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Beiträge zur Geschichte  









Michael Czollek

Der Balken im Auge

Rezension zu: Daniel Jonah Goldhagen, "Hitlers willige Vollstrecker"

Nie geraten die Deutschen so außer sich, wie wenn sie zu sich kommen wollen, vermerkt Kurt Tucholsky. Und doch geschieht es eher selten, dass soviel Zorn und Eifer an das Tageslicht gespült werden, wie durch Goldhagens Darstellungen und Thesen. Lange bevo r diese überhaupt in deutscher Sprache vorlagen. Bereits in diesem Vorfeld gab es erhebliche Bemühungen, eine inhaltliche Diskussion weitgehend auszuschließen und Werk wie Autor in den Orkus zu werfen. Dieser überaus heftigen und z. T. unsachlichen Reakti on in Deutschland steht die des Auslands diametral gegenüber.

Daniel Jonah Goldhagen geht der Frage nach, was zu der Etablierung gerade des Nationalsozialismus und zu der von ihm neu geschaffenen Form von Massenvernichtung und Völkermord führte. In den zwanziger Jahren gab es mehrere nationalistische Gruppierungen, von denen die NSDAP nur eine war. Weshalb schließlich meinten die Sponsoren, die NSDAP werde der beste Sachwalter ihrer Interessen sein? Was sollte den Nationalsozialisten 1930 5 Millionen mehr Stimmen als der DVP eingebracht haben?

Goldhagen kommt zu dem Schluss, dass die Nationalsozialisten wegen ihres tief in der deutschen Tradition verwurzelten, schier grenzenlosen Antisemitismus gewählt wurden, den sie in ihrer völkischen Gesinnung auf den Punkt brachten: schaffendes deutsches K apital gegen raffendes jüdisches und der Kampf gegen den jüdischen Weltbolschewismus. Im englischen Titel sind ordinary german "Hitler's willing executioners", und das sind nicht die Vollstrecker, sondern die Henker. Es ist freilich wenig erbaulich, wenn dem gepflegten Bild des Volkes der Dichter und Denker das Bild der Richter und Henker entgegengehalten wird. Auch wenn Goldhagen einen Strich zwischen den Deutschen damals und den Deutschen heute zieht.

Die Auseinandersetzung mit dem Buch von Daniel Jonah Goldhagen wird im Wesentlichen auf emotioneller Grundlage oder wie in einem Spiegel-Interview1 durch Rückgriff auf privatime Erlebnisse gestaltet. Eine alldeutsche Einheitsfront selbst von im Historiker streit in tiefem Zwist liegenden Autoren hat sich gebildet. Frank Schirrmacher qualifiziert denn hintersinnig Goldhagens Herangehensweise Chuzpe. Chuzpe ist das jiddisch-hebräische Wort für besondere Frechheit: Wenn jemand Mutter und Vater umbringt und vo r Gericht um mildernde Umstände bittet, weil er doch so ein armes Waisenkind ist. Warum auch nicht, schließlich ist Goldhagen Jude und Jedem das Seine. Für Eberhard Jäckel ist es "Einfach ein schlechtes Buch", er beklagt sich aber, dass Goldhagen dem Tite l von Karl Schleunes "The Twisted Road to Auschwitz" schlicht entgegenhält: The road to Auschwitz was not twisted. Jost Nolte erkennt nunmehr: "Sysiphos ist Deutscher" und stellt fest, Goldhagen hätte sich alle Mühe gegeben, die Deutschen in diese Verdamm nis zurückzustoßen. Historisch-empirisch nur von geringem Ertrag, findet Norbert Frei, unbeschadet der Tatsache, dass die Political Science Association Goldhagens Dissertation (darum handelt es sich bei dem Buch) mit einem Preis ausgezeichnet hat. D(jà vu , déjà lu, winkt Michael Wolfsohn ab: Schon gesehen, schon gelesen. "Nichts Neues unter der Sonne", bemüht er um Aktualität ringend den Prediger Salomonis und enttarnt Goldhagens Sicht nicht nur als unhistorisch sondern zudem unjüdisch. 2

Wenn man schon etwas wahrnehmen muss, was man durchaus nicht will, ist es immer einen Versuch wert, Bedeutung und Orginalität abzusprechen und den Autor zu denunzieren. Alles schon bekannt? "Das stimmt", kommentiert Adrei S. Markovits," - für die Opfer." Und Josef Joffe stellt die treffende Frage, ob das Buch den gleichen Furor entfacht hätte, wenn der Autor Peter Müller hieße und an der Universität Oldenburg lehrte. Peter Glotz aber hält es für notwendig anzuführen: "Der Autor, Daniel Jonah Goldhagen, So hn eines aus Rumänien stammenden jüdischen Historikers..." und die taz weiß: "Der Vater des Autors, Erich Goldhagen, hat das jüdische Ghetto im rumänischen Czernowitz überlebt und einen Großteil seiner Familie im Holocaust verloren". In den meisten Veröff entlichungen in Deutschland ist diesen Verweisen zu begegnen, gleichsam: Goldhagen liegt falsch, aber man kann es verstehen. Arning und Paasch versteigen sich in der Frankfurter Rundschau zu dem Satz: "Was und wieviel daran wirklich neu ist, wird dabei in der US-Debatte bisher nur selten gefragt, diskutieren hier doch meist jüdische Nicht-Historiker, sprich Journalisten und Kolumnisten." D(jà vu, déjà lu.

Die heftigen Abwehrreaktionen auf Goldhagens Buch konterkarieren eindrucksvoll die Behauptungen der Agierenden. Und in dem Wunsch, es möge alles nicht so sein, wie es Goldhagen unerbittlich auflistet, entsteht eine Art psychogener Blindheit selbst für die unbestreitbaren Fakten der Geschichte Deutschlands nach Hitler. "Alle unsere Bundespräsidenten", empört sich Rudolf Augstein, "den heutigen Kraft Geburt ausgenommen, und all unsere Bundeskanzler müssten demgemäß in einem Sumpf von potentiellen Judenkille rn aufgewachsen sein." Wenn es nur das gewesen wäre: War es nicht die NSDAP-Mitgliedschaft Kiesingers, die ihm eine Ohrfeige von Beate Klarsfeld einbrachte? War es nicht Adenauer, der Globke - den Kommentator der Nürnberger Gesetze - zum Staatssekretär im Justizministerium machte? Wie war das mit Lübke und Carstens?

Das Bild von den bösen Nazis einerseits und dem braven Volk andererseits, das dem Wüten hilflos zuschauen musste, ist tief verinnerlicht und trübt den Blick. So erklärt Mommsen in einer TV-Sendung, er stamme aus einer "liberalen Familie". Tatsächlich hat sein Vater Wilhelm Mommsen 1933 ein Bekenntnis von Hochschullehrern zu Hitler und dem NS-Staat mit unterzeichnet und 1943 in einem Aufsatz Hitler als Überwinder der kleindeutschen Bismarck-Politik bejubelt.3

Die Zweiteilung in böse Nazis und braves Volk findet ihre Fortsetzung in böser SS und braver Wehrmacht. Es ist aber längst nicht mehr zu verheimlichen, dass auch Wehrmacht und Polizeibatallione Massenmord betrieben. Goldhagen weist genau diese Allianz nac h und führt sie auf die nächste Ebene: Die zwischen Nationalsozialisten als politischer Elite und dem Volk als Exekutoren. Dabei geht es ihm nicht um eine Verurteilung des deutschen Volkes: "Die Vorstellung einer Kollektivschuld lehne ich kategorisch ab." 4

Dennoch: Ein ganzes Volk soll bis auf verschwindende Ausnahmen einer Horde Besessener gefolgt sein? Wie das? Haben wir nicht diesseits und jenseits der Deutschen Grenze immer etwas anderes gelernt? Gab es nicht auf der einen Seite die Männer des 21. Juni und auf der anderen den kommunistischen Widerstand? Waren nicht auf der einen Seite die Schuldigen ein Gruppe Paranoiker gewesen und auf der anderen das Großkapital? Und das deutsche Volk im Übrigen verführt?

Auch Deutsche, stellt Goldhagen fest, waren nicht willenlose Rädchen einer Maschine. Sie waren verantwortlich Handelnde, von denen "jeder und jede einzelne Entscheidungen getroffen, wie er oder sie sich den Juden gegenüber verhalten wollte."5 Daher seien sie als Urheber ihrer Taten zu betrachten. Diese Sichtweise steht der Auffassung von totalitären Regimen, wie sie von Hannah Arendt auch in Analyse des Nationalsozialismus entwickelt wurde, entgegen. Goldhagen benutzt vielmehr ein Bild von Handlungsfähigk eit, das menschliche Handlungsunfähigkeit mit dem Tod des Individuums identifiziert. Der Einzelne hat immer die Möglichkeit "nicht oder anders zu handeln, und ist in diesem Sinne den Bedeutungen als bloßen Handlungsmöglichkeiten gegenüber >frei<...Wo unte r historisch bestimmten Verhältnissen der andere als Subjekt geleugnet, instrumentalisiert, zum Objekt gemacht wird, ... , gewinnt die >Menschlichkeit< interpersonaler Beziehungen aus ihrer Spezifik den Charakter der >Unmenschlichkeit< (ein Tier kann man nicht >unmenschlich< behandeln)."6

Goldhagen stellt nicht nur die weitgehende Übereinstimmung der Deutschen mit den Nationalsozialisten fest, sondern fragt auch nach dem Warum. Motivforschung - ein Thema, vor dem deutsche Historiker bisher weitgehend zurückgeschreckt sind. Goldhagen hat si ch dessen angenommen, und ihn zu widerlegen bedürfte es großer Anstrengungen. In der Kette des durch die christliche Kirche verbreiteten Judenhasses reiht er - jede Aussage präzise mit Quellen belegend - Glied an Glied und kommt in der Frage des in Deutsc hland tradierten Antisemitismus zu dem Schluss: "Nahezu alle, die sich an der Debatte über die Juden und den ihnen zukommenden Platz in der deutschen Gesellschaft beteiligten, stimmten darin überein, dass Judentum und Deutschtum unvereinbar seien. Das gal t selbst für jene, die die Emanzipation der Juden und ihr Recht, sich in Deutschland niederzulassen, verteidigten. Das jüdische galt als schädlich und verderblich, wenn nicht gar als lebensbedrohend für alles Deutsche." 7 Ganz wie es der Satiriker Hollaen der in den zwanziger Jahren persiflierte, lautete schon frühzeitig das Diktum: Der Jud ist schuld. Ohne Zweifel fand der Dreyfuß-Prozess in Frankreich statt. Aber die französische Revolution von 1789 hatte bereits die Emanzipation der Juden erklärt, und der Prozess spaltete Frankreich in zwei Lager. Als hingegen am 14. Dezember 1849 die Zweite Kammer d es Bayerischen Landtags ein Gesetz verabschiedete, das den Juden die volle Gleichberechtigung gewährte, reagierte die bayerische Presse und Öffentlichkeit mit heftigem Widerstand: Es hagelte Eingaben aus über 1700 Gemeinden. Zu einer Zeit, da der Antisem itismus eher gering ausgeprägt war.8

Es war ein bösartiger Antisemitismus, der in Deutschland die Oberhand gewann. Und er war so verwurzelt, dass schließlich diejenigen, die ihn in ihrer ganzen Konsequenz betrieben, von der Mehrheit des deutschen Volkes an die Macht gebracht und später von e iner noch größeren Mehrheit gestützt wurde. Nicht die Frage, was der Einzelne im Einzelnen gewusst habe, ist für Goldhagen entscheidend, sondern die Tatsache, dass der Einzelne im entscheidenden Moment all das tat, was von ihm erwartet wurde. Und oft noch wesentlich mehr. Schreckliche, abstoßende, ekelerregende Dinge, die Goldhagen präzise und in ihren Details schreibt. Jedem, der das liest, stellt sich von allein die Frage: Was hat diese Menschen bewogen, derart zu handeln?

So will Mommsen keine historische Literatur haben. "Wollen Sie, dass unsere Bücher unters Jugendverbot fallen?"9 orakelte er kürzlich. Richtig, und wenn sich an der Gestaltung des Museums Auschwitz nichts ändert, können wir dort keinen jungen Deutschen me hr hinfahren lassen. Und nach Israel auch nur, wenn gesichert wird, dass in Yad Vaschem die jungen deutschen Seelen keinen Schaden nehmen. Weshalb soll nicht beschrieben werden, wozu Menschen - mithin deutsche - fähig waren? Es lohnt, auf Mommsens Vorstellungen von angemessener Geschichtschreibung hier noch etwas differenzierter einzugehen.10 1986 begann er, die Geschichte von VW während der Nazizeit im Auftrag von VW zu erforschen. Am 6. November 1996 hat er das Ergebnis sei ner Arbeit vorgelegt. Den Zwangsarbeiterinnen bei VW ging es "besser als in Auschwitz", hat Mommsen herausgefunden. "Die Unterbringungsbedingungen erschienen für sie im Vergleich zu den Verhältnissen in Auschwitz als geradezu ausgesprochen komfortabel.", legt er süffisant dar. "Die Räume waren ausreichend geheizt, die Doppelstockbetten mit Stroh und Laken versehen, es gab kalte und warme Duschen sowie eine Krankenstation die von einer als Häftlingsärztin fungierenden jüdischen Zahnärztin geführt wurde." I mmerhin, sie sollten Panzerfäuste und Tellerminen herstellen. In dem von Mommsen als Quelle angeführten Buch des Wolsburger Stadtarchivars Dr. Klaus-Jörg Siegfried liest sich das allerdings anders: "Als Folge der äußerst erbärmlichen Lebensbedingungen der Mädchen, d. h.: Sie lebten in einem Keller, in dem das Wasser von der wand tropfte und Wasserlachen auf dem Fußboden bildete, bekamen sie Tuberkulose und mehrere starben."

Von Hans Mayr, Betriebsleiter bei VW, weiß Mommsen zu berichten, dass er "ausschließlich um sachliche Arbeit bemüht" war und "im April 1945 offenbar irrtümlicherweise von der amerikanischen Besatzungsmacht verhaftet" wurde. Denn: "Der ihm während des Krie ges übertragene Rang eines Wehrwirtschaftsführers hatte nach seiner eigenen Aussage keine sachliche Bedeutung. Entnazifizierungsakte Mayr." Das ist die Geschichtsschreibung, mit der Goldhagen aufräumt.

Der deutschen Gesellschaft ist es gelungen, sich weitgehend in die Tasche zu lügen, was die Beteiligung der Deutschen am Völkermord betrifft. Nichts gewusst, Hitler ist es gewesen und Rädchen im Getriebe. Nun kommt ein Jude daher und schreibt Deutschen in s Stammbuch, dass und wofür sie sich seinerzeit bewusst entschieden hatten. Und sei es nur durch Verweis auf eine Erhebung der amerikanischen Besatzungsbehörde Ende 1946, aus der sich ergab, "dass 61 Prozent der Deutschen Ansichten zum Ausdruck brachten, die sie als Rassisten oder Antisemiten qualifizierten; weitere 19 Prozent wurden als Nationalisten eingestuft."11 Woraus hervorgeht, dass anderthalb Jahre nach Kriegsende nur 2 von 10 Deutschen unter Umständen bereit gewesen wären Handlungen gegen Juden W iderstand entgegen zu setzen.

Der israelische Zeithistoriker Moshe Zimmermann erklärte in einem Podiumsgespräch, in Israel verstehe man die Aufregung nicht.12 Sie ist auch nur unter dem Aspekt zu begreifen, dass sich die Agierenden angesprochen fühlen: Mit öffentlichen Fragen, die bis her unbeantwortet blieben, weil es statt kühler Historiographie der Auseinandersetzung mit sich selbst bedurft hätte. In fast allen slawischen Sprachen ist der Begriff für Deutschen mit dem für "Schweigende" assoziiert. Wie prophetisch. Denn dass es nur der Antisemitismus gewesen wäre - diese These Daniel Jonah Goldhagens greift zu kurz. Tatsächlich ist der Nationalsozialismus nicht Kristallisationspunkt des nationalen Projektes Antisemitismus, sondern einer viel weiter greifenden Herren menschideologie. Dass diese nicht zwangsläufig mit Antisemitismus assoziiert sein musste, zeigt sich an einem ihrer bedeutendsten Protagonisten, Friedrich Nietzsche (der in einem Brief seine Schwester bedauert, zum Antisemitismus herabgesunken zu sein). N ietzsches Stoßrichtung war nicht die Eliminierung einer besonderen ethnischen Gruppe zugunsten einer anderen. Er ästhetisierte den Helden, das Starke, das Unerbittliche - dessen Ursprung war dabei unerheblich. Für eine neue Welt musste in seinen Augen das Schwache, das Kranke, das Hilflose vergehen.

Ungeachtet dessen aber bildeten in Deutschland Herrenmenschidee und Antisemitismus die Essenzen für das spätere explosive Gemisch, wobei das propagandistische Bild des Juden dem der Bedrohung entsprach. Der Mord an Sinti und Roma aber, die Aktion T4 (Vern ichtung lebensunwerten Lebens), die Sterilisierung von Kranken, die Versuche an lebenden Menschen: Das geschah auf dem Bodensatz einer Herrenmoral, die den Herren alles gestattete. Der Sonderweg Deutschlands bestand nicht in allein in seinem exemplarischen völkischen Antisemitismus, sondern in einem tiefen praktischen Antihumanismus. Das Selbstverständnis, zu Höherem berufen zu sein, über andere herrschen und richten zu können, spei st sich aus der Quelle jahrhundertelanger Zersplitterung, Kleinkriege und Schaumburg-Lippescher Weltbeschränktheit, als eine Überkompensation kollektiver Minderwertigkeitsgefühle.

Einigende Bezüge fanden stets ihre Orientierung an Konservatismus, Reaktion und Krieg: Herrmann, der Cheruskerfürst, Turnvater Jahn und der deutsche Kaiser. Und im Warten auf die Erlösung durch Barbarossa. Wenn die Schlacht im Teuteburger Wald noch als na tionalstiftendes Element im Kampf gegen eine fremde Besatzungsmacht hätte dienen können, fand eine solche Stiftung nicht statt. Während in den Deutschland umgebenden Staaten sich die Zentralgewalt durchsetzte und eine nationale Identität schuf, blieben re chtsreinisch Hessen, Würtemberger, Sachsen, Preußen, Thüringer, Wesfalen, Nassauer. Der Zusammenschluss gegen Napoleon hatte zwar den Aspekt des Freiheitskrieges; doch die Intention erfolgte im Sinne der heiligen Allianz gegen das Bürgertum, das in Frankr eich bereits gesiegt hatte. Und der letzte deutsche Kaiser wollte denn in China auch gleich so hausen, dass es 100 Jahre lang kein Chinese mehr wagen würde, einen Deutschen scheel anzusehen. Wenn Deutschland nicht die Welt ist, soll die Welt deutsch werde n.

Die Wahl der kleindeutschen Lösung bei der Errichtung eines Deutschen Reiches, nämlich unter Ausschluss von Österreich, war die logische Konsequenz einer Entwicklung, deren innere Dynamik von Gewalt und Zwang diktiert war. Die Übermacht Preußens suspendie rte die freie Willensentscheidung für einen deutschen Staat und führte auch nur konsequent fort, was 1849 mit der Belagerung von Rastatt vollzogen wurde. Während die Landnahmen Cromwells und die Kriege Napoleons ein neues Zeitalter einläuteten und trotz i hrer zweifellos immensen Gewalttätigkeit gesellschaftlichen Fortschritt transportierten, siegte in Rastatt der reaktionäre preußische Hochadel über Bürgertum und verarmten badischen Landadel. Durch die bürgerlich-revolutionären Bewegungen bereits an der S chwelle eines modernen Bürgerstaates, versank der erst noch zu schaffende deutsche Nationalstaat nun in einem preußisch-dumpfen Kasernenhoffeudalismus. Seine Erfordernisse erhielten den Rang preußischer, dann deutscher Tugenden: Unterordnung, Kadavergehor sam, Disziplin als Selbstkasteiung. "Als hätten sie geschluckt den Stock, mit dem man sie einst geprügelt." illustrierte Heinrich Heine13 - "Meine Ehre heißt Treue" stand auf den Dolchen der SS.


© Michael Czollek, Berlin 1996


Anmerkungen

1 DER SPIEGEL Nr. 33, 12.8.96
2 Michael Wolfssohn ist Professor für Geschichte an der Bundeswehrhochschule und Protagonist einer jüdisch-deutschen Assimilation als nationales Aufbauwerk. Die Tradition, in der er sich befindet, wurde bereits den "National-Juden" (Tucholsky) der Weimare r Republik zum Verhängnis. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die reformierte jüdische Gemeinde umgehend verboten, weil deren Politik als besonders perfide Methode der Unterwanderung des deutschen Volkes galt.
3 Berliner Zeitung, 5.8.96
4 Goldhagen, S. 11
5 Ebenda, S. 12
6 Holzkamp, Klaus, Grundlegung der Psychologie, Campus-Verlag Frankfurt/New York, Studienausgabe 1985, S. 236, 238
7 Goldhagen, S. 78
8 Ebenda, S. 85
9 Berliner Zeitung, 21./22.9.1996
10 vgl. konkret 12/96, "Mommsens warme Dusche"
11 Ebenda, Fußnote 54 auf S. 678
12 Berliner Zeitung, 21./22.9.1996
13 Deutschland. Ein Wintermärchen. Seite 2









 

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