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Beiträge zur Theorie  









Hanna Behrend

Was bringen uns die neuen Medien?
Zur Kontroverse um das Internet

Ich möchte über einige der mir wichtig erscheinenden Vorstellungen zu aktuellen Nutzungsmöglichkeiten und utopischen Potenzen des neuen Mediums Internet berichten.

Ganz ähnlich wie im Jahre 1825 in England oder zehn Jahre später in Deutschland, als viele Menschen Tod und Verderben als Folge der rasanten, unmöglich von Menschen auszuhaltenden Geschwindigkeit (von damals 30 km/h) des neuen Verkehrsmittels Eisenbahn befürchteten, werden auch heute die technischen Mittel von ihren Produktions- und Reproduktionszusammenhängen getrennt und erscheinen dann als primäre Ursache von vorgeblichen oder tatsächlichen Vor- und Nachteilen.

Die meisten InternetbenutzerInnen verwenden das Medium, um schnell und billig mit anderen zu kommunizieren (per email, sms, in chatting rooms), um sich auf einfache Weise aus allen Teilen der Welt Informationen (durch online gestellte Bibliotheks- und Verlagskataloge, Zeitungen und Zeitschriften) oder durch online verfügbare Programme Bildung zu beschaffen. Viele bestellen bereits über Internet-Versandorganisationen Waren und Dienstleistungen aller Art aus allen Teilen der Welt, bzw. bieten ihre Waren-, Dienstleistungen und Informationen über die Elektronik an. Von denjenigen, die rechtsextreme oder pornografische Kontakte suchen, will ich absehen und hoffen, dass es sich immer noch um eine verschwindende Minderheit handelt.

Nur eine relativ kleine Zahl von NutzerInnen beteiligt sich an der Debatte um die gesellschaftspolitische Relevanz des Mediums. Es ist eine heterogene Minderheit, die einig nur darin ist, dass die neue Technik gewaltige gesellschaftliche Umwälzungen im Gefolge hat. Diese Minderheit zerfällt in drei Hauptgruppen: Diejenigen, die mehr oder weniger dezidiert kulturpessimistische Auffassungen vertreten, diejenigen, die das Medium eher euphorisch betrachten und diejenigen, zu denen auch ich mich rechne, die seine Ambivalenz hervorheben.

Zu den KulturpessimistInnen gehören jene, die vor allem die negativen Folgen herausstellen, die sich aus der Nutzung des Internet durch die global players zu deren Gunsten und zu Ungunsten der Mehrheit der Minderprivilegierten einstellen; sie beklagen u.a. wie Christian Müller im Argument Heft 238 die zu einer neuen psychischen Krankheit avancierte manische Nutzung des neuen Mediums. Für Fanny-Michaela Reisin ebendort ergeben sich negative Folgen daraus, dass nur die Herrschenden die Potenzen des durch die neue Technik von Grund auf gewandelten Wesens der Arbeit erkannt haben, das darin besteht, dass. Arbeit „nicht mehr ausschließlich stofflich, sondern ... auch ... subatomar, ... sub- oder im-materiell“ vermittelt wird. Dagegen bewegen sich „die ... Beherrschten [noch] weitgehend auf den herkömmlichen Straßen und sind weit davon entfernt, sich den Globus anzueignen“. Auch Mario Candeias (a.a.O.) betont, dass die große Unternehmen durch Fusionen und Allianzen die besseren Karten bei der Nutzung der neuen Technologie haben und die kleinen im Netz verdrängen.

Zu den kulturpessimistischen Auffassungen gehört auch die uneingeschränkte Kritik an dem von der neuen Technologie inspirierten Herrschaftsdiskurs und dem dadurch transportierten Menschenbild. Für Elisabeth List (a.a.O.) produziert die illusionäre Welt des Cyberspace „‚nomadische Subjekte’ und ‚multiple Identitäten’, die globale Tendenzen der Individualisierung und Isolation verstärken, ohne Vorteile für das individuelle Überleben – und auch ohne diesen Tendenzen etwas entgegenzusetzen“ (783), das eine Option gegen den „von der Realität forcierten Prototyp des neoliberalen Karriereindividualisten“ (ebda) darstellen könnte.

Dieser einseitigen Betrachtungsweise entsprechen seitenverkehrt euphorische Sichtweisen. Völlig zurecht betonen deren VertreterInnen, die neuen Technik würde den Widerständigen und Systemkritischen gute Dienste leisten, da es ihre Kommunikation, und Vernetzung so viel einfacher und schneller ermöglicht als ältere Medien. Eine ganze Gruppe junger InformatikerInnen geht darüber aber weit hinaus: Sie meinen, diese Technik würde Impulse auslösen, die eine neue, nicht marktförmige oder profitorientierte Gesellschaft entstehen lassen könnten. So debattieren alternative SoftwareproduzentInnen, NetzbetreiberInnen und –nutzerInnern seit ca. drei Jahren , ob nichtkommerzielle, also nichtproprietäre Internetprojekte wie GNU/Linux Modellcharakter für Gesellschaftsreformen in Richtung auf nichtprofitorientierte, nichtmarktförmige Gesellschaftsentwicklungen haben. In der im Internet geführten Debatte zur Vorbereitung der im April 2001 stattfindenden ersten Ökonux-Konferenz1 betrachten Stefan Merten und Stefan Meretz das Software Betriebssystem GNU/Linux, das von jungen InformatikerInnen in ihrer Freizeit kostenlos entwickelt wurde und allen NutzerInnen gratis zur Verfügung steht, als Modell einer neuen Ökonomie und Gesellschaft. Man könne „die Werte, die das Internet und Open Source erfolgreich gemacht haben, der Modellierung künftiger Regularien zugrunde legen. In dieser Sicht ist das Internet und Open Source ein Modell der Informationsgesellschaft". Gnu/Linux sei eine Form, „wie ein gesellschaftliches Bedürfnis ohne staatliche Struktur und ohne privatwirtschaftliches Vorantreiben sich aufs Beste verwirklicht." Gnu/Linux erfülle viele Voraussetzungen zur Überwindung des Kapitalismus2. So repräsentiere es eine neue Art der Produktivkraftentwicklung, deren Kern die Selbstentfaltung der Menschen ist. Freie Software sei keine Ware und liege folglich jenseits des Kapitalismus. Es sei „ eine postkapitalistische Insel, auf der ‚jedeR nach seinen Fähigkeiten, jedeR nach ihren Bedürfnissen’ leben kann, allerdings in einem kapitalistischen Meer, an dessen Ufern es natürlich Überlappungserscheinungen und Widersprüche gebe. Die Frage wäre, ob das Meer die Insel zu verschlingen imstande ist – oder ob die Insel immer größer wird". Diese Zweifel hindern Meretz und Merten nicht zu betonen, dass die nichtkommerzielle Produktions- und Vertriebsweise von GNU/Linux in fundamentalem Widerspruch zum kapitalistischen Konkurrenzprinzip stehe und daher nicht in die kapitalistische Verwertung integriert werden könne.

Auch für Annette Schlemm, die in Jena eine Zukunftswerkstatt betreibt, „bricht freie Software die Eigentumsverhältnisse im Kapitalismus auf“ („Surfende Schmetterlinge im politischen Chaos“ Osnabrück 2001). Sie sieht zurecht das Zukunftsweisende der Diskussion um das GNU/Linux-Projekt, im Neuaufgreifen der Eigentumsfrage, in den neuen Überlegungen zu den Produktivkräften, speziell bezüglich der menschlichen Selbstentfaltung als Produktivkraft. Sie hebt die Bedeutung der Nutzung modernster Produktionsmittel für dezentral vernetzte und damit demokratisierbare Produktionsprozesse sowie zu Fragen der politischen Organisation hervor. Letztere würden nun als nichthierarchisch, selbstorganisiert, mitgestaltend (maintainer-Prinzip) und in freien Kooperationen (nach Christoph Spehr3) denkbar. Allerdings ist für sie die neue Technologie nur eine der Tendenzen in der gegenwärtigen Entwicklung, die die Möglichkeit neuer dezentral-vernetzter Strukturen in sich bergen.

Zu den AutorInnen, die die Ambivalenz des neuen Mediums hervorheben, gehört Wolfgang Fritz Haug. In seinem Beitrag im Argument betont er einerseits den revolutionierenden Charakter der neuen Medien. Der transnationale High-Tech-Kapitalismus habe die neue, nicht von ihm geschaffene, sondern entdeckte Technik ins Zentrum gerückt und zu seinem Medium gemacht. Zwar auf digitalisierbare Gebilde beschränkt, sei diese neue Technik „ein epochaler Einschnitt, weil sie das erste wirkliche Massenkommunikationsmittel hervorgebracht hat“ (621). Daher habe das Netz auch viele widersprüchliche Gesichter: „Kommerzialisierung ringt mit Selbstorganisation“ (ebda), unterschiedliche Formen der Kommerzialisierung kämpfen miteinander um die Vorherrschaft. Die rasante Produktivität führt unter sonst gleichbleibenden Bedingungen aber weder zu mehr Arbeitsplätzen insgesamt, noch zu einer Verkürzung des Arbeitstages, sondern zu dauerhafter Massenarbeitslosigkeit.

Haug kritisiert andererseits aber Robert Kurz’ Auffassung, der Kapitalismus zerstöre durch das Internet seine eigene Geschäftsgrundlage, eine Auffassung, die einige der alternativen open source-SoftwareproduzentInnen teilen: Auch wenn das Internet „auf eine Welt jenseits des Kaufens und Verkaufens“ deutet, „ist Möglichkeit noch lange nicht Wirklichkeit. Die 25 Millionen, die täglich ihre Schlager vom Netz herunterladen“, seien keine „bewusst vergesellschafteten Individuen“.

Das ist ebenso unstrittig wie seine Feststellung, das Internet könne nicht „als postkapitalistisches Universalmedium ... innerhalb der kapitalistisch verfassten Gesellschaft vor allem der oppositionellen Kommunikation“ dienen oder gar „die unmittelbare Interaktion einer globalen Selbstverwaltungsgesellschaft ohne Geld und ohne Staat“ (637) ermöglichen. Nur schließt das m.M. nach nicht aus, dass die Existenz von auf dem Gebiet der neuen Technologie hochqualifizierter junger Leute, die auch politisch aktive sind und alternative Gesellschaftsutopien entwickeln, ein Stück Zukunftsgestaltung und eine neue hoffnungsträchtige Facette der bisher noch immer atomisierten systemkritischen Gegenöffentlichkeit darstellt.

Ursula Huws’ ebenfalls im Argument vorgetragener Standpunkt stellt eine Besonderheit dar. Sie vertritt die Meinung, die neue Technik werde in ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit überschätzt, eigentlich ließe sie die gesellschaftlichen Grundstrukturen unverändert4. Dabei unterschätzt sie m.M. nach die Wechselwirkungen zwischen Technologie, den Produktivkräften und speziell den arbeitenden Menschen, die die Produktionsverhältnisse ja nicht einfach unverändert reproduzieren.

Zu denjenigen, die meinen, die durch die neue Technik ausgelösten Umwälzungen hätten einerseits die Mächtigen mächtiger und die Beherrschten ohnmächtiger gemacht, aber andererseits könne diese Technik auch sehr wohl zu Wohlstand und einem guten Leben für alle beitragen, gehören neben Wolfgang Fritz Haug auch Christoph Ohm, Saskia Sassen, Frigga Haug und Wendy Harcourt.

Christoph Ohms geht es um eine differenzierte Betrachtung derjenigen, die, wie die Hacker, „mit ihrem ‚illegalen’ Betreten von technologischem Neuland die technische Umsetzung der Konzernstrategien unterlaufen bzw. ihre Unterlaufbarkeit öffentlich übers Medium Internet demonstrieren“ (730). Es gebe Prozesse der Selbstvergesellschaftlichung, durch die aggressive Arbeitsenergien junger Hacker auf zivilgesellschaftlich vertretbare Produkte umgeleitet werden (734). Anders als die Gruppe um GNU/Linux schlussfolgert Ohms, dass diese Form nicht-kapitalistischer Softwareentwicklung sich zwar weltweit durchsetzen könnte, dass das aber den transnational operierenden High-Tech Kapitalismus in seiner Existenz keineswegs bedrohen würde5.

Saskia Sassen geht davon aus, dass erst in den letzten Jahren die Hauptakteure des elektronischen Raums – Kommerz und Zivilgesellschaft – einander ins Gehege gekommen seien. Bei aller Machtfülle, die den privaten global players durch das Netz zufließt, lösten die Charakteristika elektronischer Netzwerke - Geschwindigkeit, Gleichzeitigkeit und Vernetzung – auch krisenhafte Erscheinungen in den Kontrollmechanismen der Finanzindustrie selbst aus. Sassen zufolge dominiert immer noch eine nichtkommerzielle Nutzung das Internet, die Zahl der BenutzerInnen habe sich erweitert, die Zivilgesellschaft habe im Netz eine beachtliche Präsenz. Entscheidend werde sein, ob sich das Internet als Ort der Möglichkeiten demokratischer Praktiken bewähren und „sich ... Formen von Widerstand gegen Wirtschaftsmacht und Herrschaft jeglicher Form entwickeln und sich von der Romantik grenzenloser Freiheit befreien“ (706) würden.

Frigga Haug eröffnet die Debatte zur Frage, was geschehen müsste, damit Frauen mittels des Computers wirklich politisch intervenieren können. Ob „Frauen Chancen haben, Einfluss zu gewinnen, hängt zum geringsten Maß davon ab, ob sie einen PC bedienen können“ (775). Selbst wenn die neuen Medien bessere Bedingungen für subversive Aktionen schaffen, muss es Frauen geben, die in Bewegung sind. Solche Frauen würden nicht durch die Technologie hervorgebracht, sondern können sich nur, wo sie existieren, ihrer bedienen, sofern sie die infrastrukturellen und finanziellen Möglichkeiten dazu erbringen können.

Wendy Harcourt schreibt über Women on the Net, einem mit UNESCO-Geldern von der Gesellschaft für Internationale Entwicklung gesponserten Projekt und demonstriert, auf welche Weise emanzipatorische Aktivitäten von Frauen heute bereits von dieser Technik profitieren6.

Alle hier vorgetragenen Standpunkte, auch die von mir nicht geteilten, enthalten wichtige, unbedingt zu berücksichtigende Erkenntnisse, wie der Herausforderung durch die neue Technologie zu begegnen wäre. Auch wenn wir von der Ambivalenz, dem Januskopf-Charakter des neuen Mediums ausgehen, sollten wir die kulturpessimistischen Auffasssungen als berücksichtigungswürdige Warnungen betrachten. Aber auch die Zukunftsvisionen derjenigen, die der neuen Technik die Potenz zuschreiben, neue gesellschaftliche Verhältnisse herbeizuführen, tragen emanzipative Züge. Die utopische Potenz der neuen Technik besteht m.M. nach zwar nicht darin, unvermittelt, aus sich selbst heraus Umwälzungen auszulösen, die die heutige patriarchal-kapitalistische Gesellschaft überwinden würden. Aber sie verkörpert sehr wohl die Chance, durch wesentliche Erhöhung menschlicher Arbeitsproduktivität weltweiten Wohlstand für alle zu schaffen. Die neue Technik kann viele körperlich schwere, ungesunde, unangenehme und zeitraubende, aber notwendige Tätigkeiten überflüssig machen, viele schlecht bezahlte, wenig qualifizierte Berufe aussterben lassen und damit Menschen für nicht automatisierbare, mit der Fürsorge für Menschen und andere Lebewesen verknüpfte Arbeiten freisetzen. Durch schnelle, unbegrenzte Kommunikation können in kürzester Zeit Informationen ausgetauscht und damit soziale, medizinische und ökologische Errungenschaften weltweit verfügbar gemacht werden; es können Verbindungen zwischen weit entfernten, unterschiedlichen Kulturen angehörenden Menschengruppen hergestellt werden, um Erfahrungstausch und Solidaritätsaktionen zu ermöglichen.

Viel deutlicher als bisher muss aber gesagt werden: Solche utopischen Nutzungen der neuen Technik widersprechen der Kapitallogik. Es bedarf daher nicht allein technischer, sondern auch radikaler gesellschaftlicher Veränderungen. Diese geschehen nicht im Selbstlauf der Technik; so genügen dafür auch keineswegs weitere von alternativen InformatikerInnen und ProgrammiererInnen entwickelte Verbesserungen der open software. Es bedarf vielmehr massenhafter Selbstorganisationsprozesse der Menschen auf allen Gebieten des Lebens und Arbeitens. Dazu können aber solche Bemühungen, die neue Technik in einem profitfreien Raum anzusiedeln, durchaus beitragen. Dabei kommt es auf die Produktivkraft Mensch an, der dabei weitere Erfahrungen in der Selbstorganisation oder der Freien Kooperation, wie Christoph Spehr es nennt, im Infragestellen von Kapitallogik und Herrschaftsstrukturen macht, und nicht auf die technische Vervollkommnung des Mediums.

In seinem mit dem ersten Preis der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgezeichneten Essay „Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation“ beantwortet Christoph Spehr die immer wieder gestellte Frage, nach den AkteurInnen, die das alles durchsetzen sollen: „So kompliziert und vielschichtig Herrschaft ist, so vielschichtig und vielgliedrig sind auch die Prozesse der Befreiung. Wir können uns heute kein historisch privilegiertes Subjekt mehr vorstellen, das die Veränderung der Verhältnisse bewirkt. ... Es geht um ein ganzes Bündel von Prozessen, einen komplexen Prozess, in dem Organisationen und soziale Bewegungen, Alltagsabsprachen und kulturelle Bewegungen, soziales Experimentieren, kulturelles Imaginieren und politische Kämpfe eine Rolle spielen und einander nicht untergeordnet werden können. Wir haben heute keinen Mangel an Instrumenten und Techniken, mit denen auf die Regeln Einfluss genommen werden kann. Wir haben keinen Mangel an möglichen und auch jetzt schon aktiven Subjekten (meine Hervorhebung). Die Frage der Durchsetzbarkeit verschiebt sich zur Frage nach der möglichen Gemeinsamkeit“ (67).

Diese Gemeinsamkeit ist im Entstehen. Sie entsteht inmitten menschenfeindlicher, gewaltförmiger Verhältnisse und trotz Atomisierung und Isolierung, Widersprüchlichkeiten und Unvollkommenheiten der Menschen. Ob bzw. wann sie eine kritische Größe erreicht und Veränderungen größeren oder gar globalen Ausmaßes auslöst, wissen wir nicht. Das neue Medium hat die technischen Voraussetzungen für ein gutes Leben für alle geschaffen. Wenn es den potentiellen und jetzt bereits aktiven Subjekten gelingt, zu bestimmten strategischen Gemeinsamkeiten zu gelangen und grundlegende Reformen durchzusetzen, können aus den Potenzen der neuen Technologie Realitäten werden.



© Hanna Behrend, Berlin 2001


Der Vortrag wurde am 31.3.2001 auf dem Seminar "Internet - Gendernet. Über die ambivalenten Auswirkungen neuer Medien auf die Lebens- und Arbeitswelt" in Würzburg gehalten, organisiert von der Akademie Frankenwarte, Gesellschaft für Politische Bildung e.V. in Zusammenarbeit mit dem Frauenforum Ökonomie und Arbeit.



Anmerkungen:

1 Sie wird an der Fachhochschule Dortmund mit Unterstützung der Rosa-Luxemburg-Stiftung und dem Studium Generale der Fachhochschule durchgeführt.

2 GNU/Linux privilegiere den Gebrauchswert, nicht den Tauschwert einer Ware, die von den ProduzentInnen in freier Absprache freiwillig hergestellt wird; es sei ein Spitzenprodukt der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung, ein Produkt, dessen Existenz sich gegen die herrschende Vergesellschaftungslogik durchgesetzt hat, ohne dass ein revolutionäres Bewusstsein dem Handeln vorangegangen wäre.

3 Christoph Spehr (1996), Die Ökofalle. Nachhaltigkeit und Krise, Wien ;(1999): Die Aliens sind unter uns, München (www.thur.de/philo/aliens.htm), vor allem aber die mit dem Rosa-Luxemburg-Preis geehrte Arbeit (2000) „Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation“, Berlin. Dazu auch Frigga Haug, Laudatio, in „Utopie Kreativ“ 125, März 2001.

4 Ursula Huws, in „Der Mythos der weightless economy“ im „Argument“, widerspricht den Entmaterialisierungs-Thesen von Dennis Quah. Ihm zufolge treten „immaterielle Dienstleistungen als Hauptquellen des Werts an die Stelle materieller Güter“ (647). Der Begriff der Dienstleistungen umfasse jedoch, so Huws, drei Gruppen sehr unterschiedlicher Tätigkeiten:

(1) die bezahlten oder unbezahlten familialen und nachbarschaftlichen sowie öffentlich geleistete Tätigkeiten wie Müllabfuhr, Grünanlagenpflege, Straßenreinigung, Unterhaltungs- und Sexindustrie. Insgesamt habe sich selbst in diesem Sektor der Materialverbrauch drastisch erhöht, so in Großbritannien der Aluminiumverbrauch, der von 1950 bis 1996 von 1 Mio. auf 20 Mio.Tonnen stieg; (2) die Entwicklung des Humankapitals in Gestalt der Wissens-Arbeitskräfte. Darunter fallen Erziehung und Ausbildung sowie bestimmte Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten. Obwohl gerade dieser Sektor mit großen Veränderungen im Arbeitsprozess verknüpft ist, scheine er „jedoch keine neuen Probleme aufzuwerfen, die nicht im Rahmen der ‚alten’ Ökonomie lösbar sind“ (650); (3) schließlich die Wissensarbeit selbst, wie sie in die Produktion von materiellen und immateriellen Produkten eingeht. Diesen Sektor fasst Huws als „ein Produkt zunehmend spezialisierter Teilung der Fertigungsarbeit“ (651), durch die eine ständig wachsende Kapitalintensivität mit sinkenden Löhnen in den manuellen, mechanischen Arbeiten einhergehe.

Die Arbeitsteilung habe somit dazu geführt, dass „ein wesentlicher Teil der Arbeitskraft auf ‚nicht-manuelle’ Arbeit verwendet wird, ... auf die Hervorbringung und Verbreitung von ‚Information’. Das ändere aber nichts daran, dass letzten Endes die Marktkräfte bestimmen, wer welchen Teil des Kuchens beanspruchen kann“ (ebda). Daher müsse man bei Wertbildungsuntersuchungen weiterhin davon ausgehen, dass „wirkliche Menschen mit wirklichen Körpern zur Entwicklung dieser ‚immateriellen’ Waren wirkliche Zeit aufgewendet haben“ (ebda).

Solange ein Computer so viel kostet „wie das jährliche Arbeitslosengeld in Großbritannien oder das Jahreseinkommen dreier Lehrer in Kalkutta“, so lange bleibe „die Mehrzahl der Jobs .... an einen bestimmten Standort ... gebunden, weil sie mit der Gewinnung von Bodenschätzen, ihrer Verarbeitung, der Herstellung materieller Waren ..., mit Transport- und Bauarbeiten oder der Bereitstellung persönlicher Dienstleistungen zu tun haben“ (657). Auch die Wissensarbeit selbst werde einerseits eine geringe Zahl scheinselbständiger, aber sich als selbständig verstehender kreativ Tätiger und andererseits ein neues White-Collar-Proletariat hervorbringen, das mit ausführenden Wissens-Arbeiten beschäftigt und tayloristisch überwacht wird. Diese Zukunft bedürfe keiner neuen „Ökonomie des Immateriellen“, sondern einer Analyse der Vielschichtigkeit der antagonistischen Sozialverhältnisse der arbeitenden Menschen.

5 Einige dieser Hacker wurden von den Elektronikkonzernen aufgekauft, aber immer wieder formieren sich neue Gruppen, deren Zahl wächst und die weiter „in die kapitalistische Gesellschaft intervenieren, in der sich gegenwärtig ein Umbruch der Produktionsweise vollzieht“ (731). 1995 wurden vier Webseiten von Hackern gekapert, 1999 bereits 37736. Keineswegs alle Hacker arbeiten destruktiv, d.h. zerstören Daten. Der Chaos Computer Club (CCC), zu Beginn der 80er Jahre gegründet, erarbeitete eine von Hackern weithin anerkannte Ethik, die „ein Manifest zur Durchbrechung kapitalistischer staatlicher Geheimhaltung“ (ebda) darstellt und u.a. fordert, öffentliche Daten zu nützen, private zu schützen, antirassistisch, antisexistisch, antiautoritär, dezentral und sozial zu handeln. Seit dem Aufstand der Zapatistas in Chiapas werden Mitteilungen der Zapatistischen Nationalen Befreiungsarmee weltweit über das Internet zirkuliert (735). Es gibt Gruppen, die die Zapatistas durch Massen-Blockierung der websites der mexikanischen Regierung unterstützten und andere, die andere Protestformen entwickelten.

Johannes Moes, der sich ebenfalls mit der Netzkritikbewegung auseinandersetzt, beschreibt die nicht-proprietäre antimonopolistische Open-source-Bewegung als breites Spektrum von Programmen und Nutzungsvereinbarungen, darunter Lizenzvereinigungen wie GNU-Lizenz oder Copyleft. Anliegen dieser Bewegung sei nicht allein Kritik an der Ausgestaltung der Technik, sondern auch Problematisierung der Zugangsverteilung. In dieser Kritik seien „einige Impulse zur zivilgesellschaftlichen Nutzung der Informations- und Kommunikationsmedien aufgeboten und haben ... vielleicht Chancen auf Verwirklichung“.

Oppositionelle Netznutzung ist auch das Thema des Beitrags von Marion Hamm und Michael Zaiser, die zwei Formen, com.une.farce und indymedia.uk, beschreiben.

6 WoN führte zwei Jahre lang eine inzwischen geschlossene mailing list, die in Institutionen eingebundenen Frauen die Möglichkeit zu einem intensiven Dialog bot. Das Ergebnis war eine Dokumentation der Möglichkeiten, Vernetzung und Lobbyarbeit von Frauen für Frauen über das Internet auszubauen. Hauptvorteile der elektronischen Kommunikation waren die örtlichen, zeitlichen, sozialen, professionellen Grenzüberschreitungen. Wesentlich war, dass „die AktivistInnen versuchten, .... die virtuelle Realität so eng wie möglich an ihren ortsgebundenen Politiken auszurichten. Das von der gleichen Vf. herausgegebene Buch, das ich im Argumentheft 238 besprach, gibt darüber Auskunft.











 

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