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Manfred BehrendRezensionEberhard Czichon/Heinz Marohn: Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-AusverkaufMein Eindruck von dem Buch ist zwiespältig. Dem Organisator des alten Pahl-Rugenstein Verlags Paul Neuhöffer, dem es gewidmet ist, dürfte das ähnlich gehen, lebte er noch. Sein Urteil war rational, was von dem der Autoren nicht immer gesagt werden kann. Einerseits stellen sie wichtige innen- und außenpolitische Entwicklungen dar, die zum Ende der DDR geführt haben. Gestützt auf Akten aus dem PDS-Archiv, Ergebnisse der Befragung von Zeitzeugen aus dem Bereich SED, PDS und Sowjetunion, einschlägige Literatur, Dokumentationen, Video- und Tonaufzeichnungen, bieten sie neben Bekanntem manches Neue und räumen z. T. mit bürgerlich-prostalinistischen Verschwörungslegenden auf. Andererseits birgt ihre Darstellung Fakten- und Denkfehler, lassen sie zugleich mit dem Zerstören fremder Legenden ihrer eigenen, noch üppigeren Komplott-Phantasie freien Lauf. Sie entstellen das Bild von Bürgerrechtlern und PDS und putzen ihnen nicht genehme Vertreter der Partei pauschalisierend herunter. Das Verhältnis zwischen Negativem und Positivem ist in den einzelnen Abteilungen verschieden. In der Einleitung werten die Verfasser die Perestroika in Anlehnung an Heinz Jung als vom Ansatz her realistische Reaktion auf latente Krisenlagen sowie als Umgestaltungspolitik mit dem Ziel, "die Sozialismuskonzeption Lenins zurückzugewinnen". (S. 13 bzw.19) Allerdings findet sich dies Konzept nicht erst in Lenins Schriften der NÖP-Periode, es war schon in "Staat und Revolution" angelegt. Stalin mit seiner Doktrin vom "Aufbau des Sozialismus in einem Land" und deren brutale Realisierung kennzeichnen die Verfasser durch die Formulierung, daß er "die sozialistische Demokratie unterschätzt" habe (S. 18), was eine bitter ernste, für Kommunisten tragische Sache verniedlichen heißt. Der Ausfall Czichon/Marohns wider "das ganze zunehmend demagogische Glasnost-Gerede" (S. 24) ist insofern unbegründet, als das ursprüngliche Anliegen, endlich die Wahrheit zu sagen und zu dulden, goldrichtig war und für sozialistische Entwicklungen unumgänglich ist. Wesentlich scheint mir die Feststellung der Autoren zu sein, bei aller zur Schau getragenen Reformfreudigkeit sei Michail Gorbatschow "grundsätzlich im alten Stalinschen Leitungsstil... befangen" geblieben und mit seinen Gefährten "nicht aus der "Stalinstschina", dem administrativen Parteiapparat", herausgetreten. (S. 25) Zwar gab die XIX. KPdSU- Parteikonferenz Mitte 1988, die die Autoren unerwähnt lassen, wieder die Parole "Alle Macht den Sowjets" aus, versuchten streikende Bergarbeiter, darunter Parteimitglieder, sie in ihrem Bereich zu verwirklichen. Doch waren weder Führung und Basis der KPdSU, noch ein hinreichender Teil des Proletariats reif und in der Lage, den zu einer revolutionären Perestroika notwendigen Aufstand wider die Apparatherrschaft zu wagen. Es gelang vielmehr der Bürokratie, die Perestroika zu stoppen. Daß dabei auch Gorbatschow versagte, ist nicht verwunderlich. Fleisch vom Fleische des Apparats, hätte er sich, um Revolutionär zu werden, grundlegend wandeln müssen. Das "neue Denken" dieses Politikers legen Czichon/Marohn durchweg negativ aus. Sie gehen der Frage aus dem Weg, ob es angesichts der Atomtodgefahr und massenhaften Umweltvernichtung keine Interessen gibt, die ungeachtet weiter auszutragender Klassengegensätze von der ganzen Menschheit gewahrt werden müssen. Die in der US-Regierung entwickelte Direktive NSD-23 vom Frühjahr 1989 zur Änderung der Strategie dem Osten gegenüber schätzen die Autoren als bedeutsam ein. Demnach zielten die USA darauf ab, mit dem "neuen Denken" verbundene Illusionen der sowjetischen Führer auszunutzen, um vom Containment zur Rückführung Osteuropas "in den Schoß des Westens" zu gelangen. (S. 42) Die Wunschvorstellung ist richtig wiedergegeben, kann aber für sich genommen kein Anlaß zu Verschwörungstheorien sein. Das erste Kapitel gilt dem Verhältnis UdSSR-DDR. Zu Recht konstatieren die Verfasser, das heutige Ostdeutschland sei seit Stalin und Berija/Malenkow dem Westen mehrmals als Tauschobjekt für Geld und politische Zugeständnisse angeboten worden. Ihre Darstellung des 17. Juni 1953 als von Adenauer inszenierter "Volksrevolution", um die DDR billiger einzukaufen (S. 51), ist verwegen. Das Verdienst an dieser "Revolution" gebührt der in Berlin regierenden Ulbricht-Gruppe, die durch forcierten "Aufbau der Grundlagen des Sozialismus" bis 11. 6. und stures Beibehalten einer administrativen Normerhöhung um 10 Prozent selbst danach noch die Arbeiter auf die Straße trieb. Westliche Dienste haben das ausgenutzt, bis die Sowjetarmee dem einen Riegel vorschob. Im Detail stimmen Behauptungen von der Art nicht, die KZ-Kommandeuse Ilse Koch sei am 17. 6. in Halle befreit worden resp. Karl Schirdewan habe damals zur Anti-Ulbricht-Fronde gehört. (S. 51) In Beraterkreisen Gorbatschows wurde drei Jahrzehnte später erneut über die DDR als Tauschobjekt diskutiert. Czichon/Marohn finden das unfein. Sie vergessen, daß Honeckers Kontrapolitik wider Glasnost und Perestroika auf den Urheber zurückschlagen mußte. Analog zu Ceausescu wurde er zum Hindernis für Vorstöße aus der Sackgasse heraus und machte sich derart überflüssig. Die Bürgerrechtsbewegungen werden von den Verfassern karikiert statt dargestellt. Sie standen nicht, wie im Buch angedeutet (S. 88), unter Oberhoheit des Bundes der Evangelischen Kirchen und waren nicht antisozialistisch, obwohl eine so gesinnte Minderheit ihnen angehörte. Die Bürgerrechtler wollten eine bessere DDR, nicht "die deutsche Zweistaatlichkeit überwinden". (S. 82) Kommunisten und Sozialisten in der SED hätten ihr Streben nach Durchsetzung der politischen und Menschenrechte unterstützen müssen. Interessant sind Ausführungen der Autoren darüber, daß um die Jahreswende 1988/89 Honecker an eine politische Lockerung dachte. Deren Bekanntgabe verschob er indessen in die Zeit nach dem Jubelfest zum 40. Jahrestag der DDR-Gründung, als es zu spät war. Schön war auch die typisch deutsche Art seines Vorgehens. Er ließ Kommissionen dialektische Widersprüche erforschen und die "Konzeption eines modernen Sozialismus" entwerfen. Das verschaffte u. a. dem Forschungsprojekt "Moderner Sozialismus" unter Dieter Klein und Michael Brie an der Berliner Humboldt-Universität Rückendeckung. Mit dem Vorab-Segen "der Partei" konnte die Gruppe Gedanken formulieren, die teilweise ketzerisch waren. Das Ergebnis, darin haben Czichon/Marohn Recht, fiel leider intellektualistisch-elitär aus. (S. 91 und 124) Das zweite Kapitel beginnt mit der "Sprachlosigkeit" von Politbüro und ZK der SED nach Honeckers Erkrankung 1989, während Ungarn seine Grenze für DDR-Flüchtlinge nach Westen öffnete. Den Politbürobeschluß Honeckers von Ende September, Tausende in die Prager bundesdeutsche Botschaft geflohene Ostdeutsche in die BRD zu entlassen, aber via Dresden, haben die Autoren nicht in seiner Tragweise erfaßt. Mit ihm wurden schwere Zusammenstöße zwischen Dresdner Ausreisewilligen und Sicherheitskräften provoziert. Der Konflikt zwischen dem Regime und Teilen des Volkes eskalierte. Noch kritikwürdiger ist die Art, in der die Polizeiattacken ab 7. 10. 1989 in Ostberlin verharmlost werden. Sicher waren die Demonstrationen der Bürgerrechtler illegal (S. 134), doch ist es angesichts der damaligen Sachlage spießbürgerlich-autoritär, sich hierüber zu entrüsten. Prügelorgien und die Drangsalierung Gefangener gingen von Bereitschaftspolizei und Staatssicherheit, nicht von den Demonstranten aus. Diese haben Vorgänge nach Art des Peking- Massakers nicht erhofft, aber befürchtet. Daß es inzwischen auch Erfahrungen mit westlicher Polizeiwillkür gibt, ist richtig. (S. 134 f.) Wir lebten aber damals im Osten, und da wirkte die von vielen erstmals so erlebte Brutalität "sozialistischer" Sicherheitsorgane schockierend. Parteibasis und Funktionärskörper der SED waren nicht bereit, dergleichen weiter mitzumachen. Der Terror trug zum raschen Zusammenbruch des Systems bei. Darlegungen der Verfasser über Honeckers Ablösung und das mißglückte Debüt von Krenz treffen zu. Nicht haltbar ist die Unterstellung, Leute um Markus Wolf mit Dieter Klein und den Brüdern Brie hätten gegen Egon Krenz aufbegehrt, weil sie als "neue Opposition" ""freiheitliche" Verhältnisse einer neuen "Zivilgesellschaft", den "rheinischen Kapitalismus", anvisierten". (S. 167) Sie machten vielmehr gegen die neu/alte Führung Front, weil diese nicht nur für Wahlfälschungen und Solidaritätserklärungen mit Chinas Führern verantwortlich war, sondern auch zu erkennen gab, bei unwesentlichen Korrekturen gern weiter den alten Kurs zu steuern. Ein Beleg hierfür war der miserable Reisegesetzentwurf von Anfang November, der die Öffentlichkeit empörte. Mit am meisten entrüsten sich die Verfasser über Teile der Parteiopposition, vornehmlich Mitarbeiter der Akademie der Wissenschaften und der Berliner Humboldt-Universität, die erstmals am 8. 11. 1989 vor dem ZK-Gebäude demonstrierten. Statt der vom Zentralkomitee zugestandenen Parteikonferenz forderten sie einen Parteitag, der allein ein neues ZK wählen konnte. Czichon/Marohn nennen das eine ""Katastrophenpolitik", die der Politik der Strategen im (Washingtoner) NSC-Stab zuarbeitete und wesentlich zur schrittweisen Destabilisierung der DDR beitrug". (S. 199) Das läuft auf die Bezichtigung hinaus, die demonstrierenden Genossen seien Landesverräter zugunsten der USA gewesen. Die Autoren sind zudem darüber erbost, daß es der Opposition bei einer von Krenz anberaumten Kundgebung am 10. 11. 1989 im Berliner Lustgarten gelang, "nun auch viele SED-Mitglieder zur Unterstützung ihrer Forderung nach einem außerordentlichen Parteitag zu mobilisieren". (S. 214) Ungerügt lassen die Verfasser den tatsächlich verräterischen, zur Entlastung der Parteispitze gedachten Coup von Politbüro und Zentralkomitee am 9. November 1989, abrupt die Westgrenzen zu öffnen, was die DDR dem direkten Zugriff des Feindes ausliefern hieß. Nur Schabowski, der den Beschluß entgegen einer Sperrfrist als unverzüglich gültig bekanntgab, kriegt sein Fett weg. (S. 206 ff.) Ein Aufschub der Grenzöffnung um Stunden hätte aber prinzipiell nichts geändert. Zutreffend erkennen die Autoren, daß sich durch den 9. 11. die Qualität der Demonstrationen im Land wandelte. Die ihrer Meinung nach arrogante, tatsächlich selbstbewußt-demokratische Losung "Wir sind das Volk" wurde durch die auf BRD-Anschluß gerichtete, untertanenselige Parole "Wir sind ein Volk" abgelöst. Daß die nationalistischen Demonstranten andere als ihre auf Reformen drängenden Vorgänger waren – solche auch, die erst auf die Straße gingen, als das ungefährlich war -, ist Czichon/Marohn entgangen. Dafür sagen sie der SED-Opposition nach, sich den Demonstranten genähert zu haben, "verstärkt in das Geflecht der von den USA gelenkten (!) Bonner Politik geraten und in deren Strategie integriert worden" zu sein. (S. 221) Selbstverständlich fehlt auch dafür der Beweis. Auf ihrer Jagd nach Fäden einer weltweiten großen Verschwörung entdecken die Verfasser im dritten Kapitel überall Marionetten, die der Nationale Sicherheitsrat der USA (NSC) dirigierte. Sie sagen selbst Kanzler Kohl nach, er habe sich "seit dem Mai 1989 in die Gesamtstrategie Bushs und seines NSC-Stabes einordnen müssen", sei "ihrem taktischen Timing" unterlegen und habe nur noch das Geschick offenbart, taktische Vorgaben Washingtons widerspruchslos zu akzeptieren. (S. 231) Gorbatschow, der von dieser Knechtung des Kanzlers durch die USA genau wie andere Sterbliche nichts wußte, bot ihm die "deutsche Einheit" an, woraufhin Kohl mit dem Zehn-Stufen-Plan vom 28. 11. 1989 plötzlich die Initiative ergriff. (S. 239) US-Präsident Bush und Außenminister Baker aber veranlaßten nunmehr Gorbatschow, einem vereinigten Deutschland "auf der Grundlage der Offenheit, des Pluralismus und des freien Marktes" (S. 263), jedoch in den Grenzen von 1945, zuzustimmen. Parallel hierzu schildern Czichon/Marohn einen "Parteiputsch", dem am 3. 12. 1989 Krenzens Politbüro und ZK zum Opfer fielen. Charakteristisch für sie sind Fragen in Polizeimanier und die Auslegung der Vorgänge als Ergebnis eines Komplotts. Wer hatte, fragen sie, die Parteiopposition "als "Aufständische" legitimiert?... Wer waren die Verbündeten dieser "Aufständischen"? Es waren eben nicht die... Arbeiter..., es waren vor allem Bürgerrechtler... und neben Gorbatschow-Akteuren, die manche "Lutsch" nennen, die Strategen der AG Deutschlandpolitik im Bonner Kanzler-Bungalow. Besser konnte die Zielstellung des NSC-Stabes in Washington – die in der DDR entstehende Lage dürfe keineswegs als Folge der Bonner Politik erscheinen – nicht bedient werden." (S. 250) Alles lief demnach so ab, wie sich der kleine Moritz das vorstellt – ähnlich auch, wie Stalin es vergröbernd nach den Moskauer Prozeß-Szenarien darstellen ließ. Immer machen finstere Agenten oder Verräter, liiert mit Kindsköpfen, die Geschichte. Im vierten Kapitel werden der kurzzeitig die Partei repräsentierende Arbeitsausschuß der Ersten SED-Bezirkssekretäre, der Außerordentliche Parteitag im Dezember 1989 und die SED-PDS-Führung als inkompetent und politikunfähig abqualifiziert. Beim Kongreß sind sich die Autoren nicht ganz sicher. Sie bescheinigen ihm, "ein ideologisches Chaos, der Höhepunkt der Destabilisierung der DDR" gewesen zu sein, "nur viel geredet" und mit Ausnahme des Referats von Michael Schumann lediglich einen Reformansatz bewerkstelligt zu haben. (S. 288, 291 und 298 f.) Andererseits hatte es der Ansatz selbst ihrer Meinung nach in sich: "Der Umbau der SED... in eine pluralistische Partei entsprach unbestritten den konkreten Erfordernissen des inzwischen entstandenen neuen Kräfteverhältnisses in Deutschland." (S. 299) Die Autoren nehmen auch den Runden Tisch maß. Dabei trifft ihre Klage, daß er durch die DDR-Verfassung nicht legitimiert war, formell zu. (S. 303 ff.) Jedoch ist sonderbar, daß "Revolutionäre" wie sie darüber genauso betrübt sind, wie rechte westdeutsche CDU-Politiker. Falsch und diffamierend ist ihre These, die hier als "Bürgerblock" titulierte Bürgerrechtsbewegung, in ihr die Neue Linke, habe a) die Entmachtung "sozialistischer Kräfte" und ihre eigene Machtübernahme, b) den "Übergang in die deutsche Einheit" angesteuert. (S. 304) Sie tat nichts dergleichen und konnte zum Kampf um die "politische Macht" gar nicht antreten, weil ihr Einfluß bei wachsender BRD-Vorherrschaft noch schneller als der der SED-PDS sank. In dem Kapitel wird auch die Krise der Partei vom Januar 1990 behandelt, die nach Meinung der Autoren "objektiv" Vorstellungen der Bonner Vereinigungsstrategen entsprach. (S. 332) Zugleich bezichtigen sie "Reformsozialisten" in der Zentralen Schiedskommission, "Stalinsche Formen des politischen Rufmords" und Methoden mittelalterlicher Inquisitionsgerichte angewandt zu haben, indem sie ehemalige SED-Politbüromitglieder aus der Partei warfen. (S. 341) Tatsächlich wurden diese durch das – zweifellos verfehlte - Hinausexpedieren keiner Tortur unterworfen, sondern vor peinlichen Parteiverfahren bewahrt, die vordem Hunderttausende Parteimitglieder für weit weniger gravierende bzw. gar keine Vergehen hatten durchstehen müssen. Das Gleichsetzen des Hinauswurfs mit schlimmstem Stalinismus läßt vermuten, daß die Verfasser ihre eigene Vergangenheit nicht mehr kennen. Im fünften Kapitel stellen Czichon/Marohn Aktionen dar, die zum Verzicht der einstigen Besatzungsmächte auf die Oberhoheit über Deutschland und zum Aufgehen des zweiten deutschen Staates im ersten führten. Ausgangspunkt sind eine zerbröckelnde DDR und der Bruch des Versprechens Kanzler Kohls, vor den dortigen Volkskammerwahlen eine Vertragsgemeinschaft beider Staaten einzugehen. Stattdessen nahm er Kurs auf baldigen BRD-Anschluß der DDR. In einer Beratung, die Czichon/Marohn "völkerrechtswidrige Verschwörung gegen einen souveränen Staat" nennen, stimmten am 26. 1. 1990 Moskauer Spitzenvertreter darin überein, "daß die Vereinigung Deutschlands einen objektiv herangereiften Prozeß darstellt". Der DDR sei zu empfehlen, die Idee einer Konföderation mit der Bundesrepublik aufzugreifen. (S. 351 f.) Das geschah mit dem Konzept "Für Deutschland, einig Vaterland", das DDR-Ministerpräsident Modrow nach Konsultationen mit sowjetischen Diplomaten und der Führung der UdSSR am 1. 2. der Öffentlichkeit unterbreitete. Es sah den Zusammenschluß zum Bundesstaat nach Phasen zwischenstaatlicher Zusammenarbeit und der Konföderation vor, was den Prozeß verlangsamt und für DDR-Bürger weniger verlustreich gestaltet hätte. Beim Suchen nach dem Urheber des Konzepts stoßen die Verfasser auf Valentin Falin, Leiter der Internationalen Abteilung des ZK der KPdSU, welcher bei der Beratung im Januar vage solch Verfahren befürwortet habe. Kohl habe dem "Falin-Modrow-Plan" die "Allianz für Deutschland", ein Bündnis konservativer Parteien zur Volkskammerwahl, entgegengestellt. (S. 351, 356 und 367) Der PDS-Vorstand orientierte damals noch auf Fortdauer einer sozialistisch zu reformierenden DDR, was die Autoren ihm übel nehmen, weil dergleichen nicht mehr möglich gewesen sei. Das Modrow-Konzept traf den Vorstand wie ein Keulenschlag. Parteichef Gysi hatte davon gewußt. Doch war es schwierig für ihn, den Vorstandskollegen die Wendung schmackhaft zu machen. Wenig überzeugend argumentierte er, nun stehe indirekt die Sowjetunion an der Spitze der Einheits-Bewegung, während der "Schwarze Peter" beim Westen liege. Seine Rede war eine der schlechtesten. (S. 373 f.) Präzis beschreiben die Verfasser, wie die Bundesregierung mit Hilfe der – für große Teile der DDR-Wirtschaft tödlichen – Währungsunion und USA-Vertreter Baker bei einer Außenministerkonferenz von NATO und Warschauer Pakt dem Modrow-Konzept zugunsten der Bonner Anschlußkonzeption den Garaus machten. Das aber mit Ansätzen einer Revolution in der DDR zu kombinieren und diese Ansätze als "logische Abtarnung" imperialistischer Politik auszugeben (S. 389), ist infam und heißt Geschichte entstellen. Verschiedentlich, so auf Seite 124, 231 f., 247, 250 und 369, kommen die Autoren auf die Arbeiterklasse zu sprechen, die von den SED-Reformern links liegen gelassen worden sei. Von Abteilungen im Gefolge der Intellektuellen und Kleinbürger abgesehen, habe sie bei Demonstrationen nicht mitgemacht, was Czichon/Marohn lobenswert finden. Bei ihren Betrachtungen lassen sie Kleinigkeiten wie die Massenflucht, die Kundgebung der Hunderttausende am 4. 11. 1989, die nationalistischen Demos und die Volkskammerwahl vom 18. 3. 1990 außer acht, an denen Arbeiter hochgradig beteiligt waren. Bei der Wahl stimmten diese mehrheitlich für die CDU und halfen den Sieg der konservativen Fraktion des deutschen Imperialismus über den Pseudosozialismus besiegeln. Zu schönfärberischem Ouvrierismus ist kein Grund. Doch will bedacht sein: Es war die Führung der SED, die den Proletariern den Sozialismus und großenteils sogar den Klasseninstinkt austrieb. Nun übten sie Revanche – und schnitten sich ins eigene Fleisch. Kohls Erfolg vom 15./16. 7. 1990 in Moskau und Archys, die Entlassung der DDR durch die Sowjetunion in die NATO, reden die Verfasser als "Schmierenkomödie eines verantwortungslosen Hasardeurs" klein (S. 396), weil die USA schon eineinhalb Monate vorher Ja zur gesamtdeutschen NATO-Mitgliedschaft gesagt hätten. (S. 394 f.) Erstens sind aber Rußland und die Vereinigten Staaten bis heute nicht dasselbe Land. Zweitens hatte die Wiederherstellung deutscher Einheit ganz zu Bonns Bedingungen den Effekt, daß die ein Jahr vorher auf dem absteigenden Ast befindlichen Konservativen auch die erste gesamtdeutsche Bundestagswahl hoch gewannen. Im Nachwort bemühen Czichon/Marohn die ""Freiheitsrevolution" von 1989/90", um darzutun, wir wären heute deswegen "in der freiheitlich demokratischen Profitordnung der "Berliner Republik"". (S. 399) Ihre Ansicht, der für Bonner Zeiten charakteristische "rheinische Kapitalismus" fordistischen Typs sei perdu, stimmt. Doch ist das Monopolkapital deshalb nicht, wie sie, es hierdurch rechtfertigend, mit Georg Fülberth feststellen, zur rücksichtslosen Inanspruchnahme aller Ressourcen und zu massivstem Sozialabbau gezwungen. (S. 401) Vielmehr haben ihm der Fortfall eines weltweiten Gegengewichts und die Misere der zersplitterten Linken das ermöglicht. Daß "politisch-orientierende Konzepte des Kampfes um soziale Interessen und demokratische Rechte" gebraucht werden (S. 406), trifft zu. Was das Ende des "Realsozialismus" und die rascher fortschreitende Barbarisierung des Kapitalismus an Veränderungen mit sich brachten, ist einzukalkulieren. Darstellungen der DDR, ihres Untergangs und der Verantwortlichkeiten hierfür können nützlich sein. Aber nur, wenn sie voll auf Tatsachen beruhen, Geschichtsverdrehungen und ideologische Konstruktionen wie die Verschwörungslegende vermeiden. Manfred Behrend (Berlin) Aus: Hintergrund, Osnabrück, I-2000, 49-56 Eberhard Czichon/Heinz Marohn: Das Geschenk. Die DDR im Perestroika-Ausverkauf. PapyRossa Verlag, Köln 1999. ISBN 3-89438-171-X, 547 Seiten, 48 DM ![]() ![]() ![]() |
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GLASNOST, Berlin 1990 - 2019 |
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