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Beiträge zur Politik  









Willi Géttel

Referat: Ende der Illusion - die PDS ist keine sozialistische Partei

I. Einleitung:

Der Richtungskampf in der PDS ist entschieden. Die sozialreformistische Linie der Führung hat sich durchgesetzt. Im Osten ist die PDS mittelfristig etabliert. Daß sie sich an Landesregierungen beteiligt, ist eine Frage der Zeit. Ihre soziale Verankerung ist durch den historischen Hintergrund gegeben. Politisch vertritt sie nahezu das gesamte Spektrum ehemaliger Systemträger und deckt das Feld der klassischen Sozialdemokratie im Osten ab. Ihr Zustand als Regionalpartei entspringt der Logik dieses Kurses.

Das 1996 deutlich gewordene Scheitern im Westen überrascht nicht. Die Strategie einer Regionalpartei nach dem Vorbild der CSU spielt nach den Erwägungen maßgeblicher Kräfte in der PDS von Anfang an eine bestimmende Rolle. Insofern war die vom "Neuen Deutschland" unterstützte Erinnerung daran durch Christine Ostrowski aus Sachsen nur der Hinweis, diese inzwischen realisierte Strategie endlich Parteibasis und Wählerschaft klar zu machen. Dies vor allem aus dem Grund, teure Experimente im Westen nicht länger fortzusetzen.(1)

Unabhängig davon bildet das Scheitern im Westen - ob nun gewollt oder ungewollt - ein wesentliches Kriterium für die Beurteilung der PDS. Denn festzuhalten ist, daß der Zustand einer Provinzpartei nicht das Charakteristikum einer sozialistischen Partei ist. Ergibt sich darüber hinaus, daß dieser Zustand Kalkül, Ergebnis umgesetzter Strategie ist, wird er zu einem entscheidenden Kriterium.

Das "Ende der Illusion" ist vor allem ein Ereignis, das die noch in der PDS verbliebenen Westlinken treffen wird, insofern sie sich erhofft haben, es mit einer sozialistischen Partei zu tun zu haben. Derzeit kursieren verschiedene Papiere in der PDS, die sich mit dem "Phänomen des Scheiterns" (im Westen) befassen. Sie alle, insbesondere das bisher qualifizierteste unter ihnen von Claudia Gohde und Udo Wolf, treffen den Kern der Sache nicht. Sie ignorieren, daß die PDS nur als originäre sozialistische Partei im Westen eine Chance hätte. Vielmehr wird behauptet, die PDS habe nicht vermocht, die an sie gerichtete Erwartung zu erfüllen, die Krise der Westlinken im Zuge ihres "Erneuerungsprozesses" zu lösen.(2)

Dieser sogenannte Erneuerungsprozeß läßt aber die wesentlichsten Elemente vermissen, die im politischen Diskurs der Westlinken Resonanz gefunden hätten:

1.) Eine marxistische Analyse des gescheiterten Realsozialismus.

2.) Eine kritische Analyse der aktuelle Entwicklung des Kapitalismus.

3.) Eine Analyse des bürgerlichen Herrschaftssystems, insbesondere des Parlamentarismus.

4.) Abbau hierarchischer Apparate, Entwicklung von Kooperation und Selbstverwaltung in den Parteigliederungen. Im wesentlichen also eine höhere innerparteiliche Demokratiegestaltung als in bürgerlichen Parteien.

5.) Die Weiterentwicklung marxistischer Theorie und der Entwurf einer neuen sozialistischen Strategie.

Die PDS hat sich keinem dieser 5 Themen ernsthaft zugewendet. Statt dessen hat sie in ihrer Anfangsphase verdeckt, dann aber immer offener die marxistische Theorie verworfen. Führende Leute wie Gysi und A. Brie vertreten seit langem die These, Stalinismus sei die Konkretisierung marxistischer Theorie. Bereits im Kommissionsentwurf zum Parteiprogramm heißt es: "Die alte Theorie hat immer nur zum Staatssozialismus geführt."(3)

Unter dem Vorwand, die "alte Theorie" (gemeint ist die marxistische), sei untauglich, wurde auf die marxistische Analyse des Scheiterns des Realsozialismus verzichtet, so daß kaum etwas in offiziellen PDS-Papieren über Stalins "Theorie vom Sozialismus in einem Land", von der ökonomischen Unterentwicklung des Realsozialismus, von der geschichtlich vorzeitigen Aufhebung des Privateigentums und damit des ökonomischen Zwangs zu Akkumulation und Steigerung der Arbeitsproduktivität (Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate) zu finden ist.

Statt dieser notwendigen Analyse zur Klärung einer tragfähigen strategischgen Ausgangslage wurde der Begriff von der Aufarbeitung der Vergangenheit erfunden, der analytisch nichts gebracht hat. Mit dieser Verweigerung hat die PDS von Anfang an auf marxistische Theorie verzichtet. An dieser Stelle ist zwar einzuräumen, daß es verschiedene Sozialismusvorstellungen gibt. Es wäre jedoch kindisch, nach etwas anderem als den von Marx und Engels begründeten wissenschaftlichen Sozialismus als Grundlage zu greifen. Insofern ist als Merkmal festzuhalten, daß die Politik der PDS nicht auf den Grundlagen und Erkenntnismethoden der marxistischen Theorie beruht.

Diese Abkehr wird ebenfalls in der Frage der Kapitalismuskritik überaus deutlich. So bietet sie gerade in jüngster Zeit Rezepte zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit an, die die zunehmende Tendenz der intensiven Investition in der kapitalistischen Ökonomie völlig außer acht lassen. Doch mit dem Verzicht auf die Marxsche Kapitalanalyse wird dieses Verhalten verständlich. Ausgehend von inzwischen veralteten keynesianischen Regulierungsmethoden kommt die PDS zu Schlußfolgerungen, die an der aktuellen ökonomischen Entwicklung vorbeigehen.

Die Frage moderner bürgerlicher Herrschaftsmethoden wird ebenfalls nicht thematisiert, weil die Integration in das parlamentarische System nicht gefährdet werden soll. Kritiker und Kritikerinnen werden mit dem Schlagwort "Politikunfähigkeit" belegt. Diese Thema wird auch deswegen ausgeklammert, weil es die eigene hierarchische Parteistruktur in Frage stellt. Auf dieser Grundlage ist eine Weiterentwicklung marxistischer Theorie und Formulierung eines strategischen Entwurfs nicht zu erwarten.

Die PDS kann nicht unabhängig von ihrer Führung und ihrem Parteiapparat beurteilt werden. Seit Umbenennung und Führungswechsel wird sie von dieser Politik geprägt, die zwar immer wieder von kleinen Gruppen in der Partei kritisiert worden ist. Von einer ernst zu nehmenden Opposition kann aber seit ihrem Bestehen keine Rede sein. Selbst rechtslastige und völkische Positionen finden in der PDS eine breitere Unterstützung, wie der "Sachensenbrief" von Weckesser und Ostrowski gezeigt hat.

Ein interessanter Aspekt ist, daß der PDS besonders von Mitgliedern aus dem Westen ein Anpassungskurs und Soziademokratisierung vorgeworfen wird. Dieser Vorwurf sagt aber indirekt aus, daß die Kontinuität der Illusion noch besteht. Zu fragen wäre, ob sich die PDS jemals zuvor in einem Zustand befunden hat, auf den dieser Vorwurf nicht zutrifft.

Immer noch schwingt die Annahme mit, die PDS sei aus einer sozialistischen Partei (der SED) hervorgegangen, daher im Moment ihres Entstehens a priori sozialistisch gewesen. Die Kritik kann daher nur greifen, wenn die Prämisse zutrifft: daß die SED sozialistisch war. Die PDS kann daher nicht losgelöst von der Geschichte der SED und des Realsozialismus beurteilt werden. Denn entweder war die SED sozialistisch, oder sie war es nicht. Im ersten Fall müßte es eine Bruchstelle geben, an der erkennbar ist, wie und in welcher Form die PDS die Position der SED verlassen hat oder im Begriff ist, sie zu verlassen. Die bisher vorgelegten moralischen Etikettierungen sind für diese Frage unerheblich. Weil aber die PDS die oben erwähnte Analyse des Realsozialismus nicht geleistet hat, existiert auch kein inhaltlich relevantes Material, das nur aus einer politischen und theoretischen Auseinandersetzung hätte hervorgehen können.

Im zweiten Fall wäre zu fragen, in welchem Auseinandersetzungsprozeß die PDS zu einer sozialistischen Position gekommen ist, die sie nun laut ihrer Kritiker wieder verläßt. Viel eher ergibt sich jedoch das Bild eines Entfaltungsprozesses, weil eine echte Bruchstelle zwischen SED und PDS nicht auszumachen ist, sieht man von den rein moralischen Bewertungen ab, die die PDS bisher ihrer Vorgängerin gegenüber vorgenommen hat.


II. Kurze Skizzierung der PDS-Politik seit Ende 1989

1.) Die Position des 3. Weges

Der offensichtlich wichtigste Politiker der PDS, Gregor Gysi, hat im Juli 1990 sein Buch "Wir brauchen einen dritten Weg" veröffentlicht. Im Vorwort schreibt er: "Die PDS ist auf dem Weg nach Deutschland, aber anders als die christ-, liberal- und sozialdemokratischen Parteien der Regierungskoalitionen in Bonn und Berlin verficht sie ihn als einen Weg konsequenter Europäisierung und Entmilitarisierung Deutschlands, als einen dritten Weg jenseits bisheriger realsozialistischer und realkapitalistischer Gesellschaftsentwicklung..."(4)

Dieser "dritte Weg" ist zugleich der Weg, auf dem der "Erneuerungsprozeß" stattfinden sollte. Immer wieder ist er seitdem hervorgehoben und bemüht worden, ohne daß er jemals theoretisch begründet worden ist. Was Gysi damals geschrieben hat, sollte schon kurz darauf interessant werden, als nämlich die PDS begann, ihr "Politikangebot" zu formulieren. Schon bald enthüllte sich dieser "dritte Weg" als permanentes Plagiieren ehemaliger Programme von SPD und Grünen.

Im "Neuen Deutschland" (Nr. 29./30. Mai 1993) wird Gysi mit einer sehr interessanten Aussage zitiert: "Wer den Sozialismus leugnet, versucht aus der Geschichte zu flüchten." Zwischen seinen verschiedenen Konstruktionen und Wortbildern (Feudalsozialismus, Staatsozialismus, bürokratischer Sozialismus usw.) findet sich nirgendwo eine konkrete Aussage, daß es kein Sozialismus war. Dies trifft nicht nur auf Gysi zu, sondern auf die gesamte PDS-Führung. Es sollte wiederum nicht lange dauern, bis aus dieser Mixtur die sogenannte Stalinismuskeule fabriziert wurde, die im Prinzip darin besteht, Stalinismus auf Verbrechen zu reduzieren, um ihn dann in reinster Rabulistik als Konkretisierung marxistischer Theorie hinzustellen.

Das Bemühen, den Realsozialismus einerseits immer wieder zu diskreditieren und ihn andererseits als die einzig historisch real gewordene Form des Sozialismus auszugeben, kann nichts anderes bedeuten, als zu versuchen, Sozialismus auf der Grundlage marxistischer Theorie in ein abschreckendes Beispiel zu verwandeln. Damit allerdings übernahmen die "Erneuerer" um Gysi den Job der Nachkriegs-SPD, kommunistische Tendenzen zu bekämpfen. Und gerade weil diese Leute die PDS beherrschen und prägen, fällt diese Funktion als Kriterium ihrer Politik auf die Partei zurück. Zugleich ist dies kein echter Widerspruch zur SED: Solange nämlich die inhaltliche "Abrechnung" fehlt, sind diese taktischen Züge ohne tiefergreifende Bedeutung.

Die Konzeption des 3. Weges läßt zwei Merknale hervortreten: einen als Antistalinismus getarnten Antimarxismus und das Plagiieren von SPD und Grünen. Beides kann nicht als sozialistische Politik bezeichnet werden.

Nochmals deutlich wird das in den bisher vorliegenden Strategiepapieren wie "Ingolstädter Manifest", "Zehn Thesen", "Fünf Standpunkte". Diese Papiere wurden zwar nicht ganz widerstandslos hingenommen, in der Praxis aber haben sie sich in der Richtungsbestimmung durchgesetzt. (5)

Die genannten Papiere zielen in die gleiche Richtung: gefordert wird ein neuer Gesellschaftsvertrag, ohne daß aus ihnen erkennbar wird, mit welchen politischen Kräften er denn durchgestzt werden soll. Interessant ist, daß dieser Position von Teilen der PDS vorgeworfen wird, sie verlasse den Kompromiß des Parteiprogramms, in dem immerhin noch von einem sozialistischen Ziel die Rede ist.

Dieses Programm selbst ist ohne analytische Grundlage. Schon die ihm zugrunde liegenden Entwürfe (Entwurf der Grundsatzkommission, Wagenknecht-Benjamin-Entwurf) gehen in der Ableitung ihrer theoretischen Prämisse nicht von einer Analyse des Realsozialismus aus, sondern lediglich von seiner moralischen Bewertung. So kommen bereits die Programmentwürfe aufgrund ihrer falschen Prämisse zu veralteten und unbrauchbaren Konzepten. Im verabschiedeten Programm selbst werden die grundlegenden Schwächen beider Entwürfe nur addiert, so daß es insgesamt nur als ein Kompromiß zwischen zwei Konzeptionen von gestern zu bewerten ist. Das Bekenntnis zum Sozialismus hängt wie ein Amen in der Kirche irgendwo dazwischen. (6)

2.) Der Versuch einer Westentwicklung

Schon zu den Wahlen im Herbst 1990 wurde mit der Bildung einer Linken Liste und der Politik der Offenen Listen deutlich, daß sich die PDS-Führung weder für kommunistische, sozialistische oder andere linke Gruppen im Westen interessiert, sondern für das "politische Umfeld von SPD und Grünen". DKP und SEW/SI wurden offen zurückgewiesen. In Westberlin trat das besonders klar hervor, indem von der damaligen Alternativen Liste (AL) abgesprungene Funktionäre hofiert und ihnen zugleich Abgeordnetenplätze in Aussicht gestellt wurden.

Diese nach dem Feudalprinzip der Gefolgschaft in Szene gesetzte Politik ging schief. Die im Vorgriff belehnten Leute von der AL erhielten zwar ihren Platz im Abgeordnetenhaus, brachten aber nicht die versprochenen Überläufer und Wahlstimmen ein. Die Linke Liste/PDS in Westberlin, die anfangs über 130 Mitglieder zählte, zerfiel nach der Wahl innerhalb weniger Tage. Interessierte Linke wandten sich in Scharen von der PDS wieder ab, nachdem sie sich bereits bei ihrem ersten Auftritt den "parlamentarischen Spielregeln" hingegeben hatte.

Nach diesem Fehlschlag blieben großangelegte Versuche für eine längere Zeit aus. In der folgenden Zeit blieb es bei der Politik der Offenen Listen. Noch einmal, in Bremen, wurde ein Großeinsatz auf Betreiben von Wolfgang Gehrcke gewagt, der allerdings auch schiefging. Charakteristisch für alle Versuche im Westen ist die Beschränkung auf zusätzliche Stimmen zur Sicherung der Bundestagspräsenz. Um diese Präsenz sicherzustellen, wurden Leute wie Gerhard Zwerenz in den Bundestag gehievt, dessen Spezialgebiet die Bekämpfung kommunistischer Tendenzen in der PDS ist. (7)

Die weitere Funktion solcher Leute wie Zwerenz und Einsiedel besteht neben dem Glauben, sie brächten Stimmen, darin, durch ihre Rechtslastigkeit den Weg zur SPD zu bahnen und der PDS im Westen das notwendige antikommunistische Image zu verschaffen. Getragen wird der Einsatz solcher Leute von der strategischen Überlegung zweier Sozialdemokratien - Vorbild: das Verhältnis von CDU und CSU -, der SPD im Westen, der PDS im Osten. Die nicht zufällige Tautologie "Partei des demokratischen Sozialismus" zeigt, daß solche Überlegungen schon vor der Umbenennung existierten.

Interessant in diesem Zusammenhang ist ein Papier, das der damalige Bundesgeschäftsführer der PDS Wolfgang Gehrcke unter dem Titel "Bündnispolitische Aspekte für die Wahlen 1994" verfaßte. (8)

In diesem Papier legt Gehrcke fest, daß "ein offenes Verhältnis zur SPD und den Grünen anzustreben ist". Auf der anderen Seite fordert er den Kampf gegen das "Sektierertum". Als Sektierer werden in diesem Papier in etwa alle Gruppierungen erfaßt, die links von SPD und Grünen stehen. In der Methode dem historischen "Hexenhammer" vergleichbar, zeichnet Gehrcke zunächst ein negatives Bild vermeintlicher Sektierer, so daß seine Schrift eine Art "Sektenhammer" darstellt. Besonders Westberliner Mitgliedern gegenüber wurde nach Gehrckes Anleitungen verfahren, was zu vielen Austritten führte und die ohnehin nur kleine Westberliner PDS im wesentlichen wieder verschwinden ließ.

Hätte wirklich die Absicht bestanden, die PDS im Westen als sozialistische Partei zu verankern, wurde die Möglichkeit dazu mit solchen Mitteln und Methoden verspielt.

3.) SED und PDS

Typisch für alle Staatsparteien des ehemaligen Ostblocks ist nach dem Zusammenbruch ihre Verwandlung in sogenannte "postkommunistische" Sozialdemokratien. Und typisch ist auch die Verfahrensweise bei der Machtübernahme durch die nachgewachsene Nomenklatura, die vorher schon alle Kommandohöhen des Mittelbaus in Partei und Staat besetzt hatte.

Während das Volk und der Westen drückten, bereiteten sie sich auf den Führungswechsel vor. Sie verbündeten sich aber nicht mit dem Volk und veränderten das System, sondern putschten mit Hilfe des abtrünnigen Parteiapparates gegen die alte Staats- und Parteiführung. Damit hatten die neuen Machtgruppen den Parteiapparat auf Gedeih und Verderb am Hals. Sonderlich demokratisch oder gar revolutionär legitimiert waren sie damit nicht. In der PDS wird die Legende gepflegt, die neue Führung um Gysi sei durch einen basisdemokratischen Wahlakt legitimiert.

In Wirklichkeit hat die neue Führung der SED/PDS nach dem Sturz Honeckers und später Krenz mit Hilfe des Apparates die Infrastruktur, die Gelder, die Immobilien, die Karteikästen und das Informationsmonopol der SED "ordnungsgemäß" übernommen. Hingestellt wurde das Ganze als "die Trennung vom Stalinismus". Merkwürdig dabei ist, daß die sogenannten Erneuerer seit Anfang an ununterbrochen zum Kampf gegen Stalinisten in der PDS aufrufen, bisher aber keinen Finger krumm gemacht haben, eine echte Auseinandersetzung mit diesem Thema in der PDS zuzulassen. In der Tat müssen sie natürlich nichts mehr fürchten als die analytische Behandlung der Stalinschen Konzeption des Realsozialismus. Sie müssen deswegen die marxistische Theorie nicht nur verwerfen. Sie müssen sie bekämpfen - was sie auch permanent tun.

Dabei geht es nicht nur darum, daß sie möglicherweise in ihrer zurückliegenden SED-Praxis verlernt haben, Marxismus und Stalinismus auseinanderzuhalten. Die marxistische Analyse wäre geeignet nachzuweisen, daß weder DDR noch SED sozialistisch waren, insofern auch nicht staatssozialistisch usw., sondern überhaupt nicht sozialistisch. Mit diesem Nachweis aber verlören sie jegliche Legitimation, wie sie die SED zuvor auch verloren hätte. Ihr Argument, der "bürokratische, undemokratische Staatsozialismus" habe gezeigt, wie die marxistische Theorie in iher historischen Konkretisierung aussieht, verlöre jede Grundlage. Sie müßten ihren Sozialdemokratismus nicht gegen einen auf diese Weise verteufelten Marxismus behaupten, sondern sie müßten mit einer ernsthaften geistig-theoretischen Leistung antreten, von der bisher nichts zu spüren ist.

Bisher ließ sich die PDS über die Kommunistische Plattform stabilisieren, die an der These des "vergangenen Sozialismus" bisher festgehalten hat und sein Verschwinden durch eine Art Verratstheorie von Sarah Wagenknecht erklärt. (9)

An die ehemalige Existenz eines Sozialismus glauben nicht nur die meisten Mitglieder der KPf, sondern auch ein großer Teil der Parteibasis. Während die KPf diesen vermeintlichen Sozialismus überwiegend positiv darstellt, stellen ihn die Erneuerer negativ hin. Beide Seiten gehen also von seiner ehemaligen Existenz aus. Das hat aber nichts mit einer grundlegenden theoretischen Auseinandersetzung zu tun, sondern mit einem taktischen Balanceakt zur Stabilisierung des sogenannten linken Parteiflügels. Dieses Kräfteverhältnis hat sich aber nicht in der PDS entwickelt. Es ist der Kompromiß der Wendezeit und spiegelt nur die Verhältnisse wider, aus denen bisher außer Bestandswahrung und Drang nach Machtbeteiligung kein einziger geistig-emanzipatorischer Impuls hervorgegangen ist.

Wenn Kräfte um André Brie nun den verstärkten Kampf gegen Poststalinisten fordern, geben sie dem Druck der SPD nach. Sie riskieren dabei allerdings die Spaltung, wollen sie den "Umdenkungsprozeß" übers Knie brechen. Bisher ist wenig zu erkennen, wodurch sich die PDS von der SED in grundlegenden theoretischen Fragen unterscheidet. Die SED hatte den Sozialismus behauptet, und die PDS behauptet ihn ebenfalls. Daß die Nachfolgerin heute vieles moralisch anders bewertet oder etikettiert, hat nichts mit der Verpflichtung einer sozialistischen Partei zu tun, die Realität zu analysieren und nicht aus Taktik und Opportunismus zu verschleiern. Wenn sich in der Frage einer sozialistischen Strategie in der PDS auch nichts ergeben hat, so bildet sich dafür umso stärker ein Streben nach etatistischen Lösungen heraus. Vergleichbar der SED setzt sich ein subjektivistisches Denken durch. Der Kapitalismus soll nicht abgeschafft, sondern durch Reformen erträglich gemacht werden. Daß es die ökonomischen und politischen Spielräume des Reformismus nicht mehr gibt, wird ignoriert. Dies tritt besonders beim Thema Arbeitslosigkeit hervor. Arbeit soll beispielsweise staatlich finanziert werden, notfalls durch die Besteuerung von Vermögen. Mitunter entsteht der Eindruck, die PDS wolle an einer starken Ökonomie noch einmal versuchen, was der SED an einer schwachen mißlungen ist.

III. Die Geschichte hat ihr Urteil gesprochen

1.) Gescheitert ist nicht der Sozialismus, sondern die Stalinsche Konzeption

Ende der 80er Jahre ist nicht der Sozialismus gescheitert, sondern die letzte Spielart einer Konzeption, die nicht auf der Marxschen Theorie, sondern auf ihrer Stalinschen Interpretation beruhte. Gescheitert ist die "Theorie vom Sozialismus in einem Land", bzw. in einer Zone, nachdem praktisch alle Möglichkeiten ausgeschöpft waren.

Nicht nur in der PDS, auch in der linken Öffentlichkeit des Westens herrscht die Meinung vor, der Kapitalismus habe über den Sozialismus gesiegt. In der marxistischen Theorie ist Sozialismus als eine dem Kapitalismus überlegene Produktionsweise und allgemein höher entwickelte Gesellschaftsformation definiert, die erst dann den Kapitalismus historisch ablösen kann, wenn dieser seine objektiven Entwicklungsgrenzen erreicht hat. Im gegenwärtigen Diskurs wird diese Definition völlig über den Haufen geworfen. Als Maßstab gilt vielmehr die legitimatorische Begriffsfindung der realsozialistischen Staaten, die sich bekanntlich als sozialistisch bezeichneten.

In zahlreichen Veröffentlichungen der PDS wird behauptet, der Sozialismus sei wegen seiner Demokratiedefizite gescheitert. Im "Neuen Deutschland" vom 12. April wird Gysi auf Seite 5 zitiert. Er sagt: "... daß der Sozialismus sich trotz wichtiger Fortschritte nicht als Alternative durchsetzen konnte." Und: "Sozialismus bleibe weiter das Ziel der PDS. Auf längere Sicht sehe er aber keine Chance für dieses Ziel."

Das ist in knappen Sätzen die Einstellung der Erneuerer, aus der sie konsequenterweise ihren 3. Weg ableiten. Die Demokratiedefizite des Realsozialismus sind unstreitig. Die Erneuerer machen sich aber nicht die Mühe der Ursachenerforschung, sondern interpretieren diese Defizite als dem Sozialismus immanente Eigenschaften. Damit hat die PDS eine Führung, deren Ziel nicht Sozialismus ist, weil sie ihn negativ bewertet. Die KPf hingegen will ihn, weil sie ihn positiv bewertet. Beide Flügel beziehen sich auf den gescheiterten Realsozialismus als Maßstab für Sozialismus. Insofern ist auch mit dem Standpunkt der KPf nichts anzufangen. Der gute Wille ist ihr nicht abzusprechen. Doch was sie als sozialistisch bezeichnet, ist eben die Stalinsche Konzeption. Darin sind sich beide Flügel gleich - auch in der Verweigerung der Analyse zur Klärung der strategischen Ausgangslage.

2.) Ursachen des Scheiterns

Der Realsozialismus ist weder an politischen Fehlern noch an Verrat gescheitert, sondern daran, daß er ökonomisch gesehen zeit seiner Existenz immer eine relative Mangelgesellschaft war. Alle staatlichen Maßnahmen außerökonomischen Zwangs erwiesen sich als ungeeignet, den Mangel zu beseitigen.

Aus allem, was Marx und Engels in dieser Frage entwickelt haben, geht hervor, daß Sozialismus in einem Land, besonders in einem wirtschaftlich und kulturell rückständigen wie dem damaligen Rußland, nicht möglich ist. Diese Meinung teilten damals auch alle maßgeblichen sozilalistischen Theoretiker. Für Marx bestand die positive historische Funktion des Kapitalismus darin, die Produktivkräfte zu entwickeln.

Die vorzeitige Aufhebung des Privateigentums und damit des ökonomischen Zwangs zur Akkumulation (Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate), ließ sich nicht durch subjektive Methoden ersetzen und führte zu tiefgreifender Stagnation in der Entwicklung. Die notwendige Voraussetzung für Sozialismus, nämlich hochentwickelte Produktivkräfte, war nicht gegeben. Stalins "Theorie vom Sozialismus in einem Land" stand von vornherein außerhalb marxistischen Denkens. Nicht Lenins Konzept der "Revolution in Permanenz" und auch nicht Trotzkis der "Permanenten Revolution, sondern Stalins Konzept hat sich durchgesetzt. Damit wurde Sozialismus zu einem politischen Willensakt gemacht. Nicht ökonomische Zwänge, sondern politische Gründe haben die ökonomische Struktur des Realsozialismus hervorgebracht, wodurch dem System der tödliche Widerspruch in die Wiege gelegt worden ist.

Dieser Widerspruch entfaltete sich, als sich die Phase der nachholenden Industrialisierung auf extensiver Basis erschöpft und der Übergang zur intensiven Wirtschaftsentwicklung notwendig wurde. Zu diesem qualitativen Schritt aber war das Stalinsche System des Realsozialismus nicht mehr fähig und brach ökonomisch und politisch in sich zusammen. Damit war die "Theorie vom Sozialismus in einem Land" in ihrer praktischen Anwendung historisch gescheitert und in jeder Hinsicht widerlegt.

Wenn sich also die relevanten Strömungen in der PDS auf dieses Modell beziehen, sei es nun negativ oder positiv, drücken sie damit aus, daß sie das theoretische Konzept nicht als widerlegt ansehen, das zur Realisierung des behaupteten Sozialismus geführt hat. So irrsinnig das auch erscheint: aber es ist die zwingende Logik ihrer Standpunkte. Vor diesem Hintergrund läßt sich vielleicht André Brie verstehen, als er kürzlich drohte, die PDS müsse für Poststalinisten unerträglich gemacht werden ( "ND", 31. Juli 1996, S.4).

Damit wird offenkundig, daß im maßgeblichen theoretischen Denken der PDS das theoretische Konzept des Realsozialismus nach wie vor gültig ist, lediglich moralisch unterschiedlich bewertet wird. A. Brie selbst muß von dieser Gültigkeit überzeugt sein; denn anders ließe sich seine Haltung gegen "Poststalinisten" nicht erklären. Er muß davon ausgehen, daß stalinistische Politik immer noch eine reale Möglichkeit habe, sonst könnte er sich über seine Poststalinisten allenfalls lustig machen.

Dies alles zeigt, daß die PDS nicht nur von einer desolaten Ideologie beherscht wird, sondern für eine marxistisch begründete sozialistische Politik überhaupt keinen theoretischen Ansatz hat. Sowohl in der moralischen Verneinung als auch in der Bejahung des Stalinschen Realsozialismus kann kein fruchtbarer Anfang zu einer modernen sozialistischen Strategie liegen. Beide Auffassungen haben streng genommen mit der marxistischen nichts zu tun. Die eine ist in die historische Sackgasse geraten und die andere ist gerade dabei, indem sie aus der moralischen Ablehnung heraus in die verlassenen Räume der Sozialdemokratie vordringen will, ohne zu erkennen, daß sie tot und leer sind. Das unabdingbare Kriterium einer sozialistischen Partei, nämlich sozialistische Theorie als Grundlage ihres politischen Handelns, ist bei der PDS nicht gegeben.

3.) Aspekte des Formations- und Sozialismusbegriffs bei Marx

Ausgehend von dem Postulat, daß das gesellschaftliche Sein das Bewußtsein bestimmt, bedeutet das für die Methodik, eine Epoche von ihrer ökonomischen Basis aus aufzuschlüsseln.

"In großen Umrissen", schreibt Marx im Vorwort zur "Kritik der Politischen Ökonomie","können asiatische, antike, feudale und modern bürgerliche Produktionsweisen als progressive Epochen der ökonomischen Formation bezeichnet werden."

Dies impliziert "nichtprogressive" Epochen, wie beispielsweise den Realsozialismus. "Der Kommunismus ist empirisch nur als die Tat der herrschenden Völker auf einmal und gleichzeitig möglich, was die universelle Entwicklung der Produktivkraft und dem mit ihm zusammenhängenden Weltverkehr voraussetzt", heißt es bei Marx an anderer Stelle. (10)

Eine marxistiche Auffassung vorausgesetzt, dürfte es unstreitig sein, daß Stalins Konzept bereits in seiner theoretischen Form nichts von dem widerspiegelt, was Marx voraussetzt.

Für die definitorische Eingrenzung des Sozialismusbegriffs lassen sich auf der Grundlage der Arbeiten von Marx und Engels folgende Merkmale ableiten:

a) Eine höhere Arbeitsproduktivität als im Kapitalismus.

b) Die Tendenz zur Aufhebung der Arbeitsteilung. Das Individuum hört auf, reines Anhängsel des Produktionsapparates zu sein.

c) Die Tendenz zur Aufhebung der Unterschiede zwischen Stadt und Land.

d) Aufhebung des Unterschiedes zwischen geistiger und körperlicher Arbeit.

e) Staatliche Tätigkeit nur, um die Überführung der Produktion in unmittelbare Selbstverwaltung der Gesellschaft zu erreichen (Absterben des Staates).

f) Höhere Form der Demokratie (Presse-, Versammlungs- und Wissenschaftsfreiheit, Streikrecht usw.)

Diese Kriterien wurden im Realsozialismus nicht erreicht. Es ist im Gegenteil festzustellen, daß er nicht nur in der ökonomischen Entwicklung dem metropolitanen Kapitalismus weit unterlegen, sondern auch weit hinter den Errungenschaften der bürgerlich-demokratischen Revolution zurückgeblieben war. Diesen Zustand als Sozialismus zu bezeichnen setzt voraus, von der Stalinschen Auffassung auszugehen. Wenn die PDS vorgibt, sich vom Stalinismus getrennt zu haben, erscheint es überaus fragwürdig, warum sie sich nicht von der Stalinschen Auffassung von Sozialismus trennt. Dies ist ja der eigentliche Stalinismus. Seine Verbrechen,von denen die PDS-Führung ständig redet, sind nichts weiter als eine seiner spezifischen subjektiven Methoden.

Demnach bedient sich die PDS der Stalinschen Sozialismuskonzeption als Maßstab für Sozialismus. Wenn also in dieser Partei überhaupt ein theoretischer Ansatz zur Bestimmung der Ausgangslage vorhanden ist, so ist es ausgerechnet Stalins "Theorie vom Sozialismus in einem Land".

Dabei spielt es dann keine Rolle mehr, beziehen sich die Erneuerer negativ auf diesen "Sozialismus". Gysis 3. Weg ist demnach keine inhaltliche Trennung vom Stalinismus, sondern ein Versuch des Frontwechsels,ohne das Risiko einer Analyse einzugehen. Die Verweigerung, eine originär sozialistische Politik zu begründen, zwingt zu dem Schluß, daß die führenden Kräfte in der PDS die volle Integration im bürgerlichen Staatswesen anstreben und dabei auch ihre eigenen Privilegien im Auge haben. Der PDS fehlt damit das Merkmal einer originären Politik. Daraus erklärt sich auch die Politik des Plagiierens, die mittelfristig nur im Osten aufgrund vorherrschender politischer Rückständigkeit auf einen Teil der Wählerschaft überzeugend wirkt.

IV.

Zusammenfassung und Schlußfolgerung

Der auf Stalins Theorie beruhende Realsozialismus hat als nichtprogressive Epoche in die historische Sackgasse geführt. Die in den Staaten des sogenannten "sozialistischen Lagers" produzierte Legitimationsideologie war nur dem Anschein nach marxistisch. In ihrem Wesensgehalt war sie antimarxistisch. Die DDR als Bestandteil dieses Lagers war nicht sozialistisch. Die SED als herrschende Partei war nicht von marxistischer Theorie, sondern von oben genannter Ideologie geprägt, mit der sie versuchte, die DDR zu erhalten. Die SED kann daher nicht als sozialistische Partei bezeichnet werden. In ihrer Struktur war sie hierarchisch organisiert und regierte als Staatspartei die Gesellschaft mit undemokratischen Mitteln und Methoden.

Merkmale wie Kooperation und Selbstverwaltung der Gliederungen als Ausdruck sozialistischer Gestaltung fehlten absolut. Statt dessen eine kirchenähnliche (institutionalistische) Organisationsweise. Sie setzte und vollstreckte Recht ohne gesellschaftliche Beteiligung. Trotz Industrialisierung - wenn auch mit unterschiedlicher Ausprägung - war der gesamte Ostblock in der politischen Sphäre von starken Rudimenten der Feudalepoche durchsetzt und geprägt, was sich daraus erklärt, daß entweder (wie in Rußland) das Stadium der bürgerlichen Revolution nicht durchlaufen oder durch das Übertragen des sowjetischen Modells ihre Errungenschaften wieder zurückgeschraubt wurden. Dieses Gemisch aus nachholender Modernisierung und feudalen Rückbleibseln war das Resultat aus dem Versuch, die bürgerliche Epoche mit Gewalt überspringen zu wollen. Dies nun als Sozialismus zu bezeichnen, ist nicht nur eine unglaubliche theoretische Fehlleistung. Es grenzt an dem Versuch, einen neuen sozialistischen Versuch zu diskreditieren.

Die PDS ist demnach nicht aus einer sozialistischen, sondern aus einer in ihrer letzten Phase reaktionären Partei hervorgegangen, die sich bis zuletzt bemühte, das Stalinsche Konzept und damit ein politisch und ökonomisch rückständiges Staatswesen aufrecht zu erhalten.

Die entscheidende Auseinandersetzung mit dem Stalinismus als geistiges Gebäude wurde nicht geführt, sondern nur selektiv betreffend seiner Verbrechen. Durch Übernahme des SED-Apparates und der daraus resultierenden Mechanismen gelang es der Gruppierung um Gysi, diese für eine sozilistische Partei unumgängliche Diskussion zu vermeiden und statt dessen eine angebliche "Erneuerung" zu proklamieren, hinter der sich nichts anderes verbirgt als das Hineinsteuern der PDS in das bürgerliche Parteiensystem.

Die unabdingbare Voraussetzung für eine neue sozialistische Strategie, die marxistische Analyse des Realsozialismus, wurde versäumt. Somit fehlt der PDS eine tragfähige theoretische Grundlage, wodurch sie dem Pragmatismus ihrer Führung unterworfen ist. Trennt man sie von der Hülle plagiierter "Politikangebote", verliert sie ihren modernen Anschein und zeigt sich immer noch als das Zerfallsprodukt des rückständigen Realsozialismus. Ihre Wirkung im Osten basiert daher vielfach auf die im historischen Sinne politisch rückständige Bevölkerung, der das Verpflanzen vermeintlich moderner westdeutscher Politik durch die PDS fortschrittlich vorkommt. Sie bietet daher nichts Neues, sondern gibt Plagiate als Neuheiten aus. Ihre Tragik könnte darin liegen, daß sie bei dem Versuch einer Reformpolitik und damit einem Anschluß an die SPD nicht auf eine durch allgemeine Prosperität gestützte Hochphase des Reformismus trifft, sondern auf den durch fortschreitende Rationalisierung bedingten Niedergang der bürgerlichen Demokratie.

Die PDS ist zudem in ihrer Organisatinsstruktur eine Partei, die für eine neue sozialistische Strategie ungeignet ist. Hinzu kommt eine kontraproduktive Mischung aus bürgerlicher Personalpolitik auf der einen Seite und einem diskussionsfeindlichem Harmoniebedürfnis auf der anderen. Die nach Machtbeteiligung strebende Parteiführung kann somit ihre Politik gegenüber einer Basis durchdrücken, die immer noch stalinistisch diszipliniert ist.

Ich komme somit zu dem abschließenden Ergebnis, die PDS nicht etwa als Bündnispartnerin der marxistischen Linken auszuschließen. Was jedoch die Frage der Orientierung betrifft, fehlen ihr die entscheidenden Merkmal einer sozialistischen Partei. Ihr immer wieder betonter Erneuerungsprozeß betsteht objektiv in dem Versuch, eine zurückgestaute Entwicklung zu überwinden und den Anschluß an den fortgeschrittenen Kapitalismus zu finden. Diese Politik ist legitim und entspricht sowohl der Interessenslage ihrer führenden Gruppen als auch mehrheitlich der Bewußtseinslage ihrer Parteibasis. Dies wird von kritischen Linken im Westen immer wieder übersehen, die meinen, eine reformistische Führung treibe eine an sich sozialistische Partei in die Anpassung.


© Willi Gettél, Berlin 1996



Quellen und Hinweise:

1. Sachsenbrief: Ostrowski, Weckesser, ND u. jw, Juni 1996

2. Thesen zur Westentwicklung der PDS: Gohde/Wolf, Landesvorstand der PDS Berlin

3. Kommissionsentwurf zum Parteiprogramm: Parteivorstand der PDS

4. Wir brauchen einen 3. Weg: G. Gysi, Konkret Literatur Verlag, Hamburg 1990

5. Strategiepapiere der PDS: Ingolstädter Manifest, 10 Thesen, 5 Standpunkte, bei Bundesparteivorstand der PDS

6. Parteiprogramm der PDS

7. Abschied von der Vergangenheit: G. Zwerenz, Disput, Aug. 1996

8. Bündnispolitische Aspekte für die Wahlen 1994: W. Gehrcke, bei Bundesparteivorstand der PDS

9. Antisozialistische Strategien im Zeitalter der Systemauseinandersetzung: S. Wagenknecht

10. Deutsche Ideologie: K. Marx, F. Engels, Ausgewählte Werke, Bd. I, S. 226










 

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