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Buchveröffentlichungen  









Manfred Behrend

Rezension

Klassenmäßig klar

Juristen von der Weimarer Republik bis zur heutigen BRD


Der Untertitel dieser Rezension zweier von den Nachfolgern des Kölner Pahl-Rugenstein Verlags herausgebrachter Bücher mag übertrieben erscheinen. Sie handeln aber in der Tat von deutschen Juristen in unterschiedlicher Zeit, die je nach Zugehörigkeit zu den Kräften des Fortschritts oder der Reaktion entgegengesetzt agierten.

Heinz-Jürgen Schneider/Erika Schwarz/Josef Schwarz: Die Rechtsanwälte der Roten Hilfe Deutschlands. Politische Strafverteidiger in der Weimarer Republik. Geschichte und Biografien. Pahl-Rugenstein Nachfolger, Bonn 2002, 364 Seiten

Der bekannte linke Strafverteidiger und Interpret deutscher Justizgeschichte Heinrich Hannover bewertet den Band im Vorwort als lange fälligen Versuch, die Anwälte der RHD "aus einer Vergessenheit zu holen, in die sie von den Geschichtsschreibern der Mächtigen verbannt worden sind". (S. 8) Die Autoren geben einen Überblick über die Rote Hilfe Deutschlands, der am Ende 500 000 Mitglieder angehörten. Sie entstand 1924, nachdem zwei Jahre vorher der IV. Kominternkongress die Internationale Arbeiterhilfe (IAH, russisch MOPR) als weltweites proletarisches Rotes Kreuz ins Leben gerufen hatte. Aufgabe beider Organisationen war es, Opfer der Kapitalherrschaft und Kämpfer gegen diese Herrschaft zu unterstützen. Die Hilfe galt nicht nur KP-Zugehörigen. Sie war nicht allein auf die Arbeiterklasse begrenzt, sondern wurde zugleich mittelständischen Kreisen, Angehörigen der Intelligenz und kolonial unterdrückter Völker zuteil. Wie Mitglieder der RHD und ihre IAH-Genossen im allgemeinen, war die weit kleinere Schar der als Anwälte und für Rechtsschutzkommissionen Agierenden aufopfernd tätig. Durch Aufklärung, als Rechtsberater, in Kampagnen zur Freilassung politischer Gefangener, für Abschaffung des § 218 und künstlerische Freiheit wirkten sie für ihre Klienten. RHD-Anwälte waren zu 60 Prozent jüdischer Herkunft. Sie bezogen weit geringere Honorare als üblich und wurden auch deshalb von bourgeoisen Konkurrenten als "nicht standesgemäß" attackiert.

  Ihre Gegner, angeführt von einer Elite stockreaktionärer Juristen aus der Kaiserzeit, waren klassenmäßig klar. Sie strengten zahllose Verfahren an, besonders gegen Kommunisten, aber auch gegen SPD- und Reichsbannerleute, Intellektuelle und Künstler – Letzteres nicht nur wegen Veröffentlichung, sondern selbst wegen bloßen Vortrags revolutionärer Gedichte. Zu den größeren Verfahren zählten der sogenannte Tscheka-Prozess 1925 gegen KPD-Funktionäre, die Prozesse nach dem Berliner Blutmai 1929, der Landesverratsprozess wider Carl von Ossiezky, der "Eden"-, "Röntgenstraßen"- und "Felseneck-Prozess" nach SA-Überfällen auf Berliner Proletarier. Rückwärtsgewandte Richter taten – auch durch Verbiegen des Rechts – ihr Möglichstes, um Linke hart zu bestrafen. Sie bereiteten, wie Hannover konstatiert, "den Boden für die Konzentrationslager der Nazis vor". (S. 24) Gleichzeitig maßen sie mit zweierlei Maß und waren Rechtsextremen und NS-Tätern gegenüber sanftmütig. Sie setzten gegnerische Anwälte öffentlich herab, duldeten rechte Morddrohungen gegen diese und ließen auch mal einen RHD-Vertreter gewaltsam aus dem Saal führen.

      Ohne Anwälte der Roten Hilfe hätten viele ihrer Mandanten einem mächtigen Gegner allein und fast wehrlos gegenübergestanden. Die Anwälte erzielten bisweilen beachtliche Erfolge. Bei der Nachbereitung des Hamburger Aufstands von 1923 gelang es ihnen in Abstimmung mit der KPD-Zentrale, den Barrikadenkampf als bloßen Versuch zur Abwehr reaktionärer Kräfte hinzustellen. (S. 34) Das steht in schroffem Gegensatz zur Legende, er sei – angeblich von Thälmann geführt – das weithin leuchtende Signal zur siegreichen deutschen proletarischen Revolution gewesen, die nur deshalb nicht zustande kam, weil Brandler sie verhinderte. In einem Blutmai-Verfahren erreichte der parteilose Anwalt Hans Litten, dass  Polizeiexzesse vom Gericht gerügt und die Schuld Polizeipräsident Zörgiebels (SPD) am Massaker als wahr unterstellt wurde. (S. 38) Im "Edenprozess" ließ er Hitler, der gerade die Verfassungstreue der NSDAP beeidet hatte, als Zeugen vorladen und konfrontierte ihn mit eklatanten Verstößen seiner Partei gegen diese Treue, worauf der "Führer" teils kleinlaut, teils hysterisch reagierte. (S. 38 f. und 199) Beim scheinbar unpolitischen Prozess gegen den polnischen Landarbeiter Jakubowski, der zu Unrecht wegen Kindesmords hingerichtet worden war, bewirkte der Rote-Hilfe-Anwalt Arthur Brandt die Verfahrenswiederaufnahme und nachträglichen Freispruch. (S. 95)  In einem anderen Fall vermochte dessen Kollege Ernst Schweitzer gar das Reichsgericht umzustimmen, was einmalig war. (S. 265)
              
      Auf rund 240 Seiten listen die Autoren alle für die RHD zeitweise oder ständig aktiven Juristen auf, über die sie etwas herausfinden konnten. Auch die Anwältinnen Nora Block und Hilde Benjamin befinden sich darunter. Bedingt durch oft spärliche, z. T. ungenaue Angaben und das Faktum, dass das Durchforsten polnischer und russischer Archive aus finanziellen Gründen unmöglich war fällt manche Notiz fragmentarisch aus. Mindestens in einem Fall hätten die Verfasser mehr leisten können: Der von ihnen nur erwähnte Rechtsanwalt Bolz aus Breslau war kein anderer als der später für die MEGA und die Zeitung des Nationalkomitees "Freies Deutschland", als Vorsitzender der NDPD, Aufbau- und Außenminister sowie stellvertretender Ministerpräsident der DDR aktive Lothar Bolz (1903-1986) Davon abgesehen haben Schneider und beide Schwarz Pionierarbeit geleistet, die fortgesetzt werden sollte. Sie stellen Kämpfer mit z. T. erschütternden Schicksalen vor. Zu den bedeutendsten zählten Paul Levi, Kurt Rosenfeld, Ernst Hegewisch, Rolf Helmer und der Linksbürgerliche Alfred Apfel, ebenso Hans Litten, Eduard Alexander und Artur Sauter, die der NS-Rache zum Opfer fielen, Felix Halle und Hermann Horstmann, welche Stalin auf dem Gewissen hat, sowie Exilanten, von denen Götz Berger und Frank Berlet später die Spanische Republik verteidigten. Der einstige deutsche Artillerieoffizier und Freikorpsführer Berlet befehligte als Divisionskommandeur und Oberst die Artillerie der POUM. (S. 88 ff.) Anwältinnen und Anwälte der RHD wurden nach 1933 generell mit Berufsverbot bedacht. Auch von den im Land Gebliebenen liefen nur ganz wenige zur NSDAP über.

      Dem Buch ist die bekannteste RHD-Schrift zur juristischen Aufklärung, Halles "Wie verteidigt sich der Proletarier in politischen Strafsachen vor Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht?", als Reprint beigegeben. Am Schluss stellt sich die heute mit Sitz in Göttingen tätige Rote Hilfe vor.



Conrad Taler: Zweierlei Maß Oder Juristen sind zu allem fähig. Vorwort von Heinrich Hannover. PapyRossa Verlag, Köln 2002, 189 Seiten

Taler stellt BRD-Juristen ihren NS-Vorgängern einerseits, Kollegen aus der DDR andererseits gegenüber. Dass sie dabei, wie er feststellt, mit zweierlei Maß gemessen haben und messen, ist nicht verwunderlich. Die Hitler dienten, waren Angehörige der eigenen bürgerlichen Zunft, die anderen Klassen- und Staatsfeinde. Leider berührt der Autor die bundesdeutsche Geschichte nur am Rande. Sie begann mit extremem Antikommunismus und damit, das Gros der bürgerlichen Eliten unter Hitler in die Nachkriegsgesellschaft einzugliedern, es mit hohen Posten und Renten zu versorgen. Naziverbrechen wurden möglichst verschwiegen,  bagatellisiert oder, wo sie doch einmal gerichtlich behandelt werden mussten, milde bestraft. Dies ganz im Gegensatz zu Vergehen oder Pseudovergehen der Linken. Es fehlt im Buche ein Hinweis darauf, dass die BRD formell die alliierte Gesetzgebung gegen deutsche Kriegs- und NS-Verbrecher und das "Gesetz zur Befreiung vom Nationalsozialismus und Militarismus" übernahm, das 1946 für die US-Zone verabschiedet wurde. Die Bundesregierung rechnete sich das 1970 in einer Erklärung an die UNO als Verdienst an, ohne dass die Bestimmungen adäquat im Landesinnern angewandt wurden. Zu den tatsächlichen Meriten des Bonner Staates indes zählten das Gesetz von 1951 zur Ämterbeschaffung für frühere Nazikader, die Feststellung von 1960, alle sogenannten Totschlagsdelikte der NS-Zeit seien verjährt, und das Gerangel um die Verjährung auch offensichtlicher Morde so lange, bis viele Täter verstorben waren. Auch die verbliebenen wurden in der Regel geschont.

      Das vom Autor angeführte einzige Beispiel eines Neonazis, der mit der BRD-Justiz zu tun bekam, Gerhard Freys, erweist gleich vielen anderen, dass diesen Elementen gegenüber ebenfalls Nachsicht geübt wird. Trotz übelster verfassungswidriger, pronazistischer und antisemitischer Hetze stellte das Bundesverfassungsgericht dem rechtsextremen Pressezaren 1974 ein Attest zu weiterer "freier Meinungsäußerung" aus, anstatt ihm, wie Justizminister Benda (CDU) beantragt hatte, dies Grundrecht zeitweise abzuerkennen. (S. 151 ff.) Das Verbotsverfahren gegen die NPD dürfte den Trend bestätigen, zumal es durch Verfilzung von Parteifunktionären und Verfassungschutz schon jetzt unterminiert und diskreditiert ist.

      Unter Verzicht auf Darlegungen dieser Art nennt Taler Beispiele für die geläufige juristische Praxis gegenüber Naziverbrechern aus der eigenen Zunft.

      1956 sprach der Bundesgerichtshof SS-Obersturmbannführer a. D. Thorbeck frei, der 1945 als Verfahrensvorsitzender die Hitlergegner Bonhoeffer, Canaris und andere umbringen ließ. Zehn Jahre später verurteilte ihn ein Schwurgericht wegen Mordbeihilfe, worauf der BGH ihn freisprach. Es sei, verlautbarte er, nicht entscheidend, wie sich die Ereignisse nach heutiger Erkenntnis darstellten, sondern wie Gesetzeslage und Gegebenheiten zur Tatzeit waren. "Ausgangspunkt ist das Recht des Staates zur Selbstbehauptung." (S. 24)

      Das Oberlandesgericht Schleswig lehnte 1967 Voruntersuchungen gegen zwei Juristen ab, die in Warschau zahlreiche Todesurteile gegen Juden gefällt hatten. Anklage wegen Mordes – so das OLG – sei nur möglich, wenn die beiden Kollegen auch Rechtsbeugung verübt hätten (S. 175 f.), was sie selbstverständlich nicht zugaben.

      1968 verwarf der BGH die Verurteilung des Beisitzers am Volksgerichtshof Rehse wegen sieben der 231 von ihm ausgesprochenen Todesurteile: Der Angeklagte könne nur bestraft werden, "wenn er selbst aus niedrigen Beweggründen für die Todesurteile stimmte". Hatte er es aus nazistischer Gesinnung getan, waren das offenbar höhere Gründe. Rehse versicherte dem Berliner Schwurgericht als nunmehr letzter Instanz, er habe "in keinem Fall das Recht gebeugt", nur in außergewöhnlicher Lage "außergewöhnliche Maßnahmen getroffen". (S. 28 f.) Beim Begründen des fälligen Freispruchs wies das Gericht darauf hin, dass auch in "freiheitlichen" Gemeinwesen außergewöhnliche Lagen berücksichtigt werden – durch Noske beim Niederschlagen des "Spartakusaufstands", durch die BRD mit den Notstandsgesetzen. (S. 121)

      Ein weißer Rabe unter den Juristen, Generalbundesanwalt Güde, fragte einmal: "Ist es nicht erschreckend, zugeben zu müssen, dass wir... objektiv zu einem Werkzeug des Unrechts, ja zu einem Werkzeug des Terrors gemacht werden?" Ein anderer, Verfassungsrichter Martin Hirsch, stellte fest: "Richter sind zu allem fähig." (S. 177 bzw. 10)
        
      Letzteres erwies sich Taler zufolge auch, als Juristen des Siegerstaates BRD beim Plattmachen der DDR ihre dortigen Ex-Kollegen abstraften. Zwar hatte das Bundesverfassungsgericht 1973 festgeschrieben, alle DDR-Bürger seien wie Bundesdeutsche zu behandeln. "Jede Verkürzung des verfassungsrechtlichen Schutzes, den das Grundgesetz gewährt..., wäre grundgesetzwidrig." (S. 156 f.) Das kümmerte den vormaligen Chef des Bundesnachrichtendienstes und späteren Justizminister Kinkel (FDP) nun nicht mehr. Er gab die (im Buch weggelassene) Parole aus, dieser Staat sei zu delegitimieren. Richter und Staatsanwälte folgten ihm. Sie erwiesen sich genauso klassenmäßig klar im Kopf wie ihre braunen Vorläufer. Nach der Linken im Altreich und in der alten BRD sehen sie jetzt SED- und DDR-Justizfunktionäre als Feinde an. Gleichzeitig beteuern sie die eigene Unparteilichkeit und leugnen den Charakter ihrer Arbeit als Rachejustiz.

      Für ihr Vorgehen wesentlich ist, so Taler, die Umkehr der bisherigen Rechtsgrundsätze im allgemeinen, der auf Alt- und Neonazis angewandten im besonderen. Vor allem kam das Prinzip "Nulla poene sine lege" – keine Strafe ohne gegebene Rechtsgrundlage – zu Fall. Wichtig hierzu war das "Gesetz über das Ruhen der Verjährung bei SED-Unrechtstaten", das 1993 bisher in beiden deutschen Staaten geltende Verjährungsfristen rückwirkend aufhob.
      Mit keinem Wort soll die Politjustiz des "Arbeiter-und-Bauern-Staates" gelobt werden. Verglichen mit der damals geltenden zivilen, war sie erheblich schlechter, vor allem des Eingriffsrechts diverser Potentaten wegen. Erstens muten aber  DDR-Vergehen gemessen an den von westdeutschen Gerichten großmütig verziehenen der Nazis harmlos an. Zweitens erweist die bundesdeutsche Vorgehensweise nach dem unverhofften Sieg im kalten Kriege in aller Regel, dass es diesen Richtern egal ist, ob und wie viel Schuld oder vermeintliche Schuld DDR-Angeklagte auf sich luden. Talers Darstellung müssen beide Aspekte hinzugefügt werden. Von seinen Beispielen bundesdeutscher Urteile zu DDR-Tatbeständen sind folgende bemerkenswert:

      1993 wurde DDR-Richter Jürgens verknackt, weil er mehr als vier Jahrzehnte davor in einem Waldheim-Tribunal saß, das als NS-Kriegsverbrecher Angeklagte zum Tode verurteilte. Er hatte nicht einmal dafür gestimmt. (S. 12 f.)

      1995 schrieb der Bundesgerichtshof die vom Berliner Landgericht verhängte, mit drei Jahren neun Monaten höchste Strafe für einen DDR-Juristen, den Richter beim Obergericht Reinewarth, wegen Rechtsbeugung und Totschlags fest. Er begründete das so: R. habe seinerzeit zwar geglaubt, hart zu bestrafende Spionagetätigkeit ahnden zu müssen. Doch hätten – so der BGH unter Anwendung heutiger bundesdeutscher Maßstäbe auf die damalige DDR – die Feststellungen "keinen die Staatssicherheit wesentlich beeinträchtigenden Geheimnisverrat" belegt. Dass "der Angeklagte bestreitet, wissentlich gesetzwidrig gehandelt zu haben", könne seinen unbedingten Vorsatz, Recht zu beugen, nicht in Frage stellen. (S. 48)

      Zwei Monate zuvor rechtfertigte das Bundesverfassungsgericht ein Urteil wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung gegen eine Staatsanwältin, wobei seine Motivation hanebüchen war:"Der Tatrichter hat festgestellt, die Angeklagte habe gewusst, dass sie gesetzwidrig gehandelt hat. Damit ist die innere Seite der Rechtsbeugung, die das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraussetzt, hinreichend belegt." (S. 77)

      Am 24. 10. 1996 stufte ebenfalls das BVG DDR-Hoheitsträger als unter Ausnahmerecht stehend ein. Auf eine Verfassungsbeschwerde Heinz Keßlers und anderer Mitglieder des Verteidigungsrates hin bestimmte es, das Rückwirkungsverbot nach Art. 103, 2 GG bei später ergangenen Bestimmungen basiere auf einer Vertrauensgrundlage, die für die Beschwerdeführer nicht gelte. (S. 59 ff.)

      Kennzeichnend für die "unabhängige" Politjustiz im Rechtsstaat BRD nach dessen erster Ostexpansion 1990 ist ihr Verhalten im Fall Götz Berger, der uns bereits als Rote-Hilfe-Anwalt und Kämpfer für Spaniens Freiheit begegnet ist. Wegen Urteilen, die er 1952-1954 als DDR-Richter auf die Delikte friedensgefährdende Propaganda, Sabotage und Spionage hin verkündete, wurde ihm als 90jährigen 1995 vom Bundesversicherungsamt die Entschädigungsrente für NS-Opfer entzogen. Dem Amte war es Wurst, dass eines mit dem anderen nichts zu tun hat. Ebenso waren ihm Bergers frühe Kritik am rechtswidrigen Vorgehen der Staatssicherheit, die zu seiner Strafversetzung und dem Ausscheiden aus dem Richteramt, resp. seine Anwaltstätigkeit für Havemann und das Eintreten für Biermann 1976 Wurst, die ihn das Anwaltsmandat kosteten. Zwei Monate vor seinem Tod erst hob das Berliner Sozialgericht den Rentenstop auf. (S. 104 ff.)

      Das Bundessozialgericht bewährte sich im Klassenkampf von oben, als es 1998 Sonja Axen den Witwenanteil an der Entschädigungsrente ihres Mannes entzog, weil dieser "in obrigkeitsstaatlicher Funktion Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit gegenüber Dritten missachtet" habe. Der einstige NS-Verfolgte und KZ-Häftling Hermann Axen hatte 1971 und 1973 an Politbürobeschlüssen zur Grenzsicherung der DDR mitgewirkt. Seiner körperlich schwer behinderten, fast mittellosen Witwe war vor dem Sozialgerichtsurteil schon das gemeinsame Sparguthaben weggenommen worden. (S. 124 ff.)

      Wesentlich anders verhielten sich BRD-Instanzen der Witwe eines ebenfalls Prominenten, des Volksgerichtshofpräsidenten Freisler gegenüber. 1975 fügten bayerische Behörden den  Bezügen der wohlsituierten Dame eine Lastenausgleichsrente hinzu. Sie motivierten diese damit, dass Hitlers oberster Blutrichter, wäre er nicht 1945 ums Leben gekommen, sicher "als Rechtsanwalt oder Beamter des höheren Dienstes tätig gewesen" wäre, im Nachfolgestaat  also mehr Geld bezogen hätte. (S. 131) Nach Berechnungen von 1958 gab die BRD damals jährlich 1,4 Mrd. DM für ehemalige Nazibürokraten, -juristen und –offiziere aus. Nicht zuletzt mit Hilfe einer willfährigen Justiz trug sie dafür Sorge, dass bewährte historische Bräuche und Traditionen, auch des doppelten Rechts, beibehalten wurden.


Manfred Behrend


(Arbeiterstimme, Nürnberg, Nr. 140, 32. Jg., Sommer 2003)








 

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