![]() |
Beiträge zur Theorie |
Hartmut Krauss'Herrschaft' als zentraler Problemgegenstand kritisch-emanzipatorischer GesellschaftstheorieAnmerkungen und LiteraturAnmerkungen1Zur genaueren Aufschlüsselung der Möglichkeitsbedingungen und Konstitutionsmerkmale kritisch-emanzipatorischer Bewegungen vgl. meinen Beitrag "Geschichte und Subjektivität" in HINTERGRUND IV-97 und I-98. 2Zur Kritik der 'triumphalistischen Missdeutung des Zusammenbruchs des "realen Sozialismus" vgl. die prägnante Skizze in der "Grundsatzerklärung der Gesellschaft für kritische Sozialwissenschaft und Subjekttheorie", S. 1f. 3Zudem übersieht Hofmann völlig die herrschaftsstrukturellen Wechselbeziehungen zwischen Produktionssystem und Familie als Kerneinheit des Reproduktionssystems, wenn er feststellt: "Die 'Macht' - und vollends die Autorität - des Vaters in der Familie beruht nicht auf Herrschaft, sie dient nicht gesellschaftlicher Nutznießung" (S. 13). 4Trotz dieser inadäquaten begrifflichen 'Entherrschaftlichung' des Stalinismus finden sich bei Hofmann wichtige Einzeleinsichten in die Wesenszüge des stalinistischen Herrschaftssystems. 5Zur Herausarbeitung des Herrschaftscharakters des stalinistischen Gesellschaftssystems vgl. AKM 1997. 6Wichtig ist hier die Feststellung, dass 'Politik' als Regelung der gemeinschaftlichen Angelegenheiten der Gesellschaftsmitglieder nicht mit 'Staatlichkeit' zusammenfällt, sondern eine vorstaatliche Form des Politischen existierte und eine nachstaatliche Form gedacht werden muss. Vgl. Lambrecht u. a. 1998, S. 42f. 7Gegenüber dem mechanistischen Dogma der vulgärmaterialistischen Milieutheorie ist darauf zu verweisen, dass sich auch innerhalb eines homogenen Sozialmilieus die Individuen aufgrund variierender Anlagen und differierender Prozessverläufe subjektiver Realitätsverarbeitung nichthomogen entwickeln. 8Auf die Gründe für die Entstehung "pathologischer" (herrschaftsinduzierender) Partialinteressen wird im folgenden Abschnitt näher eingegangen. 9Die Bereitstellung einer 'Ordnungs-Macht' ist Teil der allgemeinen menschlichen Daseinssicherung und somit in genetisch-struktureller Hinsicht nicht an Herrschaftlichkeit/Staatlichkeit gebunden. 10Zur Konstitution urgesellschaftlicher Lebensformen vgl. Grünert 1989 und Lambrecht u. a. 1998. 11Aufgrund unterschiedlicher geographisch-klimatischer Bedingungen vollzog sich der Übergang zur Produktionswirtschaft in den einzelnen Erdregionen zeitlich recht uneinheitlich. Herrmann (1983, S. 75) unterscheidet drei aufeinanderfolgende Epochen: "1. Die Epoche des Beginns der sog. 'neolithischen ... Revolution vom 9. Jt. bis zum 7. Jt. v.u.Z., ausgehend von den Bergländern Vorderasiens und Kleinasiens. 2. Die Epoche des Ausbaus der agrarischen Grundlage im 7. bis. 6. Jt. v.u.Z in Vorderasien, Kleinasien und Teilen Nordafrikas. 3. Die Epoche der Durchsetzung der agrarischen Grundlagen im Orient, im Mittelmeergebiet, in Südosteuropa sowie Teilen Mitteleuropas und Osteuropas im 6. bis 4. t." 12"Der Feldbau entstand während der mittleren Steinzeit nach und nach aus der in mannigfachen magisch-religiösen Vorstellungen verborgenen Entdeckung der arbeitsteilig mit dem Sammeln von Früchten beschäftigten Frauen, dass man durch Aussäen des Samens der Früchte das Wachstum neuer Früchte hervorrufen konnte. Während die ersten ausgesäten Fruchtsorten noch den wild vorfindlichen entsprachen, kam es bald zu einer durch Zucht erreichten Verbesserung, also Erzeugung von speziellen 'Nutzpflanzen" (Holzkamp-Osterkamp 1975, S. 276). 13Unter den Bedingen der zumindest zeitweisen Sesshaftigkeit "wurde es möglich, von Natur aus in Herden lebende, von der menschlichen Kraft bezwingbare Tiere in der Nähe der Ansiedlungen einzupferchen. Auch hier bewegen wir uns in undeutlichen Ereignisregionen; wahrscheinlich ist, dass Jungtiere, die durch Abschuss der Elterntiere dem Jäger in die Hände fielen, aufgezogen wurden. Schaf und Ziege, gebietsweise Gazelle und Schwein und vor allem der Hund, waren die ersten, die dem Menschen Folge zu leisten hatten. Das Rind - aus dem stärkeren Ur hergeleitet - war schwerer zu zähmen und ist kaum vor dem Ende des 7. Jt. zum Haustier geworden" (Herrmann 1983, S. 55). 14Der Übergang von der entwickelten "militärischen Demokratie" bis hin zur vollen Ausprägung staatsvermittelter Herrschaftsbeziehungen gegen Ende des dritten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung vollzog sich im mesopotamischen Zweistromland - dem soziogenetischen Ursprungsmodell zwischenmenschlicher Herrschaftsverhältnisse - in einem zweitausendjährigen Prozess. Vgl. Brentjes 1976, S. 30f. 15Was den Umschlag ursprünglicher gemeinschaftlicher Daseinsvorsorge/Vorratshaltung in herrschaftliche Verfügungsusurpation angeht, vermuten Lambrecht .u. a. (1998, S. 215), "dass die landwirtschaftlich tätigen Haushalte im Zuge der Entwicklung der Bewässerungslandwirtschaft, der Abgaben und Dienstleistungen für den Tempel und auch der Inanspruchnahme für den Kriegsdienst mehr und mehr dazu gezwungen wurden, ebenfalls rechnerisch mit ihren Vorräten, Arbeitsvermögen, Böden und Tieren umzugehen." 16Wir haben es hier mit der Frühform von Ausbeutung der Gesellschaftsmitglieder durch hoheitliche Beamte in einem werdenden Staatswesen zu tun. 17"Bei den Jägern und Sammlern lag die durchschnittliche Lebenserwartung nicht über 18 Jahre, eher sogar noch darunter. Wenigstens 40% der Menschen starben, bevor sie das 11. Lebensjahr erreicht hatten, nur etwa 50% wurden 20 Jahre alt, und wer das 40. Lebensjahr erreicht hatte, zählte schon zu den wenigen 'Alten. Bei den Bodenbauern und Viehzüchtern schnellte die durchschnittliche Lebenserwartung gleich um 4 bis 5 Jahre aufwärts, sie wurde mit 22 Jahren errechnet; es gibt jedoch auch Bevölkerungsgruppen, bei denen sie bereits Werte zwischen 25 und 30 Jahren erreichte" (Herrmann 1983, S. 59). 18"Die Erde an sich - so sehr sie Hindernisse darbieten mag, um sie zu bearbeiten, sich wirklich anzueignen - bietet kein Hindernis dar, sich zu ihr als der unorganischen Natur des lebendigen Individuums, seiner Werkstätte, dem Arbeitsmittel, Arbeitsobjekt und Lebensmittel des Subjekts zu verhalten. Die Schwierigkeiten, die das Gemeinwesen trifft, können nur von anderen Gemeinwesen herrühren, die entweder den Grund und Boden schon okkupiert haben oder die Gemeinde und ihre Okkupation beunruhigen. Der Krieg ist daher die erste große Gesamtaufgabe, die große gemeinschaftliche Arbeit, die erheischt ist, sei es um die objektiven Bedingungen des lebendigen Daseins zu okkupieren, sei es um die Okkupation derselben zu beschützen und zu verewigen" (Marx 1974/Grundrisse, S. 378). 19"Militärische Konflikte um Wasser, Land, Handelswege zwischen verschiedenen Städten nebst ihrem Umland scheinen ... ab 2800 v.u.Z. an Bedeutung gewonnen zu haben (Lambrecht u. a., S. 222). 20"Einen solchen militärisch-politischen Anführer nennen wir Staatsführer, wenn sich seine dauerhafte und vererbbare Kommandogewalt in Entscheidungsmacht über sämtliche Gesellschaftsmitglieder umsetzt" (Lambrecht u.a. 1998, S. 230). 21Monopolisierung der Deutungs- und Interpretationsmacht beinhaltet immer auch die herrschaftliche Kontrolle über die gesellschaftlich verfügbare Menge an Information und Wissen. 22Bei diesem Erosionsprozess handelte es sich "im wesentlichen um die Zersetzung der Dorfgemeinden, um ihre Umwandlung aus einem kollektiven Eigentümer von Boden in ein Kollektiv von Eigentümern" (Klengel 1976, S. 53). 23Freilich ist die patriarchalische Konstitution der Familie nicht auf Unterdrückung der Frau reduziert, sondern beinhaltet ebenso die Subsumtion von Unfreien unter die (haus-)väterliche Gewalt. Von erkenntnisleitender Bedeutung ist deshalb auch die folgende Feststellung von Marx. "Die moderne Familie enthält im Keim nicht nur Sklaverei (servitus), sondern auch Leibeigenschaft, da sie von vornherein Beziehung hat auf Dienste für Ackerbau. Sie enthält in Miniatur alle die Gegensätze in sich, die sich später entwickeln in der Gesellschaft und in ihrem Staat" (zit. n. Engels 1984/ MEW 21, S. 61). Insofern manifestiert sich in der patriarchalischen Familienstruktur eine Synthese traditionaler antagonistischer Herrschaftsbeziehungen. 24"Bei einigen Völkern äußerte sich die uneingeschränkte Macht des Vaters innerhalb der Familie und sein Eigentumsrecht gegenüber der Frau in ungewöhnlich blutiger Weise: bei der Bestattung eines verstorbenen Familienoberhauptes wurden alle ihm gehörenden Frauen getötet und teilten mit diesem das gemeinsame Grab" (Sybkowjez 1978, S. 96). 25Vgl. hierzu exemplarisch den Artitkel "Cities of Terror. Vierteilen, köpfen, lebendig verbrennen - schwer bewaffnete Banditen beherrschen die brasilianischen Slums" von Klaus Hart in der "Jungle World" 30 vom 16. Juli 2003. Zudem die Studie von Bales (2001) sowie Castells 2003, S. 87-220. 26Diese Durchsetzung musste gegen die spontan-selbstregulative, noch unselbstständige 'Ordnung-Macht' der vorklassengesellschaftlichen Gemeinwesen erfolgen, d. h. letztere musste zurückgedrängt und ausgeschaltet werden. 27In der Frühaufklärung wurde die These, dass die adligen Herrschaftsträger am Beginn ihrer Geschichte nichts anderes als Räuber und Mörder waren, die sich mit Gewalt an die Spitze der Völker setzten, mit klarsichtiger Vehemenz vertreten. So z.B. von Jean Meslier in seinem "Testament" (1976, S. 247ff.). 28Ein prominentes Beispiel für die Anwendung des Konzeptes der 'strukturellen Heterogenität' bzw. der 'Mischformationsanalyse' ist Lenins Bestimmung der unterschiedlichen sozialökonomischen Formationselemente innerhalb der postrevolutionären russischen Gesellschaft. Im Einzelnen zählt er folgende Elemente auf: " 1. die patriarchalische Bauernwirtschaft, die in hohem Grade Naturalwirtschaft ist; 2: die kleine Warenproduktion (hierher gehört die Mehrzahl der Bauern, die Getreide verkaufen); 3. der privatwirtschaftliche Kapitalismus; 4. der Staatskapitalismus; 5. der Sozialismus" (Lenin 1971, S. 395). 29Zur Formierungslogik totalitärer Bewegungen als Verflechtung prämoderner Herrschaftskultur mit strategisch nutzbaren Momenten ökonomisch-technisch-bürokratischer Modernität vgl. meine Studie "Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen 'prämoderner' Herrschaftskultur und kapitalistischer 'Moderne'" (Krauss 2003). 30Ein 'Herrschaftssystem' ist das Resultat der Synthese zeitlich-räumlich konkreter Herrschaftsverhältnisse zu einem funktional gegliederten interdependenten 'Beziehungsganzen'. Während der Begriff 'Gesellschaft' das Ensemble der sich historisch bewegenden zwischenmenschlichen Beziehungs- und Handlungsstrukturen sowie das Verhältnis des zwischenmenschlichen Beziehungsganzen zur natürlichen Lebensumwelt ("äußere Natur") beinhaltet, akzentuiert der Begriff 'Herrschaftssystem' den 'Beschaffenheitscharakter' des gesellschaftlich-zwischenmenschlichen Beziehungsganzen. 31Die 'hegemoniale' Herrschaftsmethode setzt auf die Reproduktion geistig-ideologischer Dominanz durch Sicherung eines Übergewichts herrschaftslegitimierender Ideen, Wirklichkeitsinterpretationen, Normen etc. in den "bewusstseinsbildenden" Institutionen (Religiöse Einrichtungen, Wissenschaft, Bildungs- und Erziehungssystem, öffentliche Medien etc.). Ihr Ziel ist letztlich die Selbstentmündigung der Beherrschten auf dem Wege der Verinnerlichung herrschender Ideologie. 32Bedeutungssysteme sind relativ kohärente ideologische Komplexe aus korrelierenden Aussagen/Realitätserklärungen, Werturteilen und Normen. 33Im mittelalterlichen "Muntrecht" ging die männliche Verfügungsgewalt des Ehemannes über die Person der Frau so weit, "dass (...der Mann) die in flagranti ertappte Frau im Fall eines Ehebruchs samt dem Nebenbuhler (...) ungestraft töten durfte" (Goetz, zit.n. Tjaden-Steinhauer/Tjaden 2001, S. 124). 34Während in den westlichen Medien der Islam vielfach in realitätswidriger Weise nur als eine Religion (im Sinne eines Paradigmas frommer Lebensführung) vorgestellt (bzw. verharmlost) wird, fungiert er de facto nicht bloß als 'Glaubenssystem', sondern als eine ganzheitlich-absolutistische, religiös artikulierte Weltanschauungslehre mit einem eigenen Rechtssystem, einer integralen politische Ideologie und einem staatlichen Ordnungskonzept. Vgl. hierzu ausführlicher Krauss 2003. 35Was in diesen Bewegungen zum Tragen kommt, ist die 'radikal-patriarchalische' Koppelung der Mannes- und Familienehre an das sexualmoralische Verhalten seiner weiblichen Verwandten. Ein Beispiel hierfür ist die Praxis der Ehrenmorde, wie sie aus der Türkei, aber auch aus Pakistan berichtet wird. Danach gilt eine durch Vergewaltigung geschwängerte Frau nicht nur als "unrein", sondern auch als "entehrende Schande" für all ihre männlichen Familienangehörigen. Um die Familienehre wiederherzustellen und dem Ausschluss aus der Dorfgemeinschaft zu entgehen, muss die "Entehrerin" getötet/gesteinigt werden, wobei das reinigende Tötungsritual durch Hissen einer weißen Fahne angezeigt wird. 36Es muss hier allerdings nachdrücklich der komplizierende Tatbestand hervorgehoben werden, dass die beherrschten kulturellen Minderheiten oftmals eine eigene herrschaftlich-repressive Binnenstruktur aufweisen. Deshalb ist es erforderlich, diese "Repression des Repressiven" einer gesonderten Analyse und Bewertung zu unterziehen. 37Nach den vorsichtigen Schätzungen von Bales (2001, S. 17) "beläuft sich die Zahl der Sklaven weltweit auf 27 Millionen." 38Kritisch anzumerken ist hier gegenüber Marx, dass er die aktive Beharrungskraft prämoderner Herrschaftskultur unterschätzt und - in eurozentristischer Perspektive - einen 'mechanischen Automatismus' zwischen dem Verfall vorkapitalistischer Herrschaftsstrukturen und dem Aufstieg kapitalistischer Tendenzen konstruiert. Die realgeschichtlich vielfach zu konstatierende 'nichtwestliche' Verflechtung von prämoderner Herrschaftskultur mit kapitalistischen (Re-)Produktionsprozessen wird dadurch im Ansatz verfehlt. 39Auf die standesinternen Abstufungsverhältnisse und Rangunterschiede kann hier nicht näher eingegangen werden. 40"Dienst und Treue sind die zentralen Kategorien im System der sozial-politischen und religiös-moralischen Werte des mittelalterlichen Christentums. Die Deutung dieser Begriffe von der Theologie und dem Recht rückten eng zusammen, denn das Recht wurde als ein teil der christlichen Moral betrachtet" (Gurjewitsch 1982, S. 230). 41Nach einem Vergleich des Apostel Paulus ist der Mann "das Haupt der christlichen Ehe wie Christus das Haupt der Kirche, er soll seine Frau lieben, wie Christus die Kirche liebt" (Ennen 1987, S. 44). 42Der mittelalterliche Antijudaismus basierte auf der systematischen Bedrohung, die die Existenz der jüdischen Religionsgemeinschaft für die Identität des abendländischen Christentums darstellte. In folgender Hinsicht verkörperten die Juden nämlich für die Christen eine erschütternde Widerspruchserfahrung: Sie leugneten die Offenbarung Jesu als Messias und Sohn Gottes. Zudem galten sie einerseits als alttestamentarisch überlieferte Stammväter des Christentums und zum anderen als "Christusmörder". Angesichts dieser aufwühlenden Ambivalenz vermochte sich das Christentum nur zu entwickeln, indem es sich zugleich als Erbe und Überwinder des Judentums ansah. Vor diesem Hintergrund verfestigte sich dann auch das Bild vom betrügerischen, mit dem Teufel verbundenen, die rechtgläubige und rechtschaffene Christenheit vielfältig bedrohenden Juden zu einem alltagskulturell festgefügten Stereotyp, das bereits folgende eliminatorische Prämissen beinhaltete: Der Jude ist andersartig, bösartig und als Nichtkonvertit unverbesserlich. 43"Die staatliche Ordnung war in ihrer gesamten Entwicklung durch den Kampf 'der Herrschaftsgewalten untereinander um die Herrschaft über Bauern' bestimmt" (Tjaden-Steinhauer/Tjaden 2001, S. 138f.). 44Der gesellschaftliche Hintergrund dieses Ideals ist zum einen in den Bemühungen zu sehen, den adeligen Aggressionsdrang "durch die horizontal-genossenschaftlichen wie vertikal-herrschaftlichen Elemente des Lehnswesens (einzuhegen, H. K.). Zum anderen führte dieses Ideal unmittelbar auf die Anstrengungen der Kirche zurück, dieses Berufskriegertum durch christlich motivierte Lebens- (Schutz der Armen und Schwachen) und Aktionsziele (Kampf gegen die Heiden, Kreuzzüge) gewissermaßen zu domestizieren und ihr Aggressionspotential nach außen zu richten" (van Dülmen 1990, S. 354). 45Der im kritisch-emanzipatorischen Zielhorizont liegende Übergang von der 'sachlichen Abhängigkeit' zur 'freien Individualität' steht als praktisch realisierte Möglichkeitsvariante menschlicher Vergesellschaftung noch aus. 46Die Herausbildung des Stadt-Land-Gegensatzes wird von Marx (1976, S. 356) in ihrer ganzen radikalen' Tragweite herausgehoben: "Die Grundlage aller entwickelten und durch Warentausch vermittelten Teilung der Arbeit ist die Scheidung von Stadt und Land. Man kann sagen, dass die ganze ökonomische Geschichte der Gesellschaft sich in der Bewegung dieses Gegensatzes resümiert." 47Selbstverständlich ist auch die agrarische (Re-)Produktionstätigkeit "erfolgsorientiert". Aber erstens wird der Tätigkeitserfolg im Bewusstseinshorizont der abhängigen bäuerlichen Produzenten primär nicht auf "individuelle Ressourcen", sondern - aufgrund der engeren (zwar gefühlten und erlebten, aber nicht "durchschauten") Naturverbundenheit - vielmehr auf "göttliche Gnade" und/oder "magische Kräfte" zurückgeführt. Zudem verbleibt den abhängigen Bauern im wesentlichen nur der subsistenznotwendige Teil ihres Produkts, so dass ein "freies" Interesse an "Tätigkeitsoptimierung" von vornherein entscheidend eingeschränkt ist. 48"Feudale Grundherrschaft wandelt sich in staatliche Verwaltung mit einer fortwährend wachsenden Zahl an Finanzbeamten; ein zentraler Staatshaushalt entsteht, die Steuereinziehung und Finanzierung von Heer , Flotte, Bürokratie und Hof sind seine Hauptaufgaben. Die anwachsende Hofgesellschaft fungiert als Auffangbecken für die politisch entmündigten Familien des Hochadels, die Hofämter stellen nur noch Scheinämter dar, um den Müßiggang der Aristokraten zu drapieren" (Kossok u.a. 1986, S. 80). 49Zur Bestätigung von Marx' These, dass die englische Revolution eine konservative Revolution gewesen sei, führt Kossok (1989, S. 121f.) folgende Aspekte an: "- Teile des Adels (Neuadel) handelten im Bündnis mit dem Bürgertum. Es fehlte also jene klassische Konstellation Adel gegen Bourgeoisie, die wesentlich die Dynamik der Französischen Revolution von 1789 prägte. - Neuadel und Bürgertum besaßen bereits vor der Revolution im Parlament eine politische Basis, die sie gegen die verstärkten absolutistischen Ambitionen seit Karl I. zu verteidigen ('konservieren') suchten. - Es gelang dem Parlament zu einem relativ frühen Zeitpunkt, die städtisch-plebejische und bäuerliche Bewegung zu entmachten und damit der Revolution den radikal-demokratischen Stachel zu ziehen. - Schon nicht mehr konservativ, sondern offen reaktionär war die Politik gegen Irland." 50Als Philosophen gelten im zeitgenössischen Denken alle Verfechter der Aufklärung - unabhängig von ihrem jeweiligen wissenschaftlichen Betätigungsfeld: Naturforscher, Mediziner, Historiker, Rechtsgelehrte, Ökonomen, Literaten etc. 51'Dominanzwechsel' heißt - im Unterschied zu 'Übergang' - , dass die religiöse Entfremdung (als Haupterscheinungsform in prämodernen Herrschafts- und Lebensverhältnissen) durch die neue, kapitalistisch-marktwirtschaftliche Entfremdung als strukturprägendes Merkmal überformt und partiell zurückgedrängt, aber nicht beseitigt wird. 52Auf den elementaren Prozess der Industrialisierung als ökonomisch-technischer Modernisierungsschub kann hier nicht näher eingegangen werden. Hervorgehoben werden soll aber dennoch die damit in Gang gesetzte und seitdem in immer neuen Entwicklungsschüben potenzierte Verdichtung von Raum und Zeit und die dadurch ausgelöste Aufbrechung des engen Horizonts der prämodernen, traditional-agrarisch-mythologisch geprägten Lebenswelten. 53"Trotz des Vordringens freier vertraglicher Arbeitsverhältnisse gab es noch bis zur Revolution von 1918 Gesindeordnungen, die es erlaubten, über die Dienstboten nach Lust und Laune zeitlich unbegrenzt zu verfügen und sie auch körperlich zu bestrafen" (Tjaden-Steinhauer/Tjaden 2001, S. 274f.). 54"Der Oberbefehl in der Industrie wird Attribut des Kapitals, wie zur Feudalzeit der Oberbefehl in Krieg und Gericht Attribut des Grundeigentums war" (Marx 1976, S. 352). 55Eine m. E. konsensfähige Definition von Humanismus hat Seidel (1990, S. 208f.) formuliert: "Unter Humanismus sei hier im umfassenden Sinne die Gesamtheit jener in der Geschichte der Menschheit aufgetretenen Ideen und Bestrebungen verstanden, die im Menschen den höchsten Wert und den letzten Zweck für den Menschen sehen, die das Wohl und das Glück der menschlichen Individuen und ihrer Gesellschaft als Maßstab des Wertens und Handelns setzen, die auf Bewahrung und Sicherung der natürlichen und gesellschaftlichen Existenz des Menschen zielen, die allseitige Ausbildung seiner Kräfte und Fähigkeiten, seiner praktischen, theoretischen und künstlerischen Talente befördern, die Achtung vor der Würde und der Freiheit der menschlichen Persönlichkeit fordern und realisieren, die die Höherentwicklung der menschlichen Gesellschaft, ihre sittliche Vervollkommnung und die Erweiterung der Freiheit des Menschengeschlechts zum Ziele haben." 56Im Grunde ist die gesellschaftswissenschaftliche Theoriediskussion nach Marx' und Engels' Tod - zumindest in ihren ernst zu nehmenden Teilen - nichts weiter als die Auseinandersetzung über den Status und die Gültigkeit ihres unvollendet gebliebenen Werks. 57Die bürgerlich-konservative Variante lässt sich als abgeschwächte bzw. gemäßigte Form der rechtstotalitären Strategie identifizieren. Oder umgekehrt: die rechtstotalitäre Variante lässt sich als radikalisierte bzw. zugespitzte Form der bürgerlich-konservativen Strategie (weitgehende Zurückdrängung der 'kulturellen Moderne' mit formal-legalen/nichtterroristischen Mitteln) bestimmen. 58Unter diesem Aspekt betrachtet bedeutet der Übergang von 'prämodernen' zu 'modernen' Herrschaftsverhältnissen den Übergang von einem rigide-absolutistischen oder autoritären 'Wertemonismus' zu einem substanziell gleichgültigen, rein funktionalistisch orientierten 'Wertepluralismus' mit stark nihilistischen Zügen. 59In subjekttheoretischer Perspektive habe ich den Prozess der ideologischen Herrschaftsreproduktion im Rahmen des Konzepts der subjektiven Widerspruchsverarbeitung aufgeschlüsselt. Vgl. Krauss 1996. 60Die politische 'Handlungs-Macht' des organisierten Verbrechens besteht in der kapitalgestützten Möglichkeit, Polizei, Richter, Staatsbeamte und Politiker zu bestechen und von sich abhängig zu machen und auf die Weise den Staatsapparat zu untergraben. 61Vgl. hierzu ausführlich Krauss 2003. 62Kennzeichnend ist auch für diese nachholenden Entwicklungsdiktaturen die Verbindung von ökonomisch-technisch-bürokratischer Modernität mit den Grundaspekten der autochthon vorgefundenen traditionalen Herrschaftskultur (Zarismus, patriarchalische Bauernkultur, asiatischer Despotismus, Konfuzianismus etc.) bei gleichzeitiger pseudomarxistisch verbrämter Negation der 'kulturellen Moderne'. Literatur:AKM (Arbeitskreis kritischer Marxistinnen und Marxisten): Beiträge zur Stalinismus-Diskussion, Berlin 1997. Bales, Kevin: Die neue Sklaverei, München 2001. Baumann, Zygmunt: Ansichten der Postmoderne, Hamburg, Berlin 1995. Brentjes, Burchard: Zu einigen Schlussfolgerungen aus den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels zur Entstehung des Staates im Alten Orient. In: Herrmann, Joachim; Sellnow, Irmgard (Hrsg.): Beiträge zur Entstehung des Staates, Berlin 1976, S. 27-35. Bürger, Peter: Das Verschwinden des Subjekts. Eine Geschichte der Subjektivität von Montaigne bis Barthes. Frankfurt am Main 1998. Castells, Manuel: Jahrtausendwende. Teil 3 der Trilogie "Das Informationszeitalter". Opladen 2003. Chartier, Roger: Die kulturellen Ursprünge der Französischen Revolution, Frankfurt am Main; New York 1995. Engels, Friedrich: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. MEW Band 21.Berlin 1984. S. 25 - 173. Elias, Norbert: Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und pychogenetische Untersuchungen. Erster Band: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes. Frankfurt am Main 1976. Ennen, Edith: Frauen im Mittelalter, München 1987 (3. überarbeitete Auflage). Grundsatzerklärung der Gesellschaft für kritische Sozialwissenschaft und Subjekttheorie, Berlin ohne Jahreangabe. Grünert, Heinz (Leiter eines Autorenkollektivs): Geschichte der Urgesellschaft. 2., durchgesehene Auflage, Berlin 1989. Gurjewitsch, Aaron J.: Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, München 1982. Herrmann, Joachim: Der Aufstieg der Menschheit zwischen Naturgeschichte und Weltgeschichte, Köln 1983. Herrmann, Joachim; Sellnow, Irmgard (Hrsg.): Beiträge zur Entstehung des Staates, Berlin 1976. Hofmann, Werner: Stalinismus und Antikommunismus. Zur Soziologie des Ost-West-Konflikts. Frankfurt am Main 1970 (5. Aufl.). Holzkamp, Klaus: Sinnliche Erkenntnis. Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Frankfurt am Main 1973. Holzkamp, Klaus: Grundlegung der Psychologie, Frankfurt am Main, New York 1983. Holzkamp-Osterkamp, Ute: Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung Band 1. 2. korr. u. um e. Reg. erg. Aufl.., Frankfurt am Main, New York 1975. Holzkamp-Osterkamp, Ute: Grundlagen der psychologischen Motivationsforschung Band 2. Die Besonderheit menschlicher Bedürfnisse - Problematik und Erkenntnisgehalt der Psychoanalyse. 2. korr. Aufl. Frankfurt am Main, New York 1978. Kant, Immanuel: Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht. In: Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften (Hrsg.): Kant's gesammelte Schriften. Band VIII. Erste Abteilung: Werke. Berlin und Leipzig 1928. 15-31. Kant, Immanuel: Kants Werke. Akademie-Textausgabe. Band VI. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft. Die Metaphysik der Sitten. Berlin 1968. Klengel, Horst: Einige Erwägungen zur Staatsentstehung in Mesopotamien. In: Herrmann, Joachim; Sellnow, Irmgard (Hrsg.): Beiträge zur Entstehung des Staates, Berlin 1976, S. 36-55. Klenner, Hermann: Stichwort 'Macht/Herrschaft/Gewalt'. In.: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften (Herausgegeben von Hans Jörg Sandkühler), Band 3, Hamburg 1990, S. 114-121. Kofler, Leo: Perspektiven des revolutionären Humanismus, Reinbek bei Hamburg 1968. Kofler, Leo: Geschichte und Dialektik. Zur Methodenlehre der dialektischen Geschichtsschreibung. Darmstadt und Neuwied 1972. Kossok, Manfred (Leiter): Allgemeine Geschichte der Neuzeit. 1500-1917. Berlin 1986. Kossok, Manfred: Revolutionen der Weltgeschichte. Von den Hussiten bis zur Pariser Commune. Stuttgart 1989. Krauss, Hartmut: Das umkämpfte Subjekt. Widerspruchsverarbeitung im 'modernen Kapitalismus. Berlin 1996. Krauss, Hartmut: Geschichte und Subjektivität. Möglichkeitsbedingungen und Konstitutionsmerkmale 'praktisch-kritischer' Subjektwerdung im historischen Prozeß. In: HINTERGRUND IV-97, S. 15-35 und HINTERGRUND I-98, S. 6-27. Osnabrück 1997/98. Krauss, Hartmut: Faschismus und Fundamentalismus. Varianten totalitärer Bewegung im Spannungsfeld zwischen 'prämoderner' Herrschaftskultur und kapitalistischer 'Moderne'. Osnabrück 2003. Lambrecht, Lars; Tjaden, Karl Hermann; Tjaden Steinhauer, Margarete: Gesellschaften von Olduvai bis Uruk. Soziologische Exkursionen. Kassel 1998. Lenin, W. I.: Über linke Kinderei und Kleinbürgerlichkeit. In: W. I. Lenin. Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Band IV. Frankfurt Main 1971. S. 381-414. Lukács, Georg: Der junge Hegel, Berlin 1954. Markov, Walter/ Soboul, Albert: 1789. Die Große Revolution der Franzosen. Köln 1977. Marx, Karl: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, Berlin 1974. Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band, Frankfurt am Main 1976. Marx, Karl: Die ethnologischen Exzerpthefte, hg. v. L. Krader, Frankfurt am Main 1976b. Meslier, Jean: Das Testament des Abbé Meslier (Herausgegeben von Günther Mensching), Frankfurt am Main 1976. Mottek, Hans: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriß. Band 1: Von den Anfängen bis zur Zeit der Französischen Revolution. Berlin 1971. Pleticha, Heinrich (Hrsg.): Geschichtslexikon. Daten, Fakten und Zusammenhänge. 4., aktualisierte Aufl., Berlin 2001. Sandvoss, Ernst R.: Geschichte der Philosophie. Band 2: Mittelalter, Neuzeit. Gegenwart. München 1989. Schild, Wolfgang: Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung. 1000 Jahre Grausamkeit. Hamburg 1997. Seidel, Helmut: Scholastik, Mystik und Renaissancephilosophie. Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie. Berlin 1990. Stiehler, Gottfried: Werden und Sein. Philosophische Untersuchungen zur Gesellschaft. Köln 1997. Tjaden Steinhauer, Margarete; Tjaden, Karl Hermann: Gesellschaft von Rom bis Ffm. Ungleichheitsverhältnisse in West-Europa und die iberischen Eigenwege. Kassel 2001. Tolman, Charles W.: Die Beharrlichkeit des Kartesianismus im psychologischen Hauptstrom und Anzeichen seiner Überwindung. In: Forum Kritische Psychologie 34, Hamburg 1994, S. 95-111. Tomberg, Friedrich: Begreifendes Denken. Studien zur Entwicklung von Materialismus und Dialektik. Köln 1986. Unger, Frank: Natur als Legitimationskategorie im Gesellschaftsdenken der Neuzeit. In: Rückriem, Georg (Hrsg.): Historischer Materialismus und menschliche Natur, Köln 1978. 18-41. Van Dülmen, Richard (Hrsg.): Fischer Lexikon Geschichte, Frankfurt am Main 1990. Vogler, Günter: Probleme der Klassenentwicklung in der Feudalgesellschaft. In: Institut für Marxistische Studien und Forschungen (Hrsg.): Bürgerliche Revolutionen. Probleme des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus. Frankfurt am Main 1979, 65-91. Waas, Adolf: Der Mensch im deutschen Mittelalter, Wiesbaden 1996. Wittfogel, Karl August: Die orientalische Despotie. Eine vergleichende Untersuchung totaler Macht. Köln 1962. Weber, Max: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972. Wygotski, L.: Ausgewählte Schriften. Band 1. Arbeiten zu theoretischen und methodologischen Problemen in der Psychologie. Hrsg.: Joachim Lompscher. Köln 1985.
![]() ![]() |
![]() |
GLASNOST, Berlin 1992 - 2019 |
![]() |