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Beiträge zur Theorie  







Hanna Behrend

Nutzen, Grenzen und heutige Orte von Gesellschaftsutopien

Was ist eine Utopie und was ihr Nutzen?

Utopien, d.h. Modelle und Visionen einer besseren als der aktuellen Gesellschaft, haben die Menschheit stets begleitet. Und obwohl die Utopie seit den großen Umbrüchen von 1989/90 stark aus der Mode gekommen zu sein scheint, trägt auch heute jeder Mensch  ein Stück häufig nur verschütteter Hoffnung auf eine bessere Zukunft in sich.  
Utopien waren und sind nicht Teil des Mainstream, des dominanten Diskurses der Gesellschaft. Vielmehr haftet ihnen stets etwas Subversives an. Sie finden sich an sehr verschiedenen Orten: In Romanen, Prosatexten, in den Köpfen der Menschen, ihren Zusammenschlüssen und ihren Handlungen. Die in Texten festgehaltenen Utopien sind Teil der Sozialisation ihrer LeserInnen und gehen mit deren praktischen Erfahrungen eine Synthese ein. Als Teil des öffentlichen Diskurses zu existentiellen Fragen verschwinden sie niemals spurlos. Utopische Texte sind Teil des historisch-kulturellen Gedächtnisses der Menschen des betreffenden Kulturzusammenhangs.   Unter den Bedingungen globaler Kommunikation können utopische Ideen aus aller Welt zu einer Tradition des individuellen und kollektiven sozialen Engagements verschmelzen, ein gewiss sehr differenzierter und komplexer Vorgang.
Unter dem Eindruck des Zusammenbruchs des realsozialistischen Systems erklärte die ostdeutsche Schriftstellerin Annett Gröschner auf dem I. Kongress des Unabhängigen Frauenverbands in Leipzig 1991:

Ohne Utopie wird frau dumm und hässlich. Unsere seitenlangen Vorstellungen einer neuen Gesellschaft Gleichberechtigter sind zu raschelndem Papier geworden. ... Wir winken ab, wenn wir darauf angesprochen werden und  lachen schon böse darüber, wissen aber zugleich, dass wir ohne eine Utopie nicht werden lachen können.  

Die Frage ist offen, ob die Utopie, diese bewegende Poesie, die Zeugnis ablegt von menschlicher Phantasie und Widerstandsgeist, Einfallsreichtum und Sehnsucht nach Verwirklichung menschengerechter Zustände zu raschelndem Papier geworden ist oder doch unverzichtbar ist.  Utopie ist ein Kind einer Fähigkeit der menschlichen Gattung, die uns von allen anderen Lebewesen unterscheidet: Karl Marx hat sie im Kapital so beschrieben:

Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut. Am Ende des Arbeitsprozesses kommt ein Resultat heraus, das beim Beginn desselben schon in der Vorstellung des Arbeiters, also schon ideell vorhanden war (Marx, Kapital I, M-E W, .XXIII, 19).


Die menschliche Fähigkeit, sich ideelle Vorstellungen von einer Sache zu machen, die es noch nicht gibt, ist auch die Mutter der Fähigkeit zu Visionen und Träumen, die von der Unzulänglichkeit des  Daseins  motiviert Quelle allen Fortschritts der Menschheit sind. Sie ermöglicht uns nicht nur, höchst komplexe technische und wissenschaftliche Leistungen zu ersinnen, sondern auch, uns eine anders organisierte menschliche Gesellschaft vorzustellen.  Die bisherigen Versuche, verwirklichungsfähige Reformvorstellungen für so komplexe Gebilde wie die menschliche Gesellschaft zu ersinnen sind allerdings stets gescheitert bzw. haben zu unvorhergesehenen Ergebnissen geführt. Die Deformation des alten Menschheitstraums von der Gleichheit und Gütergemeinschaft in die Gestalt der totalitären Diktatur des Proletariats und der historische Untergang des auf diesen Vorstellungen beruhenden Gesellschaftssystems hat nicht nur dessen Ideologie, sondern auch jegliche Gesellschaftsutopie schwer beschädigt.  Dennoch sind auch an der Praxis gescheiterte Utopien stets janusköpfig gewesen. Bei näherem Hinsehen enthalten sie neben grausamen und menschenfeindlichen stets auch Elemente von Emanzipation und produktiver gesellschaftlicher Innovation, die auch das Scheitern des ganzen Systems in der einen oder anderen Weise überleben. Kann also die Wirklichkeit, deren Unzulänglichkeit und Unmenschlichkeit  immer wieder zu Utopien motiviert,  nie nach diesen Gesellschaftsutopien umgestaltet werden? Wenn das so ist, wozu benötigt der Mensch aber dann das Utopische, die Vorstellung darüber, wie der bessere, menschengerechtere Ort aussehen könnte?  Was nützt uns die utopische Antizipation, wenn sie an keinem Ort je anzusiedeln ist? Kein Wunder, dass seit 1989 all jene Oberwasser bekamen, die das Ende der Utopie, ja das Ende der Geschichte verkündeten.   

Das Ende vom Ende der Geschichte

Aber in den letzten Jahren ist es andererseits auch um die Behauptung, mit dem Ende dessen, was als Kommunismus bezeichnet wurde, sei auch das Ende der Geschichte erreicht, stiller geworden. Es melden sich wieder Stimmen, die die utopische Losung verkünden „Eine andere Welt ist möglich!“. Die Zahl derer wächst, die es müde sind zu hören, die Zeit der Utopien sei endgültig vorüber und die des Pragmatismus und der sog. Sachzwänge sei gekommen. Die Zahl derer, die glauben, nur durch Lohndumping und Personalabbau könnten neue Arbeitsplätze entstehen und nur durch Beibehalten der Ungleichheit, durch weitere Bereicherung der Reichen, Schröpfen der Armen und durch weitere Kriege könne man der weltweiten Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der wachsenden Polarität von Armut und Reichtum trotz ständig eskalierender Produktivität menschlicher Arbeitskraft, der Umweltzerstörung und der ständigen Kriege beikommen, beginnt zu sinken..
Für den Dichter Stefan Hermlin war Utopie stets die "Sehnsucht nach einer besseren Welt", die als kritische und selbstkritische Instanz für jede emanzipatorische Bewegung unverzichtbar sei.
Spezialisten wie der Utopieforscher Richard Saage blieben auch nach der Wende dabei, ohne Utopien müsste die Bewältigung der Probleme des 21. Jahrhunderts scheitern, noch bevor aus der Versuch unternommen worden wäre, ihnen durch konstruktive Antworten gewachsen zu sein.

Der Anglist Stefan Lieske schlägt eine Rückbesinnung auf Ernst Blochs Prinzip Hoffnung  vor, weil dieser die Sinnhaftigkeit des Geschichtsprozesses demonstriert habe, der mit dem ‚Realsozialismus’ weder seinen End- noch gar Höhepunkt erreicht hat.

Indem Bloch seinem Geschichtsbild einen breiten Kulturbegriff unterlegt, dessen zentrale Kategorie die utopische Hoffnung ist, kann er einmal den „Realsozialismus“ als eine Stufe im Prozess historischer Evolution akzeptieren; zum anderen kann er ebenfalls die eigene Überzeugung auf einen offenen Geschichtsprozess hin zum ‚gesetzmäßig erwartbaren, erreichbaren Ziel: der sozialistischen Humanisierung’ bewahren und somit einem Geschichtspessimismus entgehen. (Lieske, 149)

Bloch habe eine neue Kategorie von Utopie entwickelt. Während er die vormarxistischen Sozialutopien (Fourier, St. Simon, Owen) als „überwiegend im Kopf ausgemalte“, abstrakte Utopien bezeichnet, die, weil ohne Rücksicht auf die Reife der Bedingungen keine realen Möglichkeiten hatten,  in der Wirklichkeit realisiert zu werden, stellt für ihn der Marxismus  oder wissenschaftliche Sozialismus wegen der begründbaren Verwirklichungsmöglichkeiten die konkrete Utopie dar   Es handelt sich aber um einen Sozialismus, dem wie Habermas sagte „Bloch die Tradition des Kritisierens erhalten“ wollte.  Er bedeute nicht das Ende der Utopie. Wie Marx gehe Bloch von einem „utopischen Überschuss“ vergangener Kulturen aus, deren „Noch-Nicht-Eingelöstes ein Vermächtnis für die Nachwelt darstellt“ (Lieske. 155).   
Bloch geht von der Erkennbarkeit historischer Gesetzmäßigkeiten und deren Vermittelbarkeit  mit Hilfe der marxistischen Theorie aus, die nur "durch Unzulänglichkeit verdunkelt, durch Abwege bitter entfernt wird".  Der Ausgang der Geschichte sei offen, biete aber nur zwei binäre Optionen, die vom Verhalten der AkteurInnen abhingen; deren Motivationen,  Konsequenz,  Beharrlichkeit und Integrität seien jedoch umberechenbare Größen. Ginge es gewissermaßen ohne die unzulänglichen AkteurInnen, so könnten auch die objektiv geltenden Gesetze der dialektischen Entwicklung und ihrer ferneren Möglichkeit wirksam leiten, glücklich fruktifiziert werden. In sich selbst als hoffende Hoffnung durchaus entschieden, muss doch der Ausgang selbst erst noch entschieden werden, in offener Geschichte, als dem Feld objektiv-realer Entscheidung (Bloch, III, 486).
 
Dieser dichotome historische Determinismus ignoriert die zahlreichen, durch den Zufall und die unendliche Vielfalt menschlicher Subjektivität ins Spiel gebrachten und daher nicht vorhersehbaren Optionen. Bei Ernst Blochs Vorstellungen von der konkreten, verwissenschaftlichten und damit verwirklichungsfähigen Utopie besteht die Gefahr, dass ein solcher wissenschaftlich-realistischen Zukunftsentwurf zu einem Text wird, der zum Zensor und Büttel der Realität gemacht werden kann.               
Kann der von Ernst Bloch als "Motor der Geschichte" bezeichnete Marxsche "Kategorische Imperativ",  der uns auffordert "alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes. ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist", kann diese poetische Grundforderung verwirklicht werden, indem die  Gesellschaft in Übereinstimmung mit irgendeinem noch so überzeugend vorausgedachten Gesellschaftsprojekt umgestaltet wird?  Oder wurde bei diesem Versuch vielmehr, wie der Philosoph Gerd Irrlitz bereits 1988 zornig erklärte, das irreale und utopische Moral- und Politikelement im Marxismus, im originären Marxschen Denken verwirklicht, das Marx aus einer zurückliegenden Struktur geschichtlicher Übergänge auf sein Konzept der ökonomischen Evolution des Kapitalismus gesetzt hatte. ... Nun wurde das Überholte an Marx' Werk das Entscheidende und Beschworene ... und das Wissenschaftselement, die aufmerksame Beobachtung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses zu dem Reifegrad, dass es seinen eigenen Formwandel produziert, das wurde ausgeschieden" (Irrlitz,  936f).

Damit habe sich somit über kurz oder lang alles Utopische, was nicht als Visionen, Spielzeug der Phantasie, der Wünsche und Träume in die Gestaltung zukunftsoffener Gegenwartsbewältigung eingebracht wird, in eine Fessel verwandelt, die gesprengt werden muss. Das ursprünglich Emanzipatorische verkümmerte und starb selbst dann, wenn hinter dem Utopieprojekt nicht die Staatsmacht stand.
Die Folgen des so verstandenen Utopischen sind, wie Irrlitz schrieb: „Die Auflösung der Wirklichkeit im alltagspraktisch verschnittenen Text" (Irrlitz, 930-955). Wenn die Wirklichkeit den Text nicht korrigieren darf, wird das Überholte des utopischen Texts stets zum Bestimmenden.

Mit ähnlicher Kritik distanziert sich Habermas von Bloch.
Er will die beibehaltene Spekulation utopisch variieren. Die Heilsgarantie entfällt, aber die Antizipation des Heils bewahrt sich die Sicherheit: so oder gar nicht wird es gehen, alles oder nichts wird erreicht, die endlich erfüllte Hoffnung gemäß den vorweggenommenen Bildern der Erfüllung - oder Chaos" (Habermas, 157f).

Rudolf Bahros Kritik an der marxistischen Utopie


In dem 1977 im Todesjahr Ernst Blochs.erschienenem Werk Die Alternative. Zur Kritik am real existierenden Sozialismus stellt Rudolf  Bahro fest:

.Je mehr er sich nun in die politischen Kämpfe und ökonomischen Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft vertiefte, desto klarer erkannte Marx, dass es überhaupt nicht darauf ankam, das Modell einer neuen Gesellschaft auszuklügeln, sondern ... die wirkliche Bewegung aufzudecken und zu fördern, die den bestehenden Zustand aufhebt  ( Bahro, 27f).
 
Von dieser wirklichen Bewegung lasse sich nicht voraussagen, auf welche Weise sie den bestehenden Zustand aufheben oder ob sie in vorübergehende oder gar dauerhafte, das Ende der Gattung herbeiführende Stagnation und Degeneration versinken werde. Die auch von Bahro beobachteten "utopischen Elemente im Kommunismus von Marx" lagen für ihn in dessen Überschätzung der Reife der Voraussetzungen für eine kommunistische Gesellschaftsordnung. Er habe ferner nicht vorausgesehen, dass

sich der allgemeinen Emanzipation des Menschen in dem weltweit geschürzten gordischen Knoten von Bürokratisierung und Entwicklungsungleichheit eine neue Herausforderung in den Weg stellen würde, die nun natürlich durch die immer noch nicht aufgehobenen Residuen des kapitalistischen Privateigentums zusätzlich verschärft wird  (ebenda).  

Bahros Kritik macht somit im Wesentlichen daran fest, dass Marx durch Überschätzung einer Tendenz und Unterschätzung einer anderen eine falsche Wahl der möglichen Optionen traf.
Was die Unmöglichkeit betrifft, wissenschaftlich fundierte langfristige gesellschaftspolitische Prognosen zu stellen, so kommt Bahro zu der bedenkenswerten Schlussfolgerung:

Es ist überhaupt Unsinn anzunehmen, eine Gesellschaft, die noch in wesentliche Interessengruppen unterschieden ist, könne ihre allgemeinen Interessen auf einen wissenschaftlichen Generalnenner bringen, der den sozialen Widersprüchen unvoreingenommen die Entwicklungsrichtung vorschreibt. Die Wissenschaft, nun gar die soziale, bringt primär diejenigen Interessen zum Ausdruck, die am meisten mit den vorherrschenden Mächten einer Gesellschaft übereinstimmen  (ebda, 289).
    

Ungeachtet seiner sehr präzisen Analyse des unvermeidlichen Scheiterns der verselbständigten und von den wissenschaftlichen Aussagen über die kapitalistische Gesellschaft abgekoppelten utopischen Elemente des Marxismus, die auch im Widerspruch zu dem oben zitierten beachtenswerten Satz von Marx über "die wirkliche Bewegung" stehen, kommt Bahro jedoch paradoxerweise für die Gegenwart zu der Schlussfolgerung:

Utopie gewinnt jetzt eine neue Notwendigkeit. Denn jene historische Spontaneität, die Marx und Engels auf den Begriff des naturgeschichtlichen Prozesses brachten und die unsere Marxisten-Leninisten unter dem Namen der objektiven ökonomischen Gesetze feiern, muss heute überwunden werden. Es muss genau das geschehen, was die Begründer des Marxismus erwarteten: dass die kommunistische Bewegung  'alle naturwüchsigen Voraussetzungen zum ersten Mal mit Bewusstsein als Geschöpfe der bisherigen Menschen behandelt,  ihrer Naturwüchsigkeit entkleidet und der Macht der vereinigten Individuen unterwirft'. Sie muss 'alles von den Individuen unabhängig Bestehende' unmöglich machen, 'sofern dies Bestehende dennoch nichts als ein Produkt des bisherigen Verkehrs der Individuen selbst ist'. (ebda., 300).

Kein noch so viele Individuen überzeugendes Projekt kann aber 'alles von den Individuen unabhängig Bestehende' unmöglich machen, alles Naturwüchsige und Spontane rationalisieren und organisieren.  Auch die grundlegende und dringend gebotene Umwälzung der gesamten Produktionsweise, der von Bahro prognostizierte "Sprung ins Reich der Freiheit, (der) nur denkbar (ist) auf dem Untergrund eines Gleichgewichts zwischen Menschengattung und Umwelt, dessen Dynamik sich entschieden aufs Qualitative und Subjektive verlegt" (ebda., 315) bleibt gebunden an spontane, naturwüchsige, von Individuen nicht voraussehbare Entwicklungen und an menschliches Engagement und Eingreifen. Die von ihm gegründete Kommune, wie die Longo Mai Kommunen und andere alternative Kolonien in vielen Teilen Europas, sind unterschiedlich lebensfähig, unterschiedlich effizient, unterschiedlich befriedigend für ihre Mitglieder, weshalb immer wieder Abspaltungen und Neugründungen stattfinden, Dennoch schreiben solche Gemeinschaften mit ihrem Versuch, "den jetzigen Zustand aufzuheben", stets auch alternative, experimentelle Geschichte, die sich aber immer von den theoretischen Konzepten und Antizipationen unterscheidet, mit denen die dort Engagierten angetreten sind. Die Realität zwingt sie zur Flexibilität, zur ständigen Anpassung an wirtschaftliche und personelle Gegebenheiten, zur Veränderung oder zur gänzlichen Aufgabe des Projekts. Jede/r einzelne, jede Organisation, Partei, Projekt, Gruppe, Kommune,  die in irgendeiner Weise, und sei es noch so vermittelt, einen Beitrag dazu leistet, dass es nicht so weiter geht wie bisher, die der  Trägheit des Kontinuum widersteht, ist Teil der "Gesamtheit jener öffentlichen, vor allem aber auch einzelnen und lokalen, privaten und sozialen Aktionen ..., die in einem Suchprozess Bedingungen und Verlauf des Wirtschaftens und Lebens verändern, damit schließlich schrittweise ein neuer Evolutionsraum eröffnet wird. Wie die Zerstörung nicht nur in Vorstandsetagen beschlossen, sondern auch im massenhaften Verhalten an allen Orten der menschlichen Tätigkeit wirksam wird, so kann umgekehrt das Widerstehen genau so in den Vorstandsetagen wie am Arbeitsplatz stattfinden, …. Das Widerstehen ist heute in keiner Weise mehr nur auf die Interessen der unterdrückten Klassen beschränkt." (Wagner, 197f)  Die Subjekte emanzipatorischer Veränderung  werden, sagt Hans Wagner, aus allen Schichten, Klassen, Nationen und Ethnien kommen, sie werden Frauen und Männer, junge und ältere Menschen sein. Zum Objekt der Geschichte werde man/frau gemacht, zum Subjekt müsse mensch sich selbst machen. Nur dort, wo die Vorhaben zu utopischen Zukunftsvorlagen zu Dogmen erstarren, die genau eingehalten werden müssen, wird das emanzipatorische Anliegen erwürgt.

Die postmoderne Abkehr vom großen Zukunftsentwurf   

Nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus in den 90er Jahren war klar, dass nach der Wende nicht einfach die alten utopischen Bilder und Vorstellungen hervorgeholt, kurz abgestaubt und dann wieder verwendet werden können. Auch für die Utopie muss die Frage nach der Funktion neu überlegt werden. Können Gesellschaftsvisionen überhaupt und auf welche Weise Menschen zu Veränderungen  inspirieren, die ihnen erlauben, ihre Gattungspotenz als soziale und solidarische  Wesen zu verwirklichen ohne dass die Veränderungen am Ende nur Reformer an die Macht zu bringen, die, einmal dort angekommen, es wiederum nur ihren VorgängerInnen gleichtun.. So verabschiedeten sich auch links stehende Autoren, die nicht in reinen, prinzipienlosen Pragmatismus versinken wollten, von den gesamtgesellschaftlichen Utopien und griffen zu postmodernen Überlegungen für ein neues Utopiekonzept.      
Der Philosoph Frederic Jameson sieht das Ende eines

für die ganze Periode der Moderne typischen Gefühls der Möglichkeit einer unmittelbar bevorstehenden sozialen Revolution, ‚des völlig systemischen Wandels, des Endes der bürgerlichen Ära selbst“ gekommen. Weil uns die Erfahrung der Historizität, des qualitativen Unterschieds von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abhanden gekommen sei,  stelle sich heute  „das spezifisch Utopische … als Fragmentarisierung kultureller Konstrukte dar, als Dekonstruktion, als analytische Zergliederung von allem und jedem, als nomadische Freisetzung aus den Zwängen von Tradition und Geschichte. (Lieske 147)  

Die Feministin Christina Thürmer-Rohr geißelte im Frühsommer 1992 in einer Vorlesung der von Rudolf Bahro geleiteten Veranstaltungsreihe an der Humboldt-Universität diejenigen, die sich dem

hilfreichen Klima der guten Hoffnung und des friedfertigen Vertrauens"  verschrieben und sich damit "an einer psychischen Disposition festhalten, ... die das moralische Niveau dieser Kultur nicht transzendiert, sondern nur befestigen könne. Solcherart Disposition machten sich speziell Frauen schuldig,  [es mache geradezu] ihre gesellschaftliche Unentbehrlichkeit [aus}. Warum brauchen wir eigentlich Hoffnung in die Zukunft, wenn wir die gegenwärtige Existenz zu akzeptieren uns weigern?... Wir sollten versuchen, in dieser Zeit hoffnungslos-gegenwärtig zu leben.  ... Die Verabschiedung vom Prinzip Hoffnung ist ... unvermeidbar und unaufschiebbar. … Wir sollten leben lernen in der Gegenwart ... Sinngebungen zu entthronisieren und sich vom Zukunftsschwung zu verabschieden ist kein Verzweiflungsakt, ... vielmehr eine Befreiung von Unrat, eine Art Säuberung.      Gegenwart hat mit Klarheit zu tun. [Anders als] die konstruierte Utopie ... sei der Traum, ein Phänomen der Gegenwart. … Der Traum kann die Augen für neue Möglichkeiten im wachen Leben öffnen. Wir haben aber gelernt, aus ihm wenig zu lernen ... weil seine Informationen für ein ordentliches normales Leben und Denken bedrohlich sein können (Thürmer-Rohr, 1987, 28-30f).

Auch hinter dieser scheinbar antiutopischen Position steht das Motiv der produktiven, menschheitsorientierten gesellschaftlichen Veränderung. Sie beschränkt die  Funktion des Utopischen auf dessen emotionale,  motivationale Komponente und billigt ihm keine direkte veränderungsstrategische Kompetenz zu
Diesem Appell zur Abkehr von Zukunftsentwürfen als Ausdruck der absoluten Wahrheit, Vernunft und Gerechtigkeit, die nur entdeckt zu werden brauchen, um durch eigene Kraft die Welt zu erobern … unabhängig von Zeit und Raum und menschlicher geschichtlicher Entwicklung (M-E-W, XIX, 200) entsprechen auch in der Belletristik neue Utopieformen, die in den Definitionen der Nachschlagewerke bis heute kaum einen Ort finden. Auch sie spiegeln die Verweigerung der AutorInnen gegenüber großen Gesellschaftsentwürfen wider, die diese als anmaßend und ideologiebelastet betrachten. Es handelt sich oft um surreale Phantasiegebilde, die nicht als denkbare Welten rezipiert werden können, sondern deren subversiver Gehalt aus Bilderwelt und Erzählstrukturen entschlüsselt werden müssen. Phantastisch und realistisch stehen in solchen Utopien nicht im Gegensatz, sondern das Realistische ist dort im Phantastischen aufgehoben. Auch solche literarischen Formen, oft aber keineswegs immer von feministischen Schriftstellerinnen gewählt, transportieren utopische Gesellschaftsvorstellungen.
Isolde Neubert untersuchte, welche utopischen Ansätze es in der postmodernen/poststrukturalistischen Theorie gibt, die die Gestalt besonders neuerer feministischer utopischer Texte prägen. Das poststrukturalistische Konzept hat eine sehr andere Vorstellung vom Subjekt. Es ist nicht mehr das stabile, einer festgelegten Identität zuzuordnende  Subjekt sondern über das Medium der Sprache werden die soziale Realität und die eigene Identität ständig konstituiert und reproduziert. Die Bedeutungen diskursiver Praktiken, ihre Dynamik und Kontextualität sind ständiger Ort von Konflikten von einem Moment zum anderen. So konstituiert sich das Subjekt ständig neu im Stoffwechsel mit seiner Umgebung. Weedon und Jordan zeigen, dass die Menschen als Individuen verschiedene Subjektivitäten verbinden, die durch die gegebenen Machtrelationen Rasse, Klasse, Geschlecht, strukturiert sind.  Sie alle sind ständige Orte politischer Kämpfe um Bedeutungen, die reale Auswirkungen auf das Subjekt haben. Dieser Subjektkonzeption wird von vielen Autoren … vorgeworfen, auf Veränderung orientierte Handlungskonzepte, die sich auf universelle Ideen gemeinsamer Unterdrückungs- und Emanzipationsmechanismen berufen, zu negieren bzw. fragmentieren.  Dagegen schließen z.B. Weedon/Jordan „Handlungsmöglichkeit und –fähigkeit mit ein, die in sozialen Interaktionen … vernetzt strukturiert …  entstehen. … Die Menschen organisieren sich oft im Kampf gegen bestimmte Praktiken, die sie unerträglich finden, gegen die sie sich wehren und die sie verändern. Dieses Vorgehen beschränkt sich selten auf eine einzige Option.“ (Neubert, 139), was nicht heißt, es könnte nicht unter bestimmten historischen Umständen  zu einem breiten Konsens und  gemeinsamen Aktivitäten kommen.

 Unter der Prämisse, dass Macht allen sozialen Verhältnissen eigen ist, ermögliche das eine Vielzahl von Formen des Widerstands, denn wie Foucault sagt, wo es Macht gibt, gibt es auch Widerstand und Macht ist überall präsent.     

Neue Wege utopischen Denkens

In seinem Essay „Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation“, die Christoph Spehr i.J. 2000 zur Beantwortung der Preisfrage der RLStiftung „Unter welchen Bedingungen sind soziale Gleichheit und politische Freiheit vereinbar?“ einsandte und für den er den ausgesetzten Preis erhielt, schreibt er:

Eine Bilanz des vergangenen Jahrhunderts kann nicht alles, was darin geschehen ist, dem Wirken politischer Utopien anlasten, aber sie lässt eine prinzipielle Skepsis nicht nur berechtigt, sondern geboten erscheinen. … Nicht nur die Gewalt, die sich mit dem richtigen Plan für die bessere Welt rechtfertigen will, sondern auch die soziale Stille einer Welt, in der man Rädchen und Teil ist, aber selbst nichts bedeutet, wo andere alles wissen und man selbst nicht gefragt ist – wo man niemand ist. Damit hat sich die politische Utopie  nicht erledigt. Sie muss nur zugleich auch Anti-Utopie sein; nicht nur Politik, sondern auch Anti-Politik. Anstatt herrschaftsförmige Zugriffe zu legitimeren und die Individuen zu entmündigen, muss ihr Kern darin bestehen, sich gegen herrschaftsförmige Zugriffe zu verteidigen und auf dem Recht auf eigene Entscheidung zu beharren (Spehr, 31).

Auch die von Spehr vorgeschlagene Utopie der Freien Kooperation setzt in der Gegenwart ein. Sie ist eine „Utopie der Echtzeit“ (39), für die keine utopische Gesellschaft erst errichtet und keine besondere historische Stufe erreicht werden muss. Die gesellschaftliche Ordnung, die Freiheit und Gleichheit ermöglicht, bedarf einer Politik, die Individuen, Gruppen, die Belegschaften ganzer Betriebe und politische Parteien hier und jetzt verfolgen könnten. Ihre Grundvoraussetzung ist die Freiwilligkeit jedes Individuums, ihr Motiv der Wunsch nach sozialer Gleichheit und politischer Freiheit.  Spehr fasst sie in fünf Punkten zusammen: Es geht um

1. Die Abwicklung von Herrschaftsinstrumenten – Machtfragen stellen. Darunter versteht er die Beschränkung von Macht in jeder Beziehung zwischen Menschen, so z. B. die Entprivilegisierung der Chef- oder Managementebene, die Umverteilung von Räumen, z.B. weniger prunkvolle Konferenzräume und dafür mehr Jugendzentren, das Zurückdrängen existenzieller Abhängigkeiten in Entwicklungsprojekten.

2. Eine Politik der Beziehungen - Alternative Vergesellschaftung: Es geht um das Prinzip des Verhandelns, um realistische Kooperation, um Anerkennung, d.h. Toleranz des anderen, Ermöglichung von Projekten, auch wenn sie einigen Teilnehmern nicht sinnvoll erscheinen, um Disloyalität zum Bestehenden,  was heißt, dass jede Kooperation stets auch beendet werden kann.

3. Eine Politik der Entfaltung sozialer Fähigkeiten – subjektive Aneignung: Hierzu gehört Förderung der Selbstreflexion, die Entwicklung einer kollektiven Führung und individuellen Selbstbewusstseins, sowie der Fähigkeit des Einzelnen zu aktiver Gestaltung und zu persönlicher Unabhängigkeit.
 
4. Praktische Demokratiekritik - emanzipative Demokratisierung: Dazu gehören ein egalitärer Korporatismus, autonome Dezentralisierung als Weg, um eine Mediatisierung der Gesellschaft zu verhindern, die die Wirkungsmöglichkeit des Indiiduums einschränken würde, affirmative action, um Regeln zu ändern, wenn damit benachteiligten Gruppen ein realer Vorteil verschafft und ihr Machtrückstand kompensiert werden kann. Political correctness öffnet ein Feld für die Kritik an bisher herrschenden Normen.

5. Organisierung, die geprägt ist von Solidarität, Bündnischarakter, Loyalität, kritischer Artikulation und Individuation,. “was bedeutet, dass man Menschen nicht verheizt“ (70).   

Wie Spehr schreibt, bewegt sich diese Politik der Anerkennung und des Verhandelns, die im italienischen Feminismus formuliert wurde, … ebenso in eine solche Richtung, wie die Ideenwelt und Praxis der Zapatisten in Chiapas. Viele andere tun das auch. Unsere ‚näheren’ Beziehungen – Wohn- und Lebensgemeinschaften, selbst organisierte ökonomische, politische oder kulturelle Projekte; Arbeitszusammenhänge; familiäre und ‚wahlverwandte’ Strukturen – haben eine zentrale Bedeutung als Experimentierfeld für soziale Kooperation und ihre Logik. Auch sie sind jedoch kein privilegierter Ort für die Entwicklung freier Kooperation (39). … Freie Kooperation zieht aus der Komplexität sozialer Systeme und der Problematik von Geltungsansprüchen bestimmte Konsequenzen. … Sie fragt in der konkreten Ausgangslage: Wo liegt hier überall erzwungene Kooperation vor, durch welche Herrschaftsinstrumente wird freie Kooperation verhindert, was sind Schritte, um diese Instrumente unschädlich zu machen oder zu beseitigen, … Der Modus der Veränderung sind konkrete Menschen, Kooperationen und Bewegungen, die sich auf die … Bestimmungen der freien Kooperation berufen, unterstützt und geschützt durch eine zunehmend allgemeinere Bewegung, deren Beteiligte sich zumindest gemeinsam auf das Prinzip der Freien  Kooperation beziehen.
Dieses Konzept der Freien Kooperation  ist deshalb implementierbar, weil es an einer konkreten, hochgradig ausdifferenzierten Gesellschaft mit vorhandenen Institutionen, überkommenen Strukturen politischer Machtorganisation und aktuell wirksamen Regelsystemen ansetzen kann. … Der Beitrag einer utopischen Methode dazu … besteht darin, nicht Effizienzdenken und Patentrezepte aufeinander prallen zu lassen, sondern in Kriterien zu denken und zu verhandeln“ (Spehr, 41).      

Zusammenfassung

Der Verzicht auf Utopien, in deren Fokus ein Bauplan der besseren menschlichen Gemeinschaft steht und deren Ablösung durch neue Methoden und Strategien utopischen Denkens scheint mir ein wesentlicher Fortschritt und eine richtige Lehre aus dem Scheitern des Realsozialismus zu sein. Auch diese neue Funktion von Utopien ist untrennbar mit Fragen nach den Entstehungsbedingungen geschichtlicher AkteurInnen verknüpft. Dabei soll auch  das Träumen, Fabulieren oder die Vision von einem guten Leben in einem guten Gemeinwesen nicht aufgegeben werden, Solange man weiß, dass sich, wie bereits Friedrich Engels konstatierte,

die Geschichte so macht, dass das Endresultat stets aus den Konflikten vieler Einzelwillen hervorgeht, wovon jeder wieder durch eine Menge besonderer Lebensbedingungen zu dem gemacht wird, was er ist; es sind also unzählige einander durchkreuzende Kräfte, eine unendliche Gruppe von Kräfteparallelogrammen, daraus eine Resultante - das geschichtliche Ergebnis - hervorgeht, die selbst wieder als das Produkt einer, als Ganzes bewusstlos und willenlos wirkenden Macht angesehen werden kann. Denn was jeder einzelne will, wird von jedem andern verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat. ... Aber  daraus, dass die einzelnen Willen ... nicht das erreichen, was sie wollen, ...  darf doch nicht geschlossen werden, dass sie = 0  zu setzen sind. Im Gegenteil, jeder trägt zur Resultante bei und ist insofern in ihr einbegriffen. (Engels M-E-W,XXXVII, 464).

Der den "geschichtlichen Gesamtplan" steuernde "Gesamtwillen" wird immer nur im Rückblick erkennbar sein. Dann erst kann erkannt werden, was eine notwendige und gleichzeitig mögliche, d.h. mit den vorhandenen AkteurInnen mit ihren realen Motivationen und Zielvorstellungen durchsetzbare Option war, die sich über scheinbare Zufälligkeiten und Widersinnigkeiten realisierte und weshalb andere Optionen nicht verwirklicht wurden. Das begründet die Unverzichtbarkeit des menschlichen Geschichtsbewusstseins, das uns ermöglicht, Erfahrungen der Vergangenheit so zu verarbeiten, dass wir Zukunftstrends in der Gegenwart wahrzunehmen können, so dass unsere Utopien, Träume und Visionen realistische Züge annehmen können. Auch die scheinbar zeitlosen postmodernen utopischen Erzählungen sind Raster, mit denen gesellschaftliche Vorgänge eingeordnet und damit historisiert werden können.
Ohne Geschichtsbewusstsein sind wir im Interesse der Herrschenden  manipulierbar. Die Utopie, der Zukunftstraum ist das ebenso unverzichtbare mentale Spiel mit den historischen Optionen, das unser Geschichtsverständnis und unsere soziale Erfahrung zur Voraussetzung hat. Auch für Bloch ist der unendliche poetische und philosophische Reichtum an Träumen einer besseren Welt, die die Menschheit hervorgebracht hat, das Spielmaterial, mit dem die SeherInnen ihr Wirklichkeitsbild bereichern. Ohne diese Optionen durchzuspielen, ohne Vorstellungen, Pläne, wie denn das Bessere, das das Schlechte mit unserer Hilfe ablösen soll, aussehen könnte, kann keine Motivation zur Veränderung, kein Handlungsmotiv entstehen.  In den  Antizipationen  werden die Widersprüche und Konflikte, die Klassen, Geschlechter, Ethnien, Nationen oder anderen Gemeinschaften in der Realität voneinander trennen,  phantastisch oder visionär überwunden. Schon deshalb können die so entstandenen Texte  nur ein Kommunikationsangebot sein, mit dem die/der Veränderungswillige, bzw. die soziale Gruppe, die er/sie vertritt, sich kritisch zur Realität äußert und je nach den bestehenden Macht- und Gegenmachtverhältnissen gehört wird.

Bloch zitiert zustimmend den 25-jährigen Marx, der in einem Brief an Ruge 1843 schrieb, "dass die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von dem sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen. Es wird sich dann zeigen, dass es sich ...um die Vollziehung der Gedanken der Vergangenheit (handelt)" (Bloch III, 1959, 475f). Bloch solidarisiert sich hier mit der utopischen Überhöhung in diesem Brief, in dem Marx das Vielgestaltige der menschlichen Widerspruchsverarbeitung als eine einzige historische Tendenz sieht, in der alle empanzipatorischen Ideen der Vergangenheit aufgehoben sind. Aus dieser sehr allgemein formulierten Aufhebung ergibt sich jedoch gleichzeitig auch ihre qualitative Umwandlung. Wenn Bloch sich auf diese Aussage beruft, um die gesetzmäßige Realisierbarkeit von antizipierten Ideen und Zukunftsvorstellungen zu begründen, so übersieht er dabei die Doppeldeutigkeit des Marxschen Begriffsverständnis von Aufhebung.
  
Die Sinnhaftigkeit der Geschichte liegt in ihren menschheitsbefreienden Gestaltungsoptionen, die sich als Utopien, Visionen und Träumen präsentieren, ehe sie  im selbstbestimmten Eingreifen von Individuen und sozialen Gruppen aus einer Vielzahl von Motivationen für eine große Zahl verschiedensten Interessen dienender Ziele, von denen sich keines verwirklicht, aber auch keines für immer aufgegeben wird, aufgehoben werden.

© Hanna Behrend, Berlin 2004

Literatur

Bahro, Rudolf (1990): Die Alternative. Zur Kritik am real existierenden Sozialismus, Berlin
Bloch, Ernst: (1959):  Das Prinzip Hoffnung , 3 Bde. Berlin-Weimar
Engels, Friedrich: an W. Borgius, London, 25.1.19894, M-E-Werke, Bd.XXXIX,
Engels, Friedrich an J. Bloch, 21./22.9.1890, M-E-Werke, XXXVII
Engels, Friedrich: Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, M-E-Werke Bd. XIX
Habermas, Jürgen (1987):  Philosophisch-politische Profile, Berlin
Irrlitz, Gerd (1988): Ankunft der Utopie, Sinn und Form,
Lieske, Stephan (1997) : Einige Notizen zu Ernst Blochs Utopie Konzept in Hanna Behrend u.a.
Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben Gesellschaftsutopien uns gebracht?, Bd.4 Hanna Behrend: „Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“, Berlin
Marx, Karl: Das Kapital, Bd. I, M-E Werke,  Bd..XXIII
Neubert-Köpsel Isolde (1997): Die Bedeutung postmoderner Theorieansätze in der feministischen/weiblichen Utopiedebatte in Hanna Behrend u.a. Rückblick aus dem Jahr 2000 – Was haben Gesellschaftsutopien uns gebracht? Bd.4 Hanna Behrend:
 „Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“, Berlin
Saage, Richard , (1992):  Hat die politische Utopie eine Zukunft? Darmstadt
Spehr, Christoph (2000): Gleicher als Andere. Eine Grundlegung der Freien Kooperation,  rls, Manuskriptdruck Berlin
Thürmer-Rohr, Christina (1987): Vagabundinnen, Feministische Essays, Berlin
Wagner, Hans (1995): Menschliche Selbstveränderung in der globalen Revolution in  Bd.1
 Hanna Behrend: Emanzipation = menschliche Selbstveränderung? In Hanna Behrend:
 „Auf der Suche nach der verlorenen Zukunft“, Berlin











 

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