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Beiträge zur Theorie  










Willi Géttel

Stalin ist niemals gestorben

Als die SED samt ihren westlichen Ablegern noch existierte, war die Situation übersichtlich: äußerliche Geschlossenheit und Linientreue auf der östlichen, Atomisierung der Linken auf der westlichen Seite. Mit dem staatlichen Zusammenbruch der DDR war es auch mit der sagenhaften Geschlossenheit der Linientreuen vorbei. Das "große Nachdenken" setzte ein, das nach Reue, Aufarbeitung, Katharsis und Erneuerung verlangte. Bei allem Eifer sezte es sich jedoch über die unangenehme Frage hinweg, warum es erst des Scheiterns bedurfte, um nun das sozialistische Gehirn zu aktivieren. So konnte es nicht ausbleiben, daß die Geläuterten förmlich vom Himmel fielen und Neues zur Hand hatten, das sie aus tiefster Einsicht gewonnen haben wollten.

Die neue Führung der extrem zusammengeschrumpften, aus Zweckmäßigkeit umgetauften Mutterpartei reichte als Ergebnis großen Nachdenkens unverfroren Altes in neuer Verpackung. Gysis Spruch "Wo PDS drauf steht, muß auch PDS drin sein" trifft in unfreiwilliger Originalität den Kern der Sache. Neoreformismus und Etatismus verbunden mit parteistalinistischen Strukturen bilden heute die eine Seite des realsozialistischen Erbes. Die ebenfalls von dem erfinderischen Gysi kreierte und derzeit aktuelle Parole "Wir müssen die Menschen dort abholen, wo sie sind" unterstreicht dabei ebenso unfreiwillig die immer noch recht lebendige feudal-stalinistische Arroganz der machtpolitisch abgehalfterten Nomenklatura - denn wer hat denn wen wo abzuholen und mit welchem Anspruch wohin zu bringen!

In der westlichen Erbgemeinschaft (DKP) regte sich lange Zeit nichts. Von Gysis "modernen Sozialisten" wie eine Aussätzige gemieden verharrte sie in Lethargie. Ihr trotziges Festhalten an dem durch unzählige Rituale verinnerlichten "Kampfauftrag" wurde als "altes Denken" verworfen. Doch weil sie weder aufgeben noch wie die "Modernen" sich der Macht andienen wollte, notwendige theoretische Korrekturen aber wie immer schon unterlassen hatte, verfiel ein Teil ihrer geistigen Spitze auf ein aus der Geschichte bekanntes Phänomen: des "Darüberhinaus".

Ausgangsposition dieser Richtung ist ein bereits vorhanden gewesener Sozialismus, der zwar zwischendurch als Versuch bezeichnet, dem jedoch durchweg die Systemqualität zugesprochen wird. Sein Scheitern wird einerseits mit wirtschaftlicher Unterlegenheit erklärt - forciert durch die Hochrüstungspolitik der Nato -, andererseits durch verräterische Tätigkeiten in den eigenen Reihen. Die Wurzel des Verrats wird hierbei wiederum in der indirekten Strategie des Westens, den Osten über seine vorhandenen Mißstände hinaus ökonomisch auszuhöhlen, verortet.

Die behauptete Systemqualität ist somit Prämisse und logischer Kern neuer Überlegungen zur Fortsetzung einer Strategie, deren Scheitern nicht aus ihrer objektiven Unmöglichkeit erklärt, sondern auf widrige äußere Umstände und subjektives Versagen führender Leute zurückgeführt wird. Ihre Richtigkeit wird somit als unstrittig vorausgesetzt. Demnach war es zwingend, sie nicht nur aufzupolieren - sie mußte verschärft werden.

Geleistet wurde diese Arbeit insbesondere von Hans Heinz Holz. In seinem Buch "Kommunisten heute" (Edition Marxistische Blätter, Neue Impulse Verlag, Essen 1995) holt er strategisch neu aus. Und wenn nicht alles trügt, behauptet sich hier nicht ein seniler Feierabend-Stalinismus, wie er in der Kommunistischen Plattform der PDS gepflegt wird. Was er in diesem Buch darlegt, ist die Konsequenz aus dem Entschluß, weder aufzugeben noch stehen zu bleiben. Holz plädiert für das "Darüberhinaus". Also räumt er mit Halbheiten auf und präsentiert den Epigonen den ersehnten neuen Hammer, der den Klassenfeind erschlägt - den Ultrastalinismus.

Einige Bemerkungen zum Stalinismusbegriff

In DKP, KPD, Kommunistischer Plattform und ähnlichen Gruppierungen ist Stalinismus als Kampfbegriff verpönt. Wer dagegen verstößt, fällt in der Regel unter das Verdikt des Antikommunismus und wird als feindlich eingeschätzt. Ausgenommen davon sind führende Kräfte der PDS, denen das aus taktischen Gründen zugebilligt wird. Das Tradieren der alten, sich auf Marxismus berufenden Legitimationsideologie schließt somit seine weitere Diskreditierung ein.

Stalinismus ist allein unter Terror, Verbrechen, Personenkult usw. nicht zu fassen. Er bildet vielmehr ein Theorie- und Denkgebäude, eine in sich geschlossene Weltanschauung. Historisch verkörpert er sowohl die Thermidorisierung der russischen Revolution von 1917, die ihrer objektiven Bestimmung nach eine bürgerliche war, als auch die Konterrevolution der zur Macht gelangten Bürokratie, die ihre Herrschaft als Sieg des Sozialismus ausgab.

Wesentliches Merkmal ist sein idealistischer Subjektivismus, der sich darin ausdrückt, die Realität nach politisch festgelegten Vorgaben gestalten zu wollen. In der Vergangenheit waren Terror und Verbrechen zwar die extremsten, letztlich aber auch nur subjektive Mittel im Kanon seiner voluntaristischen Praxis. Was er an Marxismen in sich aufgenommen hatte, geriet zur Scholastik. Dogmatismus wurde sein alles beherrschendes ideologisches Merkmal.

Was unter Stalin seine Ausprägung fand, daher zurecht seinen Namen trägt, ist kein außerhalb der geschichtlichen Kontinuität existierendes Abstraktum. Die Problematik entsteht erst dann, wird diese als "Realsozialismus" bezeichnete, letzlich nicht progressive und daher gescheiterte Übergangsgesellschaft unter Mißachtung der Marxschen Theorie der ökonomischen Formation als sozialistisch bezeichnet.

Wie eine Reihe neuer Veröffentlichungen als auch das Fortbestehen verschiedener Organisationen zeigen, ist die Frage des Stalinismus noch lange nicht erledigt. Und wie schon einmal erscheint er wieder in marxistischer Verkleidung, so daß seine Wesensverschiedenheit zur marxistischen Theorie weniger an der Oberfläche zu erkennen ist. Erst tieferes Hineindringen offenbart die erzwungene, negative Symbiose. Das "Darüberhinaus" enthüllt sich auch in dem Versuch, die marxistische Fassade zeitgemäßer, moderner, effizienter zu gestalten.

Mit Holz zum Ultrastalinismus

Hans Heinz Holz entspricht beileibe nicht dem Typus des "marxistisch- leninistischen" Höhlenvaters, wie er von Gysi vorsichtshalber in den halbpsychiatrischen Einrichtungen der PDS gehalten wird. Holz ist ein weltgewandter Mann und Literaturkenner. Seine Sprache ist klar, abgewogen; seine Argumente auf den ersten Blick bestechend. Er ist ein Ideologe erster Garnitur. Viele seiner Beschreibungen und Einzelanalysen sind nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Dennoch ist er ein Gefangener des stalinistischen Denkgebäudes geblieben. Unverkennbares Merkmal dieser babylonischen Gefangenschaft ist seine Prämisse, Stalins Theorie vom "Sozialismus in einem Land" habe zu einer Formation sozialistischer Systemqualität geführt, deren Scheitern im Prinzip auf Verrat zurückzuführen sei.

Davon ausgehend unternimmt er im wesentlichen vier zusammenhängende Vorstöße, die sich auf die Frage der Organisation, der Weltanschauung, der "historische Mission der Arbeiterklasse" und die seiner Meinung nach immer noch gültige These vom "schwächsten Kettenglied" beziehen. Holz eröffnet mit harten Thesen.

1.) "Das Individuum bleibt immer privat, wie sehr es auch von den Inhalten der Politik ergriffen und erregt werden mag. U n u s h o m o, n u l l u s h o m o - ein Mensch ist kein Mensch, sagten die Römer. Kommunistinnen und Kommunisten werden zu solchen in der Partei, darum ist die Organisationsfrage nicht nur eine praktisch-soziologische, sondern eine philosophische Wesensfrage." (1)

Das meint er ernst und fährt fort: "Vor allem kommt es darauf an, in der nächsten Zeit der jungen Generation Wege in die Alternative zum Kapitalismus aufzuzeigen und ihr gedanklichen Rohstoff zu liefern...".(2)

Im folgenden billigt er der jungen Generation zwar zu, ihre eigenen Ziele bestimmen zu können, fügt aber unmißverständlich hinzu, daß es dazu wiederum einer "weltanschaulichen Orientierung und eines organisatorischen Hauses" bedarf. Gleich darauf kommt er auf den historischen und dialektischen Materialismus und bezeichnet ihn als den "weltanschaulichen Rahmen, der wie kein anderer dem Wissensstand unserer Zeit entspricht...". (Ebenda)

Mit diesem Zementsatz umreißt er die ehernen Grenzen und weist der "jungen Generation" die Pforte, durch die sie gefälligst in sein "organisatorisches Haus" zu schlüpfen hat, in dem sie Mensch wird und "Idealismus und Opferbereitschaft" entwickelt. Keine Frage, daß daraus wieder eine Avantgarde entsteht, die der Arbeiterklasse bei der Erfüllung ihrer "historischen Mission" vorangeht.(3)

Zwischendurch ist zu bemerken, daß Holz nicht ungeschickt vorgeht, wenn er versucht, die Besonderheit der Kommunistischen Partei herauszustellen. Also fragt er selbst (4), worin sie bestehe und entwickelt eine Reihe von Grundsätzen, die er in einem "Erklärungsmodell" zusammenfaßt: "Diese Grundsätze, die alle aus dem ersten hergeleitet werden können, bilden das Gerüst eines Erklärungsmodells für die Menschheitsgeschichte, das als Historischer Materialismus bezeichnet wird. Die Stärke dieses einfachen Erklärungsmusters liegt darin, daß alle komplexeren geschichtlichen Vorgänge in diesen Rahmen eingebettet und unmittelbar oder über Zwischenstufen auf diese Grundlage zurückgeführt werden können."(5)

In seinen Grundsätzen verlangt er zwar historische, ökonomische und politische Einsichten, die in Klassenkampf und "Ablösung von Herrschaftsstrukturen" gipfeln. Er setzt jedoch apriorisch einen Rahmen, den er zwangsläufig als historische Wahrheit ansehen muß und die es zu vollstrecken gilt. Weltanschauung und Partei verschmelzen somit zu einer unauflösbaren Einheit, denn die Anerkennung seines "Erklärungsmodells", das wiederum alle Grundsätze zusammenfaßt, ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, in seinem Sinne Kommunistin oder Kommunist zu sein.

Eingeräumt werden muß dabei, daß sich Holz zumindest auf einige Sätze im "Manifest der Kommunistischen Partei" berufen kann, die die teleologische Herleitung seiner "Weltanschauungspartei" stützen. Dennoch äußern sich Marx und Engels in dieser Frage differenzierter, wenn sie im "Manifest" sagen: "Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien... Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen."(6)

Wenn er nach ausführlicher Erörterung der Partei- und Organisationsfrage auf Seite 28 vorerst zum Stehen kommt, steht ein frisch bezogenes Prokrustesbett schon bereit. Wer sich hineinlegt, wird der Verheißung nach zum Menschen. Er muß allerdings in Kauf nehmen, solange bearbeitet zu werden, bis er die richtigen Parteimaße angenommen hat und hineinpaßt. Schließlich ist "ein Mensch kein Mensch", zu dem er mit anderen Worten erst dadurch wird, indem er auf ein einheitliches Maß zurechtgestutzt wird. Mit dieser Art neuer Menschwerdung übertrifft Holz die alte Maxime der "Einheit und Geschlossenheit" des stalinistischen Parteityps, der diese Form der Heilsbotschaft noch nicht kannte. Majakowskis Hymnen auf die Partei verblassen dagegen.

2.) Wie oben zitiert, erklärt Holz den "historischen und dialektischen Materialismus" zum "weltanschaulichen Rahmen". Dies gedanklich weitergeführt liefe darauf hinaus, die in diesem Rahmen geformte kommunistische Partei stände in ihrer weltanschaulichen Geschlossenheit und ideologischen Einheit der übrigen Gesellschaft als etwas Abgetrenntes, Fremdes gegenüber, wobei sie naturgemäß die Minorität bildete. Hier zeigt sich bereits die Sackgasse. Denn wie will sie die Gesellschaft erreichen, durchdringen und gewinnen, ohne sie dabei modeln zu wollen? Wie immer sie auch unter besonderen Umständen zur Macht käme, sie müßte mit staatlichen Mitteln der Gesellschaft ihr politisches Programm oktroyieren, weil ihre Besonderheit zugleich die Kluft bildet, die sie von der Gesellschaft trennt. Wie das in der Praxis aussieht, hat die stalinistische Herrschaft anschaulich gezeigt.

Ein anderer Aspekt ist, daß Holz den historischen und dialektischen Materialismus zum "weltanschaulichen Rahmen" umdefiniert, ihn somit dogmatisiert. Handelt es sich nach marxistischer Auffassung kategorial-methodisch um Erkenntnismittel, geraten sie bei ihm ebenso wie schon bei Stalin zur Weltanschauung. Dazu erstarrt, erübrigt sich für ihn, Methodik und Kategorien des historischen und dialektischen Materialismus auf seine eigene Prämisse samt ihren Ableitungen anzuwenden. Nach allem, was Marx und Engels für die definitorische Eingrenzung des Sozialismusbegriffs hinterlassen und neuere Arbeiten hinzugefügt haben, stimmt sie nicht. Sie stimmt eben nur innerhalb einer dogmatischen Festlegung. Wenn er in seinem oben zitierten "Erklärungsmodell" sagt, daß "alle diese Grundsätze aus dem ersten hergeleitet werden können", unterstreicht er das nur. Den historischen und dialektischen Materialismus zur Weltanschauung zu erklären, ihn damit seines Wesens - der Dialektik - zu berauben, war der einleitende und entscheidende Schritt, den Marxismus zu verunstalten und in die dogmatische Herrschaftsideologie der konterrevolutionären stalinistischen Bürokratie zu verwandeln.

Den entscheidenden Satz, mit dem Holz das Besondere seiner kommunistsichen Partei verdeutlicht und den Widerspruch zur Gesellschaft für aufgelöst erklärt, formuliert er so: "Sie vertritt nicht die Interessen irgendeiner Gruppe oder ist die Plattform, auf der divergierende Gruppeninteressen miteinander versöhnt werden; sie kann vielmehr nur kommunistisch sein, wenn sie das Wohl aller erstrebt. Das Wohl aller ist aber nicht aus dem Bedürfnis und Interesse einzelner abzuleiten, sondern nur durch die allgemeine Theorie zu bestimmen, die alle einzelnen aufeinander bezieht und als ein Ganzes auffaßt."(7)

Damit ist jeder Zweifel ausgeräumt. Das alte Wahrheitsmonopol ist wieder da. Nach dieser Logik kann eine Partei, die das Wohl aller zum Ziel hat, nicht im Widerspruch zur Gesellschaft stehen, weil sie sie als ein "Ganzes" auffaßt, dessen noch nicht erfolgte Herstellung sie bereits geistig vorweggenommen hat. Sie denkt also auch für den Teil "allgemeine Theorie" schon besagt, ist Holz' Partei allerneusten Typs Trägerin einer allgemeinsten, somit für alle gültigen Wahrheit. Wer dieser Wahrheit widerspricht, manifestiert damit nicht etwa ihren immanenten Widerspruch, sondern artikuliert im mildesten Fall nur seine eigene Dummheit. Wenn er ein Stück weiter sagt, "es wäre ein Irrtum zu meinen, die Ablösung einer Gesellschaftsformation durch eine neue könne durch eine dirigistische Minderheit bewirkt werden"(8), klingt das wie ein Witz. Er hat ja recht, wenn er gleich danach sagt, "Revolution ist immer nur als eine demokratische möglich"(ebenda), aber was will er dann mit seiner Partei?

Wenn nämlich diese Partei dank ihrer "allgemeinen Theorie" das Wohl aller bereits kennt, tritt sie nicht als suchende, um Wahrheit und Erkenntnis ringende, sondern als schon alles wissende Gruppierung in den gesellschaftspolitischen Diskurs. Dies wirft vor allem die Frage auf, wie dieses Wissen zustande kommt, wer es besitzt, wie es vermittelt und verteidigt wird.

Wie Holz klar erkennen läßt, sind gedanklicher Rohstoff, weltanschaulicher Rahmen, Parteimodell, Prämisse und Ziel bereits vorhanden. Das Lehrgebäude mit allem Drum und Dran steht also schon bereit. Wer die Praxis der DKP, der KPD und der Kommunistischen Plattform kennt, weiß, daß beispielsweise die Prämisse nicht diskutiert wird, sondern wie ein unanfechtbarer Glaubenartikel hinzunehmen ist. Genau das, was er selber verlangt, weil sein ganzes Gebäude auf diesem dogmatisch festgelegten Fundament steht. Damit wird schon ein Teil seiner "allgemeinen Theorie" deutlich, mit der er "das Wohl aller" erringen will.

Wenn Holz die heutigen Auswirkungen des Kapitalismus beschreibt und daher seine Ablösung fordert, hat er mit vielen seiner Beschreibungen nicht unrecht. Auch seine Forderung nach Ablösung des kapitalistischen Systems ist richtig. Aber womit will er ihn ab lösen und wodurch ersetzen? Es ist nicht nur die Frage nach der Tauglichkeit seiner Mittel. Es ist auch zu fragen, welche Gefahren sie in sich bergen; denn seine Theorie ist keine qualitative Überwindung des stalinistischen "Parteimarxismus", sondern seine Wiederbelebung und Modernisierung. Er schöpft aus einer Theorie, die im Geiste der Konterrevolution geboren wurde und in Stagnation und Niedergang endete, die vor allem Unterdrückung begründete und nicht Befreiung. Seine angeblich neue leninistische Partei aber steht und fällt mit seiner Prämisse. Fällt sie, ist klar, daß es eine sozialistische Revolution und damit die neue Systemqualität nicht gegeben hat. Dann aber tritt zutage, daß es eine nicht progressive, deformierte Übergangsgesellschaft zwischen Feudalismus und Kapitalismus war. Wo aber bleibt dann ihre Beispielhaftigkeit, ihre Kompetenz? Werfen wir also noch einen weiteren Blick auf diese wichtige Frage.

3.) In der Organiationsfrage liegt eine bis heute nicht bewältigte Problematik. Die meisten Überlegungen kreisen immer noch um das Zentralgestirn Partei. Die einen wollen sie noch reiner, straffer, schlagkräftiger, die anderen offener, pluralistischer usw. Weniger diskutiert wird die Frage, welchen Ursprungs die immer wieder bemühte "Partei Leninschen Typs" eigentlich ist, welche Umstände zu ihrer spezifischen Formung geführt haben und ob sie ihrem Wesen nach überhaupt die politische Trägerin der dialektischen Negation des hochentwickelten Spätkapitalismus sein kann.

Die Annahme, die russische Revolution von 1917 sei eine sozialistische gewesen, spielt dabei immer noch die überragende Rolle, wobei Lenin als Zeuge bemüht wird. Doch nirgendwo ist eine in sich geschlossene Theorie Lenins zu finden, die ihren sozialistischen Charakter belegt. In These 8 seiner Aprilthesen heißt es: "Nicht Einführung des Sozialismus als unsere unmittelbare Aufgabe, sondern augenblicklich nur Übergang zur Kontrolle über die gesellschaftliche Produktion und die Verteilung der Erzeugnisse durch den Sowjet der Arbeiterdeputierten."(9) Selbst Stalin hat 1924 noch in seinen Vorlesungen über Leninismus an der Universität von Swerdlow den Sieg des Sozialismus in einem Land nicht für möglich gehalten: "...dazu ist der Sieg der Revolution wenigstens in einigen Ländern notwendig."(10)

Die russische Revolution aber blieb isoliert. Nur Monate trennten sie von der zaristischen Selbstherrschaft. Politisch und militärisch gesiegt hatte sie in einem rückständigen, halbfeudalen Land, dessen Kolonialkapitalismus sich auf wenige Zentren beschränkte. Einer sozialistischen Revolution fehlten alle wesentlichen Voraussetzungen. Ihrer objektiven Bestimmung nach konnte sie nur eine bürgerliche sein, deren Besonderheit darin lag, daß die russische Bourgeoisie zu ihrer Durchführung nicht fähig war. Die Einführung der NEP hat dieser Realität nur Rechnung getragen. Daß die unter Stalin immer stärker hervortretende Legitimationsideologie die Revolution als "Große sozialistische Oktoberrevolution" apostrophierte, somit sowohl ihre Autorität als auch die eigene aus ihr abgeleitete Legitimation erhöhte und bewahrte, gehört zu den aus politischen Gründen erzeugten großen Trugbildern der Geschichte.

Die Partei der Bolschewiki hatte also eine ganz andere Aufgabe zu lösen, als ihr im nachhinein zugeschrieben wurde, was nicht bedeutet, daß ihr und Lenin der strategische Wille zur sozialistischen Revolution fehlten. Ihre unverkennbar jakobinischen Züge kamen aber nicht von ungefähr - sie trugen der realen Situation Rechnung.

Der Bolschewismus hat die Methoden der marxistischen Klassenanalyse übernommen, aber er hat sie auf die konkreten Verhältnisse angewandt, die objektiv für eine sozialistische Umgestaltung nicht reif waren. In diesem Prozeß wurden die Kategorien der marxistischen Theorie inhaltlich verändert. Als schließlich kein Zweifel mehr darüber bestand, daß mit dem Eintritt der Weltrevolution nicht mehr zu rechnen ist, begründeten Stalin und Bucharin die These vom "Sozialismus in einem Land". Als diese Theorie unter Stalins Führung exekutiert wurde, erfuhr die marxistische Theorie über inhaltliche Veränderungen hinaus ihre völlige Entstellung und wurde zur stalinistischen Legitimationsideologie. Erst in dieser Form war sie für Stalins Herrschaft und Politik verwendbar.

Die Schlußfolgerung aus dem hier nur knapp skizzierten Charakter der russischen Revolution legt nahe, die Bolschewiki in ihrer wirklichen Rolle zu sehen, aus der sich zugleich ihr Jakobinismus erklärt: die historische Aufgabe der bürgerlichen Revolution im feudalistisch-kapitalistischen Rußland zu lösen.(11) Ihre militärisch-straffe Organisationsweise war auf die Eroberung der Staatsmacht und die daraus folgende eigene Machtausübung ausgerichtet. Wenn Lenin sich auch vieles anders vorgestellt hatte, unter dem Diktat der realen Bedingungen entschwand der Traum von der sozialistischen Demokratie. Sie wurde nur als Legende existent.

Aus dieser Legende schöpft Holz, wenn er den "Leninschen Parteitypus" aufarbeitet und auf die Verhältnisse des hochentwickelten Kapitalismus extrapoliert, wobei er ihn eigentlich mit dem "Stalinschen" verwechselt. "Lenins Partei", wie sie die Apologetik noch immer beschwört, taugt aber schon deswegen noch viel weniger für heutige Verhältnisse, weil sie unter Stalin eine rückwärtsgewandte Totalisierung erfuhr, in der sowohl ihr Jakobinismus als auch ihre marxistischen Elemente verloren gingen. Holz knüpft also im Grunde nicht bei der "Alten Garde der Revolution" an, sondern am Typus der kommunistischen Partei Stalinscher Prägung, somit am Stalinismus selbst.

4.) Wenn Holz seine anfangs beschriebene und von ihm selbst vorgestellte kommunistische Partei aus dem stalinistischen Theoriegebäude entwickelt und in neuer Totalität vorstellt, drängen sich Fragen und Zweifel auf. Er selbst mag glauben, sie sei das geeignete Instrument des Klassenkampfes und der Systemüberwindung. Aber sie trägt von vornherein etatistische und administrative Grundzüge, so daß von ihr nicht zu erwarten ist, daß sie sich für den Subjektstatus der Massen und die freie Assoziation der Produzenten wirklich einsetzt. Gerade weil die ideologische Geschlossenheit innerhalb eines "weltanschaulichen Rahmens" und einer "allgemeinen Theorie" einen permanenten Prozeß der ideologischen Reinigung mit der irrationalen Zielvorstellung eines von allen Irrtümern befreiten lupenreinen weltanschaulichen Kristalls erzwingt, muß sich eine inquisitorische Dynamik nach innen ergeben. Auch wenn Holz zwischendurch konzediert, dieser Rahmen dürfe keine statische Größe sein, bildet er dennoch die Grundlage der Verkirchlichung, wie es schon beim Altstalinismus der Fall war.

Daß Holz sich nicht weiter mit subjektwissenschaftlichen Fragen aufhält, erhellt daraus, daß die in der hochkomplexen Gesellschaft des Spätkapitalismus vielfältig geprägten subjektiven Verarbeitungsweisen nicht in sein Organisationsschema passen. Mit dem Eintritt in seine Partei hält er diese Frage anscheinend für gelöst. Doch unabhängig davon existiert sie in aktueller Form, so daß es ohne Nivellierungs- und Infantilisierungsstrategien kaum möglich sein dürfte, innerhalb dieses "weltanschaulichen Rahmens" Harmonie und Übereinstimmung herzustellen. Ein Prozeß, in dem sich mit absoluter Gleichzeitigkeit das Niveau der Mitglieder aufgrund einer idealen diskursiven Meinungsbildung ständig hebt, so daß auf dieser Grundlage auch der weltanschauliche Rahmen jeweils an Weite und Tiefe gewinnen kann, gehört ins Reich des Glauben. In der Praxis hat sich dieses Modell allemal als der ideale Boden für selbstherrliche Führungseliten und kultisch verehrte Führergestalten erwiesen. 98,9 % Zustimmung sind auf dieser Erde nur unter Maßgabe hinreichender Verblödung der Parteibasis zu haben. Erstaunliche Tatsache bleibt dabei, daß der Stalinismus solche Rekorde vorzuweisen hatte.

Natürlich ist bei Holz nirgendwo zu lesen, daß er sich so etwas noch einmal wünscht. Es ergibt sich aus der Logik seines Modells. Das ist der Punkt. Der kontraproduktive Gehalt seiner Organisationsstrategie liegt sowohl in der Distanznahme zur Gesellschaft wie in der Verabsolutierung des Stellvertreterprinzips, denn kein nachdenklicher Mensch wird ihm abnehmen, daß sein Modell ohne Lehrgebäude und damit verbundenem Vordenkertum funktioniert. Diese Strategie führt nicht in die Gesellschaft hinein, sondern separiert sich von ihr und treibt die Entmündigung der Individuen auf die Spitze, weil es wieder die organisatorische und ideologische Spitze der Hierarchie sein wird, die für die Mitglieder spricht und sie vertritt. Es ist einfach nicht denkbar, daß sich ein widerspruchsfreier Idealtypus auf der Grundlage einer gegebenen Weltanschauung ohne gleichzeitige geistige Sterilisierung der Basis und Abtöten innerparteilicher Demokratieentwicklung herstellen läßt. Weil aber die innere Logik einer solchen Weltanschauungspartei auf den idealen Zustand der widerspruchsfreien Einheit hinwirkt, ergibt sich im realen Leben immer wieder das Bild eines riesigen Karteikastens mit dem Kopf eines Maikäfers. Der Anspruch auf dialektische Gestaltung muß dabei verbal bleiben, denn innerhalb eines starren Rahmens bei priesterlicher Überwachung triumphiert naturgemäß der Dogmatismus.

Holz ist zuzustimmen, wenn er dem modischen Diskurs entgegentritt, der das Proletariat nur noch als marginale Restbestände wahrnimmt und sein endgültiges Verschwinden prophezeit. Im Marxschen Sinne definiert war es nie verschwunden und brauchte daher nicht in Gestalt der "Proletarität" (Roth) wiederzukehren. Die von ihm bemühte "historische Mission der Arbeiterklasse" erscheint den heutigen Verhältnissen gegenüber jedoch wenig differenziert. Wie oben erwähnt, verzichtet er im wesentlichen auf die notwendige Darstellung der Objekt-Subjekt-Dialektik unter den Bedingungen hoher Produktivkraftentwicklung und den damit verbundenen hochkomplexen Strukturen des metropolitanen Kapitalismus. Neuere subjekttheoretische Erkenntnisse moderner Marxisdiskurse über die Vielschichtigkeit und Spezifik der Verhaltensmuster im subjektiven Verarbeitungsprozeß finden in seinem Modell einer kommunistischen Partei, die ja die Arbeiterklasse organisieren soll, keinen Niederschlag.(12)

Statt dessen setzt er mit einer gewissen Vorliebe als Subjekt so etwas wie ein "unbeschriebenes Blatt" in Gestalt einer abstrakten "jungen Generation". Die Widerspruchsentfaltung im Prozeß der kapitalistischen Systemreproduktion verschärft aber nicht nur den Grad der Ausbeutung. Der objektive Zwang zur permanenten Steigerung der Arbeitsproduktivität impliziert die Verflachung von Hierarchien (lean production, Toyotismus usw.), was andererseits immer größere Qualifikation und Eigenständigkeit der Lohnabhängigen nach sich zieht. Nehmen wir die Frage vorweg, wer denn die Produktionssphäre einer zukünftigen sozialistischen Gesellschaft gestalten und organisieren soll, erscheint es wenig sinnvoll, den Typus des wissenschaftlich qualifizierten Hightech-Arbeiter erst einmal in das Korsett eines "weltanschaulischen Rahmens" zu zwängen. Den Unterschied zwischen Fremdbestimmung im kapitalistischen und Subjektstatus im sozialistischen Produktionsprozeß begreift er von selber, unabhängig davon, ob er ein eventuelles Bedürfnis nach Mystik in einem exotischen Sektentempel oder einem christlichen Gebetshaus befriedigt. Unter der Aufsicht eines stalinistischen Ordens wird er sich wahrscheinlich ähnlich verhalten wie einst die hochgelobte Arbeiterklasse des "Realsozialismus".

Eine wirklich neue und moderne sozialistische Organisationsstrategie muß in die Gesellschaft hineinführen, was voraussetzt, sie in ihrer Komplexität zur Kenntnis zu nehmen. Sie kann nicht unter Maßgabe eines weltanschaulichen Rahmens einen gesellschaftsfremden Organismus heranzüchten, der dann bei passender Gelegenheit anderen seine Anschauung wie einen Sack über den Kopf stülpt. Anders verhält es sich mit der marxistischen Theorie als Erkenntnismethode im Prozeß revolutionärer Aufklärung und kritischer Systemanalyse. Die Aufhebung des Kapitalismus erfordert ein kritisches, kreatives, nach Freiheit und Selbstverwirklichung strebendes Subjekt, das Theorien nicht in weltanschauliche Dogmen verwandelt, sondern als Mittel der Befreiung nutzt. Lenins "sozialdemokratischer Jakobiner" und Stalins gläubiger Parteisoldat sind Figuren vergangener Zeiten, die organisatorisch straffe und weltanschaulich-ideologisch monolithische Partei ein Anachronismus. Die revolutionäre Bewegung des 21. Jahrhunderts muß die Elemente und Strukturen ihres Gesellschaftsmodells schon in ihrem eigenen Entwicklungsprozeß herausbilden. Das ist ihr wirklicher emanzipatorischer Impuls.

5.) Mit seinem vierten Vorstoß erweckt Holz den Eindruck, er sei von allen guten Geistern verlassen. Nachdem er an der Phrase festgehalten haben will, "daß die Oktoberrevolution kein historischer Fehler war", präsentiert er den Höhepunkt seines "kleinen Büchleins".

"Weil aber der Kapitalismus auch heute noch wie 1917/18 stark genug ist, um sich gegen revolutionäre Kräfte - durch ideologische Manipulation und durch repressive Gewalt - zu behaupten, besteht wieder wie 1917 die Möglichkeit, daß die Kette an einem schwachen Glied bricht, das heißt in einem Land mit unreifen Bedingungen, aber offenen, zugespitzten Widersprüchen."(13)

Und weiter:
"Jede Revolution heute wird aber der Tendenz nach eine sozialistische sein, denn es gibt in den Entwicklungsländern keine Möglichkeit mehr, die bürgerliche Revolution nachzuholen, um den historischen Weg durch die bürgerliche Gesellschaft zur sozialistischen zu gehen..."(Ebenda)

Diese Konzeption ist bekanntlich schon einmal schiefgegangen. Damals gingen die Bolschewiki von der Vorstellung aus, der Sozialismus stehe auf der Tagesordnung, die Welt befinde sich in einem revolutionären Prozeß. In der Stalinschen Interpretation wurde daraus die These vom schwächsten Glied in der Kette der imperialistischen Staaten, wonach das Land den Anfang mache, in dem die Widersprüche am größten sind, wo sie reißt. Lenins Arbeit über die ungleiche Entwicklung des Kapitalismus wurde entsprechend ausgelegt. Aber die so gesetzte Prämisse entfiel, die Weltrevolution blieb aus, die russische Revolution somit isoliert. Diese Isolation wurde aber dann die Grundlage der oben erwähnten "Theorie vom Sozialismus in einem Land", die 1989/90 auf ganzer Linie gescheitert ist, obwohl nach dem 2. Weltkrieg noch weitere Kettenglieder gerissen und in den Machtbereich der Sowjetunion gelangt sind.

Holz greift diese These wieder auf und formt sie zu einer neuen strategischen Option, wobei er wie Stalin den Marxschen und inzwischen historisch bestätigten Hinweis mißachtet, daß "der Kommunismus empirisch nur als die Tat der herrschenden Völker auf einmal und gleichzeitig möglich ist, was die universelle Entwicklung der Produktivkraft und den mit ihm zusammenhängenden Weltverkehr voraussetzt."(14)

Wieder ist es die dieselbe Prämisse: "Es ist nicht unwahrscheinlich, daß auch in Zukunft die Gesellschaft, die den Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus vollziehen wird, wie die Sowjetunion 1917 den Sprung aus einem quasi kolonialen Kapitalismus in den Sozialismus wird wagen müssen..." (Ebenda)

Spätesetens an dieser Stelle wird klar, daß Holz, der sicherlich die marxistische Theorie quantitativ in hohem Maße akkumuliert hat, sie tatsächlich nur als "weltanschaulichen Rahmen" begreift. Denn daß sein "real existierender Sozialismus" kein Sozialismus war und obendrein noch gescheitert ist, scheint ihm nicht einzuleuchten.

Im Zuge dieser bizarren Theorie erklärt er Kuba wiederum unter Mißachtung marxistischer Kriterien zur sozialistischen Bastion und konstruiert ein bedrohliches Revolution-Szenario, das möglicherweise den Hintergrund seiner Organisationsstrategie bildet: "Mit jeder Revolution, die stattfinden wird oder heute noch dem Druck des Kapitalismus widerstehen kann (wie Cuba), ist die Gesamtheit der kommunistischen Weltbewegung herausgefordert. Nicht nur zur Solidarität, sondern zu einer internationalistischen Konzeption des Klassenkampfes, frei von allen Klassenkompromissen, die stets Siege der herrschenden Klasse sind."(Ebenda)

Daß Sozialismus nur auf der Grundlage des voll ausgereiften, an seine Systemgrenzen stoßenden Kapitalismus möglich ist und daß eben sein "Sozialismus" aufgrund dieser fehlenden Voraussetzung keiner war, spielt in Holz' Überlegungen keine Rolle. Mit einem schon grauenhaften Bild läßt er die Katze aus dem Sack: "Zu den Erfahrungen unserer Geschichte wie zu den dialektischen Erkenntnissen von den strukturellen Widersprüchen in jedem Gesellschaftsaufbau gehört es, sich der Fortdauer des Klassenkampfes auch während des Aufbaus des Sozialismus (verschärft durch äußere Bedrohung) bewußt zu sein. Stalin wie auch Mao haben diese Seite der Dialektik der Geschichte betont."(15)

Das soll genügen!
Genau mit der These von der Verschärfung des Klassenkampfes hat Stalin seinen Terror begründet, der wiederum in der Unreife der Bedingungen seine Wurzel hatte, die er mit einem voluntaristischen Gewaltakt der ursprünglichen Akkumulation in einem historisch extrem verkürzten Zeitraum überwinden wollte. Die erschreckende Konsequenz dieser Überlegungen liegt darin, Parteidiktatur und Terror mit einzukalkulieren. Denn wenn es "keine Möglichkeit mehr gibt, die bürgerliche Revolution nachzuholen", die Revolution im schwächsten Kettenglied der "Tendenz nach nur eine sozialistische sein wird", müßte sich das alles wiederholen, sollte noch einmal versucht werden, die Voraussetzungen des Sozialismus aus dem Boden stampfen zu.

In seinem Szenario mag Holz an das atomar bewaffnete Rußland gedacht haben, das, nachdem seine kommunistische Partei im Verein mit patriotischen Kräften das korrupte Jelzin-Regime gestürzt hat, mit China, Kuba, den GUS-Staaten, Vietnam, Iran, Indien, Restjugoslawien, Nordkorea, Irak eine wirtschaftliche Zone und geostrategische Militärunion bildet und den Westen eindämmt. Moskau oder Peking wären dann die neuen Zentren der "Weltrevolution". Und wie zu Zeiten der Komintern gäbe es dann wieder Weisungen und Befehle an die nationalen kommunistischen Parteien. Zu nichts anderem als zu einer solchen ausgerichtete, militärisch straff geführte Partei. Für die dialektische Negation des Kapitalismus taugt sie ebenso wenig wie seine gesamte ultrastalinistische Strategie. Eine sozialistische Revolution kann nur von den kapitalistischen Metropolen des Westens ausgehen, worin auch die Voraussetzung läge, die unterentwickelten Länder dieser Welt zu unterstützen und zu fördern.

Die doppelte Abgrenzung ist notwendig

Die Erben des "Realsozialismus" haben seit dem Untergang ihres Systems nichts Brauchbares und nichts Neues geboten. Sie sind Relikte des Stalinismus mit jeweils verschiedenen politischen Ausrichtungen geblieben. Während die PDS Holz' Prämisse negativ anerkennt und in Richtung Neoreformismus umgeschwenkt ist, bilden sich in anderen Teilen der Erbgemeinschaft unter positiver Besetzung dieser Prämisse neo- und ultrastalinistische Tendenzen heraus. Eine originäre neue sozialistische Politik ist bei den Relikten nicht zu erkennen. Will die marxistische Linke eine noch einmal gegebene historische Chance nicht verspielen, muß sie sich sowohl von der dogmatischen als auch von der neoreformistischen Seite des "realsozialistischen" Erbes abgrenzen und die Organisationsfrage sowie alle anderen Fragen der Strategie unter den Bedingungen und Möglichkeiten der Gegenwart diskutieren. Sie muß neue Wege finden, indem sie Marxismus als Erkenntnismethode, nicht als Weltanschauung begreift.


© Willi Gettél, Berlin1997




Anmerkungen:

(1) Hanz Heinz Holz: Kommunisten heute, S. 8
(2) ebenda: S. 8
(3) ebenda, S. 19, 69
(4) ebenda: S. 10
(5) ebenda: S. 12
(6) Marx/Engels: Manifest, S. 63, 64
(7) ebenda: S. 14
(8) ebenda: S. 20 (9) Lenin, Werke, Bnd. 24, Dietz-Verlag 1959, S. 6
(10) Stalin: Fragen des Leninismus, S. 38
(11) Anton Pannekoek, Paul Mattick u.a.: Thesen über den Bolschewismus, S. 19 - 43, Ca ira Verlag 1991
(12) vgl. Hartmut Krauss: Das umkämpfte Subjekt. Widerspruchsverarbeitung im 'modernen'Kapitalismus, trafo verlag 1996
(13) ebenda: S. 51 ff.
(14) K. Marx, F. Engels: Deutsche Ideologie, ausgewählte Werke, Bnd. I, S. 226
(15) ebenda: S. 52











 

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