zu unterscheiden vom Feind der Religion schlechthin: dem „Freidenker“. (Vgl Al-Azm 1993, S. 125f.).

©  Hartmut Krauss, Osnabrück 2005










 

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