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Beiträge zur Geschichte  









Manfred Behrend

Das Volkswagenwerk in Frieden und Krieg

Nach der Flaute von 1992/93 und einer Niederlage gegenüber dem weltgrößten Automobilhersteller General Motors ist der Viertgrößte der Branche, Volkswagen, längst wieder im Aufwind. 1997 konnte die AG zum drittenmal hintereinander den Jahresgewinn verdoppeln; mit 12 DM je 50-Mark-Stammaktie bzw. 13 DM je Vorzugsaktie zahlte sie die bisher höchste Dividende. Mitte 1998 gelang es dem Unternehmen - nach hartem Kampf mit der deutschen Konkurrentin BMW einerseits, patriotisch gesinnten englischen Kleinaktionären andererseits - die letzte britische Automobilfirma Rolls-Royce, Herstellerin von Nobelkarossen dieses Namens und solcher der Marke Bentley, aufzukaufen. Zugleich konnte die VW-Führungsetage ihren politischen Einfluß steigern. Ihr Favorit Gerhard Schröder (SPD), der ein begeisterter "Automann" ist und als Ministerpräsident seit 1990 für Niedersachsen 20 Prozent des stimmberechtigten Grundkapitals der Volkswagen AG hält, wurde Anfang März 1998 zum Kanzlerkandidaten gewählt.

Demnach kann auch die Antwort auf die Frage interessant sein, aus welchen Anfängen heraus sich VW zum weltweit agierenden Großkonzern entwickelte, wie seine historischen Traditionen beschaffen sind. Am ausführlichsten gingen hierauf die Geschichtswissenschaftler Hans Mommsen und Manfred Grieger in ihrem mit zahlreichen Helfern erarbeiteten Buch "Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich", ECON Verlag Bonn 1996, ein, das 1055 Seiten umfaßt und auf einer bemerkenswert reichhaltigen Quellenbasis beruht, obwohl die Bestände des VW-Werksarchivs im Kriege oder danach fast völlig verloren gingen. Vor Mommsen/Grieger hatten schon der Wolfsburger Stadtarchivar Klaus-Jörg Siegfried mit seiner 1986 in Frankfurt/Main und New York erschienenen Monographie "Rüstungsproduktion und Zwangsarbeit im Volkswagenwerk 1939-1945" und antifaschistische Freizeithistoriker, so in einer 1988 vom DKP-Kreisvorstand Wolfsburg zum 50jährigen Firmenjubiläum herausgegebenen Broschüre "Thesen und Dokumente zur Rolle des VW-Projektes und Porsches im Faschismus" Beachtliches zur Aufhellung einer hochgradig braun gefärbten Vergangenheit geleistet. In nachfolgender Darstellung basiert der Teil bis 1949 wesentlich auf Mommsen und der DKP-Broschüre.

Gründungsphase des deutschen "River Rouge"

Das Volkswagenwerk stellt eine staatsmonopolkapitalistische Kreation eigener Art dar. Seine Gründung ging einerseits auf den von Reichskanzler Adolf Hitler mitverfochtenen Gedanken sogenannter Volksmotorisierung, andererseits auf den der Einbeziehung des Projekts in die Kriegsvorbereitungen des deutschen Faschismus zurück. Zunächst kam Anfang 1934 Goebbels' Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda auf die Idee, mit staatlicher Förderung analog zum Kleinradio, dem Volksempfänger ein preiswertes Kleinauto zu bauen. Hitler machte sich die Idee in veränderter Form zu eigen. Bei Eröffnung einer Internationalen Automobilausstellung am 7.3.1934 in Berlin kündigte er die Schaffung eines Volkswagens an, der ein ausgewachsenes und kein Kleinauto sein sollte. Sein Plan ging offenbar auf ein Exposé zurück, mit dem sich am 17.1.1934 Ferdinand Porsche, Inhaber eines Ende 1930 gegründeten Konstruktionsbüros für Motoren-, Fahrzeug-, Luftfahrzeug- und Wasserfahrzeugbau in Stuttgart-Zuffenhausen, um einen Regierungsauftrag zum "Bau eines Volkswagens als Studienobjekt" bemüht hatte. In dem Papier hieß es: "Ein Volkswagen darf kein Kleinwagen mit auf Kosten seiner Höchstgeschwindigkeit und guten Bergsteigefähigkeit verringerter Antriebsleistung sein, sondern vielmehr ein Gebrauchswagen mit einer der normalen Höchstgeschwindigkeit und nötigen Bergsteigefähigkeit entsprechenden Antriebsleistung." Wichtiger noch war folgender Satz: "Ein Volkswagen darf kein Fahrzeug für einen begrenzten Verwendungszweck sein, er muß vielmehr durch einfachen Wechsel der Karosserie allen praktisch vorkommenden Zwecken genügen, also nicht nur als Personenwagen, sondern auch als Lieferwagen und für bestimmte militärische Zwecke geeignet sein."

Da Porsche schon im ersten Weltkrieg für Österreich-Ungarns Heer Zugmaschinen und Selbstfahrlafetten konstruiert hatte, weshalb er auch als "Vater der motorisierten Armee" mit dem k. u. k. Offizierskreuz dekoriert wurde, lag ihm die Zweckbestimmung nahe. Der Satz findet sich im Dokumententeil der DKP-Broschüre, verbunden mit dem Hinweis auf eine 1983 von der Volkswagenwerk AG Öffentlichkeitsarbeit in Wolfsburg herausgegebenen "Volkswagenchronik", Seite 1. Er fehlt bei Mommsen/Grieger. Möglicherweise möchten diese Autoren so einen Rest der Firmenlegende stützen, wonach Porsche zwar ein fanatischer Techniker und Konstrukteur, aber kein Nazi gewesen sei, erst recht keiner, der auf den Krieg hinarbeitete. Entsprechend gaben sie ein von Jakob Werlin, Vorstandsmitglied bei Daimler-Benz und Vertrauensmann Hitlers in Autosachen, vermitteltes Gespräch zwischen Porsche und dem "Führer" Anfang April 1934 im Berliner Hotel Kaiserhof so wieder: Hitlers Suada "widersprach... in wichtigen Punkten den Vorstellungen Porsches, der ausschließlich die zivile Motorisierung anstrebte. Hitler rückte hingegen... die militärische Verwendung in den Vordergrund, derentwegen er auch der Luftkühlung und dem Dieselantrieb den Vorzug gab." (Mommsen/Grieger, S. 79)

Nicht bei Porsche, wohl aber in der Öffentlichkeit war damals in der Tat nur von ziviler "Volksmotorisierung" sowie einem Fahrzeug die Rede, das nach Hitlers Vorstellung lediglich 990 Reichsmark kosten sollte. Die Kalkulation war irreal. Jedenfalls aber standen unmittelbar kaum hohe Profite in Aussicht. Die im Reichsverband der Deutschen Automobilindustrie (RDA) vereinigten Firmen und ihre Zulieferer waren deshalb vom Volkswagenprojekt, bei dem mitzumachen ihnen nahegelegt wurde, mäßig angetan. Sie mochten auch Porsche nicht sonderlich, der nach dem ersten Weltkrieg für deutsche bzw. österreichische Autofabriken tätig gewesen war und dabei einen Hang zu Extratouren bewiesen hatte. Andererseits offerierten Hitler und der NS-Staat den Automobilherstellern, die erheblich unter der Weltwirtschaftskrise litten und gleichzeitig von der USA-Konkurrenz bedroht waren, große Chancen zur Expansion. Am 22.6.1934 schloß daher der RDA mit Porsche einen Konstruktionsvertrag für den Volkswagen, der das Stuttgart-Zuffenhausener Büro des Konstrukteurs sanierte.

In der hiermit einsetzenden Phase schmiß Porsche nicht nur Termine, er brüskierte auch den RDA, etwa indem er ohne dessen Vorwissen 1936 Hitler einen Probewagen vorführte. Der RDA suchte ihn daraufhin beim Kanzler anzuschwärzen, was jedoch mißglückte, zumal ein potenter deutscher Automobilbauer, Daimler-Benz mit Werlin als V-Mann des Diktators, hinter Porsche stand. Beim internen Streit spielte neben dem RDA-Interesse an Termintreue und niedrigeren Kosten auch das Staatsangebot von Kapitalzuschüssen eine Rolle, das die privaten Autohersteller aber wegen damit verknüpfter Abhängigkeiten nicht annehmen wollten. Zur Lösung des Knotens wurde der RDA ausgebootet, und eine potente Naziorganisation, die Deutsche Arbeitsfront (DAF) unter Robert Ley, übernahm es 1937, sowohl die weitere Konstruktionsarbeit als auch den Bau des Volkswagenwerkes zu finanzieren. Anfangs blieb der Wechsel geheim. Doch agierte schon in der am 28.5.1937 gegründeten Gesellschaft zur Vorbereitung des Volkswagens (Gezuvor) neben Werlin und Porsche der Leiter des Amtes "Reisen, Wandern, Urlaub" bei der DAF-Institution "Kraft durch Freude", Bodo Lafferentz, als Geschäftsführer. Die Grundsteinlegung zum VW-Werk am Himmelfahrtstag, dem 26.5.1938, mit Hitler und Ley in Fallersleben schuf auch in der Finanzierungsfrage öffentlich Klarheit. Am 16.9. selben Jahres gründete sich die Gezuvor in eine Volkswagen GmbH um. Deren Aufsichtsrat zierten DAF-Funktionäre und die drei Geschäftsführer. Zwei von ihnen dienten gleichzeitig den Interessen anderer Firmen - Porsche denen seines Konstruktionsbüros, das vertraglich insgeheim Daimler-Benz verpflichtet war; Werlin, der bei VW noch bis 1939 amtierte, vertrat direkt das Unternehmen mit dem Mercedesstern, das auch die spezifischen Nobelkarossen Hitlers herstellte.

Die Verbindung zu Nazipartei und Staat wurde bald dadurch verstärkt, daß Ferdinand Porsche sich die Testfahrer für den Volkswagen - anfangs drei, dann weitere 60 - aus Heinrich Himmlers SS-Verfügungstruppe holte. Dem Werk brachte das den Vorteil, nicht von anderen Automobilfirmen abhängig zu sein. Aus den Testfahrern und gleichfalls von Himmler rekrutierten Werkswachen entstand am 1.3.1938 ein eigener SS-Sturm für das damals noch geheime Volkswagenwerk. Die Kontakte des NSDAP-Mitgliedes Porsche zu Häuptlingen der schlimmsten politischen Mördertruppe wurden in der Folge noch enger. Ab 30.1.1942, dem "Tag der Machtergreifung" neun Jahre zuvor, rangierte der stets zivil gekleidete VW-Konstrukteur als Oberführer (Brigadegeneral) der SS.

In einem wenig besiedelten Teil Niedersachsens, der verkehrsmäßig günstig nahe der Reichs- und Autobahn sowie am Mittellandkanal lag, hatte inzwischen der Bau des Volkswagenwerkes begonnen. Im Juni 1937 begaben sich die drei Geschäftsführer der Gezuvor, Porsches Sohn Ferry und der Planer Otto Dyckhoff für vier Wochen in die USA. Erstens wollten sie von dort Maschinen für den Autobau beschaffen, was fehlschlug, denn die Amerikaner verlangten dafür Devisen, und die waren wegen der Hochrüstung in Hitlerdeutschland knapp. Zweitens gedachten sie geeignete Kräfte von Ford in Detroit abzuwerben, was ihnen mit 15-20 deutschstämmigen Technikern und Facharbeitern gelang. Leute der deutschen General-Motors-Gründung Opel kamen später hinzu. Die Detroiter Fachleute trugen dazu bei, das Volkswagenwerk akkurat nach dem Muster der Ford-Werke am River Rouge zu gestalten. Bei der Konstruktion der Großfabrik am Mittellandkanal verbanden sich Elemente des klassischen Fordismus und der neuen Sachlichkeit noch mit solchen der Naziideologie in ihrer Arbeitsfrontvariante. Letztere kamen aber kaum zum Zuge, da der bald ausbrechende Krieg zur Konzentration auf Produktionsstätten ohne "Zierat" zwang.

Der Bau des Werkes verschlang enorme Mittel, ohne anfangs etwas einzubringen. Die DAF setzte Gelder ein, die durch den Verkauf von Vermögenswerten der 1933 liquidierten freien Gewerkschaften frei wurden. Später fügte sie zum selben Zweck Beiträge der bei DAF-Gesellschaften zwangsversicherten deutschen Arbeiter hinzu. Das im August 1938 unter großem Propagandaaufwand gestartete Volkswagensparsystem diente der Produktvorfinanzierung. Bis 1945 beteiligten sich 340 000 "Volksgenossen" daran. Es waren in der Regel Mittelständler und keine Arbeiter, da Letztere in der Regel nicht das nötige Geld hatten. Die Sparer zahlten insgesamt fast 280 Mill. RM auf ein Konto bei der DAF-Bank der Arbeit ein. Diese Summe floß nicht - wie zuletzt Dietrich Eichholtz im "Neuen Deutschland" vom 5./6.7.1997 unter irriger Berufung auf Mommsen/Grieger behauptete -"in die Kriegsfinanzierung". Obwohl vor allem der Hauptgeschäftsführer bei VW seit 1941, Porsches Schwiegersohn Anton Piech, wiederholt zu diesem Zweck die Hand ausstreckte, blieb das Konto den ganzen zweiten Weltkrieg über gesperrt. (Mommsen/Grieger, S. 198)

Kriegsproduktion und Sklavenarbeit bei VW

Der deutsche Imperialismus krankte immer wieder daran, daß er bei relativ schmaler Basis europa- und weltweit ausgreifende Ziele zu erreichen suchte. Die Geschichte des Volkswagenwerkes widerspiegelt diese Eigentümlichkeit. Für die Geschichte kennzeichnend ist zugleich, daß das Werk und die nach der Arbeitsfrontparole "Kraft durch Freude" mitbenannte "Stadt des KdF-Wagens", das heutige Wolfsburg, 1939 bei Kriegsanfang mitten im Aufbau begriffen waren bzw. der Aufbau gerade erst begonnen hatte. Zwar wurde das Hauptwerk am Mittellandkanal im zweiten Weltkrieg im wesentlichen fertig und bekam diverse Nebenwerke hinzu. Die Stadt aber wies nur eine einzige, für höhere Angestellte bestimmte zusammenhängende Siedlung und eine Festhalle auf. Sie blieb ein Haufen Berackenlager, der in die Breite wucherte.

Den Übergang des Werkes zur Kriegsproduktion hatten Hitler und Porsche vorprogrammiert. Dennoch war es für VW wegen dessen ursprünglicher Orientierung auf zivile Pkw-Fertigung schwierig, sich in die Rüstungswirtschaft einzutakten.

Monate vor dem Krieg bereits war Ferdinand Porsche massiv für ein Programm zur Produktion von Flugzeugmotoren für die Luftwaffe eingetreten. Vornehmlich deshalb wurde er am 4.1.1939 zum Wehrwirtschaftsführer ernannt. Das Projekt zerschlug sich. Doch ordnete bald nach Kriegsbeginn Hermann Göring an, VW-Anlagen für den Bau des Standardkampfflugzeuges Ju 88 sowie von Bomben zu nutzen. Wegen mangelnder Materialzulieferungen gedieh die Sache zunächst nicht. Das Volkswagenwerk, für hochmoderne Fließbandproduktion eingerichtet, übernahm Überbrückungsaufträge zur Herstellung primitiverer Fabrikate, beispielsweise von hölzernen Treibstoffbehältern zur Erhöhung der Reichweite deutscher Flugzeuge, von Torpedohüllen, Tellerminen und sogenannten OT-Öfen. Letztgenannte, benannt nach der Organisation Todt, erwiesen sich als lukrativ für VW. Allmählich kam im Werk sowie in Nebenbetrieben aber auch die Luftrüstung in Gang. Das Vorhaben, ganze Flugzeuge zu bauen, scheiterte. Der Erlös aus Reparaturen und Teilefertigung für die Junkerswerke, dann auch für Focke-Wulf machte schließlich den größten Gewinnposten bei Volkswagen aus.

Mittlerweile war Porsches Büro zur VW-Entwicklungsabteilung, er selbst zum eigentlichen "Betriebsführer", dem Organisator eines "Kriegsmusterbetriebes" mit goldener Hakenkreuzfahne, geworden. Seit 1940/41 befaßte er sich mit seinem Team im Auftrage Hitlers mit dem Umbau und der Neukonstruktion von Panzern. Diese wurde vor allem nach dem Überfall auf die Sowjetunion vorangetrieben, als sich herausgestellt hatte, daß die dortigen Panzer robuster, schneller und schlagkräftiger als die deutschen waren. Porsche, seit dem 21.6.1941 Chef der Panzerkommission, erhielt ein Jahr später in Würdigung inzwischen bewiesener Verdienste das Kriegsverdienstkreuz I. Klasse mit Schwertern. Dabei war es diesmal nicht weit her mit ihm. Seine Entwürfe für den "Tiger" fielen schlechter aus als die der Henschel-Werke; von den 90 zu Sturmgeschützen umgebauten Panzern seiner Konstruktion versagten manche bei der Schlacht im Kursker Bogen oder wurden leicht vom Feinde abgeschossen; der superschwere Panzer "Maus", auch "Mäuschen" genannt, erwies sich eben dieser Schwere wegen als faktisch unbeweglich; Porsches "Panther"-Panzer barg einen zur Selbstentzündung neigenden Motor. Am Ende einer Kette schwerer Pannen wurde Porsche Ende 1943 als Leiter der Panzerkommission durch Henschel-Direktor von Heydkampf abgelöst. Dem VW-Werk aber brachte die Teilnahme an der Panzerproduktion den drittgrößten Gewinnanteil ein.

Die deutsche Pkw-Produktion lag Anfang 1940 bei weniger als 10 Prozent des Vorkriegsstandes und damit am Boden. Während des Krieges erreichte sie in ihrer militärischen Variante bei Volkswagen den zweithöchsten Anteil am Betriebsgewinn. Das lag nicht zuletzt in der Gunst des "Führers" begründet, der VW am 19.3.1940 das Monopol bei der Herstellung von Personenkraftwagen zuerkannte. Im dritten Quartal selben Jahres überrundete Volkswagen zwei der drei Konkurrenten, Tatra und Stoewer; der dritte, Daimler-Benz, stellte keine Pkws mehr her. 1943 produzierte VW 25 522 Personenkraftwagen verschiedener Art. Damit erreichte das Werk den Höchststand im zweiten Weltkrieg. Schlager bei Heer und Waffen-SS war der Kübelwagen, so benannt nach der Art seiner Karosse, gefolgt vom Schwimmwagen. 1943 betrug der Kübel-Anteil am Gesamtumsatz des Werkes 42 Prozent.

In den ersten Jahren seiner Existenz befand sich VW tief in den roten Zahlen. 1942 erreichte er eine Umsatzhöhe von 146 Mill. Reichsmark, 1943 eine von 225 Mill., 1944 trotz schwerer amerikanischer Luftangriffe eine von 290 Mill. RM. Anteil daran hatte auch eine von Hitlers "Wunderwaffen", die im Luftwaffenauftrag entwickelte und produzierte Flugbombe Fi 103. Sie war nicht bei Volkswagen, sondern bei den Fieseler-Werken in Kassel entwickelt worden. 1944 wurde sie aller Welt unter der Bezeichnung "V 1" bekannt. Die Flugbombe entstand in Konkurrenz zu der vom Heer in Auftrag gegebenen ersten Fernrakete, der "V 2". Nach den alliierten Luftangriffen auf die "V 2"-Produktionsstätte Peenemünde am 17./18.8. 1943 wurde der Flugbombenbau forciert und in aller Hast vorangetrieben. Daher blieben diverse Versuchsobjekte auf der Schleuder liegen oder stürzten vorzeitig ab, so daß Hunderte von Verbesserungen notwendig wurden und ein beachtlicher Teil der Produktion verschrottet werden mußte. Juni 1944 war die "V 1" aber so weit, um erstmals in größerer, wenngleich für Hitlers Zwecke nicht ausreichender Zahl gegen England eingesetzt zu werden. Im selben Jahr trug Volkswagen als Leitfirma mit gut zwei Dritteln zu ihrer Herstellung bei. Als Unterlieferant produzierte auch das der SS gehörende Mittelwerk Flugbomben. Es ließ die V- gleich Vergeltungs-Waffen in Sklavenarbeit durch KZ-Häftlinge im Kohnstein bei Nordhausen herstellen und übernahm schließlich die ganze V-Waffen-Fertigung.

Nicht nur in der Automobilindustrie war die Volkswagenwerk GmbH im zweiten Weltkrieg der Betrieb mit der Höchstzahl ausländischer Arbeitskräfte, darunter Kriegsgefangene, angeworbene und Zwangsarbeiter. 1942 übertraf die Zahl erstmals die der deutschen Beschäftigten. Bis 1944 stieg sie auf mehr als 65 Prozent der bei VW Tätigen, bei einem durchschnittlichen Anteil von 30 Prozent in der gesamten Rüstungsindustrie. Im VW-Hauptwerk betrug der Anteil zeitweise sogar 85,3 Prozent. "Ohne die Tätigkeit der ausländischen Zwangsarbeiter seit 1942", so Mommsen/Grieger auf Seite 534 ihres Buchs, "wäre die Produktion zum Erliegen gekommen." Indirekt geht die Bedeutung der Zwangsarbeit für die VW-Profite auch daraus hervor, daß der Lohn im Volkswagenwerk 1939 87 Reichspfennig je Stunde betrug und damit deutlich über dem durchschnittlichen Facharbeiterlohn in Deutschland lag, daß er aber wegen des wachsenden Anteils meist zwangsweise beschäftigter Ausländer 1943 auf 79 und 1944 auf 75 Rpf. pro Stunde sank.

1938, als der Zugang deutscher Arbeiter bei Volkswagen trotz hoher Lock-Löhne zurückgegangen war und andererseits Belegschaftsangehörige für den Bau des Westwalls abgezogen wurden, hatten VW und die Deutsche Arbeitsfront als erste Kategorie Hunderte Italiener angeworben. Ab 1939 folgten in dem Maße, wie Hitlers Wehrmacht in Europa vorankam, Freiwillige und Unfreiwillige vieler Herren Länder. Besonders zahlreich waren polnische Arbeitskräfte, darunter Verschleppte aus dem Raum Lublin, und "Ostarbeiter" aus dem besetzten Teil der UdSSR. Gleich französischen wurden u. a. auch sowjetische Kriegsgefangene bei VW völkerrechtswidrig für Rüstungszwecke mißbraucht. Die sowjetischen waren aber durch Hunger nach der Gefangennahme so geschwächt, daß viele bei der Arbeit zusammenbrachen und ihr Einsatz sich für VW kaum lohnte.

Dank extrem karger Rationen, von denen ein Teil zudem für die Prämiierung höherer Leistungen abgezweigt wurde, und eines ebenso schlechten wie schlecht zubereiteten Essens waren "Fremdarbeiter" bei Volkswagen grundsätzlich unterernährt. Sie wurden geschlagen oder in werkseigenen resp. der SS gehörenden Bunkern für kleinste Vergehen grausam bestraft. An der Jagd auf sie beteiligten sich neben Himmlers Schergen Angehörige des Werkschutzes, von denen im Verlauf des Krieges immer weniger der SS angehörten; zudem nahmen einige, meist deutsche, Meister und Vorarbeiter an Ausschreitungen teil. Mancher ausländischen Arbeitskraft schienen "selbst die Gestapo-Beamten immer noch gerechter... als die wild prügelnden Werkschutzleute" zu sein. (Mommsen/Grieger, S. 539). Ähnlich verhaßt waren bei polnischen ArbeiterInnen ukrainische und oberschlesische Hilfswillige der Nazis in schwarzer Uniform.

Nächst sowjetischen Gefangenen wurden italienische Militärinternierte, welche nach dem Bruch Italiens mit Hitlerdeutschland ins Reich geschleppt worden waren, diskriminiert und grausam gepeinigt. Das widerfuhr auch einem französischen Kriegsgefangenen im Neuengamme-Nebenlager Laagberg auf dem Territorium der "Stadt des KdF-Wagens". Nachdem man ihn als Oberst enttarnt hatte, traktierte ihn ein "volksdeutscher" SS-Schläger so lange, bis er den Verstand verlor.

Mommsen und Grieger haben über diese und viele andere Vorgänge - darunter das massenhafte Sterben neugeborener Kinder von Arbeitssklavinnen im Dorf Rühen und das Verscharren toter Sowjetsoldaten neben einer Müllkippe - ausführlich berichtet. Dergleichen ist heute keineswegs selbstverständlich, es muß gewürdigt werden. Eichholtz in seiner schon zitierten ND-Rezension vom 5./6.7.1997 unterläßt es, das zu tun. Er nimmt es dafür den Autoren übel, daß sie die Zustände im Volkswagenwerk mit denen im KZ Auschwitz vergleichen und dabei auf Basis der Aussagen ehemaliger Häftlinge Feststellungen wie diese treffen: "Nach den schockartigen Erlebnissen in Auschwitz, wo sie um Haaresbreite dem Tod entgangen waren, erschienen den Häftlingen die Verhältnisse im Arbeitskommando als durchaus erträglich" und "beinahe als 'normales Leben'. Das gab der Abkommandierung zur Volkswagen GmbH eine unverdient positive Prägung und ließ sie als 'schönste Zeit' des KZ-Daseins in der Erinnerung haften bleiben." (Mommsen/Grieger, S. 865) Bei insgesamt wahrheitsgetreuer Darstellung, die hier gegeben ist, sind solche Vergleiche legitim und am Platz. Sie bedeuten nicht, irgend etwas zu beschönigen, schon gar nicht die braune Volkswagen-Vergangenheit, wie Eichholtz suggeriert. Der Kriegswirtschaft-Experte hätte den Versuch, seinen Lesern das Gegenteil weiszumachen, besser unterlassen.

Ein spezielles Wort noch zu deutschen Vorarbeitern und Chargierten wie dem von Anton Piech ins Werk geholten "Gefolgschaftsleiter" (Personalchef) Georg Tyrolt, seinem Vetter, die sich ausländischen Beschäftigten gegenüber besonders anmaßend und provokant verhielten. Sie trugen damit jene stramme NS-Gesinnung zur Schau, die der deutschen Minderheit im Werk von Partei, Staat und Betriebsführung anempfohlen und - beginnend mit der Lehrlingsausbildung im Braunschweiger Vorwerk unter maßgeblicher Mitwirkung der Hitlerjugend - anerzogen worden war. Sie wurde gebraucht, um bei kriegsbedingt zugespitzter Lage allenthalben deutsche Vormachtpositionen zu behaupten. Wie sich zeigen sollte, stecken Teile der NS-Erziehung heute noch in manchem Wolfsburger Bürger.

Aufschlußreich im Hinblick auf Verantwortlichkeiten auch für Kriegsverbrechen sind von Mommsen/Grieger mitgeteilte Fakten über die Zusammenarbeit zwischen SS- und VW-Betriebsführung. Demnach schlug im März 1941 der Reichsführer-SS Heinrich Himmler vor, im Bereich des Volkswagenwerkes ein Konzentrationslager einzurichten. Die Spitzen des Betriebes stimmten einhellig zu. Anfang Januar 1942 sprachen Porsche und der zum Inspekteur des Führers für das Kraftfahrzeugwesen ernannte Jakob Werlin im Verfolg ihres Plans, VW bei Karosserien aus Leichtmetall unabhängig zu machen und eine werkseigene Gießerei dafür bauen zu lassen, bei Himmler vor. Gemeinsam erarbeiteten die drei im Führerhauptquartier eine Vorlage, die Hitler am 11.1. per Unterschrift zur "Führerentscheidung" erhob. Demnach waren "Fertigstellung, Ausbau und Betrieb dieser Gießerei dem Reichsführer-SS zu übertragen, der dafür die Arbeitskräfte aus den Konzentrationslagern stellt". Bei anschließenden Besprechungen hierüber zwischen Porsche und dem Leiter des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS, Gruppenführer Oswald Pohl, schloß dieser aus dem Text, die SS sei auch für den Betrieb der Gießerei zuständig, was dem Wortlaut nach richtig gewesen wäre. Porsche widersprach unter Hinweis auf entgegengesetzte Ansichten Robert Leys. Interessant ist, daß der hohe SS-Führer Pohl der guten Verbindungen des VW-Betriebsführers zu Ley und Hitler wegen nachgab, woraufhin Porsche versprach, der Waffen-SS 4000 Kübelwagen zu liefern. (Mommsen/Grieger, S. 499 f.) Mit dem sogenannten Arbeitsdorf wurde in der "Stadt des KdF-Wagens" das erste selbständige KZ zur industriellen Nutzung von Häftlingsarbeit errichtet.

Anfang März 1944 erschien Porsche mit seinem Sohn Ferry bei Himmler. Ihr Besuch stand mit einem umfassenden Vorhaben in Zusammenhang, Rüstungsbetriebe großenteils unter die Erde zu verlegen, um sie für alliierte Bomber unangreifbar zu machen. Das Volkswagenwerk hatte hierzu vor allem eine Eisenerzgrube in Tiercelet unweit Thil in Lothringen ausersehen, wobei es in Konkurrenz mit anderen Firmen die ganze, 230 000 Quadratmeter große Höhle für sich in Anspruch nahm. Porsche bat den obersten Kerkermeister des Hitlerreiches um Unterstützung und hinreichend Arbeitssklaven, um die Grube voll und ganz nutzen zu können. Himmler, gegenüber "arischen" deutschen Industriellen stets kulant, sagte das zu. Gleichzeitig ehrte er Pg. Porsche mit einer besonderen Auszeichnung, dem Totenkopfring des Reichsführers-SS. (Mommsen/Grieger, S. 811)

In der zweiten Maihälfte 1944 begab sich der VW-Betriebsingenieur Arthur Schmiele, Leiter des Zweigwerkes in Schönebeck und Abwehrbeauftragter, nach Auschwitz. Er suchte sich dort einige hundert jüdische Metallarbeiter aus Ungarn aus, um sie für Tiercelet und das Hauptwerk am Mittellandkanal zu rekrutieren. Handel auf dem Sklavenmarkt im Osten war bei deutschen Industrie- und SS-Vertretern üblich. Er ist ein weiterer Beweis dafür, daß Herren von VW an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen sind. "Die Initiative bei der Einstellung von Zwangsarbeitern und von KZ-Häftlingen", so Mommsen/Grieger auf Seite 43, "ging in aller Regel von der Geschäftsleitung aus, auch wenn die formell zuständigen Arbeitsämter und das SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt (WVHA) bzw. das Rüstungsministerium die Zuweisungen aussprachen."

Das Volkswagenwerk bei Kriegsende: Keine "Stunde Null"

Bis kurz vor Toresschluß strebten die Herren von VW fieberhaft danach, dem faschistischen Deutschen Reich den damals unerreichbaren "Endsieg" zu sichern. Nicht minder emsig wirkten sie darauf hin, das eigene Schäfchen ins Trockene zu bringen, damit dem Volkswagenwerk ein guter Start in die Friedenszeit gelänge.

Die "Endsieg"-Bemühungen äußerten sich in der Hereinnahme immer neuer Aufträge, der Ausbeutung und Drangsalierung ausländischer ArbeiterInnen bis zuletzt und in aktiver, vorwärtsdrängender Beteiligung am Hitler-Speer-Programm zur Verlagerung der Rüstungsfabriken in Höhlen und Tunnel, wobei VW als "Speerspitze" fungierte. (Mommsen/Grieger, S. 810) Nicht allein Tiercelet, auch andere Untertagestätten sollten die Produktion von VW-Kriegsmaterial trotz forcierter alliierter Luftangriffe gewährleisten. Im Fall Tiercelet hatte allerdings die Firma insofern Pech, als sie den richtigen Moment zur Evakuierung im September 1944 verpaßte und Hunderte Waggons mit Maschinen und Ausrüstungen zurücklassen mußte. Andernorts in Frankreich, an der Burgundischen Pforte, blieb zur selben Zeit die US-Armee stecken. Daher gelang es Volkswagen, den bei Tiercelet entstandenen Verlust durch Beute aus seinem "Patenbetrieb" in Montbéliard-Socheaux, dem größten Zweigwerk von Peugeot, auszugleichen. Außer Halbfabrikaten und Spezialwerkzeugen wurden 1500 Werkzeugmaschinen und Pressen von dort nach Deutschland verbracht.

Besondere Aktivitäten für den "Endsieg" gingen in der zweiten Kriegshälfte vom obersten Arbeitsfrontvertreter im Volkswagenwerk, Mitgeschäftsführer Bodo Lafferentz, aus. In Raisko, einem eigens hierfür eingerichteten Nebenlager von Auschwitz, ließ er unter der Regie von SS-Sonderführer Thies Christophersen Kok-Sagys, eine kautschukartige Pflanze, kultivieren, um die Rohstofflage bei VW aufbessern zu helfen. Christophersen wurde später zu einem der bekanntesten Neonazis und Auschwitz-Leugner in der Bundesrepublik. Lafferentz mühte sich noch bis 1944 um eine Technologie zu dem Zweck, die Ostküste der USA zu beschießen.

Eine Reihe anderer Aktivitäten und Vorgänge während des Krieges trug später zum Nachkriegstriumph des Volkswagenwerkes bei. Hierzu gehörten der bei der militärischen Pkw-Produktion erreichte Rationalisierungshöchststand und weitere mit Staatshilfe hochgezogene Betriebsbauten. Unmittelbar vor Kriegsende konnte im Hauptwerk am Mittellandkanal neben der Herstellung von Motoren und Chassis auch der Karosseriebau - bisher von Ambi-Budd in Berlin besorgt - samt Teilefertigung und Endmontage konzentriert werden. Dadurch wurde eine Produktionsaufnahme unmittelbar nach dem Zusammenbruch möglich. Außerdem gelang es Volkswagen schon im Kriege, ein eigenes, damals auf Wehrmachtbedürfnisse ausgerichtetes Kundendienstnetz zu knüpfen. Die VW-Finanzchefs schufen einen soliden pekuniären Grundstock zur Nachkriegsentwicklung, indem sie niedrige Nominalgewinne verbuchten und mehrmals so große stille Reserven anlegten. Hitlers "Pionier der Arbeit" Ferdinand Porsche entwickelte mit seinem Konstruktionsbüro zivile Pkw-Typen weiter, obwohl der "Führer" dergleichen untersagt, Rüstungsminister Albert Speer es zur "Sabotage an der Kriegführung" erklärt und eine Verbotsverfügung dagegen erlassen hatte.

Ebenfalls positiv für VW wirkte sich das Faktum aus, daß amerikanische Luftangriffe zwar wiederholt das Hauptwerk getroffen und ihm teilweise beträchtlichen Schaden zugefügt hatten - das Werk berechnete ihn mit 100 Mill. RM -, daß aber vom Maschinenpark nur 7 Prozent dauerhaft ausfielen. In den ersten drei Monaten 1945 wurden noch Hunderte Militär-Pkw hergestellt.

Für die Zukunft des nunmehr Porsche KG heißenden Konstruktionsbüros wurde während des Krieges in besonderer Weise gesorgt. Einerseits erhöhte sich durch Intervention von DAF-Chef Robert Ley die Stellung des Büros dem Volkswagenwerk gegenüber, was zugleich die finanziellen Möglichkeiten des Erstgenannten vergrößerte. Andererseits schloß Ferdinand Porsche am 15.10.1943 mit Schwiegersohn Anton und Tochter Louise Piech einen Vertrag, der alle Vermögensteile der KG in Kärnten, Salzburg und Wien den Piechs und ihrer Porsche Konstruktionen GmbH zusprach. Während die Porsche KG 1945 für eine Weile unter amerikanische Treuhandschaft geriet, galt der österreichische Ableger nicht als deutsches Eigentum. Er konnte mit sämtlichen Entwicklungen und Patenten ungehindert schalten und walten.

Das Kriegsende vollzog sich in der "Stadt des KdF-Wagens" und beim Hauptwerk von VW wie folgt: Als erstes lieferte die Betriebsführung, wie es anderswo auch geschah, die KZ-Häftlinge wieder voll der SS aus; sie wurden am 7.4.1945 in geschlossenen, tagelang nicht wieder geöffneten Waggons abtransportiert, um danach den Todesmarsch anzutreten. Die Konzernleiter waren einer schweren Belastung ledig. Am 10.4. gab es in der Stadt Panzeralarm. Nun trat der bei VW gebildete, aus vier Kompanien und 1000 Mann bestehende Volkssturm an, den Hauptgeschäftsführer Anton Piech befehligte. Die 1000 marschierten in Richtung Tangermünde, um den Feind zu bekämpfen. Piech ließ sie ziehen. Er ging, mit großen Geldbeträgen versehen, daran, die Konzernleitung über Neudek im Sudetenlande nach Zell am See in der "Ostmark" zu verlegen. Hier traf er seinen Schwiegervater, den "Pionier der Arbeit", wieder, der sich schon im Januar dorthin abgesetzt hatte. Aus den VW-Fonds zahlte Piech in wenigen Monaten 10 Mill. Reichmark aus, meist an Porsche.

Am 11.4.1945 erschienen amerikanische Truppen in der "Stadt des KdF-Wagens". Sie blieben nicht dort, sondern fuhren durch, da auf ihren Karten Stadt und Werk nicht verzeichnet waren. Die verbliebenen VW-Herren fürchteten, ihre "Fremdarbeiter" könnten sich rächen oder sonstwie Unruhen anzetteln. Sie sandten den Amerikanern daher eine Delegation mit der Bitte, um Himmels willen die Stadt zu besetzen, was am 14./15.4. auch geschah. Wenig später wurden im Hauptwerk bereits US-Kraftwagen repariert, danach außerdem VW-Kübel für die Amerikaner zusammengebaut.

Ebenso wenig wie anderswo in Deutschland hat es beim Volkswagenwerk und in der dazu gehörenden Barackenstadt eine "Stunde Null" gegeben. Dem verheerenden Zusammenbruch des Hitlerreiches zum Trotz ging am Mittellandkanal alles friedlich ineinander über.

Der Weg zum Wirtschaftswundersymbol und zum weltweit agierenden Konzern

Beim Start in den Frieden hatte die VW GmbH in mehrfacher Hinsicht Glück. Erstens blieb sie, da in einer westlichen Besatzungszone Deutschlands gelegen, von ernsthafter Verfolgung ihres Managements wegen Nazi- und Kriegsverbrechen verschont. Zwar gab es 1945/46 zwei Entnazifizierungswellen. Sie trafen aber nur relativ wenige Personen, zudem wurden etliche Entscheide wieder zurückgenommen. Porsche und Piech standen unter Kriegsverbrecher-Verdacht. Sie waren zeitweise interniert und sahen sich 1945-1947 in Frankreich Untersuchungen ausgesetzt. Dabei ging es nicht nur um den Maschinen- und Werkzeugraub bei Peugeot, sondern auch darum, daß französische Direktoren zur Brechung des Widerstands gegen die deutsche und VW-Oberhoheit in Konzentrationslager verschleppt worden waren. Die früheren Chefs des Volkswagenwerks haben sich mit der von Peugeot geführten Gruppe von Autoindustriellen wohl einigen können. Es sagten Zeugen zu ihren Gunsten aus, und sie wurden gegen Kaution freigesetzt. Die Akten des damaligen Verfahrens sind nach wie vor unzugänglich. Für das Volkswagenwerk waren Porsche und Piech als "Österreicher" zeitweise weit vom Schuß. Die Identität des Konstruktionsbüros mit der VW-Entwicklungsabteilung wurde 1948/49 formell-vertraglich beendet. Gleichzeitig waren die Verträge für Porsches Konstruktionen ungemein attraktiv. Sie brachten ihnen eine Lizenzgebühr, die auf ein Prozent des Bruttoverkaufspreises je Fahrzeug erhöht war, und die VW-Alleinvertretung in Österreich, der sich hernach noch die in Ungarn, Slowenien und der Slowakei hinzugesellten.

Für Volkswagen war zweitens von Vorteil, daß das Werk, nach der auf britischen Wunsch umgetauften Stadt nun "Wolfsburg Motor Works" genannt, bis September 1949 von wohlwollenden konservativen Engländern verwaltet wurden. Das Schatzministerium in London hatte gegen die eigene Automobilindustrie den Standpunkt durchgesetzt, es sollten am Mittellandkanal weiter Fahrzeuge produziert werden, um die Besatzungskosten zu senken und Devisen zu erwirtschaften. Dementsprechend sorgte die britische Militärregierung, vornehmlich durch Major Ivan Hirst als zeitweisem Werksleiter vertreten, für günstige Produktions- und Absatzbedingungen sowie für Stahl aus Belgien und Frankreich als Äquivalent für Fahrzeuge von VW. Im Einvernehmen mit den deutschen Betriebsleitungsmitgliedern wies die Militärregierung Vorstöße deutscher Gewerkschafter und Sozialdemokraten zur Arbeitermitbestimmung ab. Die dafür erlassene Betriebsordnung erinnerte an volksgemeinschaftliche und DAF-Traditionen. Sprachlich leicht kaschiert bestimmte sie: "Sämtliche Arbeiter und Angestellte im Volkswagenwerk bilden eine geschlossene, demokratisch geführte Leistungsgemeinschaft." (Mommsen/Grieger, S. 961) Mit Nachdruck wandte sich die Militärregierung gegen den Standpunkt, VW sei mit früherem Gewerkschaftsvermögen finanziert worden und müsse daher auch den Gewerkschaften gehören. Bis es später in der BRD privatisiert wurde, was eine Stärkung der Kapitalbasis mit sich brachte, blieb das Werk ein staatskapitalistischer Betrieb. Als deutschen Generalmanager erkor Major Hirst 1947 Heinrich Nordhoff, einen Mann, der gleich Porsche Wehrwirtschaftsführer gewesen war und dem die Amerikaner Beschäftigungsverbot erteilt hatten. Vor allem nach dem Ende der britischen Regie 1949 trieb er die Rekonstruktion VWs als eines straff von oben geführten Konzerns voran und beherrschte das Werk in autokratischer Manier.

Drittens wirkte sich zugunsten Volkswagens das Faktum aus, daß Pläne zur Verlagerung in ein anderes europäisches Land - gedacht war besonders an Frankreich - nicht realisierbar wurden, weil das Werk für die jeweilige nationale Autoindustrie zu groß, ergo als Konkurrent zu gefährlich gewesen wäre. Zudem gab es mehrjährig keinen nennenswerten Gegenspieler auf dem deutschen Automarkt. Die US-Riesen General Motors und Ford meinten nach 1945, dieser Markt würde lange Zeit kaum ertragreich sein. Sie traten via Opel in Rüsselsheim und die Fordwerke in Köln erst auf den Plan, als es bereits zu spät war, VW zu stoppen. Schließlich genoß dieser noch den Vorteil, für Reichspost, Reichsbahn, Polizei und diverse andere Behörden der alleinige Autolieferant zu sein.

Nach der Währungsreform von 1948 begann der eigentliche Aufstieg des Volkswagenwerks. Alle notwendigen Zulieferungen trafen nun pünktlich und ungehindert ein, so daß auch kontinuierlich gearbeitet werden konnte. Andererseits erweiterte sich sprunghaft der Kundenkreis. Wegen steigender Gehälter und Löhne wurden mehr Autos verkauft - nicht nur an Angehörige der Mittelschichten, sondern auch und vor allem an Arbeiter. Ab Ende 1949 stellte das Werk monatlich 4942 Pkw her, womit das von den Briten nach Kriegsende gesteckte Ziel überboten war. Im September 1949 wurde die Treuhänderschaft der Engländer auf Niedersachsen übertragen, unter der Maßgabe, sie zusammen mit der Bundesrepublik Deutschland auszuüben.

Die Geschichte der Volkswagen GmbH, seit 1960 AG, ab den 50er Jahren kann nur in großen Zügen wiedergegeben werden. Der VW-Käfer erwies sich als das Auto des bundesdeutschen "Wirtschaftswunders", mit dem die durch den Krieg verpaßte zivile Motorisierung in raschem Tempo nachgeholt wurde, er war das wichtigste Wirtschaftswundersymbol neben der damaligen Westmark. Auch in mehreren anderen Ländern, darunter den USA, wurde das Vehikel zum Kassenrenner. Bis 1955 sind eine, bis 1965 zehn Millionen Käfer produziert worden. 1972 war er das meistverkaufte Kraftfahrzeug der Geschichte. Zwei Jahre später begann die Fertigung seines wichtigsten Nachfolgers, des Golf. Doch gab es auch danach weiter Länder, so Mexiko, in denen Käfer alten Stils gebaut wurden.

Für den Osten, insbesondere den zweiten deutschen Staat DDR, stellten Käfer und Golf Markenzeichen westlicher technologischer und sozialer Überlegenheit dar, besaßen doch im Osten weit weniger Leute Autos. Die VW-Produkte waren daher auch eine Waffe im kalten Krieg und im friedlichen Wettbewerb der Systeme. Zur Zeit, da der Ostblock zusammenbrach, stellte Volkswagen das zweitgrößte bundesdeutsche Industrieunternehmen dar. Bei 2,95 Millionen 1989 produzierter Kraftfahrzeuge vom Kleinwagen bis zum Transporter war die AG mit ihren weltweit agierenden Tochterfirmen und -betrieben zu 6 Prozent an der internationalen Automobilproduktion beteiligt. Sie war der viertgrößte Pkw-Hersteller der Erde. In Europa war sie bei 15 Prozent Marktanteil die Nummer eins.

Außer den sechs deutschen Werken der Volkwagen AG in Wolfsburg, Hannover, Braunschweig, Kassel, Emden und Salzgitter gehören zum VW-Imperium, das wesentlich in der Ära des Nordhoff-Nachfolgers als Vorstandsvorsitzender Carl Hahn entstand, die Audi-Werke in Ingolstadt und Neckarsulm, Produktionsgesellschaften in Spanien (SEAT), Jugoslawien, Belgien, Brasilien, Argentinien, Mexiko, Südafrika, Nigeria und China. Ein erster Versuch, sich mitten unter der härtesten Konkurrenz in den USA als Massenhersteller von Autos zu etablieren, scheiterte, wobei das VW-Werk in Westmoreland aufgegeben werden mußte. Neuerdings wird aber der neue, in Puebla (Mexiko) produzierte Käfer (New Beetle) als sicherstes Fahrzeug seiner Klasse in den Vereinigten Staaten heiß begehrt.

Anfang der 90er Jahre dehnte sich das Imperium auf die frühere DDR, durch Übernahme der Skoda-Werke in Mlada Boleslav auf Tschechien und die einer Produktionsstätte in Bratislava auf die Slowakei aus. Außerdem entstand eine Generalvertretung in Ungarn. Das neuerbaute Werk in Mosel bei Zwickau in der Ex-DDR ist hypermodern eingerichtet und benötigt wenige Arbeiter. In der slowakischen Hauptstadt blieb hingegen die Autobau-Technik dank extrem billiger Arbeitskräfte auf vorsintflutlichem Niveau. Wie weiland die Kirche, hatte auch VW einen guten Magen - jedenfalls bis auf weiteres.

Ebenso wie innerhalb der BRD nahm die Volkswagen AG nach außen Kampfpositionen ein. Sie wußte zwischen Freund und Feind genau zu unterscheiden, solidarisierte sich mit extrem reaktionären Kräften und ging zusammen mit dem jeweiligen Polizeiapparat gegen niedrig entlohnte Arbeiter vor, die für mehr Lohn und höhere Rechte stritten. In Chile bekundete sie am 11.9.1977, dem vierten Jahrestag des Militärputsches gegen die gewählte Regierung Allende, Verbundenheit mit dem Pinochet-Regime. Sie dankte ihm in "El Mercurio" dafür, daß sie sich in dem geknechteten Land hatte niederlassen dürfen. In Nigeria und Brasilien schritten 1987 Werkschutz und Militärpolizei gemeinsam gegen Streikende ein. Bei VW de Mexico in Puebla wurden im Juli 1992 nach Beginn eines Ausstands alle 14 289 Arbeiter entlassen, das Werk geschlossen und von der Polizei bewacht, bis die Ausgesperrten nachgaben.

Als 1993 die Beschäftigten des mittlerweile zum Volkswagenkonzern gehörenden SEAT-Betriebs in Barcelona gegen geplante Stillegungen und Entlassungen streikten, wandte die VW-Leitung eine "feinere", jedoch nicht minder perfide Methode an. Sie spielte einerseits die tschechische Belegschaft bei Skoda, andererseits die deutschen Arbeiter gegen ihre spanischen Kollegen aus. Im letztgenannten Fall geschah das mit dem Bemerken, die deutschen Beschäftigten seien zu Recht darüber bitterböse, daß die spanischen gegen Personalabbau rebellierten. (Hannoversche Allgemeine Zeitung, 4.12.1993) Leider steckt in der Bemerkung mehr als ein Körnchen Wahrheit. Gehobene Arbeitervertreter bei VW, insonderheit der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Klaus Volkert, sind derart im Arbeitsfront- und Volksgemeinschaftssinn vollkommen, daß sie die Betriebsführung bei Entlassungsaktionen getreulich unterstützen, ja sie bisweilen selbst auffordern, Arbeitsplätze "durchzuforsten", um der ausländischen Konkurrenz wirksamer begegnen zu können. (Berliner Zeitung, 24.11.1992) Warum soll es nichtdeutschen Kollegen besser gehen - nur weil sie sich wehren?!

Rausschmisse auch in Deutschland und der im November 1993 vereinbarte, als große soziale Tat gepriesene Übergang zur Viertagewoche im Volkswagenwerk bei teilweisem Lohnausgleich waren die Folge von und ein neuer Anstoß zu fortschreitender Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen, zur weiteren Erhöhung des konstanten auf Kosten des variablen Kapitals. Sie hingen mit dem Einbruch bei Umsatz und Gewinn 1992/93 zusammen, der teilweise ein Ergebnis der langen Expansionswelle unter dem Vorstandsvorsitzenden Carl Hahn war. Am Ende hatte Volkswagen sich ebenso überfressen, wie die BRD unter Kohl durch allzu hastiges Verschlingen der DDR. Die Dividende fiel auf den niedrigsten Stand seit dem Jahr der Ölkrise 1973, 2 DM je 50-Mark-Stammaktie. Das kapitalistische Drehbuch sieht in solchen Fällen vor, bei den Belegschaften "abzuspecken". Entsprechend einschneidende Maßnahmen traf der VW-Vorstand. Er wurde dabei nicht nur durch den Gesamtbetriebsrat, sondern auch vom niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder unterstützt, der in der SPD den neoliberalen Flügel und bei Volkswagen das größte Aktienpaket repräsentiert.

Abspecken, Ausforschen der USA-Konkurrenz und die "kleinen dunklen Schatten"

Mit auf Drängen Ministerpräsident Schröders und des damals noch als Chef der IG Metall und stellvertretender VW-Aufsichtsratsvorsitzender fungierenden Franz Steinkühler wurde am 1.1.1993 ein neuer Mann Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, womit zugleich der Porsche-Clan wieder unmittelbar dort Fuß faßte. Es war Porsches Enkel Ferdinand Piech. Dieser hatte sich zuvor bei Audi einen Namen als harter Rationalisierer gemacht. Der zeitweilig als künftiger VW-Chef gehandelte Daniel Goudevaert, ein auf friedlich-schiedliche Verfahrensweisen und die Beachtung von Umweltschutzerfordernissen bedachter Manager, wurde auf den Posten des Vizevorsitzenden und später ganz abgeschoben. Auch andere Manager, die nicht völlig piech-hörig waren, verloren ihre Posten. Das Gemetzel wurde so arg, daß sich der verbliebene Rest hilfesuchend an den Aufsichtsrat wandte und ihm schrieb, der Konzern werde von einem Mann mit "psychopathischen Zügen" geführt. (Der Spiegel, 1.12.1994) Der AR griff ein und stoppte den Drang nach Rausschmissen an der Firmenspitze.

Indessen galt der Hauptschlag den Belegschaftsmitgliedern und Zulieferern. Am 16.3.1993 nahm der VW-Vorstand José Ignácio López de Arriotúra in seine Reihen auf, welcher vordem als "Großinquisitor" und "Würger von Rüsselsheim" die Lohnkosten der General-Motors-Tochter Adam Opel AG in einem knappen Jahr um 65 Prozent (4 Mrd. DM) herabgedrückt hatte. Zum Leidwesen von GM hatte Piech höchstpersönlich diesen Wundertäter und sieben seiner Mitarbeiter abgeworben. López, ein bigotter Katholik mit dem Rosenkranz in der Jackentasche, wurde Leiter eines eigens für ihn geschaffenen neuen Geschäftsbereichs bei VW, der "Produktionsoptimierung und Beschaffung". Für 2.400 DM Salär pro Tag ging er ungesäumt an die Erfüllung seiner Mission, die Preise der Zulieferer und durch "lean production" die Zahl der Beschäftigten zu vermindern. Beides gelang ihm, wobei die Zahl der Mitarbeiter in den deutschen Volkswagenwerken bis Ende 1995 von 100.000 auf 93.700 sank. Zu berücksichtigen ist dabei, daß wie erwähnt gleichzeitig die Wochenarbeitszeit herabgesetzt wurde, sonst hätten noch 30.000 Belegschaftsmitglieder mehr dran glauben müssen. Boomt der Betrieb, sind selbstverständlich Überstunden zu leisten. Bis Ende 1999 soll im Verfolg der López-Linie die Zahl der Betriebsangehörigen auf 81.200 fallen. Hierdurch und durch die Preisdrückerei bei Zulieferungen trug das neue Vorstandsmitglied López nicht unwesentlich dazu bei, daß die Volkswagen AG rasch aus den roten Zahlen kam. Statt 1,63 Mrd. DM Verlust wie 1993 erzielte sie ein Jahr später fast 500 Mill. DM Gewinn. Ab 1995 verdoppelten sich die Gewinne alljährlich.

Nach demselben Muster wie in den deutschen VW-Werken, aber rascher und brutaler wurde in López' Heimatland Spanien mit großen Teilen der SEAT-Belegschaft aufgeräumt. Der Aufsichtsrat verfügte, die Arbeit in der Zona Franca in Barcelona einzustellen und die Zahl der Beschäftigten von 22.400 auf 13.400 zu verringern. Gleichzeitig erklärte er, nach Streichung einer SEAT-Schuld bei VW und Ankauf eines Betriebes in Pamplona durch Volkswagen für einen Sozialplan zum "Abfedern" der Massenentlassungen kein Geld mehr übrig zu haben. Stattdessen sollten die spanische Regierung und die katalanische Regionalregierung die Zeche zahlen. Daß sie es wirklich taten, lag auch am niedersächsischen Ministerpräsidenten Schröder. Er drohte mit dem Ende der eigenständigen Automarke SEAT und Umwandlung in eine verlängerte VW-Werkbank, falls Spanien nicht für den Sozialplan aufkäme. Derart trug er zum Abkommen vom 11.7.1994 bei, demzufolge die spanische Regierung dem erneut boomenden Volkswagenkonzern 500 Mill., die katalanische ihm 13 Mill. DM zu überweisen hatte. (Süddeutsche Zeitung, 13.5.1994; Neues Deutschland, 11. und 14.7.1994)

Ähnlich kulant gegenüber VW wie der niedersächsische SPD-Ministerpräsident zu Lasten Spaniens, verhielt sich sein sächsischer CDU-Kollege Kurt Biedenkopf auf Kosten der Steuerzahler seines Bundeslands. Die EU-Kommission hatte der VW AG 780 Mill. DM Subventionshilfe für den Ausbau ihrer Werke in Mosel bei Zwickau und in Chemnitz zugesagt, weil sich diese auf früherem DDR-Territorium befinden und damit nach dem Treuhand-Kahlschlag in einem EU-anerkannten Notstandsgebiet. Wegen der damaligen Absatzkrise bei VW stornierte die Aktiengesellschaft einen Teil der Arbeiten - die zum Aufbau einer Lackiererei in Mosel. Daher verringerte die EU-Kommission ihre Hilfe um 250 Mill. DM. Volkswagen verfügte hierauf einen sofortigen Investitionsstop, womit die Schaffung von 2.200 Arbeitsplätzen blockiert war. Die sächsische Regierung sagte den Treueschwüren zu Europa für diesmal ab und überwies der notleidenden Volkswagen AG die geforderte Viertelmilliarde.

Inzwischen geriet VW dadurch in Schwierigkeiten, daß aufkam, López und seine spanischen Mitarbeiter hätten beim Abgang von Opel 23.000 Blatt geheimer Akten mitgehen heißen. Darunter waren Daten aller europäischen Zulieferer Opels, Informationen über Autoteile und einen noch zu produzierenden Kleinwagen, Autoproduktpläne und solche für eine neue Automobilfabrik. Im Wolfsburger Gästehaus von VW wertete López' Truppe die Akten aus. Offenbar sollten sie bei der Volkswagen AG, die dergleichen leugnete, als Einstand dienen. General Motors und Opel verklagten López/Piech wegen "krimineller Verschwörung", mehrere VW-Institutionen wegen "gesetzwidriger Entwendung und Ausbeutung von fremden Rechten und Betriebsergebnissen", wobei sie sich auf den amerikanischen RICO Act, ein Gesetz zur Bekämpfung organisierter (Mafia-)Kriminalität, beriefen. (Berliner Zeitung, 9./10.3.1996; Freitag, 6.12.1996) Das Volkswagenwerk und Ministerpräsident Schröder hießen Lopez einen "Ehrenmann"; sie bezichtigten Opel und GM der Imageschädigung VWs und einer Attacke auf den "Standort Deutschland". (Neues Deutschland, 16.4.1996) Doch wurde ihre Unterlassungsklage wegen Rufschädigung abgewiesen, ebenso das Begehren, mit der Opel-GM-Klage genauso zu verfahren. Ende November 1996 mußte López als VW-Vorstandsmitglied zurücktreten. Nach erfolgreichen Durchsuchungen, bei denen die Fahnder demonstrativ in neuen Opel-Limousinen vorfuhren, klagte die Staatsanwaltschaft Darmstadt den "Großinquisitor" wegen Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie Unterschlagung an. Der Volkswagen AG ließ sie indes ein Schlupfloch mit der Bemerkung offen, deren Teilhabe an Verbrechen sei nicht nachweisbar. Die Autogiganten einigten sich außergerichtlich. Demnach zahlt Volkswagen General Motors 100 Mill. Dollar und kauft ihm im Laufe von sieben Jahren für eine Mrd. Dollar Autoteile ab. (Berliner Zeitung, 10.1.1998)

Trotz kurzzeitigen Rückgangs ihres Aktienkurses entstand der VW AG kein ernstlicher Schaden. Sie verwand auch eine durch die EU-Kommission verhängte Buße von 202 Mill. DM wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht, welcher dadurch zustandekam, daß Volkswagen es den Händlern in Italien und Österreich verbot, VW- und Audi-Fahrzeuge, die dort billiger zu haben sind, an ausländische Kunden zu verkaufen. Dazu ergab sich pikanterweise, daß auch die Piech mit gehörende Firma Porsche Salzburg an derlei Geschäften partizipiert hatte. (Berliner Zeitung, 29.1., 18.2. und 11.3.1998)

1997 stieg der Jahresgewinn von Volkswagen nach Steuern erstmals auf über eine Milliarde - 1,36 Mrd. DM - an. Der VW-Aufsichtsrat stimmte, wie erwähnt, dafür, den Aktionären die bislang höchste Dividende auszuzahlen. Die Zahl der Beschäftigten des Unternehmens, das mit seinen Töchtern längst zum internationalen Konzern gediehen war, betrug weltweit 274.575. Der Konzern produzierte damals 4,291 Mill. Autos. Bis 2000 will Volkswagen dies Ergebnis auf 5 Mill. steigern, dann jährlich 6 Mill. Fahrzeuge absetzen. Auch eine wachsende Umweltschädigung wird damit durch den Großkonzern vorprogrammiert.


Für Wolfsburg, die einstige "Stadt des KdF-Wagens", ist charakteristisch, daß der Porsche-Mythos und damit verknüpfte extrem reaktionäre Gesinnungen bei Teilen der Bevölkerung fortdauern. Die Fama vom angeblich unpolitischen Konstrukteursgenie wird durch eine nach ihm benannte Innenstadtstraße, das Porsche-Stadion, die Porsche-Realschule und eine Büste Porsches vor dem Rathaus mit jährlicher Ehrung durch die Stadt wachgehalten. Von reaktionären Gesinnungen kündete als erstes die Wolfsburger Gemeindewahl vom 28.11.1948. Sie ergab 6 Sitze für die SPD, 2 für die CDU und 17 für die faschistoide Deutsche Rechtspartei, die sich später Deutsche Reichspartei nannte. Wolfsburger BürgerInnen zeigten wieder den Hitlergruß und zogen Naziweisen wie das Horst-Wessel-Lied singend durch die Straßen. Der DRP-Landesvorsitzende von Niedersachsen Leonhard Schlüter, der als FDP-Mitglied noch niedersächsischer Kultusminister werden sollte, äußerte in einem Wahlkommentar die Hoffnung, es werde nochmals in Deutschland eine "nationale Erhebung" geben. Im folgenden Jahrzehnt gelang es einem ehemals führenden Mitglied der offen nazistischen Sozialistischen Reichspartei, Dr. Bernhard Gericke, in Wolfsburg Stadtarchivar zu werden. In den 50er und 60er Jahren unterblieb deshalb jede ernsthafte Lokalforschung über Stadt und Werk. (Faltblatt der VVN-BdA von 1988 "50 Jahre VW und Wolfsburg - Erinnern für die Zukunft!" und DKP-Broschüre)

Zeitlich verschoben zum Aufschwung der Friedens- und Demokratiebewegung in der Bundesrepublik, bisweilen aber auch parallel zu ihm wuchs in den 70er und 80er Jahren das Interesse junger Antifaschisten aus Wolfsburg und Umgebung an der braunen Vergangenheit. Amateurhistoriker und der nunmehrige Stadtarchivar Siegfried nahmen ihre Forschungsarbeiten auf. Ein Vortrag der Historikerin Krause-Schmitt mit dem Titel "Von Hitlers genialem Konstrukteur zum Technokraten des Krieges" regte zu monatelangen Diskussionen in der örtlichen Presse an. Profaschistisch Gesinnte reagierten mit dem Vorwurf der "Nestbeschmutzung", als hätten nicht gerade ihre Idole "das Nest beschmutzt". Die CDU-Ratsfrau Maria Kern verdächtigte und schmähte alle Porsche-Kritiker, seien es Gewerkschaftsfunktionäre, NS-Verfolgte, die DKP, Grüne, evangelische Pfarrer oder der Stadtarchivar. Die Auseinandersetzungen führten andererseits dazu, daß die Wolfsburger DKP ihre Broschüre zum 50. Jahrestag der Grundsteinlegung des Volkswagenwerks, die VVN-BdA ihr ebenfalls schon zitiertes Faltblatt herausbrachte. Vorstand und Betriebsrat der VW AG faßten den Entschluß, die Geschichte professionell erforschen zu lassen. Damit beauftragt wurde der liberale Bochumer Historiker Prof. Hans Mommsen, ein Urenkel Theodor Mommsens. Mit seinem Team hat er den Auftrag wahrheitsgetreuer Darstellung weitestgehend erfüllt. Die Familien Porsche und Piech mögen die Studie folglich nicht und haben möglicherweise dazu beigetragen, ihr Erscheinen als Buch bis November 1996 zu verzögern. Im Verlauf des Arbeitsprozesses bestritt Mommsen zunächst gravierende Tatsachen aus der DKP-Broschüre - Porsches hohen Rang bei der SS und sein Gespräch mit Himmler im März 1944 . Er hat sie dann jedoch nach Akteneinsicht bestätigt und teilweise ergänzt. (Mitteilungsblatt der VVN-BdA Niedersachsen, Februar 1997) Zwar hielt er an der vorgefaßten Meinung fest, Porsche habe "den Prototyp des ausschließlich an technologischen Fragen interessierten Fachmanns" dargestellt, fügte aber hinzu, daß sich dieser Fachmann "andererseits nicht scheute, die Herrschenden direkt anzugehen, wenn es um die Interessen des Volkswagenwerkes ging... Über die moralischen und politischen Kosten, die sich mit dem Aufstieg des Volkswagenwerkes im Dritten Reich verbanden, haben sich weder Porsche noch die deutsche Öffentlichkeit in der ersten Nachkriegszeit Klarheit verschafft.".(Mommsen/Grieger, S. 945) Die im letzten Satz enthaltene Erkenntnis ist grundsätzlich richtig, zugleich jedoch unexakt und zu milde. Insgesamt stellt Mommsen/Griegers Buch eine weit bessere, der Wahrheit näher kommende Arbeit dar, als die Rechtfertigungsschrift Prof. Hans Pohls über die Vergangenheit eines anderen deutschen Automobilkonzerns, von Daimler-Benz, im Beiheft der "Zeitschrift für Unternehmenspolitik" aus dem Frühjahr 1987.

Fortdauernd reaktionäre Tendenzen wurden am 6.11.1997 während einer Pressekonferenz der Wolfsburger CDU-Partei- und -Fraktionsspitze gegen die von SPD und VVN-BdA gewünschte Umbenennung der Porsche- in Anne-Frank-Schule deutlich. Nicht, daß die Damen und Herren etwas gegen Anne Frank gehabt hätten - Gott bewahre! Aber, so sagte es Fraktionschef Wolfgang Schoefer: "Das Positive, was Porsche für Wolfsburg geleistet hat, schätzen wir viel höher ein, als die kleinen dunklen Schatten in seinem Lebenslauf." (Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 7.11.1997) Auf Details ging Schoefer vorsichtshalber nicht ein.

Die Geschichte des Volkswagenwerkes hat ergeben, daß der Kurs der Betriebsführung ungeachtet äußerst unterschiedlicher Begleitumstände in Krieg und Frieden, unter der Hitlerdiktatur und danach, prinzipiell gleich geblieben ist. Entgegen der um ihn gesponnenen Legende stellte der erste VW-Chef Ferdinand Porsche keinen Fachidioten oder politisch reinen Tor dar. Parteigenosse und Günstling Hitlers und Himmlers, war er außer Konstrukteur von Motorfahrzeugen ein eiskalter Rechner zugunsten der Firma, ein Förderer, Mittäter und Nutznießer des faschistischen Regimes so lange, wie es sich für ihn, seine Familie und das Werk lohnte. Schwiegersohn Anton Piech und Tochter Louise traten in Porsches Fußtapfen. Seine Amtsnachfolger Heinrich Nordhoff, Carl Hahn und Ferdinand Piech setzten die skizzierte VW-Politik fort, wobei sie den Zeitumständen entsprechend unterschiedliche, mal autokratische und nach innen repressive, mal stärker expansive Methoden anwandten. Volkswagen, begründet auch mit geraubtem Gewerkschaftsgeld und erbaut unter massenhafter Ausnutzung von Sklavenarbeit sowie ein Kriegsgewinnler großen Stils, entwickelte sich nach dem zweiten Weltkrieg zu einem maßgeblichen internationalen Automobilkonzern. Vom Staat und von Karrierepolitikern wie Gerhard Schröder gefördert, agiert er prinzipiell gegen die Interessen der Majorität im eigenen Lande und draußen. Gleich allen kapitalistischen Giganten wird er seinen Weg ohne Rücksicht auf Verluste fortsetzen, bis Bevölkerungsmehrheiten willens und in der Lage sind, ihn einzudämmen und am Ende zu entmachten.

© Manfred Behrend, Berlin 1998








 

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