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Beiträge zur Politik  






Hartmut Krauss

(Euro-)Islamismus und die Unbelehrbarkeit der journalistischen "Islamversteher"

Wieder einmal konnte – im Strom der täglich realisierten islamistischen Gewalttaten – ein massenmörderischer Anschlag fanatisierter Muslime aus dem Hinterhalt der nach außen gut getarnten euroislamistischen Gegengesellschaft nur knapp verhindert werden. Und wieder einmal wird in den deutschen Medien im Sinne einer desorientierenden bzw. 'gegenaufklärerischen' Beschwichtigungspolitik die Litanei vom 'friedliebenden Islam' abgesondert. Verbunden damit wird in ebenso stereotyper wie wahrheitswidriger Manier behauptet, dass der Islamismus mit dem Islam nichts zu tun hätte und von diesem gleichsam wie durch eine chinesische Mauer getrennt sei. In exemplarischer Reinkultur tritt uns dieses kontrafaktische Vorurteilsgestrüpp in folgender Passage aus einem Kommentar der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 11. August 2006, Seite 3, entgegen:

"Doch der Westen darf nicht den Fehler begehen, die Fanatiker mit dem Islam gleichzusetzen. Das wäre fatal. Vielmehr sitzen Muslim wie Christ in einem Boot, weil die Islamisten beide als Ungläubige verteufeln. Und: Die meisten Opfer der Fanatiker sind Muslime, die für das wahre Wesen ihrer Religion kämpfen: für Frieden."

Als sozial- und subjektwissenschaftlicher Autor, der sich seit geraumer Zeit intensiv mit dem Islam/Islamismus-Komplex auseinandersetzt und in diesem Kontext ein Buch und zahlreiche Artikel und Aufsätze publiziert hat, bereiten mir solche und ähnliche Aussagen, die immer wieder die gleiche verfehlte Denkfigur strapazieren, mittlerweile körperliche Schmerzen. Ich empfinde sie wie eine intellektuelle Blutgrätsche oder einen Ellengebogencheck mitten ins Gesicht. Denn Nichts an der zitierten Aussage ist zutreffend; trotzdem kommt sie obendrein noch in der Attitüde der beschwichtigenden Besonnenheit daher. Zum körperlichen Schmerz gesellt folglich auch noch moralische Übelkeit. (Oder um mich sehr präzise auszudrücken: Verachtung gegenüber dieser leider sehr häufig anzutreffenden fatalen Synthese aus Borniert/Realitätsblindheit und vordergründiger Gutmenschlichkeit, die einer progressiv-humanistischen Kampf- und Abwehrbereitschaft beständig in den Arm fällt.)

Es wäre sehr leicht, auf diese stereotype Legende vom "friedliebenden" Islam mit der quantitativen Wucht von zahllosen Fakten und Bildern zu antworten, die das genaue Gegenteil bezeugen: Wo islamgläubige Akteure, die sich auf Allah und den Koran berufen, "Ungläubigen" vor laufender Kamera die Hälse abschneiden, christliche Schulmädchen köpfen und das abgetrennte Haupt triumphierend präsentieren, angebliche Missetäter für Bagatelldelikte steinigen oder aufhängen, tausendfach "Ehren"-Morde begehen, Apostaten massakrieren, Mordhetze in Gestalt von Fatwas betreiben oder –wie jetzt die Hisbollah – Kinderleichen hin und her fahren und in die Kameras des Weltfernsehens halten, um die reaktiven Gegenschläge der Israelis zu diskreditieren.

Wie ignorant und realitätsblind muss man eigentlich sein, um folgende sich automatisch stellende Fragen auszublenden: Wie sind diese und weitere massenhaft im Namen des Islam praktizierten und buchstäblich tagtäglich dokumentierten Gewalttaten zu erklären, wenn dieser angeblich doch so "friedlich" ist. Wie kann es geschehen, dass so viele Muslime nachweislich massenhaft dem Radikalislam hinterher rennen, wo doch die Reaktionen der westlichen Massen auf die Anschläge des 11. September 2001, der nachfolgenden Anschläge in Madrid und London vergleichsweise so außerordentlich soft und behutsam waren, während die islamische Straße schon in Anbetracht harmloser Karikaturen randalierte? Wie kann das alles geschehen, wenn der Islam etwas "Ganz Anderes" sein soll als schlichtes, strohtrockenes (voraussetzungsvolles) herrschaftskulturelles "Brennmaterial" für seine aktivistisch fanatisierten Teile? Diese Fragen können die "Freunde des Islam" – wenn überhaupt – ausweichend nur mit Hilfe einer von ihren "Dialogpartnern" adaptierten Verschwörungsideologie beantworten: Nicht die binnenkulturell verursachte (prämoderne) Rückständigkeit ist Schuld (vgl. die Arabischen Berichte der letzten Jahre über die menschliche Entwicklung), sondern "der böse Westen".

Nun geht es mir nicht darum, im Umkehrschluß den Westen gegen Kritik zu immunisieren und seinen Anteil an der Weltproblemlage zu leugnen. Aber die (selbst-)kritische Analyse des Westens darf nicht mit einer entlastenden Legendenbildung im Hinblick auf die Konstitution der islamischen Herrschaftskultur als Nährboden der aktuellen Regression verquickt werden.

Deshalb folgende Bemerkungen zum exemplarisch zitierten realitätswidrigen Islambild:

  1. Der Islam repräsentiert kein homogen-friedliches Gebilde. Vielmehr weist er zahlreiche binnenkulturelle Konfliktlinien und Blutfehden zwischen unterschiedlichen Glaubensausformungen aus. Aktuell ist das ablesbar an den mörderischen Kämpfen zwischen Schiiten und Sunniten im Irak und in Pakistan. Diese Kämpfe haben ihre Wurzel in den frühislamischen Kontoversen und Fehden um die Nachfolge des Propheten. Bereits der Ursprungsislam war aggressiv nach innen und außen.

  2. Auffällig ist die 'binnenkulturübergreifende' Präsenz einflussstarker islamistischer (radikalislamischer) Massenbewegungen: von den sunnitischen Muslimbrüdern, über die wahabitischen Fundamentalisten, den schiitisch-khomeinistischen (staatsterroristischen) Islamismus im Iran bis zum pakistanischen deobandistischen Fundamentalismus der Maududi-Schule. Die Radikalisierungsanfälligkeit der islamischen Herrschaftskultur ist ebenso flächendeckend wie evident.

  3. Die globalen Terrorgruppen sind nur die äußere Speerspitze der islamistischen Gewalt. Dahinter existiert ein funktionales Geflecht von Parteien, Massenorganisationen, Indoktrinationsstätten, Koranschulen, Ordnungsmilizen und Sozialeinrichtungen etc. Es ist ein barer Unsinn, diesen organisierten Massenanhang von der unmittelbar Gewalt ausübenden terroristischen Speerspitze abzutrennen. Auch der deutsche (Hitler-)Faschismus kannte neben dem Gestapokeller (wo die antifaschistische Binnenopposition gefoltert und massakriert wurde), den KZs mit ihren Gasöfen zur Judenvernichtung, der raubkriegerischen Wehrmacht und den anderen Repressionsorganen zahlreiche Sozialeinrichtungen und institutionelle "Zuckerstückchen" für die ideologisch gleichgeschaltete Gefolgschaft. Genau so verhält es sich auch mit dem islamistischen Totalitarismus.

  4. Der Islamismus wächst als aktivistische Radikalisierung aus dem traditionalistisch-orthodoxen Mehrheitsislam hervor, dessen Prinzipien allesamt unvereinbar mit der säkular-demokratischen kulturellen Moderne sind. Ebenso wie der deutsche Hitlerfaschismus kulturhistorisch und politisch nicht vom Himmel gefallen ist, ist der Islamismus ein organisches Gewächs des traditionell-konservativen Scharia-Islam.

  5. Die abstrakte Kritik der "Gleichsetzungsthese" kappt unter der Hand die inhaltlichen kulturell-normativen und politischen Verbindungs- und Anknüpfungslinien zwischen Mehrheitsislam und Islamismus und übersieht die Funktionsgliederung und den Solidaritätszwang der islamischen Gesinnungsgemeinschaft (die entgegen irreführender Propaganda eine Zwangsgemeinschaft ist, die keine Glaubensfreiheit kennt und damit dem deutschen Grundgesetz widerspricht). Zwar beteiligt sich die Mehrheit der Muslime nicht unmittelbar an Gewaltaktionen und die Vertreter der Umma befürworten nach außen in der europäischen Öffentlichkeit auch keine Terroraktionen. Aber das macht sie noch längst nicht zu Anhängern eines "friedlichen Islam". Die streng-gläubigen Muslime verkörpern eine religiöse Herrschaftskultur, die säkular-demokratische Prinzipien und eine damit verbundene freiheitliche Lebensweise nachhaltig ablehnt. Aus diesem Grunde sind klammheimliche und oftmals auch offene Sympathien mit den gewaltbereiten und –ausübenden Islamisten, einschließlich selbstgerechter Verschwörungstheorien, unter den orthodoxen Muslimen auch weit verbreitet. Distanzierung vom Islamismus korrespondiert immer auch mit subjektiver Distanzierung vom orthodoxen Islam. Diese "aufgeweichten" 'von der 'Moderne' "angeknabberten" Kulturmuslime' stellen aber keine wirkliche Gegenmacht zum hegemonialen Block der konservativen und islamistischen 'Mehrheits-Muslime' dar.

  6. Aus einer vergleichenden Perspektive ist auch folgendes festzustellen: Nicht jeder DVU- oder NPD-Wähler wirft Brandsätze in Asylantenheime, nicht jeder Funktionär der Neonazis beteiligt sich selbst aktiv an der rassistischen Treibjagd auf farbige Ausländer durch deutsche Innenstädte, nicht jeder gewalttätige Skinhead wiederum ist formelles Mitglied einer Neonazi-Organisation. Aber in summa existiert in Deutschland ein relativ konstantes "rechtsextremistisches Einstellungspotential" von ca. 15 - 20 Prozent der Gesamtbevölkerung als Resonanz- und Rekrutierungsboden, als Unterstützung gewährende und Rückhalt gebende 'Subkultur‘ und im Bedarfsfall als informell-spontanes "Solidaritätskomitee". Analog hierzu stellen nicht so sehr die unmittelbar gewaltbereiten Islamisten das Hauptproblem dar. Bedeutsamer ist vielmehr die zielbezogene Bündelung all jener muslimischen Kräfte, die eine feindselig-ablehnende und aktiv-kämpferische Haltung gegenüber der kulturellen Moderne einnehmen, an der 'friedlichen‘ Installierung religiös-diktatorischer Einflußzonen und Gegenmilieus innerhalb der europäischen Gesellschaften arbeiten und damit eine totalitär orientierte Desintegrationspolitik verfolgen.

  7. Das Bild von den beiden einträchtig in einem Boot sitzenden Muslim und Christen ist eine groteske Irreführung, die obendrein außer Acht lässt, das das konfessionsfreie (wirklich ungläubige) Drittel in diesem Boot niemals einen Platz einnehmen dürfte. Der Islam lässt nämlich eine reale Gleichberechtigung zwischen Muslimen, Christen, Juden und Atheisten gar nicht zu. Der Islam betrachtet sich als letztgültige, einzig wahre und zur Vorherrschaft bestimmte Religion, die daraus ihren Überlegenheits- und Missionierungsanspruch ableitet. Entsprechend heißt es in Sure 3, Vers 110 des Koran: "Ihr seid die beste Gemeinde, die für die Menschen erstand. Ihr heißet, was Rechtens ist, und ihr verbietet das Unrechte und glaubet an Allah". Während Christen und Juden (die "Schriftbesitzer") im klassischen Islam als Dhimmis bzw. Bürger zweiter Klasse geduldet werden, können die "Ungläubigen" nur zwischen unmittelbarer Unterwerfung oder Tod wählen. Das wahre Wesen des Islam ist folgerichtig der expansive Kampf um Vorherrschaf - mit dem Ziel der Durchsetzung eines muslimischen Diktat- bzw. Unterwerfungsfriedens.

Reale und potentielle Opfer der Islamisten sind alle, die sich nicht deren totalitären (gottesdiktatorischen) Herrschaftsanspruch unterwerfen wollen, darunter auch unbotmäßige ("aufgeweichte") Muslime. Das eigentliche Haßobjekt der islamischen Konservativen und Islamisten bildet aber letztendlich die kulturelle Moderne mit ihren Kerninhalten: Trennung von Religion, Staat, Politik und Privatsphäre; Demokratie; Menschenrechte; rechtsstaatliche Ordnungsprinzipien; Säkularisierung der zentralen kulturellen Bedeutungssysteme: Wissenschaft, Kunst, Ethik und alltägliche Lebensweise.

Natürlich sind nicht alle gläubigen Muslime orthodoxe Anhänger und radikale Verfechter des konservativ-reaktionären Scharia-Islam sowie des fundamentalistischen Islamismus. Bezogen auf den historisch gewachsenen und dominant gewordenen Aussage- und Interpretationsbestand des Islam - verkörpert in den autoritativen Mehrheitsauffassungen der islamischen Rechtsgelehrten - ist aber gleichfalls festzustellen, 'dass liberale‘ und 'moderate‘ Auslegungsarten einem abweichlerischen Revisionismus gleichkommen und sich folgerichtig in der Minderheit befinden. Der Verweis auf die Existenz moderater Auslegungsvarianten vermag somit nicht den totalitären Charakter des Islam als Herrschaftsideologie zu widerlegen.

Als erfreulich ist aber abschließend noch zu bemerken, dass sich jenseits der weit verbreiteten islamophilen Meinungsmache in den deutschen Medien und der von ihnen okkupierten "Deutungshoheit" ein realistisches Islam-Bild der einheimischen Bevölkerung abzeichnet, das sich mehr an Fakten als an "weichspülenden" Leitartikeln orientiert.

(Vgl. Hartmut Krauss: Grenzen der medialen Schönfärberei. Zum Islambild der einheimischen Bevölkerung. http://www.glasnost.de/autoren/krauss/islambild.html)


Hartmut Krauss, Osnabrück August 2006











 

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