Rezension zu Sarkar, Saral, u. Bruno Kern, Ökosozialismus oder
Barbarei.
Eine zeitgemäße Kapitalismuskritik, 3., aktualisierte Auflage, Köln-Mainz
2008.
www.oekosozialismus.net/oekosoz_akt_05_2008_rz.pdf (43 S., kostenloser
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Athanasios Karathanassis 11´2009
Saral Sakar und Bruno Kern widersprechen der Behauptung Francis Fukuyamas
vom weltweiten Sieg des Kapitalismus, indem sie zum einen die seit den 1990er
Jahren auftretenden neuen Kriege konstatieren und zudem gegenwärtige
ökonomische, politische und psychosoziale Veränderungen als krisenhafte
interpretieren. Das globale und generelle „Scheitern des Kapitalismus
als Wirtschaftssystem“ begründen sie nicht nur mit der weltweiten
Existenz von Massenarbeitslosigkeit, Sozialstaatsdemontage und Armut, sondern
auch mit Klimawandel, Ressourcenknappheit und -konflikten sowie mit der
wachsenden Anzahl “gescheiterter Staaten“ (4f).
Lösungen seien nach Ansicht der Autoren nur in einem neu zu konzipierenden
Sozialismus möglich, wobei zunächst -bevor die Machtfrage gestellt werden
kann- die „geistig-intellektuelle Hegemonie“ im Sinne Gramscis zu
erlangen ist (6). Die Rolle hier nicht benannter Subjekte wäre es, einen
„geistigen Boden“ zu bereiten, von dem aus Kapitalismus
delegitimiert, und konkrete Alternativen zum Kapitalismus „im Zuge
einer praktischen Bewegung und ihrer begleitenden kritischen Reflexion“
entwickelt werden können (7).
Die sich beschleunigende Vernichtung natürlicher Lebensgrundlagen und der
gleichzeitige Ausschluss „immer größerer Teile der Menschheit von den
ökonomischen und sozialen Lebensvoraussetzungen“(8) ziehen eine Reihe
weiterer Krisen und Konflikten nach sich und engen -nach Sakar/Kern- die
Spielräume auf dem Weg zu einer ökosozialistischen Gesellschaft zunehmend
ein.
Als Hauptursache dieser zusammenhängenden ökologischen und
sozial-ökonomischen Entwicklungen benennen die Autoren den weltweiten
Wachstumszwang der kapitalistischen Ökonomie. Sie verorten und quantifizieren
Ressourcenverbräuche und Schadstoffeinträge -gestützt v.a. auf Daten aus den
OECD-Ländern- und schließen daraufhin treffend, dass das Produktions- und
Konsumtionsniveau der „reichen Industrieländer“ (9) nicht
universalisierbar ist.(1)
Um Ressourcenmangel und Naturzerstörung entgegenzuwirken, werden den
Verfassern zufolge jedoch v.a. fiskal- und geldpolitische Maßnahmen
vorgeschlagen. Kapitalistisches Wachstum und eine sich zunehmend
globalisierende Ökonomie werden auch von globalisierungskritischen Gruppen
und Gewerkschaften nicht ausreichend im Kontext begrenzter Ressourcenquellen
und Schadstoffsenken thematisiert. Viele von ihnen seien „grundsätzlich
dem Keynesianismus verhaftet, der den Widerspruch zwischen den
Wachstumszwängen des Kapitalismus und der Erhaltung unserer natürlichen
Lebensgrundlagen nicht auflöst“(12).
Es gelte, alle „Illusionen“ aufzugeben, die dazu führen, dass
die Inhärenz von ökonomischer Globalisierung und Naturzerstörungen, bzw. dass
die »prinzipiellen Grenzen des Wachstums ignoriert oder überspielt« werden
(14).
Die in medialen Diskursen thematisierten wissenschaftlich-technologischen
Entwicklungen und die damit verbundenen Effizienzrevolutionen und
Recyclingprozesse, die die Potenz haben sollen, die Probleme der
Umweltverschmutzung und des Ressourcenverbrauchs zu lösen, sind -nach Sakar
und Kern- hierzu -u.a. aufgrund des Gesetzes vom abnehmenden Ertragszuwachs-
grundsätzlich nicht in der Lage.
Derartige Technologie-dominierte Umweltpolitik ist nicht auf einen
ökologischen Gesamtzusammenhang gerichtet sondern »auf selektive und
periphere Maßnahmen beschränkt«. Insbesondere gekoppelt mit den Zielsetzungen
des ökonomischen Wachstums könne sie ökologische Probleme zumeist allenfalls
verlagern. Sie wird trotz vereinzelter Erfolge zur
„Sisyphusarbeit“ und ist unterm Strich sogar kontraproduktiv, da
sie zu einer Industrie werde, „die noch mehr Ressourcenabbau und noch
mehr Umweltverschmutzung mit sich bringt“ (2) (21).
Erneuerbare Energien können bisher ebenfalls nicht beliebig und nach
Sakar/Kern auch nicht kostengünstig in andere Energieformen transformiert
werden.
So kommen die Autoren in ihrer teils undifferenzierten Betrachtung
stofflicher und monetärer Ströme (25) zu dem Schluss, dass
Ressourcenverbräuche drastisch sinken und folglich die Weltwirtschaft
schrumpfen müsse (25f).
Eine begriffliche Differenzierung zwischen Wachstum und Entwicklung
konkretisiert dieses Erfordernis u.a. mit Bezug auf die „steady-state
economy“ Herman Dalys von 1977. Zu einer auf Entwicklung basierenden
nachhaltigen Wirtschaft gehören den Verfassern zufolge u.a. das Sinken des
Konsumniveaus und das Schrumpfen des Fernhandels, der Vorzug
arbeitsintensiver Technologien gegenüber materialintensiver oder „die
Schaffung von regionalen, sich weitgehend selbst versorgenden
Wirtschaftskreisläufen“(27). Erforderlich sei demnach ein Wechsel vom
„Wachstumsparadigma zum Paradigma der Grenzen des Wachstums“
(27), was in nicht unerheblichem Umfang dazu führen würde, dass „ein
entsprechender Teil der Arbeiterschaft und eine entsprechende Menge an
Fabriks- und Maschinenkapazität überflüssig werden“ würde (30). Die
Folge wäre u.a. eine „große Depression“ und die damit
einhergehende Kapitalvernichtung wäre mit dem Wachstumszwang im Kapitalismus
unvereinbar. Gesellschaftliche Nachhaltigkeit ist innerhalb des
kapitalistischen Systems unmöglich (30).
Aus ihrer dichotomischen Unterscheidung zwischen Kapitalismus und
Sozialismus leiten die Verfasser einen sogenannten „Ökosozialismus als
Voraussetzung für eine nachhaltige Gesellschaft“ ab (30), dessen
Grundsätze nur knapp politisch-normativ skizziert werden:
Der Staat müsse als zentraler Akteur das „Primat des Profits“
außer Kraft setzen . Wirtschaftliche Rahmenplanung und die Vergesellschaftung
großer Kapitale vorausgesetzt, sollen Formen der Partizipation „auf
allem Ebenen“ entstehen, damit die „ökosozialistische
Gesellschaft nicht autoritär wird“ (30f).
Die Autoren liefern in ihrem Aufsatz empirisch angereicherte Begründungen
der Grenzen des Wachstums und der mit Wachstum notwendig einhergehenden
Ressourcenverbräuche, und sie verorten die Zentren der Naturnutzung. So
gelingt es ihnen, die Forderung nach einer Abkehr von Wachstum und
Fossilismus zu fundieren. Darüber hinaus stellen die Autoren einen zumeist
ignorierten Zusammenhang kapitalistischer Naturverhältnisse heraus -Wachstum
und Naturzerstörung.
Allein empirische Evidenzen der Grenzen des Wachstums und der zunehmenden
Naturzerstörungen sagen aber nichts über die Ursachen des ökonomischen
Wachstumsausmaßes im Kapitalismus aus. Kritik an Wachstum und Fossilismus
wird „nur“ empirisch begründet und regional identifiziert, was
zwar unumgänglich zur Analyse von gesellschaftlicher Praxis ist. Die
Verfasser liefern aber keine Kritik an der spezifisch ökonomischen Form, die
dieses Wachstum hervorbringt. Der kapitalistische Wachstumszwang wird von
ihnen zwar im Kontext von Konkurrenzverhältnissen als Hauptgrund von
Naturzerstörung genannt. Die Ursachen dieses ökologisch-ökonomischen
Zusammenhangs werden aber weder durch historische noch systematische
Ökonomiekritik aufgedeckt, so dass ein Fundus an Argumenten fehlt, der den
Kapitalismus als wesentlich naturdestruktiv hätte entlarven können.
Kritik an Wachstum und Fossilismus wird mit Kritik am Kapitalismus
gleichgesetzt. Eine theoretische Auseinandersetzung, die in der
Kapitalbewegung den notwendigen Zusammenhang von Wert und Stofflichkeit
identifiziert und somit Kapitalakkumulation und Naturzerstörung
systematisch-strukturell miteinander verknüpft, bleibt aus.
Sie wäre aber erforderlich, um über eine moralisch-normative Ebene hinaus
insbesondere die gesellschaftlichen Alternativen entfalten zu können, die an
eine Ursachenanalyse des o.g. Zusammenhangs anknüpfen. Der treffende Verweis
auf die Rolle des Profits, die Konkurrenzverhältnisse und einige teilweise
vereinfachte ökonomische Begründungszusammenhänge (z.B. 29f) zielen in die
richtige Richtung einer ökologischen Ökonomiekritik. Da dies aber
unausgeführt bzw. zu verkürzt bleibt, kann den überwiegend subjektkritisch
und moralisch fundierten Positionen, deren Bedeutung für die Begründung von
Ressourcenknappheit und Naturzerstörung in wissenschaftlichen sowie
öffentlichen „Mainstreamdiskursen“ massiv überbetont wird,
strukturkritisch nicht entgegen gewirkt werden.
So treffend also der wachstumskritische Ansatz der Autoren zur
Thematisierung des gesellschaftlichen Naturverhältnisses im Kapitalismus ist,
so unumgänglich ist eine hier fehlende ökonomische Formanalyse, um Ursachen
der bisherigen Naturzerstörungen und des bisherigen Raubbaus zu erkennen, und
um wertkritische politische und ökonomische Alternativkonzepte einer
postkapitalistischen Gesellschaft entwickeln zu können.
Deutlich wird dieses Defizit auch in den angedeuteten Vorstellungen eines
zukünftigen (Öko)Sozialismus. Wesentliche Elemente des sowjetischen
Sozialismusmodells gepaart mit erweiterter politischer Partizipation
erscheinen wenig originell und wirken im Kern als ein Zurückgreifen auf
vergangene staatsgeleitete Gesellschaftsvorstellungen. Sie nähren darüber
hinaus die Vermutung, dass -neben einer verkürzten Ökonomiekritik- auch eine
verkürzte Kritik am so genannten Staatssozialismus sowjetischer Prägung den
Ökosozialismus der Verfasser prägen könnte.
© Athanasios Karathanassis , 11´2009
Eine veränderte, kürzere Fassung dieser Rezension ist in „Das
Argument“ Nr. 283, 51. Jahrgang, Heft 5 / 2009 erschienen.
Anmerkungen:
(1) „Das reiche Fünftel der
Weltbevölkerung in den OECD-Staaten ist verantwortlich für mehr als 80% des
Verbrauchs von Energie und nicht erneuerbaren Ressourcen sowie für mehr als
80% des Schadstoffeintrags in die Biosphäre“(9).
(2) „Zum Beispiel kann die
Schwefeldioxidemission eines Wärmekraftwerks größtenteils beseitigt werden,
aber das erfordert eine Chemiefabrik, die 3% der Stromproduktion des
Kraftwerks verbraucht. Das würde bedeuten, dass mehr Kohle verbrannt werden
müsste, was wiederum eine höhere Schwefeldioxidemission zur Folge
hätte“(21).
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